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Deutsches Sagenbuch
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Vorbehalten    Inhalt     

  1. Vom Reißigenstein
  2. Die Glocke vom Gottesfeld
  3. Raubschloß Hermannstein und andere
  4. Die Zwerge der Kammerlöcher
  5. Vom Singerberge
  6. Doktor Luther verwünscht das Singerberger Schloß
  7. Paulinas Zelle
  8. Paulina lohnt die Arbeiter wundersam
  9. Die Kirchensäulen und der Teufel
  10. Wittekind, der schwarze Ritter

510. Vom Reißigenstein

Unterhalb Mehlis liegt ein bewaldeter Berg steil und schroff über der Straße, die von Benshausen abwärts, nach Blasienzelle aufwärts führt. In Büchern nennen sie ihn den Reißigberg, von dem sagt ein alter Hennebergischer Geschichtschreiber: Denkwürdig ist auch ein Berg, der reißende Stein, ist eine ziemlich hohe Klippe, an welcher zur Nachtzeit nicht viel Ruhe ist, indem die Steine von oben herab in die gerade unten vorbeigehende Landstraße springen, wodurch viele Leute erschrecket worden; dem Vernehmen nach lassen sich allda viele Gespenste sehen. – Dem reißenden Stein gegenüber ist sonst ein Frauchen mit einem Schlüsselbund umgegangen, das erschien den Leuten in der Mittagsstunde und schrie wehklagend: Drei Viertel für ein Pfund! Drei Quärtchen für eine Kanne! Es war eine Handelsfrau, die ihre Kunden bei Lebzeiten also betrogen hatte, die mußte nun dort umgehen, wie die Biermesserin Frau Holle im Walzerholze bei Arnstadt. Doch hört und sieht man sie jetzt nicht mehr, vielleicht fand sie ihre endliche Erlösung.

Überm Berg drüben hinterm reißenden Stein ist der Höselberg, in den ist ein Amtmann verwünscht, der muß als Feuermann dort spuken.

Im Jahre 1561 borst eine Kluft am Klingesberge und wich das Erdreich, also daß es zehn besamte Acker fünf Ellen hoch bedeckte, vier Acker Wiesen verwüstete, Bäume niederriß und der Berg in der Nacht sechzehn Schuh weit fortrückte. Das ward für ein gar schlimmes Anzeichen gehalten.

511. Die Glocke vom Gottesfeld

Wer vom Schneekopfgipfel dem Rennstieg südostwärts folgt, dann durch endlose Waldungen auf einsamen Gebirgspfaden ganz südlich sich schlägt, kann zum hohen Adlersberg gelangen, auf dem sich eine weite Wiesenmatte breitet, die heißt das Gottesfeld. Dort droben lag eine Stadt, die hieß aber nicht Gottesfeld, denn ihre Bewohner waren so gottlos und lasterhaft, daß die strafende Hand Gottes sie ganz von der Erde hinwegtilgte. Sie versank mit allen ihren Bewohnern, und die Stätte, wo der Herr Gericht gehalten, ward Gottesgerichtsfeld genannt, woraus hernachmals Gottesfeld wurde. Nach langen Jahren hütete droben am Adlersberg ein Hirte aus Schleusingen seine Herde, der sah ein wildes Schwein an einer Stelle wühlen und wühlen, und wie er hinzukam, so stand das Öhr einer Glocke zutage. Der Hirte warf gleich seinen Lappen (Halstuch) auf den Fund, damit derselbe nicht wieder versinke, und eilte nach Leuten, jenen emporzuheben. Die Glocke wurde nach Schleusingen gefahren und auf den Turm gebracht, aber da sie nun zum erstenmal geläutet wurde, gab sie einen ganz entsetzlichen schauerlichen Ton von sich, und beim dritten Schlage zersprang sie. Da sie nun neu gegossen ward, so klang ihr Ton nichtsdestoweniger unharmonisch, und es war, als ob sie riefe: Sau aus, Sau aus! – und dann zersprang sie abermals, und als sie zum dritten Male umgegossen war, war ihr Schall um nichts gebessert, und sie zersprang wiederum und ward hernach nur zum Sturmläuten gebraucht.

In dieser Gegend steht auch der Schlüsselheinzestein, ein senkrechter Porphyrfelsen, um diesen läßt sich ein gespenstiger Reiter sehen, der einst mitsamt seinem Roß die Felswand hinabstürzte, wobei Roß und Mann tot blieben.

