Die Weinreben und NasenAn dem Hofe zu H. war ein Geselle, der seinen Gästen ein seltsam schimpflich Gaukelwerk machte. Nachdem sie gegessen hatten, begehrten sie, darum sie vornehmlich kommen waren, daß er ihnen zur Lust ein Gaukelspiel vorbringe. Da ließ er aus dem Tisch eine Rebe wachsen mit zeitigen Trauben, deren vor jedem eine hing: hieß jeglichen die seine mit der Hand angreifen und halten und mit der andern das Messer an den Stengel setzen, als wenn er sie abschneiden wollte; aber er sollte beileibe nicht schneiden. Darnach ging er aus der Stube, kam wieder: da saßen sie alle und hielten sich ein jeglicher selber die Nase und das Messer darauf. Hätten sie geschnitten, hätte ein jeder sich selbst die Nase verwundet. Der herumziehende JägerEs trug sich zu, daß in einem großen Walde der Förster, welcher die Aufsicht darüber führte, totgeschossen wurde. Der Edelmann, dem der Wald gehörte, gab einem andern den Dienst, aber dem widerfuhr ein gleiches, und so noch einigen, die aufeinanderfolgten, bis sich niemand mehr fand, der den gefährlichen Wald übernehmen wollte. Sobald nämlich der neue Förster hineintrat, hörte man ganz in der Ferne einen Schuß fallen, und gleich auch streckte eine mitten auf die Stirn treffende Kugel ihn nieder; es war aber keine Spur ausfindig zu machen, woher und von wem sie kam. Gleichwohl meldete sich nach ein paar Jahren ein herumziehender Jäger wieder um den Dienst. Der Edelmann verbarg ihm nicht, was geschehen war, und setzte noch ausdrücklich hinzu, so lieb es ihm wäre, den Wald wieder unter Aufsicht zu wissen, könnte er ihm doch selbst nicht zu dem gefährlichen Amte raten. Der Jäger antwortete zuversichtlich, er wolle sich vor dem unsichtbaren Scharfschützen schon Rat schaffen, und übernahm den Wald. Andern Tags, als er, von mehreren begleitet, zuerst hineingeführt wurde, hörte man, wie er eintrat, schon in der Ferne den Schuß fallen. Alsbald warf der Jäger seinen Hut in die Höhe, der dann, von einer Kugel getroffen, wieder herabfiel. "Nun", sprach er, "ist aber die Reihe an mir", lud seine Büchse und schoß sie mit den Worten: "Die Kugel bringt die Antwort!" in die Luft. Darauf bat er seine Gefährten, mitzugehen und den Täter zu suchen. Nach langem Herumstreifen fanden sie endlich in einer an dem gegenseitigen Ende des Waldes gelegenen Mühle den Müller tot und von der Kugel des Jägers auf die Stirn getroffen. Dieser herumziehende Jäger blieb noch einige Zeit in Diensten des Edelmanns, doch weil er das Wild festbannen und die Feldhühner aus der Tasche fliegen lassen konnte, auch in ganz unglaublicher Entfernung immer sicher traf und andere dergleichen unbegreifliche Kunststücke verstand, so bekam der Edelmann eine Art Grausen vor ihm und entließ ihn bei einem schicklichen Vorwande aus seinem Dienst.
Doppelte GestaltEin Landfahrer kam zu einem Edelmann, der mit langwieriger Ohnmacht und Schwachheit behaftet war, und sagte zu ihm: "Ihr seid verzaubert, soll ich Euch das Weib vor Augen bringen, das Euch das Übel angetan?" Als der Edelmann einwilligte, sprach jener: "Welches Weib morgen in Euer Haus kommt, sich auf den Herd zum Feuer stellt und den Kesselhaken mit der Händ angreift und hält, die ist es, welche Euch das Leid angetan." Am andern Tag kam die Frau eines seiner Untertanen, der neben ihm wohnte, ein ehrliches und frommes Weib, und stellte sich dahin genau auf die Weise, wie der Landfahrer vorhergesagt hatte. Der Edelmann verwunderte sich gar sehr, daß eine so ehrbare, gottesfürchtige Frau, der er nicht übelwollte, so böse Dinge treiben sollte, und fing an zu zweifeln, ob es auch recht zugehe. Er gab darum seinem Diener heimlichen Befehl, hinzulaufen und zu sehen, ob diese Nachbarin zu Hause sei oder nicht. Als dieser hinkommt, sitzt die Frau über ihrer Arbeit und hechelt Flachs. Er heißt sie zum Herrn kommen, sie spricht: "Es wird sich ja nicht schicken, daß ich so staubig und ungeputzt vor den Junker trete." Der Diener aber sagt, es habe nichts zu bedeuten, sie solle nur eilig mit