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Deutsches Sagenbuch
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Vorbehalten    Inhalt     

  1. Swentipols Scherz
  2. Thorn aus einer Eiche
  3. Ein Dieb rettet Thorn
  4. Die Fingerlingsbraut
  5. Die Kobolde
  6. Hinzelmann
  7. Der Graf von Hoya
  8. Der Grinkenschmied
  9. Jägerstücklein
  10. Jungfer Eli

270. Swentipols Scherz

Zur selben Zeit, als Herzog Swentipol gegen den Deutschen Orden aufgestanden war, lagerte er in Pomesanien an einem lustigen Ort an der Weichsel, etwa zwischen Kulm und Thorn, und war guter Dinge. Nun war ein Mann am Hofe Swentipols, der fürchtete sich vor den Deutschrittern schier mehr als vor dem Teufel, und Swentipol hatte mit ihm stets seinen Spott ob jenes Zagheit. So dachte der Herzog auch einen guten Scherz sich aus, ein vertrauter Diener solle über Tafel hastig kommen und schreien: Die Ritter! die Ritter sind da!, und da wollte Swentipol sich recht an des Hofmanns furchtsamem Wesen ergötzen; sagte das auch seinen Heerführern an, daß sie sich, wenn der Diener schreie, ganz ruhig verhalten sollten. Da nun alles beim Mahle saß und der Diener seines Herrn Befehl zu rechter Zeit vollziehen wollte, draußen stand und ohngefähr in das Feld blickte, sah er wirklich die Ordensritter gegen das Lager heranreiten, eilte daher voll Schreck und Angst in den Tafelsaal und schrie: Die Kreuzherrn kommen! Wiß und wahrhaftig! Sie kommen! Rettet euch! Kaum hörte der furchtsame Hofmann dies Geschrei, als er vom besten Bissen aufstieg und eiligst das Weite suchte, auch gelang ihm seine Flucht trefflich, er erreichte einen nahen Busch und rettete sein Leben. Swentipol und seine Hauptleute aber lachten allzumal über den Feigling, der Diener schrie aber immerfort: Auf! Auf! Die Ritter kommen! Da rief Swentipol ihm zu: Halte nun endlich dein Maul, dummer Narr! Siehst du nicht, daß es genug ist? Sie kommen aber doch, die Ritter! Sie kommen! schrie der Diener in einem fort, und schrie gar nicht lange mehr, da waren die Ritter wirklich da und schlugen auf ihre Feinde, die sich eines Überfalles nicht versahen, grimmig los, und alle bis auf Swentipol wurden erschlagen, er selbst aber und nur einer der Seinen retteten sich mit Not und Gefahr durch Schwimmen, indem sie die Weichsel erreichten und sich in den Strom warfen.

271. Thorn aus einer Eiche

Da, wo jetzt Thorn steht, stand in den alten Heidenzeiten die vierte der berühmtesten heiligen Eichen im Lande Preußen, darunter ehrten Priester und Volk die drei ersten Gottheiten des Landes, Perkunos, Pikollos und Potrimpos, und die drei nachfolgenden Götter und auch alle andern geringeren. Die Eiche war von übermächtigem Umfange und auch hoch wie eine Warte.

Da kam der erste Landmeister, Hermann von Balke, in das Preußenland, der vertrieb die Heiden und eroberte ihre heilige Stätte und benutzte deren Befestigung. Er war viel klüger als alle die Eiferer, welche die heiligen Eichen umhieben, er ließ die eroberte stehen und machte sie zu einem festen Turme, baute Brustwehren auf sie und wehrte von ihr den Feind trefflich ab. Da nannte man die Eiche Thorn, das ist Turm, und hernachmals baute sich alldort ein Ort an, der ward auch Thorn genannt, bald aber wieder verlassen und eine Meile weiter wieder angebaut wegen allzu häufiger Überschwemmung, und das wurde das heutige Thorn. An jener alten Götterstätte aber finden sich noch Trümmer, und sie ist ein gemiedener Ort, denn es soll dort nicht geheuer sein von Gespenstern und Geistern. Und lautet diese Sage ungleich glaubhafter und deutscher als jene andere, die Thorn von einem Römer Thorandus gründen läßt oder vorgibt, die Eiche sei ein dem Gotte Thor der skandinavischen Mythe geheiligter Baum gewesen, weil Thor und Perkunos, jeder als Donnergott gedacht, gleichsam ein und derselbe ist. Perkunos war aber im altheidnischen Mythus der Preußen die oberste Gottheit und Thor im skandinavischen nicht die oberste, welches wohl zu unterscheiden.

