150. Die MahrWas in andern deutschen Landen der Alp heißt oder die Trud, die grausen Nachtspuke, die die Menschen quälen, das ist in Holland und den Niederlanden die Mahr. Aber die Sagen von ihr sind häufiger und viel fürchterlicher als im innern Deutschland. Die Mahr ist nicht eigentlich ein Gespenst, sie ist eine dämonische Qual, von Menschen gegen Menschen verübt. Wer eine Mahr ist, deren Seele zieht aus, andere zu peinigen, zu reiten, wie der richtige Volksausdruck ist, und es ist das Sprüchwort: Reitet dich die Mahr! nicht viel anders zu verstehen als das: Reitet dich der Teufel! Absonderlich üben böse Hexenweiber das teuflische Mahrreiten. Zu Harlem ist's in einem reichen Hause geschehen, daß ein Mädchen unversehens in der Schlafkammer eines Knaben nackt am Boden liegend gefunden ward, neben ihr ein Besenstock, und das Mädchen schrie und jammerte. Als es gefragt wurde, bekannte es: Ich wachte in der Nacht, sah, wie meine Mutter aufstand, sich auszog, mit einer Salbe sich strich, einen Stock nahm und darauf zum Fenster hinausritt. Da stieg ich auch auf, holte auch einen Besenstock, strich mich auch mit der Salbe, fuhr auch aus dem Fenster, da kam ich über dieses Haus, ward hier hereingeführt, da lag meine Mutter auf des Knaben Brust gleich einer Mahr. Ich schrie laut vor Schreck: Jesus Maria!, da fuhr alsbald meine Mutter auf und mit geballten Fäusten an mir vorbei durchs Fenster fort. Als das Mädchen solches erzählt, wurde die Hexe verhaftet und gestand, daß sie in jeder Nacht da oder dort die Leute als Mahr gequält, und wurde verbrannt zur gerechten Strafe. Bei Vilforde fanden Schnitter ein Weibsbild liegen, die lag wie tot, doch war sie nicht kalt wie eine Tote, aber sie atmete auch nicht wie eine Schlafende. Ein Hirte, den die Schnitter herbeiriefen, sprach: Das ist eine Mahr, die ist ausgezogen, einen andern zu quälen. Die Schnitter wollten's gar nicht glauben, aber der Hirte sagte: Harret nur, ihr sollt Wunder sehen! Und neigte sich zu der Liegenden und flüsterte ihr ein paar Worte ins Ohr, da kam ein klein Tierchen, fingerslang, weither gelaufen, blitzgeschwind, das kroch der Frau in den Mund. Der gab nun der Hirte einen Schub, daß sie um und um kollerte, da wachte sie auf, schaute starr sich um und flüchtete rasch davon. Einen jungen Menschen quälte jede Nacht die Mahr, er liebte ein Mädchen, das ein Kamerad von ihm auch liebte, ohne daß er's wußte, und klagte diesem seine Qual. Da sprach der Kamerad: Folge mir und tue das: halte gegen deine Brust ein wohlgespitztes Messer mit der Spitze, wenn du dich zu Bette ge legt hast, aber schlafe nicht ein. Das war ein Teufelsrat, denn der andere rechnete, wenn die Mahr auf jenen falle, solle sie ihm das Messer in die Brust stoßen, damit er des Nebenbuhlers ledig würde. Jener aber befolgte den Rat, nur verkehrt, denn er hatte das Richtige vergessen und hielt die Spitze und Schneide des Messers über sich; wie die Mahr auf ihn fiel, stach sie sich durch und durch und kam nimmermehr wieder. Selbst Pferde wurden von der Mahr geritten, wie denn das Wort Mahr selbst so viel ist als Pferd, wovon in deutscher Sprache noch die Worte Marstall und Mähre üblich sind, daher auch bei der bösen Trudentat der Begriff von reiten und geritten werden. Die Mahr ist aber selbst bisweilen Vampir, und ebenso vertauscht sie Kinder gegen Wechselbälge. Wer den Kindern abends ein Kreuz über Wickel und Wiege macht, hat nichts von der Mahr für sie zu fürchten. 