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Deutsches Sagenbuch
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  1. Hütchen
  2. Irmensäule
  3. Von Heinrich dem Löwen
  4. Die tote Braut
  5. Die Tänzer von Kolbeck
  6. Die Kröppel
  7. Der Graf im Feuer
  8. Der Hackelnberg und die Tut-Osel
  9. Das Grundlos
  10. Hünenblut

310. Hütchen

Da Bischof Bernhard zu Hildesheim regierte, fand sich in seiner Residenz ein eigentümlicher Kobold ein, welcher nicht wie jener vielförmige Hinzelmann vorzog, unsichtbar zu bleiben, sondern sich vor jedermann in einem Bauernkleide sehen ließ, sehr fromm und gutmütig erschien und beständig einen spitzen Filzhut tief über das Gesicht trug, daher ihn das Gesinde bald nicht anders nannte als Hödeken, das ist Hütchen, weil man von seinem Kopfe eigentlich nur den Hut sah. Dieser seltsame Geist ließ sich gern in mancherlei Gespräche ein, gab guten Rat, fragte und antwortete und erzeigte sich gefällig und hülfreich. Zu einer Zeit, da Graf Hermann von Winzenburg durch einen seiner Vasallen wegen schlimmen Handels und begangener Untat samt seiner Gemahlin ermordet worden war und dadurch des Grafen Land herrenlos, weil er noch keine Kinder hatte, trat Hütchen in derselben Stunde, in welcher die Tat geschah, in des Bischofs Schlafgemach, erweckte ihn und sprach: Stehe auf und wappne dich; die Grafschaft Winzenburg ist erledigt. Nimm dein Volk und gewinne sie dir und deinem Stift. Da brach Bischof Bernhard schleunig auf mit Kriegsvolk, fiel in die Grafschaft, nahm Besitz von ihr und ließ Hildesheim vom Kaiser auf ewige Zeiten mit ihr belehnen. Später fand sich noch ein Erbberechtigter, und um diesen nicht zu sehr zu verkürzen, bekam er nun die Grafschaft vom Bischof zu Lehen. Dieser Graf von Winzenburg hatte zwei Söhne, die schon erwachsen waren und in Unfrieden lebten. Es war bei der Belehnung festgesetzt, daß nicht der Älteste, sondern immer der die Vorhand haben solle, welcher zuerst um die neue Belehnung nachsuchen werde. Als der alte Graf starb, hatte der ältere Bruder nichts Eiligeres zu tun, als sich zu Pferde zu setzen und gen Hildesheim zu jagen; der jüngste aber hatte kein Pferd und war ratlos und konnte für sich nichts hoffen. Da trat Hütchen zu ihm herein und gab guten Rat. Schreibe einen Brief an den Bischof, sprach er. Melde deines Vaters Ableben und suche um die Belehnung nach. Dein Brief soll schneller hinkommen als dein Bruder. Da schrieb der jüngere Graf schnell seinen Brief und drückte sein Siegel darauf, und Hütchen nahm den Brief, schlug Richtwege ein geradeaus über Gebirg und Wald gen Hildesheim und kam eine oder einige Stunden früher an als jener, gerade so früh, daß in der Kanzlei des Bischofs für den jüngeren Bruder ein neuer schöner Lehenbrief in bester Form geschrieben werden und des Bischofs und Kapitels ovale Siegel in blechernen Kapseln darangehängt werden konnten. Der Bergpfad heißt noch heute Hütchens Rennpfad und ist nicht leicht zu finden.

So leistete Hütchen gute und nützliche Dienste und erwies sich vielen hülfreich. Einem armen Nagelschmiede schenkte er ein halbes Hufeisen, Nägel daraus zu schmieden, jeder Nagel aber, den der Mann daraus fertigte, ward zu Gold. Der Tochter desselben gab er eine Rolle Spitzen, die kein Ende nahm, soviel man davon maß, doch durfte eine gewisse Zahl Ellen nicht überschritten werden. Ein Domherr zu Hildesheim, dem der Wein besser zu Halse ging als die Weisheit und die Wissenschaft, sollte zu einer Kirchenversammlung als Orator abgeordnet werden, da ward ihm schrecklich bange, denn er fühlte gar zu sehr selbst, daß sein Wissen und Weissagen Stückwerk sei, und daß er mit seiner Redekunst nicht glänzen werde. Auch dem half Hütchen aus Angst und Not; er fertigte ihm ein kleines Kranzgeflecht von Lorbeerlaub, Siegwurz und Allermannsharnisch, das mußte der Chorherr bei sich tragen, und siehe da, auf der Kirchenversammlung erschien der Orator von Hildesheim als ein gar großes und hell brennendes Kirchenlicht, und war jedermänniglich erstaunt und erbaut von des Mannes mächtiger Redegabe, und hätten viel spätere Redner von ihm lernen oder sich glücklich schätzen können, wenn ein gescheites Hütchen ihnen beigestanden.

