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Ludwig Bechstein: Märchen
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Von dem Wolf und den Maushunden

"AM MEERESGESTADE war eine Schar Wölfe, darunter war einer besonders blutdürstig, der wollte zu einer Zeit sich einen besondern Ruhm unter seinen Gesellen erwerben und ging in ein Gebirge, wo viele und mancherlei Tiere sich aufhielten, da zu jagen. Aber dieses Gebirge war umfriedet, und die Tiere waren da sicher vor anderen Tieren und wohnten in Eintracht beeinander; darunter war auch eine Schar Maushunde oder Katzen, die hatten einen König. Nun war der Wolf mit List durch das Gehege gekommen, verbarg sich und fing sich jeden Tag eine Katze und fraß sie. Das war den Katzen sehr leid und sie sammelten sich zur Beratung unter ihrem König, und da waren in sonderheit drei weise, einsichtsvolle Kater, die berief der König in seinen Rat und fragte den ersten um sein Votum gegen den schädlichen Wolf Der erste Kater sprach: "Ich weiß keinen Rat gegen dieses große Ungeheuer, als uns in Gottes Gnade zu befehlen, denn wie möchten wir dem Wolf Widerstand tun?" Der König fragte den zweiten Kater, und dieser sprach: "Ich rate, daß wir gemeinschaftlich diesen Ort verlassen und uns eine andere ruhigere Stätte suchen, da wir hier in großer Trübsal, Leibes- und Lebensgefahr verweilen müssen." Der dritte Kater aber sprach auf des Königs Befragung: "Mein Rat ist, hierzubleiben und des Wolfs halber nicht auszuwandern. Auch wüßte ich einen Rat, ihn zu überwinden."

"Sage ihn", gebot der König, und der Kater sprach weiter: "Wir müssen acht darauf haben, wenn der Wolf sich neuer Beute bemächtigt hat und wohin er sie trägt und verzehrt, dann mußt du, o König, ich und unsere Stärksten ihm nahen, als wollten wir das essen, was er übrigläßt, so wird er sich für ganz sicher halten und von uns sich nichts befürchten. Dann will ich auf ihn springen und ihm die Augen auskratzen, und dann müssen alle anderen über ihn herfallen, so daß er sich unserer nicht mehr erwehren kann, und es darf uns dabei nicht irren, daß einer oder der andere von uns das Leben einbüßt oder Wunden davonträgt; denn wir erlösen dadurch uns und unsere Kinder von dem Feind, und ein Weiser scheidet nicht feig und furchtsam von seinem Vatererbe; nein, er verteidigt es mit Leibes- und Lebensgefahr." Diesen Rat hieß der König gut. Darauf geschah es, daß der Wolf einen guten Fang getan hatte, den er auf einen Felsen schleppte, und da führten die Katzen ihre Tat aus, die der tapfere weise Kater angeraten; und der Wolf mußte schämlich unter ihren Krallen und zahllosen Bissen sein Leben enden."

"Dieses Beispiel", fuhr Vogel Holgott fort, "sage ich dir, liebes Weib, damit du begreifst, daß treue Freundschaft hilfreich ist, und darum nehme ich gern Vogel Mosam zu meinem Freund und Gefährten mit." Als dieses das Weibchen hörte, jubilierte sie innerlich, daß ihr Anschlag so unverdächtig und nach ihres Herzens Wunsch ausging. Und da erhoben sich die drei Vögel nach jener lustigen Stätte; heßen im alten Nest die indes ausgebrüteten jungen zurück, bauten dort Nester und wohnten dort friedsam und freundlich bei reichlicher Nahrung eine Zeit miteinander. Und Vogel Holgott, der alt und schwach wurde, und sein Weib hatten den Vogel Mosam viel lieber in ihren Herzen, als er sie, wie sich gleich zeigen wird.

Es kam eine dürre heiße Zeit, daß alles verdorrte, und der See austrocknete, und die Fische starben; da sprach Vogel Mosam zu sich selbst: "Es ist ein schönes Ding um treue Kameradschaft, und es ist löblich, wenn Freunde zusammenhalten. Aber ein jeder ist doch sich selbst der Nächste. Wer sich selbst nichts nütze ist, wie soll der andern nützlich sein? Wer künftigen Schaden nicht voraussieht und ihn meidet, der wird ihm nicht entgehen, wenn er da ist. Nun sehe ich voraus, wie mir die Gesellschaft dieser Vögel Schaden und Abbruch tun wird, da von Tag zu Tag die Nahrung sich mindert; und zuletzt werden sie mich verjagen. Mir aber gefällt es hier wohl, und ich könnte auch allein, ohne jener Gesellschaft hier wohnen; da wäre es wohl gut, wenn ich ihnen zuvorkäme, und mich ihrer entledigte, und zwar zuerst des Mannes, denn das Weib vertraut mir ganz, die zwinge ich dann ungleich leichter. Sie kann sogar den Mann töten helfen."

