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Ludwig Bechstein: Märchen
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Die hoffärtige Braut

EIN PFARRER hatte eine schöne Tochter, die war über die Maßen eitel und hoffärtig, also daß sie jeden jungen Burschen, der sich in ihr hübsches Lärvchen vergaffte, über die Achsel ansah, denn sie trug das Näschen so hoch, daß sie sich einbildete, irgendein reicher Graf oder gar ein Prinz müsse kommen und sie heimfahren. Der Pfarrer war darüber sehr betrübt, weil er sie gern an einen braven Mann, am liebsten an einen Amtsbruder, verheiratet hätte. Wollte man aber glauben, die schöne Pfarrerstochter habe gar nicht nach den Männern sich umgesehen, so würde man sehr irren; jeden schönen jungen Mann, wenn er nur vornehm gekleidet war, musterte sie mit verstohlenen Blicken, ob sie nicht aus irgendeiner Falte den verkappten Prinzen herausfinde. Das kränkte den Vater noch mehr, und er hatte gar nicht Augen genug, sie zu hüten. Einst mußte er eine notwendige Reise unternehmen und die Tochter unter der Obhut der alten Magd zurücklassen. Er schärfte ihr aufs strengste ein, fein sittsam zu Hause zu bleiben, ja nicht einmal zum Fenster hinauszusehen; aber es ist eine bekannte Sache, daß man manchen Frauen nur verbieten darf, was sie tun sollen, so tun sie es gewiß. Der Vater hatte kaum den Rücken gewendet, als die gehorsame Tochter schon zum Fenster hinaussah, und siehe da, der Zufall wollte es, daß ein junger schöner Herr auf einem stolz sich räumenden Rosse die Straße daher sprengte; sie konnte sich nicht satt an ihm sehen, und auch er hatte sie bemerkt, denn er wandte mehrmals den Kopf nach ihr um. Es war ihr auf einmal so sonderlich zu Sinn, als sei es ihr angetan; sie hatte keine Ruhe und Rast und hätte vor Freude laut aufjubeln mögen, als ein zierlich gefaltetes Briefchen an sie kam, worin sie gebeten wurde, sich zu der und der Stunde an einem bestimmten Orte einzufinden. Die Glocke hatte noch nicht geschlagen, als sie, aufs beste geschmeckt, sich auf den Weg machte; die alte Magd wurde durch eine Notlüge begütigt, und so stand die Pfarrerstochter bald vor dem jungen schönen Manne, den sie ins Herz geschlossen. Dieser war denn auch nicht blöde, gestand ihr, daß er sie liebe, Küsse und Schwüre wurden ausgetauscht, und der Fremde, der sich für einen Baron ausgab, versprach ihr, in den nächsten Tagen wiederzukommen und sie auf sein Schloß, das er ihr nannte, heimzuführen.

Die Pfarrerstochter schwamm von nun an in Lust und Wonne; Baronin zu werden erreichte zwar nicht das Ziel ihrer Wünsche, aber der Baron war so schön und fein, wie wohl mancher Fürst nicht. Aber Tag um Tag verging, und er kam nicht, sie abzuholen, auch der Vater war noch nicht von seiner Reise zurückgekehrt. Darüber wurde die schöne junge Braut ungeduldig und entschloß sich kurz, den Baron selbst heimzusuchen. Sie schmeckte sich deshalb mit ihren besten Gewändern und all ihrem Geschmeide, steckte ein großes Stück Schinken zu sich und machte sich zur Nachtzeit auf den Weg . Vor der Tür lag aber ein großer Kettenhund, der fing an zu knurren, als sie sich behutsam davonschleichen wollte und murrte:

"Bleibst du da, so bist du klug! Gehst du fort, so siehst du Trug!"

Aber sie hörte nicht darauf und schnitt ein Stück von ihrem Schinken ab, warf es dem Wächter hin, und während dieser danach schnappte und daran kaute, eilte sie davon. Sie mußte lange lange gehn, bis sie das Schloß ihres Geliebten vor sich aufsteigen sah; mit klopfendem Herzen stieg sie den Berg hinan und trat ungehindert in das Tor, das offenstand und nur von einem großen mächtigen Hund bewacht wurde, der sie mit feurigen Augen ansah und murrte:

"Kehrst du um, so ist es gut, Bleibst du da, so siehst du Blut!"