Zu Hildesheim hatte ein Mann ein schönes Weib mit einem vielliebenden Herzen, der mußte verreisen und übertrug dem Hütchen die Hut und Ehrenwache. Welche Not aber Hütchen hatte, diesem Ehrenamte vorzustehen, das ist nicht zu sagen. Freudig eilte der Geist dem endlich heimkehrenden Manne entgegen und sagte: Gut und dreimal gut, daß du wieder da bist! Einmal und nicht wieder dein Weib gehütet, lieber alle Schweine in ganz Sachsenland auf einmal als solch überlistigen und ränkevollen Weibes Hut!

Da aber Hütchen neben großer Gefälligkeit doch jezuweilen die schlimme Koboldnatur blicken ließ, sich zornig und rachsüchtig zeigte, auch unnachsichtig der Dienerschaft Fehler rügte, so wurde er dem Gesinde und endlich auch dem Bischof selbst doch zur Überlast, und so bannte ihn durch kräftige Beschwörung der Bischof von Hildesheim hinweg.

311. Irmensäule

Im Dom zu Hildesheim wird gezeigt eine Säule, zierlich von Marmor, mit vergoldeten Erzringen, eilf Fuß hoch und ein Marienbild tragend. Die soll früher des alten Sachsengottes Irmin Bildsäule getragen haben und wird daher noch immer Irmensäule genannt.

Jenes Götterbild stand zu Eresburg, jetzt Stadt Berge an der Diemel, und ward gebrochen von Karl dem Großen im Jahre 772. Wenn mit einem Messer an die Säule geschlagen wird, gibt sie einen hellen Schall; bei heißer Sommerzeit ist sie sehr kalt und schlägt sich aller Dunst an ihr in Tropfen nieder, so daß sie zu schwitzen scheint. Die Sage geht, daß Karl der Große sie habe nach Hildesheim bringen lassen, und nachderhand hat man auf die ehernen Ringe lateinische Verse eingegraben, welche aber zur Irmensäule und ihrer Geschichte keinen Bezug haben, vielmehr darauf hinzudeuten scheinen, daß die Säule keine andere Bestimmung hatte, als einen riesigen Leuchter abzugeben. Manche sagen, Irmen sei Irmin, Armin, Herrmann, der Befreier Deutschlands, dem göttliche Verehrung zuteil geworden. Ob der Name des Dorfes Armenseid bei Alfeld nicht ein verstümmelter Nachhall des Namens Arminsäule sei, lohnte sich wohl zu erforschen zu suchen.

