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Deutsche Sagen
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Sankt Arbogast

St. Arbogast, Bischof zu Straßburg, kam in große Huld und Heimlichkeit mit Dagobert, König zu Frankreich; und nichts gehrte der König lieber, als oft mit ihm zu sprechen und seinen weisen Rat zu haben. Einmal geschah, daß des Königs Jäger und Siegebert, sein Sohn, in den Büschen und Wäldern jagten an der Ill, wo nachher Ebersheim, das Münster, aufkam, und fanden einen großen Eber; dem rannten sie nach mit den Hunden, einer hin, der andre her. Und da kam's, daß Siegebert der Knabe ganz allein ritt und ungewarnt auf den Eber stieß. Das Roß scheute vor dem Wild, daß der Knabe abfiel und im Stegreif hangenblieb; da trat ihn das Pferd, daß er für tot dalag. Als ihn nun des Königs Diener ertreten fanden, hoben sie ihn auf mit großem Leide, führten ihn heim, und er starb am andern Tag. Da wurde Dagoberten geraten, zu St. Arbogast zu schicken; der kam alsbald, und nach viel Rede und Klage kniete er vor die Leiche und rief Unsre Frauen an: seit sie das Leben aller Welt geboren hätte, daß sie dem Knaben sein Leben wieder erwürbe. Da ward der Knabe wieder lebend und stund auf in den Totenkleidern, die zog man ihm aus und tät ihm an königliche Kleider. Da fielen König und Königin und alles ihr Gefolg dem Heiligen zu Füßen und dankten seiner Gnaden; weder Gold noch Silber wollte er nehmen, aber nach seinem Rate gab der König an Unser Frauen Münster zu Straßburg Rufach mit Äckern, Wäldern, Wonn und Weide.

Als nun nach vielen Jahren Arbogast an das Alter kam und krank wurde, sprach er zu seinen Untertanen: Gleichwie unser Herr Jesus begraben worden wäre auswendig Jerusalem an der Statt, da man böse Leute verderbet, also wolle er dem Heiland nachfolgen; und wann er verführe, sollte man ihn auswendig Straßburg begraben bei dem Galgen an die Stätte, wo man über böse Leute richtet. Das mußten sie ihm geloben zu tun. Also ward er nach seinem Tode begraben auf St. Michelsbühel, das war der Henkebühel, und stund damals der Galgen da. Da baute man über sein Grab eine Kapelle in St. Michaels Ehren, in dieser lag er viel Jahre leibhaftig.

Die zwei gleichen Söhne

König Pippin von Frankreich vermählte sich mit einer schönen Jungfrau, die ihm einen Sohn zur Welt brachte, aber über dessen Geburt starb. Bald darauf nahm er eine neue Gemahlin, die gebar ihm ebenfalls einen Sohn. Diese beiden Söhne sandte er in weite Länder und ließ sie auswärtig erziehen; sie wurden sich aber in allen Stücken ähnlich, daß man sie kaum unterscheiden konnte. Nach einiger Zeit lag die Königin ihrem Gemahle an, daß er sie doch ihr Kind sehen ließe; er aber befahl, die beiden Söhne an Hof zu bringen. Da war der jüngste dem ältesten, ungeachtet des einen Jahres Unterschied, in Gestalt und Größe vollkommen gleich, und einer wie der andere glich dem Vater, daß die Mutter nicht wissen konnte, welches ihr Kind darunter wäre. Da hub sie an zu weinen, weil es Pippin nicht offenbaren wollte; endlich sprach er: "Laß ab zu weinen, dieser ist dein Sohn", und wies ihr den von der ersten Gemahlin. Die Königin freute sich und pflegte und besorgte dieses Kind auf alle Weise; während sie das andere, welches ihr rechter Sohn war, nicht im geringsten achtete.