512. Raubschloß Hermannstein und andere

Wer vom Schneekopf nordostwärts den Schritt in die Talgründe lenkt, den führen tiefeinsame Pfade herab zu den Quellen der Ilm in den alten Längwitzgau und zu einem Felsriesen, dem Hermannstein, welcher aber vom Volksmund Hammerstein genannt wird. Er trug eine Burg oder doch eine Warte, und soll erstere eine über der Straße aus Sachsen durch Thüringen nach Franken gar günstig gelegene Raubburg gewesen sein. Ein Bischof von Mainz habe sie von Erfurt aus zerstört. Es ist dort nicht geheuer, und die Holzleute sind oft schon durch ein gräßliches Getöse dort geschreckt worden. Ritter Hermanns Geist reitet mitternachts auf schwarzem Roß um den Felsenberg; Kräutersammler, die in der Johannisnacht auszogen, um mit dem frühesten an Ort und Stelle zu sein, haben ihn gesehen.

Um Ilmenau herum soll es außer dem Hermannstein noch mehrere Raubschlösser gegeben haben, so eins auf der Sturmheide, welches Kaiser Rudolf 1290 brechen ließ. Die Ilmenauer besorgten dies mit höchstseiner Erlaubnis außerordentlich gern selbst und fingen neunundzwanzig Räuber, denen samt und sonders in Erfurt die Köpfe abgeschlagen wurden. Ein zweites Schloß stand, wie die Sage geht, zunächst an Ilmenau, nach dem Eichicht zu, das ist mit Mann und Maus in einer für das Schloß nicht schönen Nacht versunken, und an seine Stelle ist der große Teich getreten.

513. Die Zwerge der Kammerlöcher

Nicht weit von Ilmenau liegt ein Dorf, Angelrode, und in dessen Nähe ist eine vielfach zerklüftete Bergwand mit mancherlei Schluchten und Höhlen, Felsenkammern gleich, welche man die Kammerlöcher nennt. In diesen Kammerlöchern hausten einst Zwerge in großer Anzahl. Sie wühlten von der Wache, so heißt der Teil des Berges oberhalb des Dorfes Angelrode, weil im Dreißigjährigen Kriege ein schwedisches Wachtpikett dort gestanden, bis zum Kummel, dem vorspringenden Bergstock, an welchem das Angelroder Wirtshaus mit seinem vortrefflichen Felsenkeller gelegen, einen Stollen und gelangten durch diesen in den Wirtskeller, dem sie an Wein und Lebensmitteln merklichen Abbruch taten. Diese Zwerge hausten im Schoß der tiefen Felsenkammern lustiglich und taten sich gütlich an des Wirtes Wein und Bier und sonstigen Vorräten. Außerdem übten sie noch manchen Schabernack und manche Neckerei gegen die Bewohner der umliegenden Dörfer. Der Wirt wußte lange nicht, wer seine Diebe seien, warf Verdacht auf sein Gesinde und seine Hausgenossen, kränkte diese und hatte viel Verdruß. Endlich geriet er auf den Einfall, Asche in den Keller zu streuen, um vielleicht an den Fußtapfen die unsichtbaren Beizapfer zu erkennen. Und als er eines Abends dies getan und des andern Morgens nachsah, fand er zahllose kleine Spuren von Gänsefüßen ähnlichen Füßchen, die aus einer Felsspalte im tiefsten Hintergrund des Kellers gekommen waren und in diese sich verloren. Der Wirt holte sich Rat bei einem weisen Mann, welcher lautete, man solle, wenn man die Nähe der stets unsichtbaren Zwerge vermute, mit Taxuszweigen nach ihnen schlagen; jeder Zwerg, der getroffen werde, würde dann augenblicklich sichtbar. Auch sei den Zwergen die Form des Kreuzes verhaßt, und wenn man am goldenen Sonntag Eibenbüsche kreuzweise über ihre Wege lege, so beschritten sie letztere nimmermehr wieder. Der Wirt befolgte den Rat, teilte ihn weiter mit, und am nächsten Trinitatissonntag stieg das halbe Dorf Angelrode hinauf in die Kammerlöcher, brach dort Eibenzweige ab und steckte sie kreuzweis an die Ställe, in denen die Zwerge das Vieh behext, und in die Keller, aus denen die Zwerge allerlei geholt. Ob auch einige der Zwerge von den Eibenruten getroffen und sichtbar wurden, weiß man nicht, der Rat des weisen Mannes blieb aber doch in Ehren, denn wenn kein Zwerg sichtbar wurde, so war es eben ein Beweis, daß keiner getroffen worden war. Das neckische Zwergvölkchen aber wanderte nun aus. In einer Nacht hörte man vom Kirchenholz herab durch das Dorf und die jenseitigen unfruchtbaren Felsanhöhen hinauf nach Rippersrode zu ein anhaltendes Trippeln und Trappeln, als ziehe ein Heer von vielen tausend kleinen Leutchen vorüber, und ward ein leises Weinen und Schluchzen dabei vernommen. Nimmermehr kamen sie wieder. Von der Zeit an wurde es Brauch zu Angelrode, daß alljährlich am Trinitatissonntage alt und jung hinauf auf den Weißenberg und in die Kammerlöcher ging, dort Taxuszweige brach und sie kreuzweis in die Küchen, Keller, Stuben und Ställe steckte. Und obschon der Aberglaube, daß damit den Zwergen und Hexereien gewehrt werde, verschwunden ist, so ist doch der Brauch geblieben, und namentlich säumt des Dorfes fröhliche Jugend nicht, am genannten Tage Eibenzweige von des Berges wundersamen Felsenkammern herabzuholen. Auch geht die Sage, daß zuzeiten in dem schaurigschönen Felslabyrinth der Kammerlöcher oder Felsenkammern über Angelrode sich ein schneeweißer Hirsch mit goldnem Geweih blicken lasse, jedoch nur von Sonntagskindern und auch nur von unbefleckten. Einem solchen ist Macht gegeben, den Hirsch zu fangen und ihn in die Tiefe der größten Felsschlucht zu führen, dort schlägt der Hirsch mit dem Goldgeweih an das Gestein, das Geweih fällt ab, dem Glücklichen zum Lohne, und zugleich öffnet sich ein Gang in das Berginnere, darinnen sich nun eine Kammer nach der andern zeigt, alle voll Gold und Silber, Perlen und Edelsteine. Da mag der Erwählte dann getrost zufassen und davontragen, so viel er kann. Dem Hirsch aber wächst in Jahresfrist ein neues Geweih, aber nicht alle Jahre findet sich ein auserwähltes Glücks- und Sonntagskind, das reinen Herzens und makellosen Wandels, ja kaum alle hundert Jahre einmal.