312. Von Heinrich dem Löwen

Herzog Heinrich, der Herr der Braunschweiger Lande, fuhr über Meer; ein Sturm erfaßte sein Schiff und verschlug ihn und sein Schiffsvolk in unbekannte Meere; alle Speise ging ihnen aus, und der Hunger quälte sie über die Maßen. Da mußte einer nach dem andern sein Leben opfern für der andern Sättigung, und bestimmte das Los den, welcher sich mußte töten lassen. So fristeten sie eine Zeit ihr Leben, und immer fügte es Gott, daß das Los des Herzogs nicht gezogen wurde. Endlich war nur noch der Herzog und ein einziger Diener auf dem Schiffe, und der Hunger nahm kein Ende. So losen wir nun zum letztenmal, sprach traurig der Fürst, und wen das Los trifft, der sterbe. – Nein, lieber tötet mich, o Herr! sprach der treue Knecht. – Nein, wir losen, antwortete der Herzog. Und da warfen sie das Los, und es traf Heinrich. Aber der Diener sprach: Nimmer werde ich meinen liebwerten Herrn töten, ich habe noch einen Rat, ich will Euch in eine Ochsenhaut einnähen und Euer Schwert dazu, vielleicht sendet der Himmel Euch eine Rettung. Das war der Herzog zufrieden, und als es geschehen war, so kam ein Vogel Greif geflogen, der faßte die Haut in seine Krallen, glaubte ein Tier zu rauben und trug die Beute weit übers Meer in sein Nest, dann flog er wieder hinweg, und Heinrich durchschnitt mit dem Schwerte die Haut, und da die jungen hungrigen Greifen ihn anfielen, schlug er ihnen mit dem Schwert die Köpfe ab, dann nahm er sich eine Klaue mit und stieg von dem hohen Baume, darauf das Greifennest war, in den Wald hinab. Lange irrte der Fürst in diesem wilden Walde, endlich hörte er ein nie vernommenes Geschrei, ein Brüllen, das wie Donner klang, und einen heisern pfeifenden Laut und gellend, daß der ganze Wald davon schallte. Wie nun der Fürst dem furchtbaren Schreien nachging, so sah er einen großen Löwen und einen entsetzlichen Lindwurm miteinander im wütenden Kampfe, doch drohte schon der Löwe zu unterliegen. Da gedachte der Fürst, daß der Löwe doch ein schönes und edles Tier und der Tiere König, der Lindwurm aber ein giftiges Tier sei, und stand dem Löwen bei, befreite ihn und erlegte den Lindwurm nach langem Kampfe. Wie der Löwe sich befreit und sein Leben gerettet sah, streckte er sich dankbar zu des Herzogs Füßen und verließ ihn nur, um Speise zu fangen, die er mit ihm teilte. Dem Herzog war in dieser Einsamkeit, in dieser Gesellschaft und bei dieser Kost nicht allewege wohl zumute. Da das Meer nahe war, so baute er sich, so gut er konnte, ein Floß und fertigte ein Ruder, und als der Löwe eines Tages wieder jagen gegangen war, da bestieg der Herzog sein Floß und stieß vom Strande. Bald aber kam der Leu zurück, vermißte den Herrn, folgte seiner Spur, kam zum Strande und sprang alsbald in die Meerflut, dem Floß nachschwimmend, das er auch bald erreichte, und dort streckte er sich wieder geruhig vor den Herrn hin. Aber auf dem Meere gab es kein Wild zu jagen, und die Pein des Hungers kehrte ein mit verzweifelnden Gedanken. Da erschien dem Herzog der Teufel und sagte ihm: Daheim bei dir in Braunschweig geht es heute lustig zu, da ist Freude die Fülle, und du schwebst hier herum zwischen Wasser und Wolken und hungerst; hier ist Hunger bei dir, und dort daheim bei dir ist Hochzeit, denn dein Weib ist deines Ausbleibens müde und nimmt sich einen andern jungen Mann, einen gar schönen Grafen; dich hält sie längst für tot. Herzog Heinrich erschrak über diese Rede, und der Teufel fuhr fort: Du möchtest doch wohl gern auch bei sotaner Hochzeit sein! Ergib dich mir, so führe ich dich noch heute heim, da kannst du mit tanzen. – Das