Der lombardische Spielmann

Als Karl vorhatte, den König Desiderius mit Krieg zu überziehen, kam ein lombardischer Spielmann zu den Franken und sang ein Lied folgendes Inhalts: "Welchen Lohn wird der empfangen, der Karl in das Land Italien führt? Auf Wegen, wo kein Spieß gegen ihn aufgehoben, kein Schild zurückgestoßen und keiner seiner Leute verletzt werden soll?" Als das Karl zu Ohren kam, berief er den Mann zu sich und versprach ihm, alles, was er fordern würde, nach erlangtem Sieg zu gewähren.

Das Heer wurde zusammenberufen, und der Spielmann mußte vorausgehen. Er wich aber aus allen Straßen und Wegen und leitete den König über den Rand eines Berges, wo es bis auf heutigen Tag noch heißt: der Frankenweg. Wie sie von diesem Berg niederstiegen in die gavenische Ebene, sammelten sie sich schnell und fielen den Langobarden unerwarteterweise in den Rücken; Desiderius floh nach Pavia, und die Franken überströmten das ganze Land. Der Spielmann aber kam vor den König Karl und ermahnte ihn seines Versprechens. Der König sprach: "Fordre, was du willst!" Darauf antwortete er: "Ich will auf einen dieser Berge steigen und stark in mein Horn blasen; soweit der Schall gehört werden mag, das Land verleihe mir zum Lohn meiner Verdienste mit Männern und Weibern, die darin sind." Karl sprach: "Es geschehe, wie du gesagt hast." Der Spielmann neigte sich, stieg sogleich auf den Berg und blies; stieg sodann herab, ging durch Dörfer und Felder, und wen er fand, fragte er: "Hast du Horn blasen hören?" Und wer nun antwortete: "Ja, ich hab's gehört", dem versetzte er eine Maulschelle mit den Worten: "Du bist mein Eigen."

So verlieh ihm Karl das Land, soweit man sein Blasen hatte hören können; der Spielmann, solange er lebte, und seine Nachkommen besaßen es ruhig, und bis auf den heutigen Tag heißen die Einwohner dieses Landes die Zusammengeblasenen (transcornati).

Wittekinds Taufe

König Karl hatte eine Gewohnheit: alle große Feste folgten ihm viele Bettler nach, denen er ließ geben einem jeglichen einen Silberpfennig. So war es in der Stillen Woche, daß Wittekind von Engern Bettlerskleider anlegte und ging in Karls Lager unter die Bettler sitzen und wollte die Franken auskundschaften. Auf Ostern aber ließ der König in seinem Zelt Messe lesen; da geschah ein göttliches Wunder, daß Wittekind, als der Priester das Heiligtum emporhob, darin ein lebendiges Kind erblickte; das deuchte ihm ein so schönes Kind, als er sein Lebtag je gesehen, und kein Auge sah es außer ihm. Nach der Messe wurden die Silberpfennige den armen Leuten ausgeteilt da erkannte man Wittekind unter dem Bettelrock, griff und führte ihn vor den König. Da sagte er, was er gesehen hätte, und ward unterrichtet aller Dinge, daß sein Herz bewegt wurde, und empfing die Taufe und sandte nach den andern Fürsten in seinem Lager, daß sie den Krieg einstellten und sich taufen ließen. Karl aber machte ihn zum Herzogen und wandelte das schwarze Pferd in seinem Schilde in ein weißes.

Erbauung Frankfurts

Als König Karl, von den Sachsen geschlagen, floh und zum Main kam, wußten die Franken das Furt nicht zu finden, wo sie über den Fluß gehen und sich vor ihren Feinden retten könnten. Da soll plötzlich eine Hirschkuh erschienen, ihnen vorangegangen und eine Wegweiserin geworden sein. Daher gelangten die Franken über den Main, und seitdem heißt der Ort Frankenfurt.

