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Deutsches Sagenbuch
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  1. Der kühne Kurzbold
  2. Die Luftbrücke
  3. Die Gefangenen auf Altenahr
  4. Vom Siebengebürg
  5. Rolandseck
  6. Die Knappschaft im Lüderich
  7. Die letzte Saat
  8. Der Alte-Berg
  9. Der Klosteresel
  10. Der blühende Bischofstab

100. Der kühne Kurzbold

Es war ein Graf des untern Lahngaues, Kunz, ein Bruderssohn des deutschen Königs Konrad, des Vaters von Heinrich dem Finkler – der war gar ein tapferer Held und Degen, aber klein von Gestalt, daher hatte er den Beinamen Kurzbold erhalten, was nicht viel mehr besagen will als Däumling. Aber je kleiner Kurzbolds Körper war, um so größer war sein Geist, der verschaffte dem Helden den Namen des Weisen. Der Held Kurzbold hing mit eiserner Freundschaft an Heinrich dem Finkler, gegen den das salische Geschlecht der nahen Anverwandten Kurzbolds sich empörte und zu Felde zog. Das waren vornehmlich Giselbert, Herzog von Lothringen, Eberhard, Herzog von Franken, die führten ein Heer und wollten bei Breisig, unterhalb Andernach, über den Rhein fahren. Da harrte ihrer am andern Ufer Kurzbold mit nur vierundzwanzig Wappnern, und als der eine Nachen, darin Giselbert, der Lothringer, saß, anlanden wollte, da stieß Kurzbold seine Lanze mit so heftiger Gewalt in den Kahn, daß dieser alsbald sank und niedertauchte und die Rheinflut alle darinnen Sitzenden überströmte und verschlang. Während dies geschah, war Eberhard der Franke gelandet; alsobald wandte sich Kurzbold gegen ihn, rannte ihn an und stieß ihn mit seinem Schwerte durch und durch.

Da Heinrich der Finkler nicht mehr am Leben war und Otto, zubenamt der Erste oder auch der Große, deutscher König geworden, hielt auch der den Helden Kurzbold gar wert. Da der König mit Kurzbold einstmals allein stand, geschah es, daß ein gefangener Löwe aus seinem Käfig brach und auf beide Männer zustürzte. Der König, der unbewehrt stand, griff nach Kurzbolds Schwert, das dieser an der Seite trug, aber Kurzbold kam dem König zuvor, warf sich dem Löwen entgegen und tötete ihn. Zu einer andern Zeit forderte ein riesenhaft gewachsener Petscheneger aus dem dem König Otto gegenüberliegenden Slawenheere des Herzogs von Böhmen die Heerführer Ottos zum Zweikampfe, indem er auf seine große Kraft und furchtbare Gestalt pochte. Da trat ihm, wie voreinst dem Riesen Goliath der kleine David, der kühne Kurzbold entgegen zum Fußkampf mit Lanzen, entglitt gewandt dem Stoß des Riesen und rannte ihn mit seiner Lanze und mit seiner schrecklichen Kraft sogleich zu Boden. Zweierlei mochte Held Kurzbold nicht leiden, Weiber und Äpfel, daher blieb er unverheiratet und erbenlos, gründete aber zu Limburg an der Lahn die herrliche St. Georgenkirche, die er dem Lindwurmtöter auf derselben Stelle erbauen ließ und weihte, wo, der Sage nach, vordem ein Lindwurm gehaust, der der frühern Burg, wie der heutigen Stadt, den Namen Lindburg gab, was eine spätere Zeit in Limburg umwandelte. In dieser Kirche ist des heldenmütigen Kurzbold Grabmal noch zu sehen.