151. Die KlabautermännchenWas im höhern Norden die Trollen, in Deutschland die Hinzchen, Heinzemännchen, Hütchen sind Zwerge, zwerghafte Erdgeister, das sind in Holland und Niederland die Klabautermännchen, Kaboter-oder Kaboutermannekens; sie wohnen in Höhlen, sind oft hülfreich den Menschen, gutartig, dankbar. Beim Dorfe Gelrode liegt ein Kabouterberg, darinnen wohnten die Mannekens nahe einer Mühle, die schärften dem Müller seine Mühlsteine und wuschen sein Linnen, wenn er ihnen nur ein Butterbrot und ein Glas Bier zur Nacht hinstellte. Ein anderer Müller im Kempnerlande fand, wenn er zufällig etwas von seinem Butterbrote liegen ließ, des Morgens lange Zeit alle Arbeit in der Mühle getan, die er für den andern Morgen vorbereitet; er wußte, daß in der Nähe Klabautermännchen hausten, steckte sich hinter die Säcke und sah richtig in der Nacht ein solches Männchen alles tun, mit ungeheurer Kraft und Schnelligkeit, aber dabei verzehrte es das Restchen Butterbrot. Das Manneken war ganz nackt, das tat dem Müller leid, er bestellte ihm beim Schneider ein Kleidchen nach ohngefährem Maß und legte es ihm hin und ein großes Butterbrot daneben. Dann verbarg sich der Müller, das Klabautermännchen kam, tat einen Freudensprung, aß schnell das große Butterbrot, zog die Kleidchen an, verschwand und kam nimmermehr wieder. Nun wußte aber der Müller, daß die Klabautermännchen jeden Abend über einen Steg am Mühlbach schritten, und da lauerte er ihnen auf. Als sie kamen, waren alle nackt, und er ließ sie vorüber, bis das letzte kam, welches der Müller gekleidet hatte. Nach diesem langte er und rief: Hab ich dich? da schrie es: Hülfe! Hülfe! aus dem Mühlbach, mit der Stimme von des Müllers Frau; der Mann erschrak, sah sich um, glitt aus vom Stege und plumpste selbst hinunter in das Wasser. Die Klabautermännchen aber schwanden hinweg und kamen niemals wieder. Ein anderer Kaboutermannekensberg liegt zwischen Turnhout und Casterle; die darin wohnten, waren aber böse von Natur, anderwärts gibt es hingegen viele gute, und wer sich gut mit diesen Manneken versteht, dem dienen sie gern und oft, häufig aber üben sie auch Tücke, besonders gegen solche, die ihnen abhold sind. Sie verderben die Butter, saugen die Kühe aus, treiben mannigfachen Spuk und Schabernack. Sie werden auch Rotmützchen und Klabbers genannt. Ein Bauer hatte ein gar hülfreiches Rotmützchen im Hause, das butterte ihm, leistete ihm allerlei Dienst, half ihn allmählich reich machen. Der Bauer kaufte Kühe, baute das Haus neu, und das Männchen tat mehr als drei starke Knechte, es pflügte auch und bestellte den Acker in aller Weise. Einmal hatte es der Bauer zu sehen bekommen, es trug sich ganz rot, hatte ein grünliches Gesicht und grüne Hände. Des guten Rotmützchens hülfreicher Fleiß verdarb jedoch den Bauer, er tat selbst gar nichts mehr, gewöhnte sich an das Wirtshausleben, an Trunk und Spiel. Rotmützchen warnte ihn, aber sein Warnen fruchtete nicht, ja eines Abends, als er spät und trunken nach Hause kam, schimpfte und schalt er den Hülfsgeist. Das Klabautermännchen verschwand. Am andern Tage lag die Frau des Bauern krank, das Vieh fiel in den Ställen, in den Strümpfen, die der Bauer nach und nach mit harten Talern gefüllt und wohl verborgen hatte, staken Kohlen und faule Kartoffelscheiben, die Felder hatte ein Hagel zusammengeschlagen und furchtbar verwüstet, das