514. Vom Singerberge

Zwischen Ilmenau und Stadtilm, die beide am Ilmfluß liegen, erhebt sich ein einzelner Hochgipfel, das ist der Singerberg. Er ist einer der vielen Sagenberge des Thüringerlandes, und die Sagen von ihm sind teils den übrigen verwandt, teils eigentümlich. Er soll den Namen tragen vom Gesang und Getöne, das zuzeiten in seinem Innern vernommen wird, gleich wie im Hörseelenberge. Auch in ihm soll ein Mann verzaubert sitzen, und ein Schloß ist in seinen tiefen Schoß hinab verwünscht. Bisweilen gelingt es wohl einem, die Öffnung zu finden, die hinein- und hinunterführt. Ein Schäfer fand eine gelbe Blume und pflückte sie, dem erschien eine Prinzessin und leitete ihn in das Innere, wo an einer Tafel viele eisgraue Ritter schlafend saßen, denen allen die Bärte durch den Tisch gewachsen waren. Und da ist es ihm ergangen wie den Hirten und Schäfern im Kyffhäuser, Fragen nach dem Flug der Vögel, hier schwarzen und weißen, Wiederentschlummern, Gewölbe voll Waffen, Rossen und Schätzen, und der Lohn – eine Tasche voll Sand, den aber der Schäfer einmal nicht wegwarf, sondern davon reich ward. Auch die Sagen von der zauberhaften Bergentrückung wiederholen sich am Singerberge. Ein Fuhrmann fand im Berge Nachtquartier mit Schiff und Geschirr, da er in Meinung, in einen großen Gasthof am Wege zu fahren, in den Berg hineinfuhr. Herrlicher Stall, glänzende Bewirtung; am andern Morgen spannte er wohlgemut ein, wendet sich noch einmal, in das Haus zu gehen und die Zeche zu bezahlen – weg ist das Haus, weg die Stallung – weg sind die Wirtsleute und ihr Gesinde. Grausen ergreift den Fuhrmann – er fährt von dannen, kehrt im nächsten Wirtshaus ein, sieht da den Kalender, nimmt ihn von der Wand, liest die Jahrzahl und staunt. Sieben Jahre, sieben Monate und sieben Tage war er im Singerberge gewesen. – Ein Hirte blieb gar hundert Jahre darin. Häufig erscheint am Berge die weiße Jungfrau, die nicht fehlen darf, wo ein Schloß stand; sie äfft oft Jäger und Holzleute, wie auch die Reisenden. Auch wird, das ist die allgemeine Sage, für den Singerberg in allen katholischen Kirchen Erfurts jährlich einmal gebetet, wie für den Sperrhügel und für den Schneekopf selbst im nichtkatholischen Arnstadt, daß er nicht berste und von ihm aus das ebene Land überflutet werde. Dieweil er aber der Singerberg heißt und ist und die Singer und Sänger das Wasser erst nicht lieben, so ist sein Schoß angefüllt mit vielen hunderttausend Fässern Weines, den die Ritter des Schlosses darin aufgehäuft und seltsamerweise nicht selbst getrunken haben. Etwas von diesem Wein entrinnt alljährlich dem Bergesschoße, das mischt sich in seine Quellen, darum sind sie so erquicklich und labend – wenn aber nicht mehr für den Berg und überhaupt nicht mehr gebetet wird, dann sollen alle Fässer bersten und soll die Weinflut aus dem Berge strömen, und alles Land mit allem Vieh und Menschenkindern werden dann darin untergehen als in einer zweiten Sündflut; das wäre viel schlimm und des Guten zu viel auf einmal, darum sollen die Menschen den lieben Gott und das Beten nicht ganz und gar vergessen.