101. Die Luftbrücke

Aus dem Ahrtale ragten stolz und kühn einst zwei stattliche Nachbarburgen einander gegenüber, zwischen beiden rauschte in der Taltiefe die Ahr, das waren die Schlösser Nuwenahr und Landskron, und hoch über dem Tale zog sich eine luftige Brücke, welche beide Burgsitze miteinander verband. Die beiden Herren dieser Burgen, der Graf von Nuwenahr und der Herr von Landskron, waren so traut befreundet, daß sie gemeinschaftlich diese Brücke bauten, welche mit unsaglicher Kunst gefügt war, ohne Stützen und doch dauerhaft, so daß die beiden Freunde zu jeder Stunde beisammensein und doch auch jeder schnell wieder in seinem Hause sein konnte, während ein nachbarlicher Besuch durch Herabritt und Hinaufritt mehrere Stunden in Anspruch nahm. Als diese Freunde verstorben waren, kam die Brücke in Verfall, die Elemente zerstörten sie, nur blieben an jeder Burg die Brückenpfeiler, die das Ganze mächtig stützen mußten, erhalten. Da geschah es, daß ein Rittersohn auf Landskron seine Nachbarin, eine junge Gräfin von Nuwenahr, liebte, die waren eingedenk ihrer Väter Freundschaft und wünschten sich sehnend die Brücke zurück. Da band die Grafentochter an einen Armbrustpfeil ein Garnknaul, ganz lose gewickelt, dessen Endfaden sie befestigte, und schoß den Pfeil zur Nachbarburg hinüber, da waren durch den Faden die Burgen wieder verbunden, und an dem Faden lief noch eine dünnere Schnur mit einem Vorhangring, daran ließen sich Brieflein und Liebespfänder hin-und herziehen in der Dämmerstunde; den dünnen Faden, dessen Farbe nicht ganz hell und nicht ganz dunkel war, gewahrte man kaum oben und von unten gar nicht. Als die Herzen beider Liebenden sich nun verständigt hatten, heirateten sie einander und bauten, wie die Sage meldet, die Brücke noch einmal neu, und dann ist sie wieder verfallen und nimmer wieder aufgebaut worden, und die Burgen sind verfallen, und Freundschaft und Liebe wohnen dort nicht mehr, ja Burg Nuwenahr ist bis auf seine Ruinen aus der Gegenwart hinweggeschwunden.

102. Die Gefangenen auf Altenahr

Wenn des jüngern Schlosses Nuwenahr (Neuenahr) bauliche Überreste vom Zahne der Zeit so ganz zermalmt sind, daß keine Spur mehr von ihnen zu erblicken ist, so ragt dagegen um so stattlicher die stolze Trümmer der Burg Altenahr auf felsreichem Kegelgipfel über dem Ort gleichen Namens in die Lüfte. Mächtige Gaugrafen beherrschten von ihr aus das Land, und einer derselben, Graf Friedrich von Hochstaden-Ahre, dessen Bruder Konrad von Hochstaden als Erzbischof in Köln gebot, schenkte die ganze Grafschaft mit den beiden Stammschlössern Ahr und Hochstaden dem Erzstift Köln, und das Erzstift wußte die starken Burgen wohl zu nutzen. Als einst eine Anzahl von Rat und Bürgerschaft Kölns sich gegen den Bischofstuhl erhob, wurden eilf Patrizier, die Führer der gegenbischöflichen Partei, gefangengenommen und auf Altenahr in sichern Gewahrsam gebracht. Da schmachteten sie hart und lange, und ihr einziger Zeit-und Leidvertreib war ein Mäuselein, das sie kirre gemacht hatten, und das ohne Scheu zu ihnen kam, doch immer schnell, wenn es Geräusch vernahm, in sein Loch zurückschlüpfte. Eines Tages beobachteten sie das Mäuslein auch, wie es munter sich sehen ließ und Brosamen knusperte – als plötzlich draußen Schlüssel klirrten, da fuhr es schnell in sein Loch, und da hörte einer, daß es in dem Loche auch klirrte, und begann nun nachzusuchen, als es wieder stille und sicher geworden war. Da fand sich in das Mauseloch verborgen eine Feile und ein Meißel, schon etwas rostig, aber doch noch brauchbar, so gut, daß bald genug die Gefangenen ihre Ketten abgefeilt und ihre Bande gesprengt hatten und die Gitterstäbe ihres Kerkerfensters durchschnitten. Darauf zerschnitten die Gefangenen ihre Gewande und machten Seile daraus und knüpften diese fest aneinander und stiegen durch das Fenster allzumal nieder, kletterten den steilen Ziegenpfad herab und entkamen glücklich, niemand konnte fassen und begreifen, wie solche Flucht möglich geworden.