Haus hing auf eine Seite und drohte den Einsturz. Der Bauer ging in sich, bereuete, gelobte Besserung das war alles vergebens. Hohnlachen erscholl um das Haus herum, das mehr und mehr verfiel. Der Bauer starb in Armut und Elend. Ein armer Bauernbursche liebte heftig ein reiches Mädchen und sie auch ihn, aber der Vater sagte nein. Wer nicht tausend blanke Gülden besitzt und aufzählt, die sein eigen sind, wird nicht mein Schwiegersohn, sagte er. Der arme Bursche schlich traurig heim, mochte seine Barschaft gar nicht zählen, er hatte nicht hundert Batzen, geschweige tausend Gulden. Ging hinaus zu Feld und Busch und dachte: Was liegt am Leben, wenn es nicht Liebe krönt? Willst's abwerfen. Siehe, da stand ein Klabautermännchen vor ihm, wie hergeschneit oder aus dem Boden herausgewachsen, und fragte ihn: Was fehlt dir? Da klagte ihm der Bursche sein Leid. Wenn's weiter nichts ist, sagte der Klabautermann, zähle doch nur erst einmal dein Geld. Ich hab's gezählt, es langt nimmer. Hast nur nicht recht gezählt, geh, zähl noch einmal, es muß treffen! Der Bursche ging, halb ungläubig, halb hoffend; er zog seine kleine Habe hervor und begann zu zählen und zählte und zählte und zählte immerfort, bis tausend Gülden voll waren, und da war's alle, nicht einer darunter, nicht einer darüber. Welch ein Glück! Er rannte wieder ins Feld hinaus, er wollte danken, er rief: Kaboutermänneken! Kaboutermänneken! Ja guten Morgen, da war kein Kaboutermänneken weder zu hören, noch zu sehen. Nun lief er heim, hob und schleppte seinen Schatz zum reichen Bauer hin, zählt' ihm die blanken Gülden vor, bekam des Mädchens Hand und des Alten Segen und wurde ein glücklicher Mann. Im Kasteelberg bei Beveren im Hennegau wohnten auch Kaboutermannekens. Die wuschen den Leuten die Wäsche gegen Empfang von etwas Butter, Eiern, Milch, Mehl und wenigem Geld, bleichten sie auch im Mondenscheine ganz blütenweiß und hielten oft, derweil die Wäsche bleichte, in den Waschkufen einen Ball. Hernachmals sind die Männchen fortgezogen, man weiß nicht warum und wohin. Nur ein ganz altes blieb zurück. Das sehen bisweilen die Leute droben auf dem Berge sitzen, es hat einen eisgrauen Bart, der langt bis auf die Füße nieder, es sitzt und sinnt und schmökt seine Pipe und macht mit den Daumen die Mühle, ganz wie ein echter alter Holländer. 152. Nix FlerusNixen wohnen in Holland allenthalben, sie heißen dort Neck, in der Mehrzahl Necker, und führen auch zum öftern noch besondere Namen. Zu Lessinghe bei Ostende, am Canal de Furnes, war ein Bauernhof, darinnen hauste ein Nix, des Namens Flerus, als hülfreicher Hausgeist, welcher gleich Kludde und Lodder die Macht hatte, sich in jede Gestalt zu verwandeln. War ein Pferd krank und konnte seinen Dienst nicht tun, und man rief Flerus, so kam Flerus als Pferd und arbeitete für drei Pferde. Den Mägden erleichterte er ihre Arbeit auf alle Weise und verlangte nichts für alle Dienste, als daß ihm abends ein wenig Milch und Zucker hingestellt wurde. Dieser gute und willige Hülfsgeist wurde durch den einfältigen Vorwitz von ein paar jungen leichtfertigen Dienstmägden auf immer von dem Hause getrieben. Sie gedachten den Neck zu necken, es bekam aber schlecht. Eines Abends riefen sie: Flerus! Flerus kam, da schoben sie ihm seine Milch hin, hatten aber statt Zuckers Knoblauch in dieselbe getan. Da schüttelte sich Flerus, warf ihnen die Schale nach dem Kopf und rief zornige Worte: