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Deutsches Sagenbuch
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Vorbehalten    Inhalt     

  1. König Dagobert heil
  2. Des Teufels Kanzel
  3. Der kleine Schneider
  4. Der Mönch von Reifenstein
  5. Des Königs Abenteuer
  6. Mühlhäuser Brunnen
  7. Winfried und Sturmi
  8. Der Stuffenberg
  9. Hermann von Treffurt
  10. Der Gürtel der Jungfrau

440. König Dagobert heil

Des Eichsfeldes Hauptstadt heißt Heiligenstadt, und über das ganze Land weht es wie Weihrauchduft, klingt es wie Klosterglocken. Der Stadt und dem Lande webt die Sage manch güldnen Heiligenschein. Das rührt aus frühen, frühen Zeiten her. Der Frankenkönig Dagobert ward in seinem Alter von schlimmer Krankheit befallen, dem Aussatz, übertrug die Regierung seinem Sohne und treuen Räten und zog mit seiner Gemahlin in die Ferne, zu suchen, ob er Heilung fände. Da kam er auf das Eichsfeld und lebte allda verborgen vor dem Auge der Menschen in einer Einöde, erbaute sich da einen Wohnsitz und diente Gott in einer Kapelle, die er der heiligen Jungfrau und Sankt Petrus weihte. Die Zeit, die König Dagobert nicht im Gebet zubrachte, vertrieb er sich mit der Jagd, und auf einem seiner Jagdgänge ward er von so großer Müdigkeit befallen, daß er sich in das Gras niederlegte und alsbald entschlief. Da der König erwachte, fand er das Gras stark betaut, aber alle Teile seines Körpers, welche der Tau benetzt hatte, waren zu seiner großen Freude heil vom Aussatz und rein wie die Haut eines jungen Kindes. Da eilte er fröhlich zu seiner Gemahlin und kündete ihr das Wunder, und sie riet ihm, sich noch öfters an jener Stelle in das taufeuchte Gras zu legen, und so wurde er ganz heil. Und da sprach er: Wahrlich, hier ist der Heilung und der Heiligen Statt! Und darauf ward dem König durch einen Traum offenbart, daß an jener Stelle die Heiligen Aureus und Justinus begraben lagen. Diese Heiligen waren zu des König Etzel Zeiten zu Mainz gefangen worden, durch göttliche Hülfe aber entkommen und hatten ihren Weg nach dem Eichsfeld zu genommen. Ein Präfekt des Attila folgte ihnen nach, fing sie zu Rusteberg und tat ihnen alle erdenklichen Martern an, um sie zum Rückfall in das Heidentum zu bewegen. Das war aber vergebens. Stachelschuhe verletzten die standhaften Christen nicht, glühend gemachte und ihnen aufgesetzte Helme fielen kalt zu Boden. Wilde Tiere schonten die mit Ketten an Bäume Gefesselten, denn es brannten Kerzen vor ihnen und stiegen Engel vom Himmel, die mit ihnen beteten. Endlich ließ der Präfekt die frommen Martyrer enthaupten und ihre Leiber im Walde verscharren. König Dagobert ließ nun an der Stätte seiner Heilung ein Münster erbauen und ordnete einen Propst und zwölf Chorherren hinein, nannte den Ort Heiligenstadt und ordnete das Münster dem Bischofsitz Mainz unter, unter welchem auch die nach und nach entstehende Stadt dieses Namens beständig blieb. Noch heißt die Stätte, wo Dagobert gewohnt hat, die alte Burg.