103. Vom Siebengebürg

Von sieben Burgen, die auf nachbarlichen Berghöhen einander nahe lagen, hat das Siebengebürge am Rhein seinen Namen, und nicht von einem Gebirge, nicht Mons Sibenus, wie die Alten im barbarischen Latein es nannten, sollte es geheißen haben, sondern Heptapyrgos, obschon diese Berggruppe auch den Namen eines kleinen Gebirges verdient. Die Namen dieser Burgtürme waren: Drachenfels, Wolkenburg, Löwenburg, Dadenberg, Blankenberg, Mahlberg und Stromberg. Die Niederländer hatten den Glauben, daß in dem innern Bergesschoß des Siebengebürgs der Fegefeuersitz sei, wie die Thüringer vom Hörseelberg glaubten, wohinein auch die armen Seelen gebannt würden, die das Jüngste Gericht den Böcken zugesellen müsse. Die hatten also schon etwas voraus, nämlich ihr Urteil. Bisweilen sieht man zwischen den Burgen und Bergen, deren viel mehr als nur sieben sind, eine und die andere Seele leibhaftig spuken gehn; da tappt sich mühselig ein Gespenst mit beschwerten Füßen durchs Klippengestein, das ist der Geist eines Wucherers aus Köln, hierher verwünscht, mit bleiernen Schuhen umzuwandeln bis zum Jüngsten Tag. Dort flackert ein rasches großes Licht heran, ein Feuermann, rast- und ruhelos; es ist der Geist eines weiland sehr feurigen Staatsministers aus Bonn, der feurig und eifrig bemüht war, das Volk zu schinden und mit ekelhaftem Geiz Schätze für sich zu häufen, und war ihm ganz einerlei, ob die ganze Welt zugrunde ging, wenn er nur hatte. Ein gemütlicher Bauer traf den Minister-Feuermann einstens bei Königswinter an, erkannte in ihm das Glied aus der berühmten Ministerfamilie Kümmelspalter und rief ihn an: Warte he mant en bisken! Ick will mir mant an ihm mine Piepe anzonden! – Su – hebbe jou Dank! – Da pustete und prustete der Feuermann und schnob einen ganzen Regen von Funken um sich her, mußte aber doch stillhalten und dem Bauer die Pfeife an sich anzünden lassen, und als der Bauer obigen Dank gesagt hatte, fügte er noch hinzu: He is mant doch ein schlechter Kerel geweten! Dat bisken Brennen schadt ihm nich de Lus! – Dort fährt viermal im Jahre auf einem Wagen mit Feuerrädern ein verdammter Bürgermeister Kölns, der seine Stadt an den Feind verriet, lichterloh brennend umher. Wenn die Talschluchten Nebel dampfen aus dem Siebengebürg und Wolken schwer um die Gipfel schweben, so sind das die ganzen Scharen armer Seelen, die von Zeit zu Zeit aus dem Bergesschoß, wie die Züchtlinge aus einem Philanthropin, herausdürfen, um der frischen Luft zu genießen. Sie müssen sich aber immer wieder hineinverziehen. Die höchste Spitze des kleinen Gebirgs ist der Drachenfels, er ist mit Drachen- und Lindwurmsagen völlig umschuppt und umpanzert, es wäre mit ihnen allein leicht ein Buch zu füllen. Hier hat der hörnene, nicht der fälschlich so genannte gehörnte Siegfried des alten deutschen Volksbuchs den Drachen erlegt, gebraten und mit seinem Fett, das zu Horn erhärtete, sich überall die Haut bestrichen, daß sie unverwundbar ward. Nur zwischen die Achseln vermochte er nicht zu langen, eine kleine Stelle blieb unbestrichen, und das ward hernach die Ursache, daß der Kampfheld erlag, denn gerade, als Siegfried sich an einem Brunnen niederbückte und diese Stelle preisgab, schleuderte ein boshafter Feind eine Lanze auf ihn, die ihm tödlich ward.