272. Ein Dieb rettet Thorn

Im Dreißigjährigen Kriege, der seine verderblichen Heereswogen auch über das alte Preußenland wälzte, rückte der schwedische Obrist Helmold Wrangel, insgemein der tolle Helm genannt, in Eile vor Thorn und wollte nach seiner tollen Art die Stadt überrumpeln und einnehmen. Solches wäre ihm auch fast geglückt, aber er hatte keinen guten Tag und keine günstige Stunde gewählt, denn zufällig traf es sich, daß die Thorner einen Dieb hängen wollten, und wie der Dieb auf der Leiter stand und ihm schon die Schlinge um den Hals gelegt werden sollte, schaute er in das weite Feld hinaus und sahe die feindlichen Heerhaufen daherziehen, schrie deshalb überlaut: Der Feind, der Feind! Da liefen die Leute nach der Stadt, und das Amt lief, und die Schergen liefen, und der Henker ließ den Dieb von der Leiter fallen und lief, und der Dieb lief auch, und drinnen in Thorn stürmten sie mit den Glocken und griffen zu den Waffen, den Feind abzuwehren, und wie der tolle Helm ans Tor kam, da war es zu, und von der Mauer herab knallte böser Gruß entgegen, da mußte der Obrist Helmold von Wrangel wieder umkehren und der Stadt Thorn den Rücken zeigen. Dem armen Dieb, der seines Leibes vor dem Tore keinen Rat gewußt und auch wieder mit in die Stadt hineingelaufen war, wurde gern das Leben geschenkt.

273. Die Fingerlingsbraut

An einigen Orten im alten Preußenlande nennen die Leute die Barstukken auch Fingerlinge wegen ihrer kleinen Gestalt. Da saß zu einer Zeit beim Städtlein Leuenburg ein mannlich Geschlecht, die Freiherren von Eulenburg auf Prassen. Und da war auf Prassen gerade ein junges Edelfräulein, das war gar wunderhold und lieblich und von kleinem Wuchs, das sahe der König der Fingerlinge und begehrte es zu freien. Ließ deshalb sittiglich Werbung tun bei den Eltern durch eine Gesandtschaft seiner Zwergmännlein und ließ denen ansagen, wenn sie ihm ihre Tochter gewährten, so solle das Geschlecht derer von Eulenburg gesegnet fortblühen auf alle Zeiten und solle sotanes Glück haften an einem goldenen Fingerreif, der aber wohl und sorgsam bewahrt werden müsse und nimmer verloren gehen dürfe. Das Fräulein aber werde glücklich sein. Die Eltern überlegten sich den Antrag und fanden für wohlgetan, in ihn zu willigen, denn wer sähe nicht gern die Zukunft seines Geschlechts für alle Zeiten gesichert? Darauf bat die kleine Gesandtschaft, es möge ein Zimmer im Schlosse Prassen bestimmt werden, in welches die junge Braut hineinzuführen sei, jedem Lauscherauge und -ohr aber müsse das verschlossen bleiben. In diesem Zimmer nun werde der Barstukkenkönig das Fräulein empfangen. Dieses geschahe, das Fräulein wurde hineingeführt, und niemals hat ein sterbliches Auge es wiedergesehen, und niemand hat erfahren, wohin es gekommen. Man will nachher noch öfter in diesem Zimmer vom Treiben der Fingerlinge etwas wahrgenommen haben, als aber die Neugierde wuchs und die Lauscher es darauf anlegten, etwas zu erlauern und zu erlugen, haben die Fingerlinge das Schloß verlassen, das verheißene Glück ist aber bei dem Geschlecht dauernd geblieben, aus den Freiherren sind Grafen geworden.

Einem spätern Besitzer des Schlosses Prassen rief wispernd, als er beim Mahle saß, eine feine Stimme zu, er solle nach dem bewußten Zimmer gehen und hineinrufen: Rotöhrchen! Gelböhrchen ist tot. Als er dies tat, so antwortete eine Stimme: So? Ist Gelböhrchen tot? O große Not! O große Not! – und seitdem habe sich kein Fingerling mehr auf Prassen spüren lassen. Diese beiden Namen aber erinnern an den neckischen Wasserkobold im Flüßchen Spreu im Frankenlande, Schlitzöhrchen geheißen.