441. Des Teufels Kanzel

Unter den vielen Kanzeln, deren Besitzes der Teufel sich erfreut, ist eine der schönsten im Eichsfeld gelegen, und zwar ohnweit der Ruine des uralten Berg-und Stammschlosses Hanstein in der Germarmark. Der Teufel feierte einer Zeit die beliebte Blocksbergnacht und war guter Dinge, hielt auch der Hexenvolksversammlung auf dem Brocken eine übertreffliche, will sagen unübertreffliche Rede auf breitester Grundlage, trotz einem Reichsparlamenter, und rühmte sich seiner großen Kräfte, durch die er nun schon so manches Jahrtausend an der Spitze der Opposition gegen den Absolutismus des alten Weltmonarchen die Rechte der äußersten Linken wirksam vertrete, von denen geschrieben stehe, daß sie als Böcke ihm, dem Ur-Stinkbock, und seinen Engeln für ewige Zeiten angehören sollten. Da nun nach gehaltener Predigt von der Teufelskanzel der Becher kreiste, so fragten einige der Sprecher im Ausschuß den Präsidenten, ob er, da er so großer Kräfte sich rühme, wohl auch einen Felsblock ebenso groß wie seine Kanzel auf den Meißner in Hessen tragen könne, denn dort fehle es noch daran. Der Teufel sah sich den Felsblock auf dem Blocksberg an und meinte, das sei ihm ein leichtes, welches ihm aber nicht so obenhin geglaubt wurde, ging daher eine Wette um einige Faß Wein ein, packte den Block auf und wanderte oder flog flugs nach dem Hessenlande. Der Weg war aber sehr harschelig und uneben, besonders im Eichsfeld, und es ging dem Teufel gerade wieder, wie es ihm ergangen war, da er die Sanddüne am Meeresstrande gen Aachen schleppte; er ärgerte sich, daß er der Narr gewesen, dem Volkswillen Rechnung zu tragen und sich ihm aufzuopfern, und als er in die Nähe der Burg Hanstein kam, war es alldort so still und menschenleer, daß er dachte, hier sieht dich niemand, hier kannst du ein Eckchen ausruhen. Legte sich daher in das hohe weiche Gras und pflegte der Ruhe. Es dauerte aber gar nicht lange, so kam ein hübsches Hexchen auf seinem Besenstiel vom Blocksberg dahergefahren, das sah den Teufel liegen, so lang er war, und rief spöttisch:

Junker Hans, was machst du?

Schläfst du oder wachst du?

Greinst du oder lachst du?

Blitz! fuhr da der Teufel empor, dem Hexchen nach und fing sich's, führte es hinunter nach Witzenhausen zum Wein und zeigte ihm, was er machte. Die Felsenkanzel ließ er liegen, wo sie lag, nahm dafür gleich einige Stückfässer Witzenhäuser Wein als Rückfracht mit auf den Blocksberg und bezahlte damit seine Wette. Die Gäste schauderten, als sie selben Wein tranken, und das Ansehen des Präsidenten erlitt eine Schwankung.

442. Der kleine Schneider

Zu Duderstadt in der goldnen Mark lebte ein Gewandschneiderlein, das war nicht höher als viertehalb Fuß, hatte aber eine große dicke Frau, und die wollte einstmals in die Wochen kommen. Da nun die Kindermuhme kam, so sprach sie leise mit der Frau und drehte sich dabei immer vorsichtig nach dem kleinen Manne um, der dort saß und eine Schneidersrechnung schrieb, und den sie nicht kannte. Endlich aber fand sie es doch ganz und gar unpassend, daß selber Kleine Ohrenzeuge ihrer Verhandlungen mit der Wöchnerin sei, und wendete sich zu ihm und sagte: Lütje Jonge, ga dog an beten met dinen Schrybebouke weg, oder spele buten; ek hevve met diner Moime tau spräken, un dat schikt sek nich vor lütje Krabben, tau horken. Auf diese Rede ward dem Schneiderlein heiß und kalt, es begann zu greinen und sagte: Ick ben ja der Egtemann sülvest! – Da erschrak die langfingerige Frau und bat tusendig umme Unveröbelunge.