wolle Gott nicht, das ewige Licht, daß ich ihm abfalle und dein sei, sprach der fromme Herzog, und der Teufel antwortete: Was dein Gott will oder nicht will, weiß ich nicht. Helfen scheint er dir nicht zu wollen, ich aber will's, ich bin da, besinne dich, eh dich's reut, zu solcher Hochzeit kommt einer nicht alle Tage, und morgen wär's zu spät. – Meine Seele würde ewigen Schaden leiden, so ich dir folgte, sprach wieder der Herzog, und der Teufel erwiderte: Deine Seele wird auch nicht schnurstracks in den Himmel fahren, Pein muß sie leiden, so oder so. Du hast von meinem Reiche keine rechten Begriffe, es ist gar nicht so übel, da zu sein, die sogenannte Seligkeit ausgenommen, sieh, ich wohne schon lange allda und befinde mich leidlich wohl. Ich schlage dir vor, du läßt dich heimführen. – Aber mein Löwe, sagte Heinrich, der ist gar zu gut und treu, möcht' ihn nimmer missen. – Auch den bringe ich, sagte der Teufel zu und stellte die Bedingung, daß Heinrich nur dann ihm angehören sollte, wenn er ihn bei der Wiederankunft mit dem Löwen auf dem Giersberge nahe bei Braunschweig schlafend finde. Außerdem verlangte der Teufel für seine große Mühe gar nichts. Herzog Heinrich, der sich herzlich nach seiner Gemahlin, wie nach Erlösung aus seiner trostlosen Lage sehnte, willigte endlich in diesen Beding und ward alsbald vom Teufel durch die Lüfte bis auf den Giersberg geführt und auf diesen abgesetzt. Nun wache fein! rief der Teufel und schwang sich wiederum hinweg, den Löwen zu holen. Der Held fühlte sich von Entbehrung und der Luftfahrt matt und todmüde, bald konnte er sich des Schlafes nicht mehr erwehren, er legte sich in das Grüne und schlief wie ein Toter. Jetzt kam der Teufel mit dem Löwen weit durch die Luft gesaust. Mit seinem Teufelsauge sah er schon aus endloser Ferne den Schlafenden und schnalzte vor Freude mit der Zunge, denn er hatte vorausgewußt, daß der Fürst schlafen müsse und werde. Aber als er näherkam, sah der Löwe bald auch den Herrn liegen, steif und starr, meinte, derselbe sei tot, und erhob ein so furchtbares Gebrüll, daß sie drunten in Braunschweig sagten: Wir bekommen Gewitter, es donnert schon. Von dem Gebrüll aber wachte Herzog Heinrich auf, und der Teufel war wütend, daß er ihn nun nicht schlafend fand, und warf den Löwen aus der Höhe herunter, daß es krachte. Der Löwe aber, nach Katzenart, fiel sich keinen Knochen entzwei, sondern kam auf seine Beine zu stehen und folgte darauf seinem Herrn nach der Stadt und nach seiner Burg, aus der ihm viel Musikgetön und Jubel entgegenscholl. Das war die Hochzeitfreude. Der Herzog ließ die Braut als ein Pilgrim um einen Trunk Weines bitten, und diese sandte den Becher. Der Pilgrim zog einen Ring vom Finger, warf ihn, nachdem er getrunken, in den Pokal und bat den Diener, der Herrin beides zu übergeben. Da erkannte die Herzogin ihres Gemahles Ring und ließ den Pilgrim zu sich in den Saal entbieten; der kam, und ihm folgte sein Löwe nach. Da erkannte sie ihren Gemahl und fiel ihm zu Füßen und hieß ihn willkommen, und alle Diener jauchzten, und der junge Bräutigam wurde durch eine junge Braut entschädigt. Hernach hat Herzog Heinrich, den man nur den Löwen nannte, noch lange Jahre glücklichre giert, und da er endlich starb, hat sich sein Löwe auf sein Grab gelegt und ist auch gestorben. Da wurde er auf der Burg begraben und ihm ein ehern Denkmal errichtet. Andere sagen, Herzog Heinrich habe solch ehernen Löwen schon bei seinem Leben gießen und aufrichten lassen. Des jungen Greifen Klaue aber hatte Heinrich im Dom aufhängen lassen, zum Zeichen seiner Meer- und Luftfahrt.