274. Die Kobolde

Was im alten Preußenlande die Barstukken, das sind im nordwestlichen und südlicheren Deutschland die Kobolde, denen allda der Namen gar viele und mannigfaltige zugeteilt worden sind, so Heinzchen (bis Aachen), Hütchen und Hinzelmännchen (im Münsterlande), Knechtchen, Kurd Chiemchen, Heimchen (im Vogtlande), Hütchen und Wichtlein (in Thüringen und Franken bis nach Böhmen). Ihre Verrichtung ist fast überall dieselbe: Haus-, Küche-, Boden-, Keller-und Stalldienstleistung, ihr Lohn ein hingestelltes Schüsselchen mit Essen oder Milch. Ihr Anblick ihnen selbst vom Menschenauge unlieb – meist unhold, oft grauenhaft, nackt, in kleiner Kindesgestalt, ein Schlachtmesser durch den Rücken. Ein Kobold auf einem Schlosse zu Flügelau hieß Klopfer. Der tat lange Zeit treulich alle Arbeit, bis eins vom Hausgesinde darauf bestand, ihn sehen zu wollen, da fuhr der Klopfer als Feuerflamme zornig zum Schornstein aus und entzündete das Schloß, daß es bis auf die Mauern abbrannte. Ein ähnlicher Hausgeist auf dem Schlosse Calenberg hieß Stiefel; wieder ein anderer beim Dorfe Elten im Herzogtum Cleve hieß Ekerken (Eichhörnchen), der war von echter Koboldnatur, mehr neckisch und tückisch als hilfreich: man sah von ihm nur bisweilen eine kleine Hand wie die eines Kindes.

Aller Kobolde Kobold aber war der vielberufene Hinzelmann.

275. Hinzelmann

Im Lüneburger Lande auf dem Schlosse Hudemühlen über der Aller begann man im Jahre 1584 zuerst einen Poltergeist zu spüren, der seine Anwesenheit durch allerlei Pochen und Lärmen kundgab; dabei aber ließ er es nicht lange bewenden, sondern er begann zu reden und zu sprechen, erst mit dem Gesinde, dann auch mit dem Schloßherrn, endlich auch mit fremden Gästen, was im Anfang allen gar graulich vorkam, unverhofft eine Stimme bei sich im Zimmer oder in der Küche vernehmlich reden zu hören und doch keinen Redenden zu erblicken. Da aber diese Stimme gar mild und fein war wie die eines Kindes, da der Spukgeist niemand beleidigte, vielmehr oft lachte, Kurzweil trieb, auch sang, so wurden die Schloßgenossen allmählich an ihn gewöhnt, so daß sie sich nicht mehr fürchteten und grauten, ja an ihn die Frage wagten, wer und woher er sei, wie er heiße, was er gerade auf Hudemühlen zu schaffen habe. Darauf erwiderte er, daß er vom böhmischen Gebirge komme, dort sei seine Gesellschaft, die wolle ihn nicht leiden, deshalb sei er ausgewandert, bis sich seine Sachen in der Heimat besserten. Er heiße Hinzelmann, auch Lüring, und habe eine Frau, die heiße Hille Bingels, von der er jetzt getrennt lebe. Einst werde er sich auch sichtbar zeigen, jetzt schicke es ihm noch nicht, und er sei ein so guter und ehrlicher Hausgeist als irgendeiner und viel besser als viele schlimme.