104. Rolandseck

Es saß auf hoher Burg am Rhein hoch über dem Stromtal ein junger Rittersmann, Roland geheißen, manche sagen Roland von Angers, Neffe Karl des Großen, der liebte ein Burgfräulein, Hildegunde, die Tochter des Burggrafen Heribert, der auf dem nahen Schloß Drachenfels saß, und wurde wiederum auch von ihr geliebt. Da auch der alte Burggraf nichts gegen die Verbindung seiner Tochter mit Ritter Roland einzuwenden hatte, so verlobte er ihm seine geliebte Tochter herzlich gern. Da erscholl, noch bevor die Vermählung des Brautpaares erfolgen konnte, ein Aufgebot der Ritterschaft gegen Hunnen und Heidenscharen, die im Osten das Reich bedrohten, und dem Ritter Roland geboten Pflicht und Ehre, diesem Aufgebot zu folgen. Große Taten der Tapferkeit tat Roland gegen die Heidenschwärme, und seine tapfere Hand entschied den Kampf zugunsten des Christenheeres. Davon kam die erfreuliche Kunde bald an den Rhein und auf den Drachenfels und weckte dort große Freude. Dann aber ward wieder eine Zeitlang keine Kunde vom Ritter Roland vernommen. Endlich kam ein heimkehrender Ritter am Siebengebürge vorüber und sprach ein Nachtlager auf dem gastlichen Drachenfels an, der verkündete, ohne daß er wußte, wie schmerzlich für seine Wirte seine Kunde sei, daß Ritter Roland in einem der letzten Kämpfe an seiner Seite den Heldentod gefunden habe. Da entstand großes Leid und Wehklagen, und Hildegunde war so trauervoll, daß sie sogleich den Entschluß faßte, im Kloster Nonnenwerth den Schleier zu nehmen, und da der Bischof, der über dieses Kloster gebot, ihr Verwandter war, so willigte er in Hildegundens dringendes Verlangen, ihr das Probejahr zu erlassen, und ließ sie schon nach eines Monates Frist als Nonne einkleiden.

Am folgenden Tage stieg ein Gast zum Drachenfels empor, ward eingelassen und sah auf allen Mienen nur Trauer. Mit Schreck und Freude erkannte Ritter Heribert in dem Fremden den geliebten Ritter Roland. Wohl war dieser für tot vom Schlachtfeld getragen worden, aber wieder genesen, wohl hatte er Botschaft gesendet, aber der Bote war nicht angelangt, und nun fragte er nach seiner Hildegund und vernahm das Donnerwort: Sie ist eine Nonne!

Schrecklich war, was Roland empfand. Stumm vor Schmerz geht er vom Drachenfels herab, besteigt sein Roß, reitet nach Rolandseck hinauf, entläßt seine Diener, wählt sich droben einen Felsensitz, wo er herabschauen kann nach Nonnenwerth, und schaut herab nach der Geliebten, jeden Tag, und Mond um Mond, und Jahr um Jahr, lebt als Einsiedler und murmelt Gebete, wenn drunten im Tale die Klosterglocke klingt. Bisweilen erblickt er die Nonne Hildegund, die aus Trauer um ihn das ewig unlösbare Gelübde tat – bis er einst sie lange nicht mehr sieht, bis ein Leichenzug ihm sagt, daß sie geschieden aus dem irdischen Leben und zum ewigen Frieden eingegangen. Und bald danach ist Roland erblichen gefunden worden und ihr dahin nachgegangen, wo alle liebenden Seelen im Schoße der ewigen Liebe sich wieder einigen.