313. Die tote Braut

Es war ein Brauer zu Braunschweig, der hatte eine schöne Tochter, und diese liebte von Herzen einen jungen Kaufmann aus Bremen, und die Liebenden beide schwuren einander im Leben und im Tode treu zu sein, und wer die Treue bräche, den solle der andere Teil noch im Grabe mahnen dürfen. Nun mußte der Kaufmann von dannen reisen, in der Welt sein Glück zu machen und zeitlich Gut zu erwerben, und blieb länger aus, als seine Geliebte hoffte. Der Vater aber hatte ohnedies diese Liebe nicht gern gesehen und sich einen Schwiegersohn gewünscht, der baß verstände, gute Braunschweiger Mumme zu brauen, und da er einen hübschen und geschickten Werkmeister hatte, so wollte er, dieser und kein anderer solle sein Schwiegersohn werden, und die Tochter mußte sich diesem von ihr nicht geliebten Mann verloben. Aber bald darauf warfen Sehnsucht und Gram sie auf das Krankenlager, von welchem sie nicht wieder aufkam. Kaum war sie begraben, so kam ihr früherer Bräutigam an, erfuhr, daß seine Braut als die Verlobte eines andern gestorben sei, und konnte der Sehnsucht nicht widerstehen, sie noch einmal zu sehen. Er verleitete daher den Totengräber durch Geld, heimlich das Grab wieder aufzuschaufeln und den Sarg zu öffnen. Als dies geschehen war, lag das Mägdlein, bleich und schön, mit einem Kranz um die Stirne im himmlischen Frieden, der vom Angesicht der Toten uns anblickt, und da sprach der Jüngling: O meine liebe, liebe Braut, konntest du wirklich mein vergessen? So mahne ich dich bei unserm dreimal heiligen Schwur an dein mir gegebenes Gelübde! Als der junge Kaufmann diese Worte gesprochen hatte, ist die Tote erwacht und hat die Augen aufgeschlagen und geseufzt: Dein, nur dein, im Leben und im Tode, und hat ihre Arme erhoben und fest um ihn geschlungen. Da ist der Totengräber vor jähem Schreck umgefallen, und als er wieder zu sich kam, siehe, da war der Sarg leer und von den beiden Liebenden keines mehr zu sehen gewesen, und nie hat wieder jemand etwas von ihnen erfahren. Da nun diese Geschichte in der Leute Mäuler kam, schämte und ärgerte sich der zweite Bräutigam, der Mummebrauer, über alle Maßen, zumal er bei sich dachte, die ganze Sterbe- und Begrabe- und Aufgrabesache möchte wohl nur ein abgekartet Spiel gewesen sein, ihm die Braut zu entreißen, und wußte sich nichts Besseres zu raten, als dem Teufel die Sache in die Schuhe zu schieben, der so immer alles getan haben soll, was die Menschen Unrechtes oder Dummes taten und tun. Ließ derohalben ein abscheulich Zerrbild schnitzen und am Hausgesimse, recht vor aller Augen, fest machen, da sah man ein Mägdlein aus einem Sarge steigen und dem Teufel mit dem Pferdefuß die Hand reichen, und ließ auch einen nicht weniger überaus abgeschmackten Spottreim darunter schreiben, der gerade schmeckte wie saure Mumme. Lange hat das alte Haus gestanden mit Reim und Bildwerk, endlich ist's abgebrochen worden, aber die Sage davon lebt noch im Volke zu Braunschweig immerdar fort.

314. Die Tänzer von Kolbeck

Im Dorfe Kolbek bei Halberstadt war vor langen Jahren ein Bauer, der hatte immer den Krug lieber als die Kirche, und trieb gern leichtfertige Sachen. So ließ er sich beigehen, in einer Christnacht mit noch funfzehn Kameraden, die er beredete, und drei Weibsbildern, während der Christmette auf dem Kirchhof einen Tanz zu halten mit lauten Juhu und Heisassa. Darauf trat der Pfarrer aus der Kirche und strafte die Tänzer, welche die heilige Weihnacht so freventlich entweihten, mit ernsten Worten, aber der Bauer kehrte sich nicht daran, vielmehr rief er dem Pfarrer spottend zu:

Du heißest Ruprecht, ich heiße Albrecht!

Sing' du drinnen deine Leichen [Leich: Sangweise]

Wir singen und tanzen draußen unsern Reigen.

Da hob der Pfarrherr seine Hände auf und rief: ei so wolle Gott und Sankt Magnus, daß ihr tanzen müßtet Jahr und Tag! – Und alsbald ging diese Verwünschung in Erfüllung. Die Tänzer vermochten nicht einzuhalten, nicht aufzuhören, fort und fort riß es sie hin mit Allgewalt, der Morgen kam und der Tag verging wieder – sie tanzten, und durch die Nacht hindurch tanzten sie, und am folgenden Morgen, und das immer so fort, Tag und Nacht.