Das war nun dem Schloßherrn und dem Gesinde auf Hudemühlen verwunderlich anzuhören und ganz grauerlich, mit so einem wunderseltsamen Gesellen zusammenzuleben, der nicht daran dachte, seinen Abzug bald zu nehmen, und da dachte der Schloßherr, du willst ihm aus dem Wege gehen und nach Hannover ziehen. Ließ derohalb den Reisewagen zurichten und fuhr nach Hannover zu. Auf der stillen, öden, menschenleeren Strecke zwischen Essen und Brockhof sahen Kutscher und Diener fort und fort eine kleine weiße Flaumfeder neben dem Wagen herfliegen und wußten gar nicht, wie das zugehe, daß diese Feder fort und fort den Wagen begleitete. Als nun der Schloßherr eine Nacht in Hannover zugebracht hatte, war seine goldne Halskette fort, und er machte deshalb Lärm und beschuldigte die Leute im Hause der Entwendung, der Wirt aber nahm sich seiner Leute an und verlangte Beweis oder Genugtuung. Tief verstimmt darüber saß der Schloßherr auf seinem Zimmer, da fragte es neben ihm: Warum bist du traurig? Wohl wegen der Kette, so dir fehlt? – Wie? Du bist hier, Hinzelmann? Mir gefolgt? Und warum? Wo ist die Kette? – Sahst du nicht die weiße Feder, die neben deinem Wagen flog? fragte der Geist. Das war ich, und ich folgte dir zu deinem Besten! Die Kette hast du gestern abend selbst unter dein Hauptkissen verborgen. – Und siehe, es befand sich also. Dem Schloßherrn war zwar lieb, daß die Kette wieder da war, aber daß Hinzelmann da war, das war ihm nicht im mindesten lieb, und zürnte mit dem Geist und beschloß, wieder auf Schloß Hudemühlen zurückzureisen, da er dem Kobold nicht entgehen konnte und dieser an seine Person sich fesseln zu wollen schien. Auf dem Schlosse Hudemühlen nun verwaltete Hinzelmann den Küchendienst in musterhafter Weise; er spülte auf, kehrte, scheuerte, putzte, mahnte Knechte und Mägde zum Fleiße an, teilte wohl auch nötigenfalles Scheller aus, pflegte auch der Rosse, wusch, kämmte, striegelte sie, daß sie zunahmen und glatt und glänzend aussahen wie die Aale. Hoch im Oberstock des Hauses Hudemühlen hatte sich Hinzelmann ein Kämmerchen zur Wohnung ausersehen, darin hatte er einen kleinen runden Tisch, einen Sessel, dessen Sitz das zierlichste Strohgeflecht war, das man nur sehen konnte, und welches er selbst kunstreich verfertigt, und eine kleine zubereitete Bettstatt, die aber nie verrammelt war, nur ein Grübchen, wie etwa eine Katze macht, wenn sie sich auf ein Bette legt, fand sich jeden Morgen darin. Auf das Tischchen kam eine Schüssel süße Milch mit Semmelbröckchen, das leckte und schleckte der Hinzelmann so rein aus wie ein Kätzlein sein Schüsselchen. Bisweilen speiste der Geist aber auch mit an Tafel, wo ein Gedeck für ihn bereitgehalten ward. Hinzelmann war gern fröhlich mit den Fröhlichen, sang Reimverschen und Scherzlieder, doch nie eins, das unehrsam gewesen wäre, neckte gern, doch ohne Tücke, und hatte wohl seine Freude daran, wenn das Gesinde aneinander geriet, hetzte auch wohl ein wenig zu und ließ die Schläge, die es dann gegenseitig setzte, bis zu roten Striemen und blauen Flecken gedeihen, aber nicht weiter, daß Gesundheit und Leben nicht litten. Wenn die Gäste einander in die Haare gerieten und vom Leder ziehen wollten, konnten sie die Degen nicht aus den Scheiden bringen, oder es fand sich kein tödliches Gewehr, weil der Hinzelmann alles versteckt hatte. Einen Edelmann, der sich vermaß, den Hinzelmann mit Hülfe einiger Bewaffneten auszutreiben, foppte der Geist weidlich und schreckte ihn dann in Gestalt einer großen Schlange. Einen andern verhöhnte er und sagte ihm, was derselbe noch nicht zu wissen schien, daß er ein großer Narr sei. Als aber gar ein Teufelsbanner kam, der ihn mit Formeln wegplappern wollte, so riß ihm der Geist das Beschwörungsbuch in hundert Fetzen, warf diese im ganzen Zimmer herum und kratzte den Banner blutrünstig, gleich als sei er eine böse Katze. Der Geist hielt sich auch zum christlichen Glaubensbekenntnis, wenn er schon bei dessen Hersagung mit leiserer und heiserer Stimme über manches hinwegglitt; er sang auch geistliche Lieder mit solchen, denen er wohl gewogen war, und diese mit feiner klarer Stimme, genug, es war ein sehr wunderlicher Geist. Einem Freund des Hauses, der vorbeireisete und dies ins Schloß melden ließ, der aber die Einladung Hinzelmanns wegen abschlug, weil er nicht mit einem Teufelsgespenst am Tische sitzen wollte, drohte Hinzelmann mit Rache, machte ihm die Pferde beim Weiterfahren scheu, brachte ihn in Angst und Schreck und warf Wagen und Gepäck und den Reisenden zwischen Hudemühlen und Eickelohr in den Sand.