Milch und Lauch! und verschwand. Nie sah und hörte man ihn wieder auf jenem Hofe, und von Stund an ging dort alles den Krebsgang, bis andere Besitzer den Hof bekamen, der noch bis heute der Flerushof heißt. Nicht alle Necker sind so gut wie Flerus, sie ziehen gern Menschen in das Wasser, mischen sich in Tänze der Uferbewohner und tanzen die Jungfrauen in die Flut. 153. Die MeerminnenMeerminnen sind Dämonenwesen der See, weiblichen Geschlechts, sie können schön singen und auch fliegen. Schon die Alten kannten sie und nannten sie Sirenen. Sie sind den Nixen verwandt, haben fischgrätige Zähne und meergrüne Haare, Oft schon sind die Meerminnen Unheilverkünderinnen geworden, doch konnten sie auch Glück bringen. Zur Zeit, da die Antwerpner auch noch Schiffe zum Walfischfang ausrüsteten, so geschah es nicht selten, daß, wenn noch weit und breit kein Wal sichtbar war, eine Meerminne mit halbem Leibe aus dem Wassser tauchte, gegen das Schiff heran schwamm und sang: Scheppers, werpt de Tonnekens uit, Da thaten die Schiffer nach der Meerminnen Geheiß, warfen die Tönnchen aus, und nicht lange dauerte es, so ließ sich ein Walfisch sehen, der dann stets sicher erlegt wurde. Einst, schon sehr lange her, geschah es, daß im Hafen vor Muiden an der Süder-See, ohnweit Amsterdam, eine Meerminne schwimmend erblickt wurde. Diese Meerminne sang eine Prophezeiung: Muiden sol Muiden blyven, Und es geschah also. Muiden, ein Hafenort, günstigst gelegen, blieb ein Flecken, und das nachbarliche Amsterdam wurde eine Weltstadt. In der Nähe von Dort (Dortrecht) liegt nahe der Landstraße ein großes stilles Wasser, daraus ragt ein Kirchthurm hoch und einsam empor. Da hat vor Zeiten die reiche und starkbevölkerte Stadt Zevenbergen gestanden. Ihr Reichthum machte die Einwohner übermüthig, sie achteten des Goldes und Silbers nicht mehr, als wenn es Kupfer und Blei wäre; alle Schlösser und Riegel an den Thüren, alle Beschläge an Fenstern, alle Nägel mußten von Gold oder Silber sein, so auch alles Tafel- und Küchengeschirr, so unbeschreiblich war der Reichthum. In die Kirche, die Sint Lobbetchen hieß (St. Elisabeth), ging Niemand mehr, ihr Dach war auch nur mit Ziegeln gedeckt, die Dächer der Reichen aber glänzten wie Feuer, denn sie waren mit Goldblech überzogen. Da hob sich aus dem breiten Gewässer am Biesbosch eine Meerminne, die flog über Zevenbergen und sang mit einer kläglichen Weise: Zevenbergen sol vergaen, Diesen Sang hörten die Einwohner gar wohl, und sahen das Zeichen, achteten aber der Warnung nicht, sie blieben wie sie waren, und lebten fort, wie es ihnen gefiel, und da ließ es Gott geschehen, daß der Meerminne Prophezeihung sich erfüllte. Eine Sturmnacht kam, endloser Donner rollte über Zevenbergen hin, und die Fluth kam. und die Stadt versank, und nur die Kirche blieb stehen, wie die Meerminne gesungen hatte, und weit und breit stand das Wasser da, wo die Stadt gestanden. Fischer haben bisweilen in der Tiefe die goldenen Dächer schimmern sehen, da wäre noch ein großer Reichthum zu holen, aber keiner wagt sich in die Tiefe, und in die Stadt hinab, die der Fluch des Himmels getroffen. (S. 141/2) 154. Geister in FrieslandSchon zu Kaiser Lothars Zeiten gab es in Friesland viele Geister und Gespenster. Eine Sorte davon wohnte in Höhlen, wie die deutschen Wichtlein. Die Männlein hießen weiße Juffers, die waren nicht eben gutartig, vielmehr recht tückeboldig, die Weiblein