315. Die Kröppel

Zwischen Braunschweig und Halberstadt bei Dardesheim und in der ganzen Umgegend längs den nördlichen Ausläufern des Harzwaldes hin gibt es viele Sagen von Zwergen, und werden dieselben, wie sie fast in jeder Gegend anders heißen, dort herum Kröpel oder Kröppel (Krüppel) von ihrer kleinen, schiefen und zum Teil buckligen Gestalt genannt oder auch Lüttchen (kleine Leute). An vielen Orten zeigt man noch Felshöhlen als ihre früheren Wohnungen, denn jetzt gibt es längst keine Zwerge mehr. Ihre Art und ihr Wesen war dem gleich, wie sie am häufigsten geschildert werden. Gut und hülfreich, Gefäße leihend, mit geringer Belohnung zufrieden, aber auch mit Diebesgelüsten begabt und leicht erzürnt. Bei Dardesheim kommt aus einem Berge der Smannsborn; dort wohnten sie am liebsten; östlich zieht am Berg ein Acker hinan, den hatte ein Schmied namens Reichert mit Erbsen bestellt, wie aber die Erbsen reif waren, wurden sie ausgepflückt. Das verdroß den Schmied, und er legte sich auf die Wacht, sah und hörte aber niemand, und doch fand er abermals Erbsen weggepflückt. Da dachte er, du willst die Erbsen gleich auf dem Acker ausdreschen, und brachte sich einen tüchtigen Dreschflegel mit in sein Wächterhäuschen, mit welchem er am grauenden Tag sein Werk begann. Auf einmal hörte er einen Schrei – und siehe, da lag ein Kröpel, dem er nicht nur die Nebelkappe ab-, sondern auch den Schädel eingeschlagen hatte. Dadurch nun, daß der Kröpel die Kappe verloren, mußte er sichtbar werden, die andern hatten aber bei der Flucht die Kappe mit weggerafft.

Späterhin sind die Kröpel über das Dorf Warnstedt zwischen Quedlinburg und Thale hinweggezogen und haben ihren Weg morgenwärts genommen, vielleicht ihrer alten Heimat wieder zu. Auch bei Seehausen im Magdeburgischen gab es deren viele und ebenso zwischen Blankenburg und Quedlinburg. Dort war in einem Dorfe, vielleicht in Warnstedt oder Westerhausen, ein Bäcker, dem stahlen die Zwerge so viel Brot, daß er darüber arm wurde. Da vertrugen die Leute sich ferner nicht mehr mit den Kröpeln, sondern nötigten sie auszuwandern. Seitdem läßt sich nur selten noch ein Zwerg blicken.

316. Der Graf im Feuer

In der Gegend um Halberstadt liegt ein Berg, der ist der Feuerberg geheißen, darin hat der Böse sein Wesen und quält die Bösen. Ein schlimmer Graf schuldete einem Manne seit vielen Jahren vieles Geld, und der Gläubiger konnte die Bezahlung nimmer erlangen. Nach einer Zeit war der Graf abhandengekommen, und die Rede ging, er sei in fernen Landen gestorben, der Teufel möge wissen, wo er liege. Der wußte auch, wo er den Grafen hingetan. Nun machte sich jener Mann noch einmal auf, von den Erben seine Schuld zu heischen, allein die wußten von keiner Schuld und drohten dem Manne Zahlung mit harter Münze auf seinen Rücken an, so er nicht gehe auf Nimmerwiederkehr. Da ging der arme betrogene Mann traurig im Walde, und da trat ihn ein Fremder an und fragte ihn, was ihm denn fehle. Und da klagte ihm der Mann sein Leid und seinen Kummer. Willst du den Grafen sehen, so folge mir nach, sprach der Fremde, und der Mann folgte ihm nach und kam auf einen hohen kahlen Berggipfel, der tat sich auf, und da sah jener alles darinnen hell und lichterloh brennen, und mitten in der ungeheuern Flammenlohe saß auf einem glühenden Stuhle der Graf und schrie ihn an: Nimm dies Tuch, bringe es den Meinen zum Zeichen, daß du mich gesehen, und sag ihnen, wie ich leiden muß, und reichte es dem Gläubiger hin, und seine Finger und Hände glühten und knisterten und sprühten Funken von sich. Darauf ward der Mann zurückgeführt und hat sein Geld dann gern erhalten. Später hat sich der kahle Feuerberggipfel mit Eichen und Tannen bewaldet.