Eginhart und Emma 1)

Eginhart, Karls des Großen Erzkapellan und Schreiber, der in dem königlichen Hofe löblich diente2), wurde von allen Leuten wert gehalten, aber von Imma, des Kaisers Tochter, heftig geliebt. Sie war dem griechischen König als Braut verlobt, und je mehr Zeit verstrich, desto mehr wuchs die heimliche Liebe zwischen Eginhart und Imma. Beide hielt die Furcht zurück, daß der König ihre Leidenschaft entdecken und darüber erzürnen möchte. Endlich aber mochte der Jüngling sich nicht länger zu bergen, faßte sich, weil er den Ohren der Jungfrau nichts durch einen fremden Boten offenbaren wollte, ein Herz und ging bei stiller Nacht zu ihrer Wohnung. Er klopfte leise an der Kammer Türe, als wäre er auf des Königs Geheiß hergesandt, und wurde eingelassen. Da gestanden sie sich ihre Liebe und genossen der ersehnten Umarmung. Als inzwischen der Jüngling bei Tagesanbruch zurückgehen wollte, woher er gekommen war, sah er, daß ein dicker Schnee über Nacht gefallen war, und scheute sich, über die Schwelle zu treten, weil ihn die Spuren von Mannsfüßen bald verraten würden. In dieser Angst und Not überlegten die Liebenden, was zu tun wäre, und die Jungfrau erdachte sich eine kühne Tat: sie wollte den Eginhart auf sich nehmen und ihn, eh es licht wurde, bis nah zu seiner Herberg tragen, daselbst absetzen und dann vorsichtig in ihren eigenen Fußspuren wieder zurückkehren. Diese Nacht hatte gerade durch Gottes Schickung der Kaiser keinen Schlaf, erhub sich bei der frühen Morgendämmerung und schaute von weitem in den Hof seiner Burg. Da erblickte er seine Tochter unter ihrer schweren Last vorüberwanken und nach abgelegter Bürde schnell zurückspringen. Genau sah der Kaiser zu und fühlte Bewunderung und Schmerz zu gleicher Zeit; doch hielt er Stillschweigen. Eginhart aber, welcher sich wohl bewußt war, diese Tat würde in die Länge nicht verborgen bleiben, ratschlagte mit sich, trat vor seinen Herrn, kniete nieder und bat um Abschied, weil ihm doch sein treuer Dienst nicht vergolten werde. Der König schwieg lange und verhehlte sein Gemüt; endlich versprach er dem Jüngling, baldigen Bescheid zu sagen. Unterdessen setzte er ein Gericht an, berief seine ersten und vertrautesten Räte und offenbarte ihnen, daß das königliche Ansehen durch den Liebeshandel seiner Tochter Imma mit seinem Schreiber verletzt worden sei. Und während alle erstaunten über die Nachricht des neuen und großen Vergehens, sagte er ihnen weiter, wie sich alles zugetragen und er es mit seinen eigenen Augen angesehen hätte und er jetzo ihren Rat und ihr Urteil heische. Die meisten aber, weise und darum mild von Gesinnung, waren der Meinung, daß der König selbst in dieser Sache entscheiden solle. Karl, nachdem er alle Seiten geprüft hatte und den Finger der Vorsehung in dieser Begebenheit wohl erkannte, beschloß, Gnade für Recht ergehen zu lassen und die Liebenden miteinander zu verehelichen. Alle lobten mit Freuden des Königs Sanftmut, der den Schreiber vor sich forderte und also anredete: "Schon lange hätte ich deine Dienste besser vergolten, wo du mir dein Mißvergnügen früher entdeckt hättest; jetzo will ich dir zum Lohn meine Tochter Imma, die dich hochgegürtet willig getragen, zur ehelichen Frau geben." Sogleich befahl er, nach der Tochter zu senden, welche mit errötendem Gesicht in des Hofes Gegenwart ihrem Geliebten angetraut wurde. Auch gab er ihr reiche Mitgift an Grundstücken, Gold und Silber; und nach des Kaisers Absterben schenkte ihnen Ludwig der Fromme durch eine besondere Urkunde in dem Maingau Michlinstadt und Mühlenheim, welches jetzo Seligenstadt heißt. In der Kirche zu Seligenstadt liegen beide Liebende nach ihrem Tode begraben. Die mündliche Sage erhält dort ihr Andenken, und selbst dem nah liegenden Walde soll, ihr zufolge, Imma, als sie ihn einmal "O du Wald!" angeredet, den Namen Odenwald verliehen haben.