Dem weiblichen Geschlecht war Hinzelmann sehr gewogen und sehr freundlich und umgänglich mit demselben. Besonders erfreuten sich die Schloßfräulein Anna und Katharine seiner Gunst; er unterhielt sich gern mit ihnen, begleitete sie, wenn sie über Land fuhren, als Flaumfeder, ja er schlief zu ihren Füßen auf ihrem Deckbette. Es war aber diese Neigung des Geistes für die beiden Jungfrauen von äußerst lästiger Art, denn er verscheuchte ihnen alle Freier, und es ist dahin gekommen, daß sie beide ledig geblieben und ein hohes Alter erreicht haben. Hinzelmann warnte manchen vor Unglück und Schaden, so einen tapfern Obersten, der zum Besuche nach Hudemühlen kam und ein guter Schütze und großer Jagdfreund war. Derselbe rüstete sich zu einer Jagd, als Hinzelmann sich vernehmen ließ: Thomas, siehe dich im Schießen vor, sonst trifft dich ein Unglück. Der Oberst achtete der Warnung weiter nicht, aber bei der ersten Jagd zersprang ihm beim Abdrücken auf ein Wild die Büchse und schlug ihm den Daumen weg. Ein anderer mutiger Kriegsmann kam auch zum Besuch, das war ein Herr von Falkenberg, der ließ sich viel mit Hinzelmann in Gespräche ein, neckte ihn und führte allerhand Spottreden gegen ihn, die den Geist verdrossen. Endlich sagte Hinzelmann: Falkenberg, Falkenberg, jetzt verspottest du mich! Komm nur in ein Treffen, da wird dir das Spotten wohl vergehen! – Dem Herrn von Falkenberg waren diese Worte sehr bedenklich, er schwieg und ließ den Geist in Ruhe. Bald darauf zog Falkenberg im Dienste eines deutschen Fürsten mit zu Felde, da riß ihm im ersten Treffen eine Falkonettkugel das Kinn hinweg, und nach drei Tagen starb er an dieser Wunde unter den größten Schmerzen. – Einen übermütigen und hoffärtigen Schreiber äffte und tückte Hinzelmann vielfältig, störte ihn in seiner Liebschaft und quälte ihn des Nachts. – Eine Magd, die den Hinzelmann gescholten hatte, sperrte er eine ganze Nacht lang in den Keller hinter Schloß und Riegel, wo sie sich fast zu Tode fürchtete.

Da der Schloßherr wiederholt in Hinzelmann drang, sich ihm doch einmal zu zeigen oder sich mindestens anfühlen zu lassen, gab auf langes Drängen und Bitten Hinzelmann endlich nach und sagte: Siehe, da ist meine Hand. Da fühlte der Schloßherr hin, und es war ihm, als fühle er die Finger einer kleinen Kinderhand, aber kalt, und blitzschnell zog der Geist sie zurück. Als nun der Herr auch bat, ihm sein Antlitz befühlen zu dürfen, und Hinzelmann es zugab, so tastete der Herr an einen kleinen kalten Schädel, der ihm fleischlos zu sein schien, ehe er aber deutlich fühlen konnte, war der Schädel zurückgezogen. – So hatte auch die Köchin die leibliche Ruhe nicht mehr, sie wollte den Hinzelmann durchaus einmal sehen, er sagte ihr aber immer, es sei noch nicht an der Zeit, sie würde ihren Vorwitz bitterlich bereuen, aber sie hielt an, wie das kananäische Weib, bis ihr endlich Hinzelmann sagte, sie möge andern Tages vor Sonnenaufgang hinab in den Keller kommen, aber in jeder Hand einen Eimer Wasser mit hinunterbringen. Das deuchte ihr ein seltsam Verlangen, aber ihre stachelnde Neugier überwog jedes Bedenken, sie ging in den Keller und brachte das Wasser mit. Erst sah sie gar nichts, endlich aber fielen ihre Augen auf eine Mulde in der Ecke, und darin lag ein etwa dreijähriges nacktes totes Kind, dem steckten kreuzweis übereinander zwei Messer im Herzen, und der ganze kleine Leib war mit Blut überlaufen. Über diesen Anblick entsetzte sich die Magd so sehr, daß sie laut aufschrie und dann ohnmächtig niederstürzte. Da nahm der Geist die Wassereimer und goß ihr deren Inhalt über den Kopf, einen nach dem andern, da kam sie wieder zu sich, sah die Mulde und das Kind nicht mehr und hörte nur Hinzelmanns Stimme: Siehst du? Ohne das Wasser wärst du hier im Keller gestorben und nicht wieder zu dir gekommen! – So ungern und so wenig Hinzelmann sich Erwachsenen zeigte, und dann meist schrecklich, so gern gesellte er sich sichtbarlich als ein schönes Kind unter Kinder, spielte mit ihnen, hatte gelbes Lockenhaar bis über die Schultern hängen und ein rotes Sammetröcklein an. Wenn aber Erwachsene seiner gewahr wurden, schwand er sogleich aus dem Kinderkreise hinweg. Als der Geist vier Jahre lang auf Hudemühlen zugebracht, schied er freiwillig und verehrte noch vor dem Scheiden dem Schoßherrn dreierlei Andenken, das war ein kleines Kreuz, von Seide geflochten, fingerslang, inwendig hohl und gab geschüttelt einen Klang von sich, dann ein sehr kunstvoll geflochtener Strohhut und endlich ein lederner Handschuh mit Perlenstickerei in wunderbaren Figuren. Solange diese Stücke in guter Verwahrung beisammenblieben, solle des Hauses Geschlecht blühen und wachsen, würden sie aber mißachtet und verzettelt, so würde das Gegenteil stattfinden. Diese Stücke sind hernach im Besitz der beiden alten Fräulein Anna und Katharine geblieben und von ihnen bis zu ihrem Tode gar hehr gehalten und nur selten gezeigt worden, dann fielen sie an ihren Bruder, der sie überlebte, zurück, kamen auf dessen einzige Tochter, die sich vermählte, und sind dann wahrscheinlich verstreut worden. Hinzelmann schied im Jahre 1588 von Hudemühlen und soll hernach zu Estrup, auch im Lande Lüneburg, seinen Aufenthalt genommen haben.