aber hießen weiße Frauen, die waren besser, standen Kindbetterinnen bei, leiteten Verirrte auf rechten Weg, halfen Arbeit verrichten, besonders recht mühevolle. Sie wohnten gern in Hügeln oder in Gruben, die unbesucht waren, häufig ihrer drei beisammen, auch in alten Hünenbetten. Wer nachts an diese Hügel oder in diese Gruben trat oder auf so ein altes Hünengrab sich setzte, der konnte sondere und wunderbare Dinge vernehmen und viel von alter Zeit erfahren. Es war ein Sänger im Friesenlande, der hieß Bernlef und war blind, der hat viel gesungen von des Landes erster Art und des freien Volkes der Friesen Ankunft und Ursprung, den haben die guten Geister gelehrt und die Kunden alter Zeit auf seine Lippen gelegt. 155. Stavorens UrsprungDes Friesenlandes Hauptstadt ist Stavoren. Die alten Friesen hatten einen Gott, den hielten sie so groß und mächtig, wie das Römervolk seinen Jupiter, den nannten sie Stavo. Da nun zu einer Zeit aus fernen Landen drei Brüder zu Schiffe an die Küste kamen, Friso, Saxo und Bruno geheißen, von vielen Gefährten begleitet, welches zur Herbsteszeit geschah, so fanden sie das Land, welches damals Sueven bewohnten, die keine festen Wohnsitze behaupteten, und sich der Spätherbst-Ueberschwemmungen wegen in höheres Land zurückgezogen hatte, von Einwohnern fast ganz entblößt, erbauten ihrem Gott Stavo einen Tempel, gründeten eine Stadt und nannten sie nach ihrem Gott Stavoren. Diese Stadt wurde bald groß, und viel größer denn jetzt, und die ganze Süder-See war noch bewohntes Land, von dem jetzt nur noch hie und da als kleine Insel ein geringer Rest aus den Wogen ragt. Da blieben sie nun dreizehn Jahre und ihr Volk mehrte sich, und sie hatten nicht Raum genug, darum sprach Friso zu seinen Brüdern, es sei besser, wenn sie sich theilten, und jeder von ihnen mit den Seinen ein weites Land gewänne. Da schieden die Brüder Saxo und Bruno in Frieden von Friso, welcher blieb, und Saxo lief in die Elbe ein, ließ sich an ihrem Ufer nieder und bevölkerte das Land, und sein Volk wurde nach ihm Saxen geheißen. Bruno aber machte sich säßhaft am Weserstrome, und gründete dort eine Stadt, die hieß nach ihm Bruno’svic, die gab hernach dem ganzen Lande ihren Namen Braunschweig. Friso aber erreichte ein sehr hohes Alter, er herrschte über Friesland achtundsechzig Jahre, und hinterließ sieben Söhne und eine einzige Tochter. Die Stadt Stavoren wurde und war vor diesem die allerberühmteste Haupt- und Residenzstadt der Friesischen Könige, und war nirgends größere Handlung und Schifffahrt, als in dieser Stadt, denn sie war überaus wohl gelegen, und hatte einen vortrefflichen Hafen. 156. Der Feuer-PützEs war zu Kaiser Titus Zeit, vier Jahre nach der Geburt unsers Herrn, als im heutigen Westfriesland an einem Berge, der rothe Clif genannt, ein Feuer-Pütz aus der Erde schoß, der drei Tage lang loderte und weberte. Am/ vierten Tage kam ein Drache aus der Oeffnung geflogen, aus der das Feuer schoß, hob sich hoch, schwebte eine halbe Stunde lang in Lüften,und that sich dann wieder nieder, und hinein, woraus er gekommen war, ward nicht wieder gesehen, und das Feuer erlosch. Hundert und fünfzig Jahre später brach der Feuer-Pütz wieder auf, und brannte ganz schrecklich, acht Tage lang, und flammte sehr hoch, daß allen, die da herum wohnten, bange ward; dann erlosch die Flamme. Die Einwohner fragten das Orakel ihres Abgottes Stuffo, weil sei ein großes Sterben