443. Der Mönch von Reifenstein

Im Eichsfeld zwischen Worbis und Mühlhausen lag ein Kloster des Namens Reifenstein, das war uralten Ursprunges. Ein Kriegsobrist des Hunnenkönigs Attila, welcher Rive hieß, kam in diese Gegend, ersah sich einen Berg und baute eine Burg darauf, die er Rivestein nannte. Noch ist ihre Stätte gekannt und heißt die alte Burg, der Wald um sie her wird der Burghagen genannt. In später Zeit erwarben die Grafen zu Gleichen und Tonna, denen auch die nahe Burg Gleichenstein gehörte, den Reifenstein, und einer dieser Grafen namens Ernst, welcher söhnelos war, gründete im Tale unter dem Burgberge ein Zisterziensermönchskloster, dazu er Mönche aus dem Kloster Volkenrode nahm und es reich begabte. Damals war das Land umher noch kaum bebaut, nur ein Dörflein, Albolderode, lag in der Nähe. Durch gute und schlechte Zeiten brachte Kloster Reifenstein sich hin, bis die allerschlechteste ihm kam, die Zeit des Bauernkriegs. Da war im Kloster ein nichtsnutzer Mönch des Namens Heinrich Pfeifer, eigentlich Schwertfeger, dem gefiel es nicht in der Kutte und in der Zucht, war tückischen, verschlagenen, boshaften Wesens, mußte oft wegen seiner schlechten Aufführung Pönitenz tun, und da er dies satt hatte, entsprang er aus Reifenstein, zog die Kutte aus und mit ihr den Christen, ja den Menschen. Er warf einen tödlichen Haß auf alle Klöster, vor allem aber auf Reifenstein, rannte nach Mühlhausen und begann dort sein aufwieglerisches Treiben, brachte Verwirrung und Zwietracht zwischen Rat und Gemeinde, verband sich mit dem von Altstadt entlaufenen Pfarrer Thomas Münzer und wiegelte unter Vorwand und Larve der Berechtigung aus göttlichem Wort das gemeine Volk auf, dem nichts lieber war, als nicht zu arbeiten und Korn und Tuch den Reichen aus christlichem Recht abzufordern, denn Christus habe geboten, sagten diese Kommunisten von 1525, mit den Dürftigen zu teilen. Wer da nicht willig gab, dem ward das Seine mit Gewalt genommen. Als der Pfeifer sich sicher sah in einer Rotte aufwieglerischen Gesindels, da hatte er einen schönen Traum – die Rottführer solcher Art haben immer schöne Träume – wie er eine große Herde Mäuse in den Sack jagte, das deutete er also, daß er, der Pfeifer, den ganzen Adel und die Klerisei auf dem Eichsfeld und im Thüringer Lande zu vertilgen und aufzureiben von Gott berufen sei, unternahm daher, trotz Münzers Widerraten, einen Raubzug ins Eichsfeld, brach und verbrannte Klöster und Burgen, während der Schwarmhaufe von Langensalza die Klöster Schlotheim und Volkenrode verwüstete und den Raub nach dem Dorfe Germar nahe Mühlhausen führte; dorthin kam die Bande Pfeifers mit neun Wagen voll Glocken, Haus- und Kirchengerät und Geschmeide. Da empfing sie der Münzer freudiglich als echt christliche Brüder und hielt ihnen vom Pferd herab eine Predigt von der Freiheit und Brüderlichkeit und teilte den Raub. Dann wurden die Schlösser Ebeleben und Almenhausen geplündert und verbrannt, andere Klöster auch heimgesucht und wurde nochmals in das Eichsfeld eingefallen und vor Heiligenstadt gerückt. Da ging es, wie es zu allen Zeiten geht, daß die Bürger teils im Herzen schon dem Aufruhr zugeneigt sind, teils das Herz selbst in der Kniekehle haben und, statt den Raubbanden mit festem Mut entgegenzutreten und ihnen ihr schmutziges Handwerk zu legen, sie einlassen und um die Spitzbuben scherwenzeln. Heiligenstadt nahm die neuen wunderlichen Heiligen mit Karst und Dreschflegel im Dreckkittel so freundlich auf, wie es kaum die lieben Gottesheiligen aufgenommen, wenn solche hätten kommen mögen, und was noch nicht von Klöstern und Schlössern geplündert und verwüstet war, das ward es nun. Ein gewisser Michael Zimmermann lief nach Bartloff, holte Feuer allda und steckte damit Reifenstein in Brand. Als der unsinnige Aufruhr seinen Gipfelpunkt erreicht hatte, setzte Thomas Münzer den trefflichen Pfeifer zum Statthalter in Mühlhausen, und als das Bauernschlachten bei Frankenhausen erfolgt war, entwich auch dieser Held schimpflich zu heimlicher Nachtzeit, wurde verfolgt, eingeholt, gefangen und ihm hernach am Hohlweg nach Buttstädt zu der Kopf abgeschlagen. Er zeigte keine Reue und erlitt den Tod mit trotzigem Gemüte. Für sich selbst hat er nichts erlangt, auch nichts gewollt, aber über die Stadt Mühlhausen brachte er nachhaltiges Weh, schwere Sühne und den lastenden Druck der verbundenen rächenden Fürstenmacht über des Reiches freie Stadt.