105. Die Knappschaft im Lüderich

Wie zum Bau des Kölner Domes der Drachenfels einen großen Teil seines Gesteins lieferte, so auch lieferte der Lüderich über Vollberg, der ein Eigentum des Domkapitels in Köln war, sein Gestein, aber ein edleres als der Drachenfels, zum großen Dombau, wie die Sage geht. Der Schoß des Lüderichs gebar unermeßliche Ausbeute seines Bergbaues, und auch früher, schon in den Heidenzeiten, daher ward auch die spätere christliche Knappschaft im Lüderich angesteckt von heidnischem Wesen und allerlei Frevel. Noch ist eine Stelle dort zu finden, welche der Heidenkeller heißt, und die Sage kündet und deutet darauf hin, daß der Bergbau im Lüderich Heidentum und Christentum wohl eine Zeitlang gegenseitig bekämpft habe, ehe es zusammenschmolz und das Christentum den völligen Sieg errang. So gottlos war die Knappschaft, daß sie die Räder an Karren und Göpeln aus holländischen Käsen machten, daß sie runde Weizenbrote den Berg hinabkollern ließen, denen etwa das Bild der heiligen Hostien aufgedrückt war, und hinterdrein riefen: Fall dich tot! Herrgott! fall dich tot!, dann Steine hinterdrein schickten und schrien: Teufel! lauf dem Herrgott nach! lauf dem Herrgott nach! – Über solche und zahllose andere Frevel erwachte endlich der rächende Zorn des Himmels. Einem frommen Hirten, der auf sonniger Trift des Lüderichs seine Schafe weidete, erklang eine Stimme aus der Höhe: Hirte, treibe weg vom Lüderich! – Den Herren des Bergbaues erschien verlockend ein Jagdtier, dem sie nacheilten, es flüchtete in die Höhle des Heidenkellers, jene folgten, und da brachen mit einem Male unter Donnerkrachen alle Schachte zusammen und erschlugen die ganze Knappschaft; die Schachte ersoffen, die Stollen wurden unfahrbar, und das Wasser, das an einer Stelle aus dem Geklüft eines verschütteten Stollens hervordrang, war rot vom Blute der Erschlagenen, und immer noch quillt es, und immer noch ist dessen Farbe rot wie Blut.

106. Die letzte Saat

Bei Mülheim, nahe dem Rhein, lag vorzeiten ein Kloster namens Dünnwald, das war in Streit geraten über hundert Morgen Ackerlandes mit einem nachbarlichen Edeln, Junker Hall von Schleebusch. Das Kloster wie der Junker sprachen dieses große Grundstück als Eigentum an, doch hatte es der Junker im Besitz, aber alle Nutzung verzehrten die Kosten des vor Gericht geführten Rechtsstreites, die Anwälte, die Fürsprecher, die Richter, die Schöffen, die Schreiber. Da bot endlich der Junker Hall von Schleebusch gütlichen Vergleich an und sprach zu den frommen Vätern des Klosters Dünnwald: Fromme Väter, ich bin des langen Haders müde, der uns beiderseits nicht frommt. Die hundert Morgen sollen fürder und künftig für alle Zeiten des Klosters Eigen sein, nur eins bedinge ich: noch einmal eine, und zwar die letzte Aussaat. Ist die zur Ernte reif und gediehen und eingebracht, so begebe ich mich jedes Anspruchs an die hundert Morgen. – Der Himmel stärke Euch, edler Junker, in solch frommem Entschluß, sprach der Abt, doch seid Ihr wohl so gnädig, dieses Versprechen uns schriftlich zu geben. – Darauf wurde ein Brief auf Pergament doppelt geschrieben und ausgefertigt, und der Junker hing sein Siegel in Wachs daran, und der Abt des Klosters das seine, und das große Konventsiegel kam auch noch hinzu, und das des Priors, und noch zwölf Siegel erbetener ritterlicher Zeugen, und war ein sehr schöner Brief, diese Schenkungsurkunde auf ewige Zeiten nach der Ernte der letzten Aussaat, die noch des Junkers sein sollte. Junker Hall von Schleebusch ließ nun seinen Acker bestellen und die hundert Morgen besäen, das geschah im Herbst, und im Frühjahr ging die Saat auf, wollte aber gar nicht recht in die Höhe schießen wie andere Saat. Da nun das Fest der Hagelfeier kam, wo man mit Prozessionen und Fahnen die Felder umgeht und für sie betet, da sahen die Mönche nach der Saat auf dem künftigen Klostererbe – aber was sahen sie? – Eine Saat von Eicheln. – Betrug! Betrug! schrien Abt und Prior und Konvent – aber es half nichts, denn im Briefe stand: vnde bewilligen ihme deme edeln junkherrn Hall vom Sleehenbosche die letzte Vssaat sinder widerrede unde sinder alle geferde. deßez czo gezügen han wir erbeten etc. Lange noch freute Junker Hall von Schleebusch sich seines schönen herrlich gedeihenden jungen Eichenwaldes, er jagte noch Hasen und Hühner darin – die Bäume wuchsen, und Abt und Prior und der ganze damalige Konvent gingen einer nach dem andern zur ewigen Ruhe der Saat, von Gott gesäet – und immer noch wuchsen die Eichen, und im Archive der schöne Brief wurde grau, und die Siegel wurden voll Staub, und es dachte niemand mehr an ihn – und immer noch wuchsen die Eichen, und das Kloster versank in Schutt und Trümmer, und das neue Geschlecht, das gekommen war, konnte die Schrift des alten Briefes nicht mehr lesen.