Aber sie warf auch ihm ein Stück Schinken vor, und er ließ sie eintreten. Alles im Schloß war aber so wunderbar ruhig, daß ihr fast graute. Sie stieg die Wendeltreppe hinan, trat in das erste beste Gemach, wo verschiedene männliche Kleidungsstücke unordentlich umherlagen, von diesem in ein zweites, das mit allerlei Waffen angefüllt war, darauf in ein drittes, das noch die Spuren eines wüsten Zechgelages an sich trug, und endlich in ein viertes, in dem an beiden Seiten große Fässer standen. Sie wollte eben in das folgende treten, als sie Stimmen hörte; rasch verbarg sie sich hinter einem Faß und sah bald den Baron und mehrere wild aussehende Gesellen hereintreten, die ein junges, schön geschmücktes Frauenzimmer mit sich schleppten. Das Frauenzimmer wimmerte leise und rang flehend die Hände, als der Baron mit rauher Stimme zu ihr sagte: "Bereite dich zum Tode!" Sie beschwor ihn bei seiner Liebe, sie zu schonen; er möge all ihren Schmuck nehmen, und sie wolle ihm schwören, nichts zu verraten, nur möge er sie zu ihrem armen Vater heimkehren lassen. Der Baron sagte kalt: "Du mußt sterben! Und du wirst bald Gesellschaft bekommen, die Tochter eines Pfarrers, auch so ein hoffärtiges Ding als du, wird dir folgen!" Da gerann der Versteckten freilich das Blut zu Eis, aber sie hatte noch so viel Besinnung, sich mit keinem Atemzug zu verraten. Und bald hörte sie das Röcheln der Sterbenden, deren Blut über die Dielen floß bis in ihr Versteck, und sie mußte sehn, wie die wilden Gesellen ihren Schmuck abnahmen und ihr die Ringe von den Fingern ziehen wollten; die Finger waren aber geschwollen, deshalb griffen die Mörder nach einem Beile und hackten sie ab. O Entsetzen, einer davon sprang auf den Schoß der Pfarrerstochter! Sie hätte laut aufgeschrien, wenn der Schreck ihr nicht die Zunge gelähmt hätte. Die Räuber suchten nach den Fingern und vermißten den einen. Wehe, wenn sie sorgfältig danach suchten, und das schienen sie wirklich tun zu wollen, und einer näherte sich schon dem Fasse, hinter dem die Pfarrerstochter verborgen war. Diese betete in ihrer Angst gar inbrünstig zum Himmel und das Gelübde, alle Hoffart abzulegen, wenn sie nur diesmal aus der Mörderhöhle befreit würde. Da sprach der Baron: "Genug für heute; morgen ist auch ein Tag; ich bin schläfrig und müde." Die Gesellen ließen ab vom Suchen und begaben sich in das anstoßende Gemach, durch welches die Pfarrerstochter gekommen war.

Bald hörte sie ein tiefes Schnarchen und dachte nun daran, das Schloß wieder heimlich zu verlassen. Sie schlich auf den Zehen aus ihrem Versteck, aber, o wehe! die Schläfer lagen knapp an der Schwelle und so dicht aneinander, daß sie nicht über sie hinwegschreiten konnte, ohne sie zu berühren. Sie faßte sich jedoch ein Herz, indem sie dachte: bleibst du hier, so bist du gewiß verloren, wagst du jetzt zu entfliehen, so gelingt dir's vielleicht! Mit Gott und keck schritt sie über die Schläfer hinweg. Da regten sich diese, stießen sich an, und einer sprach zum andern: "Was stößest du mich denn?"

"Der Satan vergelte dir's, du hast mich gestoßen!" antwortete der andere, und sie gerieten darüber fast in Streit, schliefen aber wieder ein, während das Mädchen sich niedergeduckt hatte. Als sie fest schliefen, eilte das Mädchen durch die andern Gemächer, die Wendeltreppe hinab, warf dem Hunde den Rest ihres Schinkens vor und flog davon, so schnell sie konnte. Zum Tod erschöpft kam sie an ihres Vaters Hause an. Er war zurückgekehrt, und sie fand ihn in großer Sorge um sie. Sie gestand ihm alles mit Tränen, zeigte ihm den Finger, den sie mitgenommen, und er dankte Gott für ihre Rettung und nahm sich vor, den Bösewicht zu entlarven.