fürchteten, und der Gott sprach: von diesem Erdfeuer werde das Land nicht untergehen, eher von dem kalten Stoff, der nach Länge der Zeit ihm folgen werde. Und aber nach etwa hundert und vierundzwanzig Jahren borst der Feuer-Pütz beim rothen Clif zum drittenmale auf, doch achtzehn Tritte weiter von der ersten Stelle, und flammte eilf Tage lang sehr schrecklich hoch. Da brachten die Einwohner dem Abgott Stuffo Brandopfer und fragten aufs Neue das Orakel. Da gebot ihnen der Gott aus der Nordsee drei Krüge Salzwasser zu holen, und diese durch einen gegen die Gluth gewappneten Ritter in den Flammenschlund werfen zu lassen, da werde der inwendige Brand ausgelöscht werden. Das wurde vollbracht und der Brand löschte aus. 157. Der überquellende WasserpützDa man südwestlich von Stavoren, eine halbe Stunde von der Stadt, einen Pütz (einen Brunnen) grub, so sprang statt süßen Wassers ein überfluß von Salzwasser hervor, wie aus einem Springbrunnen, das quoll und quoll und drohte, Stadt und Land zu überschwemmen. Da fragten die Einwohner das Orakel ihres Gottes Staffo, und das sprach, der Pütz werde nicht aufhören überzuquellen, bis das Blut eines dreijährigen Knaben in dasselbe Wasser gesprengt und mit ihm gemengt werde. Solches geschahe eilend, da hörte der Pütz auf zu fließen, und war endlich kein Tropfen Wasser mehr in ihm zu sehen, und wo das übergequollene Wasser gestanden hatte, blieb das Land drei Jahre lang dürr und unfruchtbar, bis es allmählich wieder zu grünen begann und Früchte trug. 158. Das Wunderkorn von Stavoren und der FrauensandBei den Einwohnern der groß und reich gewordenen Stadt Stavoren ging es gerade so wie bei denen der Stadt Zevenbergen an der Südersee, sie führten ein üppiges Leben und kannten ihres Übermutes nicht Maß noch Ziel. Da war eine Zeit, in der das Korn sehr teuer wurde, und eine reiche Witwe rüstete ein Schiff aus und sandte es nach Danzig, dort Korn zu holen, und gebot dem Schiffer, ihr zugleich von dort das Köstlichste mitzubringen, was nur dort zu haben sei. Als nun das Schiff in See war, fiel das Getreide sehr schnell, und dem geizigen Weibe wurde bange, daß sie an ihrem Einkauf mächtig Schaden erleiden werde. Da nun das Schiff aus Danzig zurückkam, ging die Witwe alsbald an Bord und fragte den Schiffer, was er ihr Köstliches mitgebracht habe nächst dem Korn, das ohnedies nichts mehr wert sei, als ins Wasser geworfen zu werden. Der Schiffer neigte sich und sprach: Vieledle Frau, den schönsten Weizen bracht' ich Euch mit, den je ein Menschenauge hat erschauen können. Was, Weizen? Und nichts Besseres? rief die Frau zornig aus. Von welcher Seite nahmst du den in das Schiff? Von der Backbordseite, entgegnete der Schiffer. Ei so wirf ihn ins Teufels Namen von der Steuerbordseite ins Meer, und das Korn dazu! Ich befehle es! Der Schiffer gehorchte, da brauste es in den Tiefen, und die Wellen hoben sich und teilten sich, und es wuchs ringsum vor den Hafen eine mächtige breite Düne von Sand, Hügel auf Hügel, und auf der Düne lagen Korn und Weizen und keimten und schossen auf in Ähren, die blühten auf, aber taub, und trugen nimmer Frucht. Die Witwe kehrte in die Stadt zurück, um deren Hafen sich nun die Düne zog, daß kein Schiff mehr in den Hafen einlaufen konnte und trug den Fluch der verarmenden Stadt und starb in Kummer und Elend. Aber auf der Düne, welche bis auf den heutigen Tag der Frauensand heißt, erwächst Jahr auf Jahr das taube Korn, der Dünenhelm oder Dünenhalm genannt, und weht und wiegt sich im Winde. 