5Wie Till Eulenspiegels Mutter ihn ermahnte, ein Handwerk zu lernen, wobei sie ihm helfen wollteEulenspiegels Mutter war froh, daß ihr Sohn so friedlich war, schalt ihn jedoch, daß er kein Handwerk lernen wollte. Er schwieg dazu, aber die Mutter ließ nicht nach, ihn zu schelten.Schließlich sagte Eulenspiegel: "Liebe Mutter, womit sich einer abgibt, davon wird ihm sein Lebtag genug." Da sagte die Mutter: "Wenn ich über dein Wort nachdenke: seit vier Wochen habe ich kein Brot in meinem Haus gehabt." Doch Eulenspiegel sprach: "Das paßt nicht als Antwort auf meine Worte. Ein armer Mann, der nichts zu essen hat, der fastet am Sankt-Nikolaus-Tag, und wenn er etwas hat, so ißt er mit Sankt Martin zu Abend. Also essen wir auch." 6Wie Eulenspiegel in der Stadt Staßfurt einen Brotbäcker um einen Sack voll Brot betrog und es seiner Mutter heimbrachte"Lieber Gott, hilf", dachte Eulenspiegel, "wie soll ich die Mutter beruhigen? Wo soll ich Brot herbekommen für ihr Haus?" Und er ging aus dem Flecken, in dem seine Mutter wohnte, in die Stadt Staßfurt. Dort fand er eines reichen Brotbäckers Laden, ging hinein und fragte, ob der Bäcker seinem Herrn für zehn Schillinge Roggen- und Weißbrot schicken wolle. Er nannte den Namen eines Herren aus der Gegend und sagte, sein Herr sei hier zu Staßfurt, und benannte auch die Herberge, in der er sei. Der Bäcker solle einen Knaben mit in die Herberge zu seinem Herren schicken, dort wolle er ihm das Geld geben. Der Bäcker sagte: "ja." Nun hatte Eulenspiegel einen Sack mit einem verborgenen Loch. In diesen Sack ließ er sich das Brot zählen. Und der Bäcker sandte einen Jungen mit Eulenspiegel, um das Geld zu empfangen. Als Eulenspiegel einen Armbrustschuß weit von des Brotbäckers Haus war, ließ er ein Weißbrot aus dem Loch in den Dreck der Straße fallen. Da setzte Eulenspiegel den Sack nieder und sprach zu dem Jungen: "Ach, das besudelte Brot darf ich nicht vor meinen Herrn bringen. Lauf rasch damit wieder nach Haus und bring mir ein anderes Brot dafür! Ich will hier auf dich warten." Der Junge lief hin und holte ein anderes Brot. Inzwischen ging Eulenspiegel weiter in ein Haus in der Vorstadt. Dort stand ein Pferdekarren aus seinem Flecken. Darauf legte er seinen Sack und ging neben dem Kärrner her. So kam er heim ans Haus seiner Mutter. Als der Bäckerjunge mit dem Brot wiederkam, war Eulenspiegel mit den Broten verschwunden. Da rannte der Junge zurück und sagte das dem Bäcker. Der Brotbäcker lief sogleich zu der Herberge, die ihm Eulenspiegel genannt hatte. Doch dort fand er niemanden, sondern sah, daß er betrogen war. Eulenspiegel brachte seiner Mutter das Brot nach Hause und sagte: "Schau her und iß, dieweil du etwas hast, und faste mit Sankt Nikolaus, wenn du nichts hast." 7Wie Eulenspiegel das Weck- oder Semmelbrot mit anderen Jungen im Übermaß essen mußte und noch dazu geschlagen wurdeIn dem Flecken, worin Eulenspiegel mit seiner Mutter wohnte, herrschte eine Sitte: wenn ein Hauswirt ein Schwein geschlachtet hatte, gingen die Nachbarskinder in das Haus und aßen dort eine Suppe oder einen Brei. Das nannte man das Weckbrot. Nun wohnte in demselben Flecken ein Gutspächter, der war geizig mit dem Essen und durfte doch den Kindern das Weckbrot nicht versagen. Da erdachte er eine List, mit der er ihnen das Weckbrot verleiden wollte. Er schnitt in eine große Milchschüssel harte Brotrinden. Als die Kinder kamen, Knaben und Mädchen - darunter auch Eulenspiegel -, ließ er sie ein, schloß die Tür zu und begoß das Brot mit Suppe. Der Brotbrocken waren aber viel mehr, als die Kinder essen konnten. Wenn nun eins satt war und davongehen wollte, kam der Hauswirt und schlug es mit einer Rute um die Lenden, so daß ein jedes im Übermaß essen mußte. Und der Hauswirt wußte wohl von Eulenspiegels Streichen, so daß er auf ihn besonders achtgab. Wenn er einen anderen um die Lenden hieb, so traf er Eulenspiegel noch besser. Das trieb er so lange, bis die Kinder alle Brocken des Weckbrotes aufgegessen hatten. Das bekam ihnen ebenso gut wie dem Hund das Gras. Danach wollte kein Kind mehr in des geizigen Mannes Haus gehen, um Weckbrot oder Metzelsuppe zu essen. 8Wie Eulenspiegel es machte, daß sich die Hühner des geizigen Bauern um die Lockspeise zerrtenAls der Hauswirt am nächsten Tage ausging, begegnete er Eulenspiegel und fragte: "Lieber Eulenspiegel, wann willst du wieder zum Weckbrot zu mir kommen?" Eulenspiegel sagte: "Wenn sich deine Hühner um den Köder reißen, je vier um einen Bissen Brot." Da sprach der Mann: "Dann willst du also lange nicht zu meinem Weckbrot kommen?" Eulenspiegel entgegnete: "Wenn ich aber doch eher käme, als die nächste Zeit für fette Metzelsuppe ist?" Und damit ging er seines Weges. Eulenspiegel wartete, bis es Zeit war, daß des Mannes Hühner auf der Gasse Futter suchten. Dann knüpfte er zwanzig Fäden oder mehr jeweils zwei und zwei in der Mitte zusammen und band an jedes Ende eines Fadens einen Bissen Brot. Er nahm die Fäden und legte sie verdeckt hin, die Brotstücke aber waren zu sehen. Die Hühner pickten und schluckten nun hier und dort die Brotbissen mit den Fadenenden in ihre Hälse. Aber sie konnten die Bissen nicht herunterschlucken, denn am anderen Ende des Fadens zog ein anderes Huhn, so daß je eins das andere zog. Kein Huhn konnte das Brot ganz hinunterschlucken oder es wieder aus dem Hals herausbekommen, da die Brotstücke zu groß waren. So standen mehr als zweihundert Hühner einander gegenüber und würgten und zerrten an der Lockspeise. |