Auch Seligenstadt soll einer Sage nach daher den Namen haben: Karl habe Emma verstoßen und, auf der Jagd verirrt, wieder an diesem Orte gefunden; nämlich als sie ihm in einer Fischerhütte sein Lieblingsgericht vorgesetzt, erkannte er die Tochter daran und rief:

"Selig sei die Stadt genannt, Wo ich Emma wiederfand!"
1. Vincent. bellov. versetzt die Sage unter Kaiser Heinrich III., dessen Schwester einem Klerikus denselben Dienst erweist.
2. Nach einigen zu Aachen, nach andern zu Ingelheim.

König Ludwigs Rippe klappt

Von König Ludwigs in Deutschland Härte und Stärke wird erzählet wie folgt: Es geschah auf einem Heerzug, daß eine Laube oder Kammer unter ihm einging, er hinunterstürzte und eine Rippe ausfiel. Allein er verbarg den Schaden vor jedermann, vollbrachte seine Reise, und es heißt, die, welche dieselbige Zeit ihn begleiteten, haben seine Rippe im Zug klappern hören. Wie alles ausgerichtet war, zog er gen Ach und lag zwei Monat im Bett nieder, ließ sich erst da recht verbinden.

Herzog Heinrich und die goldne Halskette

Heinrich, Ottos Sohn, folgte in sein väterliches Erbe sowie in die meisten Güter, die auch Otto vom Reiche getragen hatte; doch nicht in alle, weil König Konrad fürchtete, Heinrich möchte übermächtig werden. Dieses schmerzte auch Heinrichen, und die Feindschaft, wie Unkraut unter dem Weizen, wuchs zwischen beiden. Die Sachsen murrten; aber der König stellte sich freundlich in Worten gegen Heinrich und suchte ihn durch List zu berücken. Des Verrates Anstifter wurde aber Bischof Hatto von Mainz, der auch Grafen Adalbert, Heinrichs Vetter, trüglich ums Leben gebracht hatte. Dieser Hatto ging zu einem Schmied und bestellte eine goldene Halskette, in welcher Heinrich erwürgt werden sollte. Eines Tages kam nun einer von des Königs Leuten in die Werkstätte, die Arbeit zu besehen, und als er sie betrachtete, seufzte er. Der Goldschmied fragte: "Warum seufzet Ihr so?" - "Ach", antwortete jener, "weil sie bald rot werden soll vom Blute des besten Mannes, Herzogs Heinrich." Der Schmied aber schwieg still als um eine Kleinigkeit. Sobald er hernach das Werk mit großer Kunst vollendet hatte, entfernte er sich insgeheim und ging dem Herzog Heinrich, der schon unterwegens war, entgegen. Er traf ihn bei dem Orte Cassala1) und fragte, wo er hin gedächte. Heinrich antwortete: "Zu einem Gastmahl und großen Ehren, wozu ich geladen worden bin." Da entdeckte ihm der Schmied die ganze Beschaffenheit der Sache; Heinrich rief den Gesandten, der ihn eingeladen hatte, hieß ihn allein ziehen und den Herren danken und absagen. Für Hatto soll er ihm folgenden Bescheid mitgegeben haben: "Geh hin und sage Hatto, daß Heinrich keinen härteren Hals trägt als Adalbert; und lieber will er zu Haus bleiben, als ihn mit seinem vielen Gefolg belästigen." Hierauf überzog Heinrich des Bischofs Besitzungen in Sachsen und Thüringen und befeindete des Königs Freunde. Hatto starb bald darnach aus Verdruß, einige sagen, daß er drei Tage später vom Blitzstrahl getötet worden sei2). Das Glück verließ den König und wandte sich überall zu Herzog Heinrich (hernachmals Heinrich der Vogler genannt).

1. Kassel in Hessen.
2. Andere, daß seine Seele von Teufeln in den Ätna geführt wurde.

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