444. Des Königs Abenteuer

In der St. Georgenkirche zu Mühlhausen erblickt man noch manch altertümliches steinernes Bildwerk, das wird gedeutet auf der Stadt Mühlhausen Ursprung, und haben sie dort darüber eine gar verwunderliche Sage.

Vorzeiten war ein König in Thüringen gesessen, der fuhr einstmals auf die Jagd, und da sprangen seine Winde im Dickicht um einen Baumstrunk herum und wollten sich davon nicht wegbringen lassen. Da mußte einer von des Königs Dienern auf den Baumstrunk klettern, der von obenhinein hohl war, und sehen, was darinnen stecke, dieweil die Rüden also bellten. Da fand sich ein kleiner wilder Mann darinnen, den holten sie heraus, und der König freute sich seines Abenteuers, ließ den wilden Mann zu sich in den Wagen sitzen und Jagd Jagd sein. Er nannte seinen eingefangenen wilden Mann Noah, tat ihn in ein Gewölbe und wartete und pflegte sein selbst. Eine Zeit aber, da der König verreisen müssen, spielte sein Sohn Georg den Ball im Schlosse, und der Ball fiel durch ein Loch in das Gewölbe hinab. Da rief der kleine Königssohn hinunter: Wilder Mann Noah, gib mir mein Bällchen heraus! – Darauf antwortete der wilde Mann: Dein Bällchen kann ich dir nicht heraus geben, denn würfe ich's hinauf, so würde es so weit fliegen, daß du es nimmer wiederfändest. Gehe aber hin in deines Vaters Gemach, hole den Schlüssel und öffne mir, so will ich es dir herausgeben. – Da holte der Prinz im Gemach seines Vaters den Schlüssel, denn niemand konnte sonst das Gewölbe öffnen. Er öffnete es, und der wilde Mann kam heraus, gab ihm das Bällchen und sprach: Du hast mir aus meiner Not geholfen, und wenn du einmal in Not kömmst, so komme in den Wald und rufe mich, so will ich dir auch heraushelfen. – Bald darauf kam der König nach Hause, und sein erster Gang war, sein Abenteuer zu besuchen. Aber wie erschrak er, da er das Gewölbe leer fand und sein Verdacht, den wilden Mann herausgelassen zu haben, fiel sogleich auf seinen Prinzen. Er ließ ihn vor sich rufen und fragte: Georg, du hast wohl den Schlüssel genommen, das Gewölbe eröffnet und den wilden Mann Noah herausgelassen? – Der kleine Prinz gestand offenherzig, daß er solches getan. Da verstieß der König im Zorn seinen Prinzen, denn sein Abenteuer war ihm lieber als alles. Traurig schied der Prinz aus seines Vaters Hause und irrte als ein armer Knabe umher, bis ihn endlich ein Schäfer zu sich nahm. Dieser Schäfer vermutete bald, daß der Knabe aus keinem geringen Stande sei, und behielt ihn bei sich. Er erzog ihn so weit, daß er ihn bei der Herde brauchen konnte. – Da nun der Schäferknecht Georg die Jünglingsjahre erreicht hatte, fügte es sich, daß er bekannt wurde mit einem hübschgebildeten Mädchen, das er zu seiner Braut ernannte. – Damals hauste in der Gegend ein ungeheuerliches Tier, welches man den Lindwurm nannte, und diesem Lindwurm mußte alle Jahre ein Mensch geopfert werden. Nach alter Meinung war dies Tier eine Verwünschung. Wenn es sein Opfer nicht auf den Tag empfing, brüllte es gleich einem Donnerwetter, welches dem Lande Verderben drohte. Nun kam wieder die Zeit, daß das Volk zusammengerufen ward und das Los geworfen; wen es betraf, mußte das Opfer des Lindwurms werden. Das Los traf gerade die Braut des Schäfers Georg. Da fiel ihm ein, was ihm der wilde Mann versprochen hatte. Er trat vor und bat um Aufschub der Opferung, er wolle den Lindwurm töten oder sich für seine Braut dem Ungeheuer opfern – lief eilend in den Wald und rief den wilden Mann Noah um Hülfe und Beistand an. Da kam der wilde Mann und gab ihm ein Schimmelpferd und ein Schwert und sagte ihm, er solle ein weißes Gewand anziehen, sich auf das weiße Pferd setzen, das Schwert an dem Kopfe des Pferdes herabführen und gerade auf das Ungeheuer losreiten. Dieses würde begierig seinen Rachen weit aufsperren; dann solle Georg das Schwert dem Tiere gerade zum Rachen hineinrennen. – Dieses alles geschah, und so wurde die Braut Georgs wie auch das ganze Land von dem Ungeheuer befreit. Großer Jubel entstand unter dem Volke, und Freude vernahm man überall, so daß Georg zum Ritter geschlagen wurde. Da man nun nach Georgs Herkunft forschte, da gestand er, daß er des Königs Prinz sei und erzählte sein Schicksal. Da wurde ihm gesagt, sein Vater sei gestorben, und er könne sicher nach Hause gehen und das Reich übernehmen. So war aus des Königs Sohn ein Schäferknecht geworden, aus dem Schäferknecht ein Ritter und aus diesem wieder ein König.