107. Der Alte-Berg

Hoch und herrlich stand, landbeherrschend, das stolze Grafenschloß Berg überm Tal der Dhüne und gab der ganzen Grafschaft Berg den Namen, die hinter Jülich und Cleve in so vielen Titeln deutscher Fürstenhäuser unsterblich fortgeführt wird. An der Wupper wohnte ein Vogt, Eberhard, aus dem Hause Teißerbant, der hatte einen lieben Bruder, Adolf mit Namen, beide besaßen die Schlösser Berg und Altena. Adolf vermählte sich, und Eberhard minnte ein schönes Fräulein auf Burg Odinthal, aber dieses starb in seiner Jugendblüte. Graf Eberhard von Berg suchte seinen tiefen Schmerz durch Waffenlärm zu übertäuben, und da der Herzog Gottfried von Brabant dem Ritter von Limburg und den Grafen von Berg Fehde bot, so führte Eberhard die Scharen an und erfocht einen vollständigen Sieg, ward aber verwundet und kam von den Seinen hinweg, die ihn tot glauben mußten. Graf Eberhard trat eine große Wallfahrt gen Rom an, wie auch gen Compostell, dann kam er auf seinem Pilgergange nach Thüringen zum Schlosse Käfernburg, wo ein Verwandter von ihm namens Sizzo, nach andern Sieghard, wohnte. Dieser Sizzo war es, welcher unter der St. Johanniskirche auf dem Altenberge, wo der heilige Bonifazius den Thüringern zuerst das Evangelium predigte, noch eine Kirche in des heiligen Georgs Ehre erbaute, hernach im Tale das Kloster Asolverod gründete, zu welcher Gründung Graf Eberhard riet, und vom Kirchlein auf dem Georgenberge das Kloster nun Georgenthal nannte. Und da wurde Graf Eberhard von Berg und von der Mark der erste Abt. Allein der demütige und fromme Sinn dieses Grafen litt nicht lange diesen hohen Rang; er wollte dienen, nicht herrschen, legte daher die Abtwürde zu Georgenthal in Thüringen freiwillig nieder und zog als ein büßender Pilgrim weiter. Da kam er zu dem Kloster Morimund (Morimont) in der Champagne und bat daselbst um den geringsten Dienst. Dort ließ man ihn um Knechteslohn die Schweine hüten, und dies trieb er unerkannt lange Jahre. Sein Bruder Adolf und nicht minder der Bruder seiner verstorbenen Braut trugen großes Sehnen nach dem Verlorenen, und der letztere fand ihn auf einer Pilgerfahrt, die er zum Grabe des heiligen Aegidius in Morimund machte, unversehens in seinem niedern Dienste. Da nun der Freund in Eberhard dringt, ihm zu folgen, ruft dieser aus: Ja, hin nach dem alten Berge! Und bat den Abt von Morimund, zwölf Klosterbrüder mit ihm in seine Heimat ziehen zu lassen, zog heim und wandelte Schloß Berg in ein Kloster um, das er nun, vielleicht mit aus Erinnerung an jenes thüringische Altenberge, wo er oft auf waldiger Höhe im Gebet gekniet hatte, auch Altenberge nannte. Sein Bruder Adolf trat als Mitbegründer auch in das neue Kloster, dem Eberhard vorstand, und da es mit ihm zum Sterben kam und sein Bruder weinend an seinem Lager stand, sagte er einen Tag und eine Stunde voraus, wo er Adolf wiedersehen werde, und genau zu derselben Stunde ging Adolf zum Tode ein und zum Wiedersehen in dem ewigen Leben.