276. Der Graf von Hoya

Drei Gaben sind es, die in mannigfaltiger Gestaltung die Sage durch Erd- und Wassergeister, durch Zwerge und Kobolde edeln Geschlechtern insgemein verleihen läßt und an dieser Gaben Dauer der Geschlechter Fortblühen und Dauerbarkeit knüpft. Wie der Hinzelmann dem Herrn auf Hudemühlen Kreuz, Hut und Handschuh schenkte, die Frau von Hahn dreierlei Stücke Goldes, der letzte Graf von Orgewiler von einer Feine ein Streichmaß, einen Trinkbecher und einen Kleinodring empfing, ingleichen auch die Frau von Rantzau durch ein Männlein oder Fräulein Rechenpfennige, einen Hering und eine Spindel zum Geschenke und Andenken von den Unterirdischen bekam und andere anderes erhielten, also geschahe es auch einstmals einem Grafen von Hoya, daß in der Nacht ein kleines Männlein an ihn herantrat und ihn, da er sich entsetzte, ansprach und sagte: Fürchte dich nicht und höre die Werbung, so ich an dich zu tun habe, und schlage mir meine Bitte nicht ab. – Was begehrst du? fragte der Graf und fügte hinzu: So ich's ohne meinen und der Meinen Schaden gewähren kann, sage ich dir's zu. – Darauf hat das Männlein also gesprochen: Nächste Nacht wollen unserer etliche in dein Haus kommen, deiner Küche und deines Saales sich bedienen, ohne Nachfragen und Lauschen deiner Diener, deren keiner etwas davon erfahren darf, das soll dir und deinem Geschlechte zugute kommen, und in keiner Art soll jemand geschädigt werden. – Der Graf sagte zu, den Wunsch des Zwergmännleins zu erfüllen, und trug Sorge, daß seine Leute sich alle niederlegten und ihrer keiner um Küche oder Saal im Wege war. Da kamen in der Nacht die kleinen Leute alle zu Hauf, wie ein reisiger Zug, und wimmelten über die Brücke hinauf in das Schloß und in die Küche und schafften und rüsteten, kochten und brieten und trugen Speisen auf in den Speisesaal, was aber sonst in diesem sich begab, ist niemand kund geworden. Gegen Morgen kam dasselbige kleine Männlein, das den Grafen zuerst angeredet, dankte ihm höflich und brachte ihm drei Gaben dar; das waren ein Schwert, ein Salamanderlaken und ein güldner Ring mit einem roten Leuen eingegraben, diese drei Stücke solle der Graf wohl bewahren und nicht von sich und seinem Hause lassen, so werde es Glück haben und behalten. Hernachmals hat der Graf wahrgenommen, daß der rote Löwe im Ringschildlein jedesmal erbleichte, wenn in seinem Hause ein Sterbefall bevorstand. Nach der Zeit sind aber die Stücke doch hinweggekommen, und das Grafenhaus ist darauf erloschen; die Grafschaft Hoya aber ist dem Hause Hannover zugefallen.