Als nun Georg das Königreich übernommen, reiste er im Lande herum, sein Reich zu besehen und kennenzulernen, auch selbst Abenteuer zu bestehen. Da kam ihm ein Örtchen zu Gesicht, das war eine Ansiedelung um ein Mühlhaus, und das Örtchen hatte noch keine Kirche. Da nun der junge König gern dem lieben Gott seinen Dank abstatten wollte, so erbaute er dieser angesiedelten Gemeinde ein Gotteshaus, das seinen Namen als des Stifters Georg erhielt, und der Baumeister mußte seine ganze Geschichte in Stein bilden. Das ist der Anfang der Stadt Mühlhausen geworden.

445. Mühlhäuser Brunnen

Bei und zu Mühlhausen sind Brunnquellen, die sind weit und breit berühmt. Eines dieser Wasser heißt die Breitsülze und entspringt nordwestlich eine halbe Stunde von der Stadt am Herbstberge. Die Sage geht, daß da, wo jetzt das Antoniushospital ist, ein Kloster gestanden habe, darin habe ein Mönch gelebt – andere sagen, der Mönch sei aus Kloster Reifenstein gewesen –, der habe in der Stadt ein heimlich Lieb gehabt, das er nächtlich besuchte, und wobei er durch einen Stein ging, den man noch zeigt. Endlich kam die Sache an den Tag, der Mönch wurde gefangen und auf den Adlerturm gesetzt und saß alldort auf den Tod. Da es nun der Stadt an genugsamem fließenden Wasser gebrach und jener Mönch aufs Wasserleiten sich verstand, so ward ihm die Freiheit geboten, wenn er die Quelle der Breitsülze, welche tiefer liegt als die Stadt, in diese hereinleiten wollte. Der Mönch ging an das schwierige Werk, leitete in lauter Schlangenlinien die Quelle um den Herbstberg, um den Thonberg und den Kalbberg herum, ließ sie einen Weg von siebentausendsechshundertundzehn Schritten machen, fast zwei und eine halbe Stunde, daß es oft scheint, als fließe das Wasser bergauf, und brachte das Wasser glücklich in die Stadt, worauf er seine Freiheit erlangte.

Eine ganz ähnliche Sage geht in Gotha von der Leitung des Flüßchens Leine, welche auch durch einen geschickten Mönch bewirkt wurde.

Wundersam schön ist der Brunnen zu Popperode (Wüstung), abendwärts der Stadt, ein mächtiger Quell und spiegelklar bis zum Grunde. Seine Nymphe spendet unerschöpflich ihren quellenden Segen; sein Wasser speist zwei Teiche und treibt zwölf Mühlen. Zum Dank dafür wird ihm alljährlich unter Reden und frommen Lobgesängen ein Doppelfest der Jugend gefeiert. Dicht am Becken, das unter uralten Lindenbäumen ruht, steht ein getürmtes Lustschlößchen von eigentümlichem Bau, in dessen kühler Halle stand und steht manch guter Spruch. Der schönste und beste dieser Sprüche ward hinweggetüncht und möchte wohl erneut werden:

Ut lymphae Nymphas nimbus coronat,

Ad fontem frontem fronde corones.