ihm gehen. Sobald sie nun in des Herrn Türe trat, verschwand die andere als ein Gespenst aus dem Saal, und der Herr dankte Gott, daß er ihm in den Sinn gegeben, den Diener hinzuschicken, sonst hätte er auf des Teufels Trug vertraut und die unschuldige Frau verbrennen lassen. Rebundus im Dom zu LübeckWenn in alten Zeiten ein Domherr zu Lübeck bald sterben sollte, so fand sich morgens unter seinem Stuhlkissen im Chor eine weiße Rose, daher es Sitte war, daß jeder, wie er anlangte, sein Kissen gleich umwendete, zu schauen, ob diese Grabesverkündigung darunterliege. Es geschah, daß einer von den Domherrn, namens Rebundus, eines Morgens diese Rose unter seinem Kissen fand, und weil sie seinen Augen mehr ein schmerzlicher Dornstachel als eine Rose war, nahm er sie behend weg und steckte sie unter das Stuhlkissen seines nächsten Beisitzers, obgleich dieser schon darunter nachgesehen und nichts gefunden hatte. Rebundus fragte darauf, ob er nicht sein Kissen umkehren wollte. Der andere entgegnete, daß er es schon getan habe; aber Rebundus sagte weiter: er habe wohl nicht recht zugeschaut und solle noch einmal nachsehen, denn ihm bedünke, es habe etwas Weißes darunter geschimmert, als er dahin geblickt. Hierauf wendete der Domherr sein Kissen um und fand die Grabblume; doch sprach er zornig: das sei Betrug, denn er habe gleich anfangs fleißig genug zugeschaut und unter seinem Sitz keine Rose gefunden. Damit schob und stieß er sie dem Rebundus wieder unter sein Kissen, dieser aber wollte sie nicht wieder sich aufdrängen lassen, also daß sie einer dem andern zuwarf und ein Streit und heftiges Gezänk zwischen ihnen entstand. Als sich das Kapitel ins Mittel schlug und sie auseinanderbringen, Rebundus aber durchaus nicht eingestehen wollte, daß er die Rose am ersten gehabt, sondern auf seinem unwahrhaftigen Vorgeben beharrte, hub endlich der andere, aus verbitterter Ungeduld, an zu wünschen: "Gott wolle geben, daß der von uns beiden, welcher unrecht hat, statt der Rosen in Zukunft zum Zeichen werde, und wann ein Domherr sterben soll, in seinem Grabe klopfen möge, bis an den jüngsten Tag!" Rebundus, der diese Verwünschung wie einen leeren Wind achtete, sprach frevelig dazu: "Amen! Es sei also!" Da nun Rebundus nicht lange darnach starb, hat es von dem an unter seinem Grabsteine, sooft eines Domherrn Ende sich nahte, entsetzlich geklopft, und es ist das Sprichwort entstanden: "Rebundus hat sich gerührt, es wird ein Domherr sterben!" Eigentlich ist es kein bloßes Klopfen, sondern es geschehen unter seinem sehr großen, langen und breiten Grabstein drei Schläge, die nicht viel gelinder krachen, als ob das Wetter einschlüge oder dreimal ein Kartaunenschuß geschähe. Beim dritten Schlag dringt über dem Gewölbe der Schall der Länge nach durch die ganze Kirche mit so starkem Krachen, daß man denken sollte, das Gewölbe würde ein- und die Kirche übern Haufen fallen. Es wird dann nicht bloß in der Kirche, sondern auch in den umstehenden Häusern vernehmlich gehört. Einmal hat sich Rebundus an einem Sonntage zwischen neun und zehn Uhr mitten unter der Predigt geregt und so gewaltig angeschlagen, daß etliche Handwerksgesellen, welche eben auf dem Grabstein gestanden und die Predigt angehört, teils durch starke Erbebung des Steins, teils aus Schrecken nicht anders herabgeprellt wurden, als ob sie der Donner weggeschlagen hätte. Beim dritten entsetzlichen Schlag wollte jedermann zur Kirche hinausfliehen, in der Meinung, sie würde einstürzen; der Prediger aber ermunterte sich und rief der Gemeinde zu, dazubleiben und sich nicht zu fürchten; es wäre nur ein Teufelsgespenst, das den Gottesdienst stören wolle, das müsse man verachten und ihm im Glauben Trotz bieten. Nach etlichen Wochen ist des Dechants Sohn verblichen, denn Rebundus tobte auch, wenn eines Domherrn naher Verwandter bald zu Grabe kommen wird. Der Nachtjäger und die RüttelweiberDie Einwohner des Riesengebirges hören bei nächtlichen Zeiten oft Jägerruf, Hornblasen und Geräusch von wilden Tieren; dann