277. Der Grinkenschmied

Drei Stunden von der Stadt Münster liegt der Detterberg, auf dem wohnte vor alten Zeiten ein wilder Mann, den hießen die Leute Grinkenschmied. Er wohnte in einem tiefen Erdloche, das ganz mit Gras und Sträuchern überwachsen war, daß, wer es nicht wußte und kannte, es auch nicht auffinden konnte. Und in dem Loche da hatte er seine Schmiede und arbeitete treffliche und rare Sachen, die waren von ewiger Dauer, und seine Schlösser vermochte niemand ohne seinen eigenen Schlüssel zu öffnen. An der Kirchentüre zu Nienburge soll auch ein Schloß von ihm sein, das hatte die Eigenschaft, daß es die Diebe, die es erbrechen wollten, gleich festnahm und gefangen hielt. Wenn nun in der Nachbarschaft eine Hochzeit war, so kamen die Bauern zum Grinkenschmied und liehen von ihm einen Bratspieß, dafür mußten sie ihm dann einen Braten geben. Da kam denn auch so ein Bauer vor das Loch und rief: Grinkenschmied! Gib mir 'n Spieß! – Der Grinkenschmied rief dagegen, weil er dem Bauer nicht trauen mochte: Kriegst keinen Spieß, gib mir erst 'nen Braten! – Kriegst keinen Braten, behalt' deinen Spieß! rief der Bauer wieder hinunter. Darüber wurde der Grinkenschmied gar zornig in seinem Loche und schrie dem Bauer nach: Wahre dich, daß ich mir keinen Braten nehme! – Der Bauer ging ganz ruhig nach Hause, aber als er nach Hause kam, scholl ihm großes Wehklagen entgegen, sein bestes Pferd lag tot im Stalle, und eines seiner Hinterbeine war samt dem Schenkel ausgelöst, als hätte es ein Wildbretsmetzger kunstgerecht gemacht, und – fehlte, war hinweg. Das war Grinkenschmieds Braten.

278. Jägerstücklein

Im Münsterlande besaß ein Edelmann weitausgedehnte Forste, und da begab sich's auf seinem Gute, daß der Förster meuchlings erschossen wurde, und als ein anderer die Stelle bekam, ging es diesem ebenso und andern, welche folgten, desgleichen, da mochte endlich niemand mehr in diesem Walde Förster sein, denn die Sache hatte sich in der ganzen Gegend ausgesprochen, und man erzählte sie ganz genau, wie es zugehe mit diesen rätselhaften Ermordungen, nämlich sobald der neue Förster in den Wald trete, knalle in weiter Ferne ein Schuß, ihn aber treffe stets die Kugel mitten in die Stirne, so daß leicht zu ermessen war, daß hier etwas Übernatürliches und grauenhaft Geheimnisvolles im Spiele sein mußte. Daher blieb der Wald einige Jahre fast ganz ohne Aufsicht, bis sich endlich ein vagierender Jäger meldete, der ganz so aussah, als fürchte er weder den Teufel noch seine Großmutter. Der Edelmann sagte ihm aber ganz ehrlich, welche mißliche Bewandtnis es mit der Försterstelle habe, und daß er ihm kaum zur Annahme derselben raten könne und dürfe, wie gern er auch seine Waldung wieder in forstlicher Aufsicht habe: denn auch dazumal wußte man, was man da und dort in neuerer Zeit mit Willen vergaß, daß alle Waldbewirtschaftung nichts nutzt und Schaden verursacht, die nicht durch Forstverständige betrieben wird, womit an vielen Orten und Enden sich manche Gemeinde selbst recht derb ins Auge geschlagen hat. Der Weidmann aber sagte, er wolle es darauf wagen, er fürchte sich nicht vor den unsichtbaren Scharfschützen, er könne auch Jägerstücklein und habe für den, der ihm ans Leben wolle, auch eine gewisse Kugel gegossen und im Rohre stecken, und übernahm also die Stelle und den Wald. Am andern Tage versammelte der Edelmann mehrere Jagdgesellen, den neuen Förster auf seinem ersten Gange in den Wald zu begleiten, aber kaum war dieser betreten, so knallte in der Ferne ein Schuß, aber im selben Augenblicke warf der Jäger seinen Hut in die Höhe, und wie der Hut niederfiel und aufgehoben ward, sahe man, daß er von einer Kugel gerade da durchbohrt war, wo er auf der Stirne des Jägers aufsaß. – Jetzt komme ich, spricht der Hanswurst, sagte der Jäger, nahm seine Büchse von der Achsel und rief: Dem Gruß einen Gegengruß! und schoß. – Alle wunderten sich, die dabei waren, auf das höchste und folgten dem Jäger tief durch den Wald, bis sich an dessen Ende ein Mühlhaus zeigte, aus welchem Klagegeschrei erscholl. Als die Waldgesellen hinzutraten, fanden sie darin den Müller tot – eine Büchsenkugel war ihm mitten durch die Stirne gegangen; er war der jagdzauberkundige Schütze gewesen, der jeden Förster aus der Ferne mit Freikugeln traf, um allein im Walde des Wildstandes Herr zu sein. Dem Edelmann grausete vor solchen Künsten, wie sein neuer Förster nicht minder übte. Dieser konnte die Feldhühner nach seiner Tasche fliegen lassen, soviel er deren bedurfte. Das Wild bannte er, daß es stehenbleiben mußte, wo er wollte, und völlig schußgerecht. In die unglaublichste Entfernung traf der Jäger stets und sicher. Darum nahm der Edelmann einen schicklichen Vorwand und entließ ihn bald wieder aus seinen Diensten.