159. Stavorens UntergangDas große Zeichen, das der Herr getan, als er die Sanddüne aus dem Meeresgrunde aufwachsen ließ, besserte noch lange nicht die Ruchlosigkeit der Einwohner von Stavoren, denn solcher Leute, wie jene gottlose Witwe war, gab es dort nur noch allzuviele. Da war eine reiche und übermütige Jungfrau, die hatte viele Schiffe in See und des Gutes so viel, daß sie nicht wußte, wie viel. Die beauftragte auch einen Schiffer zur Zeit, wo große Hungersnot im Lande war, ihr das Kostbarste und Wertvollste, was er in fernen Landen nur immer zu finden vermöge, mitzubringen. Und der Schiffer fuhr hinweg und kam bald wieder, und als die Jungfrau fragte, was er Köstliches für sie mitbringe, da er so bald zurück sei, sie habe ihn noch nicht erwartet, sprach der Schiffer: Meine Jungfrau, das Köstlichste ist jetzt, was der Mensch zum Leben braucht; ich bringe den schönsten Weizen. Die Jungfrau aber hatte reichen Schmuck, Gold, Perlen und Diamanten erwartet und zürnte: Weizen! Was soll mir dieses elende Zeug? Gleich über Bord damit! Das hörte eine Schar hungernder Armen, die flehten die Jungfrau kniefällig an, doch ihnen das Getreide zu geben, es nicht verderben zu lassen! Aber die stolze Jungfrau blieb bei ihrem harten Sinne. Der Schifführer sprach: Meine Jungfrau, bedenket Euch wohl, es könnte Euch reuen! Gott hört und sieht Gutes und Schlimmes, er lohnt und rächt. Ein Tag könnte kommen, wo Ihr, hungrig und arm gleich diesen Elenden, gern die Körnlein einzeln aufläset, die Ihr jetzt in das Meer wollt schütten lassen! Frecher Knecht! zürnte da die Jungfrau und schlug ein satanisches Gelächter auf. Gleich wirf den Weizen ins Meer, und diesen goldnen Ring werfe ich hinterdrein! So wenig werde ich verarmen, so wenig ich diesen Ring jemals wiedersehe! Und so geschah die gottlose Tat. Und wie die Jungfrau handelte, so handelten in anderer Weise freventlich auch die meisten Einwohner von Stavoren. Am andern Tage aber traf die Jungfrau die Nachricht, daß viele ihrer Schiffe auf der Heimfahrt aus dem Morgenlande gescheitert seien; am zweiten Tage die weitere Nachricht, daß ihre übrigen Schiffe von den Seeräubern genommen seien; am dritten Tage verbreitete sich die Kunde, daß ihr sonstiges Vermögen, das sie einem reichen Handelshause anvertraut hatte, durch den Fall dieses Hauses verloren sei. Am vierten Tage wurde aus ihrem Ziehbrunnen ein Seefisch, eine Bütte, herausgezogen, niemand wußte, wie dieser Fisch in den süßen Brunnen kam; als der Fisch geschlachtet wurde, fand sich in seinem Eingeweide der Ring, den die Jungfrau mit frevelndem Ausruf in das Meer geworfen hatte. Noch ein Jahr verging, da sah man das vordem so stolze Weib betteln gehen von Haus zu Haus und auf dem Felde Ähren lesen, um sein elendes Leben zu fristen. Auch dieses Zeichen der Warnung, das der Herr tat, irrte die Einwohner von Stavoren nicht, ihr Leben fortzusetzen, obschon die Stadt durch den versperrten Hafen zu verarmen begann. Da geschah es mit einem Male, daß man in allen Ziehbrunnen Bütten und Schellfische und Heringe fing, daß das Wasser stieg und das Land sank, und mehr als drei Vierteile der reichen Stadt verschlang die Flut, die fort und fort am Lande nagt, und aller Segen war hinweg, und der Rest der Stadt verarmte mehr und mehr. |
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