Von dem Breitsülzenbrunnen geht noch diese Sage. Er ist früher der Brunnen eines Klosters gewesen. Bei dem genannten Kloster stand wie bei den meisten Klöstern eine Kirche, deren angrenzender Turm drei silberne Glocken enthielt. Zur Zeit der Mühlhäuser Kriege wurde das Kloster ganz zerstört, und um die silbernen Glocken nicht in des Feindes Hand kommen zu lassen, versenkte sie ein Mönch in den Brunnen, indem er sagte: Diese Glocken kommen nicht eher zu Tage, bis drei Personen den Brunnen fegen und eine derselben ihren Tod in der Quelle des Brunnens findet.

Vor vielen Jahren träumte dem Schullehrer zu Ammern, er solle nach der Breitsülze gehen, so würde er am Ufer ein Seil finden. An diesem Seile solle er ziehen, so würden drei silberne Glocken heraufkommen. Dreimal träumte der Mann das gleiche, dann machte er sich auf und ging nach der Breitsülze. Je näher er dem Brunnen kam, desto schöner hörte er schon die Silberglocken läuten. Jetzt kam er an und fand alles, wie ihm geträumt hatte. Er zog an dem Seile, und siehe, drei silberne Glocken stiegen empor. Da ritt ein Reiter vorüber, der rief: Guten Morgen, Herr Schullehrer! Guten Morgen! – Ganz freundlich antwortete der Gegrüßte: Schönen Dank! – aber bei diesen Worten versanken die Glocken mit einem grausamen Geräusch und sind nie wieder zu Tage gekommen.

446. Winfried und Sturmi

Die heiligen Männer Winfried und Sturmi kamen auch in das alte Hessenland, die Heiden zu bekehren. Zu dieser Zeit kriegte Karl der Große im Diemellande und eroberte die Eresburg, auf der die Irminsäule stand, die er zerstörte, und den Desenberg, zwei feste Plätze. Am Desenberge, wo sein Heer im heißen Sommer fast verschmachtete, rief Karls Gebet den Bullerborn hervor, der noch heute fließt. Winfried kam zu einem Berge, darauf ein Heidenheiligtum stand, das brach er und ließ darauf die erste Christenkirche bauen, das ist der Christberg oder Christenberg, da noch heute die Leute einen Fußtritt im Stein zeigen, der von Winfried sich einprägte, als er im heiligen Eifer auf den Boden stampfte. Und am andern Ort, wo lange des großen Kaisers Lagerstatt und Heerstelle war, wird, hoch über der Weser, ein alter grauer Stein gezeigt, auf dem Karl zu Gericht saß und in denselben die Schwere seines ihn stützenden Armes sichtbarlich eindrückte; später entstand dort die Burg und das heutige Amt Herstelle.

Eine Stunde weit von einem Hofe, welcher Geismari hieß, dessen Name der später daraus entstandenen Stadt Hofgeismar blieb, da, wo jetzt das Dorf Eberschütz liegt, ragt eine steile Felswand hoch überm rechten Ufer der Diemel empor; droben der höchste, umwallte Punkt heißt die Klippe. Auf dieser Höhe hielten die Heiden ihren Ding. Da kam zu ihnen ein Greis mit einem Pilgerstabe, den keiner kannte, im Priesterkleid der Christen und predigte ihnen von Christus Geburt, Leben, Leiden und Sterben, Auferstehung, Himmelfahrt und Wiederkunft. Da nun die Heiden diese Reden hörten, dünkte sie ihnen eine Mär und unglaublich, und bedräueten ihn. Er aber stieß seinen Stab in den Boden und sprach: So wahr und wahrhaftig die Botschaft ist, die ich euch verkündet, das ewige Evangelium, so wahr wird dieser Stab durch die Allmacht des einzigen und wahren Gottes Knospen, Blätter und Blüten treiben! Und hob die Hände auf, und es geschahe das Wunder. Der Stab ergrünte, trieb Knospen, Zweige, Blätter, Blüten, und die Heiden glaubten und ließen sich taufen. Solches Wunder tat Sturmi, Winfrieds frommer Schüler.

Eine ganz gleiche Sage geht vom Orte Groß-Vargula, nur daß dort Winfried-Bonifazius selbst es war, der das Stabwunder verrichtete, und dort die Sage noch hinzufügt, daß der Wunderbaum, von fremdländischem Ansehen, einer Palme gleich, lange gestanden habe und verehrt worden sei.