279. Jungfer Eli

In der Davert, einem Walde im Münsterlande, sind viele Gespenster und Poltergeister gebannt, da dürfen sie nicht heraus, um so greulicher durchspuken sie den Wald. Einer dieser Geister gehörte einer Haushälterin an, welche im Münsterschen Stifte Freckenhorst einer frommen Äbtissin diente, aber nichts weniger als selbst fromm war, vielmehr recht böse, geizig und gottlos. Diese Haushälterin hieß Jungfer Eli. Arme jagte sie mit der Geißel aus der Pforte des Stifts; die Klingel an der Türe band sie fest, daß kein Bettler anläuten konnte; Knechte und Mägde plagte und schalt sie, ließ es wohl auch bei letztern nicht an Püffen und Schellen fehlen. Jungfer Eli trug ein grünes Hütchen mit weißen Federn darauf, so sah man sie häufig im Garten gehen oder sitzen. Eines Tages kam eine Klostermagd eilend zum Pfarrer, er möge gleich ins Stift kommen, Jungfer Eli wolle sterben. Der Pfarrer eilte, sein Weg führte ihn durch den Garten, und da saß Jungfer Eli in ihrem grünen Hütchen mit weißen Federn auf einem Apfelbaum. Wie aber der Pfarrer dennoch in das Haus trat, führte ihn die hochwürdigste Frau Äbtissin an das Bette der Kranken, und da lag Jungfer Eli doch wieder darin und schalt und belferte: Das dumme Mensch hat gesagt, ich wolle sterben, ist nicht wahr, ich will nicht sterben, ich sterbe nicht, ich halt's nicht aus! Geht zum Kuckuck! Endlich aber mußte Jungfer Eli doch sterben, sie mochte wollen oder nicht; wie sie starb, zersprang eine Glocke der Abtei, und bald darauf ging Jungfer Elis Spuken an durch Küche und Stall, über Treppen und Gänge. Mit Saus und Braus fuhr sie wie ein Wirbelwind im ganzen Abteigebäude herum, ja selbst im Stiftswalde sahen sie die Holzknechte von einem Ast zum andern fliegen. Bisweilen trug sie, wie sie sonst getan, eine schöne Torte aus der Küche nach dem Zimmer der Äbtissin, zeigte sie den Mägden und bot sie ihnen an und sagte: Tort, Tort! Wenn nun jene die Torte nicht annahmen, weil sie sich entsetzten, schlug Jungfer Eli ein Gelächter auf, daß die Kannen klirrten, und warf ihnen die Torte vor die Füße, und da war es insgemein ein runder Kuhplappert. Selbst die Äbtissin blieb nicht ungeplagt; auf einer Fahrt nach Warendorf wollte Jungfer Elis Geist zu ihr in den Wagen, und jene entging ihr nur mit List, indem sie einen Handschuh fallen und, während Jungfer Eli sich danach bückte, den Kutscher eilend davonjagen ließ. Endlich berief die Äbtissin die Geistlichkeit der ganzen Gegend, den Spukgeist zu bannen. Die geistlichen Herren fanden sich ein mit allem Rüstzeug zum Bannen und Teufelaustreiben und begannen im Herrenchor der Stiftskirche ihre Zitationen. Da rief eine Stimme: He gickt, he gickt! Und es fand sich, daß sich ein Knabe in die Kirche geschlichen hatte und lauschte. Der Knabe wurde hinausgejagt und schlug draußen ein Höllengelächter auf, er selbst war Jungfer Eli und durch die Herren selbst vom Banne befreit. Doch half ihr das nicht, denn es wurde gleich ein stärkerer Bann angewendet und Jungfer Eli in die Davert gebannt. Alle Jahre einmal fährt der Sage nach Jungfer Eli mit Gebraus und Getümmel wie die wilde Jägerin über die Freckenhorster Abtei, wirft einige Schornsteine ab und zertrümmert Fensterscheiben, und mit jedem hohen Feste kommt sie der Abtei wiederum einen Hahnenschritt näher. – Von dem Hahnschritt näher erzählt auch die Sage von einem umgehenden Bauer bei Bassum.

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