317. Der Hackelnberg und die Tut-Osel

Im Braunschweiger Lande saß ein gewaltiger Nimrod, der auch in der Tat Oberforst- und Jägermeister war, Herr Hans von Hackelnberg, dem war Jagen seines Lebens einzige Lust. Da übernachtete er einmal so recht mitten in seinen Jagdparadiesen, den Wäldern, auf der alten Harzburg, hatte aber einen bedenklichen Traum. Es träumte ihm, ein ungeheurer Eber nehme ihn an und kehre gegen ihn seine furchtbaren Hauer und verwunde ihn und renne ihn nieder. Den Traum konnte der Hackelnberg gar nicht vergessen. Nicht lange danach stieß ihm im Vorharz wirklich ein Eber auf, wenn auch nicht so schrecklich wie der geträumte, auch erfüllte sich nicht der Traum, denn Hackelnberg fällte den Eber mit geschicktem Stoß seiner knotigen Saufeder so kunstgerecht, wie nur immer ein Oberjägermeister ein Schwarzwild fällen soll und darf. Und nun lachte Herr Hans von Hackelnberg über seinen dummen Traum, gab dem toten Eber einen tüchtigen Fußtritt gegen den Rachen und sagte: Du sollst es mir noch nicht antun! – meinte damit, dieser Eber bringe ihn nun nicht nieder, wie der im Traume getan. Aber wie er getreten hatte, fühlte er plötzlich einen schneidenden Schmerz am Fuße, und siehe, durch des Trittes Heftigkeit hatte der scharfe Hauer des erlegten Ebers des Stiefels Leder durchschnitten und den Fuß verwundet. Hackelnberg achtete der Wunde nicht und jagte weiter, aber dadurch machte er es erst recht schlimm, der Fuß schwoll an, und als Hackelnberg wieder auf die Burg kam, mußte man ihm den Stiefel abschneiden. Der Verwundete konnte nun auch nicht mehr reiten, sondern mußte nach Wolfenbüttel fahren, und das ging damals nicht wie heute mit Dampf, sondern mit harten Rippenstößen langsam und beschwerlich im Ockergrunde hin, und der Kranke erreichte Wolfenbüttel nimmer. Nahe bei Hornburg, nächst dem Dorfe Wulperode, stand ein Hospital, dahinein ward der Ritter gebracht, beklagte gar sehr, daß er nicht mehr jagen könne, und wünschte letztlich nichts weiter, als ewig auf Erden jagen zu können, da möge der liebe Herrgott in Gottes Namen seinen Himmel für sich behalten, und dann starb er an seiner Wunde und ward in Wulperode begraben, wo sein Denkmal steht und sein Harnisch hing.

Des Hackelnbergers letzter Wunsch aber ist ihm erfüllt worden; er darf nicht nur, er muß hetzen und jagen bis zum Jüngsten Gericht, er ist der wilde Jäger des Harzwaldes und zieht mit tollem Spuk zur Nachtzeit oft gar schrecklich umher. Da begleitet ihn oder fliegt ihm voran ein Nachtgespenst in Gestalt einer riesengroßen Ohreule, das ist die Tut-Osel, also genannt von dem entsetzlich tutenden Geschrei, das sie ausstößt. Diese Eule war vorzeiten eine Nonne in einem thüringischen Kloster und hieß Schwester Ursel; die hatte eine Stimme, wenn sie sang, daß es rein zum Davonlaufen war, wenn die armen Nonnen das nur gekonnt und gedurft hätten. Sie wurde, weil ihre Stimme der einer Trompetengans ungleich ähnlicher klang als der eines Mädchens, nur die Tut-Ursel genannt. Endlich starb sie, und alle Schwestern waren froh, daß sie sie weder mehr hörten noch sahen, denn sie war auch sonst kein Engel – aber o Schreck, gleich nach ihrem Tode tutete sie durch ein Loch im Kirchturme und tutete in den Chorgesang hinein, in die Metten und in die Vigilien. Ach Gott, die Tut-Ursel! schrie eine junge Nonne, unbedacht das Gelübde des Schweigens brechend, und da schrie der ganze Konvent, und stürzten aus der Kirche, und wollten alle lieber sterben, als wieder hineingehen, solange sich die Ursel hören lasse. Da hat man weither, aus Österreich, einen Kapuziner-Teufelsbanner verschrieben, der hat die Tut-Ursel in Gestalt einer Ohreule auf die alte Dummburg zwischen Halberstadt und Quedlinburg, wo Bode und Selke zusammenrinnen, bei den Dörfern Adersleben und Hadersleben, gebannt. Dort ist nun just auch des Hackelnberg liebstes Jagdrevier und Hauptsitz, und ist ohnehin viel greulicher Spuk immer dort erschienen, heißt auch ein naher Bergkopf der Hackel, und da hat sich die Tut-Osel dem jagen den Ritter zugesellt; da jagt er zu Roß über und durch dick und dünn und pfatscht durch die Sümpfe, und die Osel schnalzt das Pfatschen nach, und er schreit juhu, und sie schreit tutu, und Gott gnade denen, die selbigem Paare unterwegs aufstoßen. Wenn einer sie merkt, muß er sich nur auf den Bauch legen und stilleschweigen und den Lärm über sich vorüberbrausen lassen. Bis in die Marken hinein zieht der Jäger, ja zu Drömling in der Altmark rühmen sie sich, der Hackelnberg sei bei ihnen zu Hause, und drohen: Daß dich der Jäger hole!