Mit solchen argen und schändlichen Gedanken flog Vogel Mosam zu dem Weibchen und nahte ihr ganz traurig und niedergeschlagen. Die fragte ihn: "Warum sehe ich dich so traurig, mein Freund?" und er antwortete: "Ich trauere über die schwere Zeit und sehe schreckvoll daherschreiten des Hungers Gespenst. Und zumeist deinetwegen trauert mein Herz. Eines nur wüßt ich, das dir frommte, wenn mein Rat nicht unweise dir dünkt."

"Welcher ist das?" fragte das Weibchen, und Mosam sprach: "Bande der Freundschaft sind mehr wert als Bande der Blutsverwandtschaft, denn dies ist oft schädlicher als Gift. Ein Sprichwort sagt: Wer eines Bruders mangelt, der hat einen Feind weniger, und wer keine Verwandten hat, der hat keine Neider. Ich will dir etwas ansinnen, das dir nützlich sein wird, liebe Freundin, obschon es dir hart ankommen wird, es zu vollbringen, und du wirst es mir als ein Unrecht auslegen, daß ich es dir offenbare, wenn auch es in meinen Augen geringfügig erscheint." Da sprach das Weibchen: "Deine Rede erschreckt mich, ich kann mir nicht denken, was du meinst, und glaube nicht, daß du mir Übels raten wirst. Doch wäre mir ein leichtes, den Tod zu erleiden um deinetwillen; darum so sprich! Denn wer nicht sein Leben einsetzt für einen treuen Freund, der ist sehr töricht, denn ein Freund ist immer nützlicher wie ein Bruder oder wie Kinder." jetzt sprach Mosam mit Arglist: "Mein Rat ist, daß du suchtest, deines alten schwachen Mannes los und ledig zu werden, für den du so mühevoll sorgen mußt; da wird dir Glück und Heil zureifen, und mir mit dir! Und frage nicht nach der Ursache dieses Rates, bis du ihn vollzogen hast, denn hätte ich nicht guten Grund dazu, so glaube mir, würde ich dir solches nicht anraten. Ich schaffe dir schon einen bessern und jüngern Mann, der dich immer lieben und beschützen wird. Und tust du nicht nach meinem Rat, so wird es dir gehen wie jener Maus, die auch guten Rat verachtete."

Da fragte das Vogelweib: "Wie war das mit jener Maus?" und Mosam erzählte:

Von zwei Affen

"EIN ALTER Affe lebte an einem fruchtbaren Ort, wo Bäume und Früchte, Wasser und Weiden im Überfluß vorhanden waren. Da er nur immer im Wohlleben war, so bekam er in seinem Alter die Raute und war damit sehr geplagt, wurde mager und kraftlos, so daß er seine Speise nicht mehr erlangen konnte. Da kam ein anderer Affe zu ihm und fragte ihn verwundert: "Ei, wie kommt es, daß ich dich so krank und abgezehrt sehen muß?"

"Ach!" seufzte der alte Affe, ich weiß keine andere Ursache, als den Willen Gottes, dem niemand zu entfliehen vermag." Drauf sprach jener: "Ich kannte einen Freund, der trug dasselbe Siechtum, und es half ihm nichts als das Haupt einer schwarzen Natter. Als er das aß, so genas er, das solltest du auch tun!"

Ihm entgegnete der alte Affe: "Wer gibt mir ein solches Natterhaupt, da ich so schwach bin, kaum eine Frucht von dem Baume zu erlangen?" Darauf versetzte jener: "Vor zwei Tagen sah ich vor einer Höhle in einem Felsen einen Mann stehen, der lauerte auf die schwarze Natter, die in der Höhle lag, und wollte ihr die Zunge herausziehen, weil er einer solchen bedürftig war; da will ich dich hinbringen. Hat der Mann die Natter getötet, so nimmst du das Haupt und ißt es."

Der alte Affe sprach: "Ich bin siech und krank, werde ich gesund und stark, so will ich dir gern deinen Dienst vergelten." Da führte jener Affe den alten in die Felsenhöhle, darin er einen Drachen wohnen wußte. Vor der Höhle waren große Fußtritte, wie die eines Menschen, der alte Affe dachte, die habe der Mann zurückgelassen, der die Natter getötet, kroch hinein und suchte das Haupt. Da zuckte der Drache hervor und erwürgte ihn und fraß ihn. Der junge aber freute sich, daß er seinen Gesellen verlockt und betrogen hatte, und nun im alleinigen Besitz der schönen Fruchtbäume war."

Als Vogel Holgott seinem Weibchen dies erzählt hatte, fügte er noch hinzu: "Dies sage ich der Lehre halber, die darinnen liegt: Es soll kein Vernünftiger sein Leben wagen auf einen törichten und betrüglichen Rat hin." Aber das Weibchen sprach: "Ich habe dich recht wohl verstanden, allein hier ist es doch ein ganz anderer Fall, denn die Fische, die ich meine, sind ohne Gefahr zu holen und werden unsern jungen sehr sehr dienlich sein."

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Ludwig Bechstein Märchen, Literatur  

Bechstein, Ludwig. Sämtliche Märchen. Düsseldorf: Patmos/Albatross Verlag, 1999.

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