447. Der Stuffenberg

In der Gegend von Eschwege und Wanfried liegt ein hoher Berg, zu dem geschehen alljährlich viele Wallfahrten, absonderlich aus dem Eichsfeld, darauf erbaute Winfried eine Kapelle. Da nun der Bau im Gange war, kam zum öftern ein fremder Mann gewandert, der fragte die Maurer und Zimmerer, was es denn geben solle, und diese antworteten: Ei, eine Scheuer soll es geben! – Mit diesem Bescheid ging der Mann immer wieder seiner Wege, endlich aber trat er auch einmal unversehens in die Scheuer – da stand ein Altar darin und auf dem Altar ein Kruzifix, und war keine Scheuer, sondern eine christliche Kirche – und da schmiß die Türe hinter ihm zu, daß er nicht herauskonnte. Hu! da ward dem Fremden angst und bang, und hätte mögen des Teufels werden, wenn er nicht schon selbst der Teufel gewesen wäre, und raffte sich zusammen und fuhr oben durch den Giebel, wo noch eine Ritze war, mit Geprassel hinaus und riß ein Loch, das hat nimmermehr wieder zugebaut werden können; dann fuhr er in den Stuffenberg hinein, da blieb auch ein Loch, das heißt das Stuffensloch, und zuzeiten soll es aus dem Loche dampfen, und Nebel sollen daraus aufsteigen, Rückbleibsel des Angstschweißes, den der Teufel damals schwitzte.

Auch bei der Stadt Gernrode am Harz erhebt sich ein Stuffenberg, darauf ein Lusthaus und die schönste Aussicht auf die Teufelsmauern, auf Quedlinburg und Halberstadt.

Die Kapelle aber, die auf dem Stuffenberge bei Wanfried der heilige Bonifazius erbaute, ist St. Gehülfen genannt, und von ihr heißt der Berg auch der Hülfenberg. Manche nennen St. Gehülfen auch die heilige Kümmernis, und die heilige Kümmernis war eine wunderschöne Prinzessin, die erfuhr, was der Gründerin des Stiftes Quedlinburg begegnete, und da ließ ihr Gott der Herr einen Mannesbart wachsen und nahm ihr ihre unsagliche Schönheit. Solcher Hülfen-und Kümmerniskapellen gibt es viele in deutschen Landen, und ist deren in einer besonderen Sage von ihrem Bilde bei der Stadt Saalfeld weiter unten näher gedacht.

448. Hermann von Treffurt

Bei Treffurt über Wanfried ragt am linken Ufer der Werra ein mächtig hoher Berg weit sichtbar empor mit steiler Absenkung in das Werratal, der heißt der Hellerstein, auch wohl der Normannstein. Zu Treffurt lebte ein frommer Ritter, Hermann von Treffurt geheißen, der war in allem trefflich wohlgetan, nur einen Fehler hatte er, wenn das ein Fehler sein soll, er hatte im Bezug der Frauenminne ein sehr weites Herz und war im hohen Grade das, was die Frauen einen losen und schlimmen Mann nennen, wofür er Gott dankte. Dieser brave Ritter versäumte niemals, wann er so da oder dorthin ritt, wo er eine Buhlschaft hatte – und er ritt viel –, die Gezeiten der heiligen Jungfrau Maria zu beten, denn selbige war die einzige Jungfrau, die Ritter Hermann von Treffurt in Ehren hielt. Einer Nacht kam der Ritter geritten, mocht' etwa in Kreuzburg gewesen sein, allwo es schöne und gütige Frauen hat, aber da derselbe wohl nicht allein, als ein zweiter Ritter Tannhäuser, im nahen Venusberge gewesen war, sondern etwa auch im Bacchusberge vorgesprochen hatte, so entnickte er, und sein Roß schlug hinter Selmannshausen einen Nebenweg linker Hand ein, welches fast schlimm war wie alles Linke und Linkische. Es trug ihn, statt im Tale nach dem ganz nahen Treffurt, allgemach einen ziemlichen Umweg zur Höhe des riesigen Hellerstein empor und immer weiter und weiter vor bis an den jähen Abhang, da freilich stutzte es und prallte zurück, und vom Rückprall erwachte der Ritter aus minneseligem Traume, dachte, du dummer Gaul, was weckst du mich? und ließ dem Roß zur Strafe derb die Sporen fühlen. Da setzte das Roß in den ungeheuern Abgrund, der war etwan dreimal so hoch als der vom Giebichenstein hinunter ins Saaletal, und als der fromme Hermann plötzlich fühlte, daß er nicht mehr ritt, sondern flog, da rief er Ludwig des Springers Ruf: Hilf heilige Maria! Hilf deinem Knechte! Und da war ihm, als umfahe ihn ein warmer weicher Frauenarm und halte ihn und hebe ihn, da das Roß sich zu Tode fiel und vom Fall des Ritters Schwert in der Scheide wie Glas zersplitterte, sänftiglich aus dem Sattel, daß er sich auch kein Aderlein und kein Knöchlein verstauchte. Nach solch wunderbarer Errettung vom jähen Tod in allen Sünden tät sich der fromme Ritter aller Welt- und Minnelust ab, wurde noch frommer, als er vor gewesen war, ging nach Eisenach, zwischen Kreuzburg und dem Venusberg gelegen, wurde allda ein Mönch und diente ausschließlich in Gebet und Treue der heiligen Jungfrau, deren rettender Arm allein ihn gehalten und gehoben, und ward ihm, gleich jener schönen Sünderin im Evangelio, viel vergeben, dieweil er viel geliebet.