Auf dem Schlößchen Meisenberg im Selketale wird ein aus Holz geschnitzter Trinkbecher gezeigt, der stellt den Hackelnberg vor, wie er leibte und lebte.

Wenn im Theater der Freischütz gegeben wird, pflegt in der Regel in der Wolfsschlucht jedesmal auf einem Baume eine große Eule mit feurigen Augen zu sitzen und höchst langweilig fort und fort mit den Flügeln zu schlagen. Das ist die Tut-Osel.

318. Das Grundlos

Nicht weit von des Hackels nördlicher Spitze ist ein großer Erdfall zu sehen, zum Teil mit Wasser ausgefüllt und am Rande mit hohem Schilf überwachsen, wie deren um den Harz, besonders am südlichen Teile, gar viele zu gewahren sind, der heißt das Grundlos, darum, weil mit der längsten Stange seine Tiefe noch nicht ergründet werden konnte. Auf dieses Erdfalles Stelle hat vor langen Jahren eine Raubburg gestanden, auf welcher viel unmenschliche Grausamkeit verübt wurde. Endlich aber ermüdete die lange Langmut des Himmels, und über Nacht fiel auf die Raubburg und deren Insassen das Unglück, wie ein gewappneter Mann. Die Burg versank unter Höllengepolter in eine unendliche Tiefe, und über ihr schossen rauschende Wasser in einen See zusammen. Die Ritter wurden in Hechte, die Knappen in Karpfen verwandelt und die alte Schaffnerin, die treulich zu allen Untaten geholfen hatte, in eine Karausche, groß und wohl einen Zentner schwer. Die jagen und verfolgen sich unaufhörlich im Wasser des Grundlos, und weil selbige Ritter nichts nutz waren, so spricht man noch heute von einem Kerl, dem man wenig oder gar nichts Gutes und desto mehr Schlimmes zutraut: Das ist ein rechter Hecht.

319. Hünenblut

Nicht weit vom Hackel, zwischen Egeln und Westeregeln (Kreis Magdeburg), steht ein Wassertümpel, der ist beständig rot. Das soll noch aus der Zeit der Hünen herrühren, von deren ungeheuerlicher Größe des Volkes Phantasie sich die kühnsten Bilder schuf. Zwei Hünen bekämpften und verfolgten einander; der eine fliehende schritt über die Elbe, wie ein Kind über einen Graben schreitet, und so war er mit wenigen Schritten in der Gegend von Egeln. Da hob er den einen Fuß nicht hoch genug auf, stieß sich damit an der Turmspitze der alten Burg, stolperte und fiel mit der Nase gerade auf einen Feldstein bei Westeregeln, und zwar mit so großer Heftigkeit, daß er das Nasenbein brach und eine große Lache Blutes ihm entströmte. Das ist das Hünenblut. Andere sagen, ein Hüne, der bei Westeregeln gewohnt, sei zum Spaß oft über das Dorf hinüber- und herübergesprungen und habe sich endlich bei einem Sprunge an der Turmspitze die Zehe aufgeritzt. Da sei aus der kleinen Wunde im großen Bogen das Blut niedergeflossen und habe jene noch immer rote Lache gebildet, die man noch heute das Hünenblut nennt.

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