Einige Tage vergingen, als der schöne junge Baron wieder durch das Dorf ritt und die Pfarrerstochter zu sich berief. Der Pfarrer gab ihr Anweisung, was sie tun solle, und schön geschmückt ging sie nach dem Platz des Stelldicheins. Er sagte, er sei gekommen, sie mit auf sein Schloß zu nehmen; sie aber tat ängstlich und sagte, sie habe einen bösen Traum gehabt. Als er in sie drang, ihm den Traum zu erzählen, da schilderte sie alles, was ihr wirklich begegnet war, daß der Baron sie betroffen ansah, jedoch sie mit den Worten zu beruhigen suchte: "Träume sind Schäume, liebes Kind!" "Aber der Traum war gar zu natürlich", antwortete sie, "so natürlich, daß ich selbst den Finger noch habe, der mir auf den Schoß flog." Dabei zog sie den Finger aus der Tasche. Als den der Baron sah, zog er einen Dolch und wollte sie niederstoßen; er hatte jedoch nicht Zeit dazu, denn er sah sich von Häschern umringt und festgehalten. Man durchsuchte das Schloß, fing die ganze Bande des Räubers und fand eine Menge geraubter Kostbarkeiten. Die Fässer aber waren alle voll Menschenfleisch. Dem Baron und seinen Gesellen wurde ihr Recht angetan, die Pfarrerstochter war ganz von ihrer Hoffart geheilt und ist später die brave Hausfrau eines Landgeistlichen geworden.

Die Jagd des Lebens

ES WAR einmal ein Jäger, der ging zu Wald in eine öde Wildnis, dort zu jagen. Da kam er einem Tiere auf die Fährte, als er dieses aber endlich entdeckte, wünschte er es nimmermehr gesehen zu haben, denn es war ein mächtiges Einhorn, welches sich gegen ihn stellte. Eilig wandte er sich zur Flucht, und stets verfolgte ihn das Einhorn, bis er auf eine steile Felswand kam, deren schroffen Abhang tief unten die Wellen eines dunklen Sees bespülten. In dem See schwamm ein ungeheurer Drache, der den Rachen gähnend aufriß, und plötzlich glitt der Jäger aus und wäre gerade hinab in den See und in des Drachen Schlund gestürzt, wenn er nicht an einem einer Felsritze entsproßten Strauch sich festgehalten hätte. Da war nun des Jägers Lage eine todängstliche. Droben stand, wie ein Wächter, das schreckliche Einhorn, drunten lauerte auf seinen Hinabsturz der greuliche Seedrache. In dieser Not ward seine Angst und Qual aber noch vermehrt, denn mit einem Male erblickte er zwei Mäuse, eine weiße Maus und eine schwarze Maus; die begannen an den Wurzeln der Staude zu nagen, und der Jäger vermochte nicht, sie hinwegzuscheuchen, weil er sich mit beiden Händen anhalten mußte. So mußte er jeden Augenblick gewärtig sein, daß die Wurzeln des Strauchs diesen nicht mehr halten würden. Über ihm stand ein Baum, von dem träufelte süßer Honig nieder, und gar zu gern hätte der Jäger diesen Baum erlangt, denn damit meinte er aller Qual erledigt zu sein, und über den Baum vergaß er aller ihm drohenden Gefahr. Wir wissen nicht, ob es ihm gelungen, aus seiner dreifachen Qual erlöst zu werden, oder ob die Mäuse des Strauches Wurzeln ganz abgenagt.

Der alte Dichter dieser Märe gibt ihr eine allegorische Deutung, indem er sagt: Der Jäger, das ist der Mensch, und das Einhorn, das ist der Tod, der ihm begegnet, ehe er es vermeint, und ihn immerdar verfolgt. Die steile Felswand ist die Erde, und der Strauch ist das Lehen, daran der Mensch nur mit schwachen Banden hängt. Die weiße und die schwarze Maus, welche das Leben an der Wurzel benagen, sind Tag und Nacht oder die rastlose Zeit, die an unserm Leben zehrt. Der dunkle See ist die Hölle, und sein Drache der Teufel, die darauf lauern, daß der Mensch falle und in ihren Rachen stürze. Der Honigbaum aber ist die Liebe, die das Leben versüßende, welcher der Mensch zustrebt und sie zu erlangen hofft zwischen Not und Tod, zwischen Qual und Pein, keiner Gefahr achtend, und mit deren Erringung er seine irdische Seligkeit findet. Doch soll der Mensch sich täglich hüten, da die Mäuse ihm an der Lebenswurzel zehren, daß er nicht in den See des Verderbens falle.

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Ludwig Bechstein Märchen, Literatur  

Bechstein, Ludwig. Sämtliche Märchen. Düsseldorf: Patmos/Albatross Verlag, 1999.

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