449. Der Gürtel der Jungfrau

Über Kreuzburg im Werratale, Mihla gegenüber, wo der Herren von Harstall uraltes Geschlecht noch blüht, lag ein herrliches Kloster, das hieß Münsterkirchen. Es war reich begabt und reich geschmückt, hatte hohe Kuppeln und Türme und ein prachtvolles Geläute, das weithin talab und -auf vernommen ward. Aber die Kriege, welche Thüringen verheerten, haben das Kloster Münsterkirchen zu einer Wüstung gemacht, und die Rede geht, daß von den Steinen seiner Gebäude fast der ganze Flecken Mihla gebaut worden sein soll. Zuletzt war nur noch ein niederer grüner Hügel übrig, und man nannte die Stätte, welche der Strom im großen Bogen umfloß und öfters überflutete, nur den Sand. Aber an hohen Kirchentagen, und wann fromme Waller das Tal abwärts zum Gehülfenberge zogen, da hörte man tief im Schoße der Erde die große Glocke von Münsterkirchen läuten. Diese Glocke hatte denselben Namen wie ihre berühmte größte Schwester in Erfurt: Maria gloriosa. Da geschah es, daß ein junges armes Mädchen auf dem Anger am Sand die Herde hütete und einschlief unter dem Erlengebüsch am Werraufer, und da träumte ihr, sie sähe zwei wildaussehende Männer auf dem nahen Hügel miteinander kämpfen, und dazu hörte sie vernehmlich die versunkene Glocke läuten. Da sie nun erwachte, so sahe sie zwei junge Stiere heftig miteinander streiten, die stampften und wühlten mit ihren Hufen die Erde auf, daß die Butzen nur so darum flogen, und die Hirtin eilte hin, die kämpfenden Tiere auseinanderzujagen, und siehe, da ragte dort, wo die Stiere den Boden aufgewühlt hatten, der Henkel der Glocke aus dem Boden. Freudig erschrocken löste rasch die Jungfrau ihren Gürtel ab, band ein Ende an die Glocke und das andere an einen nahen Strauch, jagte die Stiere vom Hügel und eilte nach Mihla hinüber, ihren Fund zu künden. Da zog die ganze Gemeinde heraus, und erhob feierlich die schöne große Glocke von Münsterkirchen, und führte sie in ihren Ort. Es ist die größte von Mihlas Glocken. Der Jungfrau Gürtel übte allein die magische haltende Kraft, sonst wäre die Glocke wieder in die Tiefe hinabgesunken.

Zu Berka, zwischen Kreuzburg und Eisenach, hängt im Kirchturm auch eine schöne große Glocke, die haben auf einem überm Ort liegenden Berge spielende Kinder gefunden, man zeigt noch die Stelle, und niemand dort zweifelt an der Wahrheit dieser Sage. Sie hat auch eine Inschrift, aber, sagte der Pfarrer, es waren schon viele Gelehrte da und haben die Schrift nicht lesen können. Das kommt daher, daß viele Gelehrte wunders viel lernen und können, nur nicht Deutsch, denn die Schrift ist mit deutschen Buchstaben gegossen und ganz gut zu lesen.

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