sagen sie: "Der Nachtjäger jagt." Kleine Kinder fürchten sich davor und werden geschweiget, wenn man ihnen zuruft: "Sei still, hörst du nicht den Nachtjäger jagen?" Er jagt aber besonders die Rüttelweiber, welche kleine, mit Moos bekleidete Weiblein sein sollen, verfolgt und ängstigt sie ohn Unterlaß. Es sei denn, daß sie an einen Stamm eines abgehauenen Baumes geraten, und zwar eines solchen, wozu der Hölzer (Holzbauer) "Gott wael's!" (Gott walte es) gesprochen hat. Auf solchem Holz haben sie Ruhe. Sollte er aber, als er die Axt zum erstenmal an den Baum gelegt, gesagt haben: "Wael's Gott!" (so daß er das Wort Gott hintangesetzt), so gibt ein solcher Stamm keinem Rüttelweibchen Ruh und Frieden, sondern es muß vor dem Nachtjäger auf stetiger Flucht sein. Der graue HockelmannVor vielen Jahren ging einmal ein Bauer aus Auerbach abends unten am Schloßberg vorüber. Da wurde er plötzlich von einem grauen Mann angehalten und gezwungen, ihn bis hinauf in das Schloß zu hockeln. Auf einer dunkeln Stiege des Schlosses wurde der Bauer den andern Tag gefunden, wie einer, der sich übermüdet. Er starb kurze Zeit darauf. Die überschiffenden MöncheIn der Stadt Speyer lebte vorzeiten ein Fischer. Als dieser in einer Nacht an den Rhein kam und sein Garn ausstellen wollte, trat ein Mann auf ihn zu, der trug eine schwarze Kutte in Weise der Mönche, und nachdem ihn der Fischer ehrsam gegrüßt hatte, sprach er: "Ich komm ein Bote fernher und möchte gern über den Rhein." - "Tritt in meinen Nachen ein zu mir", antwortete der Fischer, "ich will dich überfahren." Da er nun diesen übergesetzt hatte und zurückkehrte, standen noch fünf andere Mönche am Gestade, die begehrten auch zu schiffen, und der Fischer frug bescheiden: was sie doch bei so eitler Nacht reisten? "Die Not treibt uns", versetzte einer der Mönche, "die Welt ist uns feind, so nimm du dich unser an und Gottes Lohn dafür." Der Fischer verlangte zu wissen, was sie ihm geben wollten für seine Arbeit. Sie sagten: "Jetzo sind wir arm, wenn es uns wieder besser geht, sollst du unsere Dankbarkeit schon spüren." Also stieß der Schiffer ab, wie aber der Nachen mitten auf den Rhein kam, hob sich ein fürchterlicher Sturm. Wasserwellen bedeckten das Schiff, und der Fischer erblaßte. Was ist das, dachte er sich, bei Sonnenniedergang war der Himmel klar und lauter, und schön schien der Mond, woher dieses schnelle Unwetter? Und wie er seine Hände hob, zu Gott zu beten, rief einer der Mönche: "Was liegst du Gott mit Beten in den Ohren, steuere dein Schiff." Bei den Worten riß er ihm das Ruder aus der Hand und fing an, den armen Fischer zu schlagen. Halbtot lag er im Nachen, der Tag begann zu dämmern, und die schwarzen Männer verschwanden. Der Himmel war klar wie vorher, der Schiffer ermannte sich, fuhr zurück und erreichte mit Not seine Wohnung. Des andern Tags begegneten dieselben Mönche einem früh aus Speyer reisenden Boten in einem rasselnden, schwarzbedeckten Wagen, der aber nur drei Räder und einen langnasigten Fuhrmann hatte. Bestürzt stand er still, ließ den Wagen vorüber und sah bald, daß er sich mit Prasseln und Flammen in die Lüfte verlor, dabei vernahm man Schwerterklingen, als ob ein Heer zusammenginge. Der Bote wandte sich, kehrte zur Stadt und zeigte alles an; man schloß aus diesem Gesicht auf Zwietracht unter den deutschen Fürsten. Der IrrwischAn der Bergstraße zu Hänlein, auch in der Gegend von Lorsch, nennt man die Irrlichter Heerwische; sie sollen nur in der Adventszeit erscheinen, und man hat einen Spottreim auf sie: "Heerwisch, ho ho, brennst wie Haberstroh, schlag mich blitzebloe!" Vor länger als dreißig Jahren, wird erzählt, sah ein Mädchen abends einen Heerwisch und rief ihm den Spottreim entgegen. Aber er lief auf das Mädchen gerade zu, und als es floh und in das Haus zu seinen Eltern flüchtete, folgte er ihr auf der Ferse nach, trat mit ihr zugleich ins Zimmer hinein und schlug alle Leute, die darin waren, mit seinen feurigen Flügeln, daß ihnen Hören und Sehen verging. |