108. Der Klosteresel

Als die vormaligen Grafen und nun Klostermönche Eberhard und Adolf in Altenberge gestorben waren, wurde ein Mönch, der mit von Morimund gekommen und dort schon Subprior gewesen war, zum Abt von Altenberge erwählt, der hieß Berno. Unter ihm beschloß der Konvent, das Kloster von der steilen Berghöhe, auf der es lag, herab und in das Tal zu verlegen, durch das die Dhüne ihre raschen Wellen rollt. Einige schlugen nun diese, andere jene zum neuen Aufbau geeignete Stelle vor, aber die Meinungen waren sehr verschieden und ließen sich nicht vereinigen. Da riet Abt Berno, die Brüder sollten doch den Klosteresel entscheiden lassen. Da nun die Brüder mit dieser Entscheidung vollkommen einverstanden waren, so wurde der Esel an das Tor der alten Burg geführt und von da seinem Gang überlassen. Der Langohr schritt gemachsam den Berg hinab, und die Mönche folgten ihm. Im Tale, wo der Kaibach von der Spechtshard herunterkommt, und wo damals nur Wald und Waldwiesen waren, stand der Esel still, trank einmal, schaute sich um, iahte und legte sich. An dieser Stelle nun wurde das neue Kloster erbaut. Hundert Jahre hatte es dort bestanden, da war Konrad von Hochstaden, welcher zum Kölner Dome den ersten Stein legte, auch in Altenberge, und man legte dort den Grundstein zu einer Dom- und Klosterkirche von großer Pracht und Herrlichkeit, und in ihr sind die Grabstätten und Grabdenkmäler fast aller Grafen und spätern Herzoge von Berg und Mark, bis im Jahre 1511 das altberühmte edle Geschlecht erlosch.

109. Der blühende Bischofstab

Aus dem Geschlechte der Grafen vom Berge und Altena stammte auch Bruno, der sechsundvierzigste Erzbischof von Köln, das war gar ein andächtiger und frommer Priester und von so großer Demut und Bescheidenheit, daß er sich lange weigerte, sein wichtiges Amt zu übernehmen. Es drückte ihn die hohe Würde, und nur drei Jahre behielt er sie, dann kam er nach Altenberge von Köln herüber, hielt noch einmal in pontificalibus in der herrlichen Kathedrale das Hochamt und trat dann als schlichter Zisterziensermönch in die Schar der Brüder des Klosters Altenberge ein. Seinen Bischofstab hing er zum Andenken hinter dem Hochaltar der Kirche auf, diente Gott in Treue und starb am Tage des heiligen Gregorius im Jahre des Herrn eintausendzweihundert. Als die Brüder früh in die Kirche kamen, die Vigilien zu singen, war sie mit Wohlgeruch erfüllt, und dem Bischofstabe waren Palmenzweige und weiße Lilien entsproßt, die also dufteten. Da erkannten alle, welch ein heiliger Mann ihr Bruder Bruno gewesen.

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