515. Doktor Luther verwünscht das Singerberger Schloß

Vom guten Singerberger Wein weiß die örtliche Sage seiner Gegend noch ein mehreres zu erzählen. Vorzeiten lebte droben ein Graf in großer Eingezogenheit, der in dem Ruf eines Schätze aufhäufenden Filzes stand. Ein junger Verwandter, welcher Lust hatte, den Alten möglichst bald zu beerben, verband sich mit einigen Schnapphahnen, die Burg zu überfallen, den Grafen zu töten und die Schätze zu teilen. Dieses führten sie aus und verbreiteten die Nachricht, der Graf sei gestorben. Der junge Ritter blieb im Besitz des Schlosses und führte mit seinen Raubgesellen ein zügelloses Leben, da haben sie den Reisenden aufgelauert und sie beraubt oder auf die Burg geschleppt und erst gegen hohes Lösegeld freigegeben. Einmal fingen sie eine vornehme Frau mit zwei Töchtern und Dienerschaft, um die entstand großer Streit, denn sie wollten dieselben nicht um Lösegeld ziehen lassen, sondern selbst besitzen. Wer den reichsten Fang tue, sollte die Schönste erhalten. So zogen die Ritter aus, nachdem sie die schönen Gefangenen der alten Schließerin auf die Seele gebunden hatten, daß die sie gut bewahre. Die erste Beute, die einem der Wegelagerer in die Hände fiel, waren einige Erfurter Mönche, und unter denen befand sich auch der Doktor Luther. Nur der letztere wurde als Geisel behalten und die andern entlassen mit dem Geheiß, Lösegeld für ihn zu senden. Ein Knappe sollte den Mönch bewachen, während der Schnapphahn weiter nach Beute strebte. Aber da ist der Knecht müde und schläfrig geworden und ist auf dem Rasen, darauf er saß, eingenickt, und Luther ist davongegangen. Da hat er über sich die stattliche Burg gesehen und gehofft, hier Schutz zu finden, da hat aber die gefangene Frau auf der Mauer gestanden und von der Zinne gerufen: Fliehe eilend! Hier wohnen Raub und Mord! Diesem Geheiß hat Luther willfahren wollen, ist aber einigen der Raub- und Rottgesellen in die Hand gelaufen und von diesen mit auf die Burg hinaufgeführt worden. Und da haben sie am Abend den gefangenen Mönch zu sich in ihr Zechgelag bringen lassen und von ihm verlangt, ihnen Liedlein zu singen und die Zeit zu vertreiben. Der Mönch stimmte scheinbar in ihren Ton ein, sang aber lateinische Formeln, die sie nicht verstanden, und deren geheime Kraft sie einschläferte. Als sie nun alle schliefen, auch die Knechte und die Schließerin, hat er die gefangenen Frauen mit deren Schätzen aus der Burg geführt und im Gehen eines seiner Lieder gesungen, und dann hat er die Burg verwünscht mit Mann und Maus, daß sie niemals wieder ein Menschenauge erblicken solle, als wer seines Liedes Melodie auf der Berghöhe ertönen lasse. Bald kam das Schloß in Vergessenheit, und es gingen viele, viele Jahre hin, und der Singerberggipfel blieb öde und einsam. Da hat einstmals ein Schäfer seine Herde hinaufgetrieben und von ohngefähr auf seiner Schalmei die Melodie jenes Liedes angestimmt, siehe, da ist das Schloß vor seinem Blick emporgestiegen mit offnen Toren und Hallen, und er hat sich hineingewagt, aber alles darin still und schlafend gefunden. Vom Wein, der da in Fässern und Krügen in Fülle vorhanden war, füllte er seine Kürbisflasche und verließ die Burg wieder, nach seiner Herde zu sehen. Da ist die Burg hinter ihm alsbald wieder hinweggeschwunden. Der Wein war köstlich und hatte die allerpreiswerteste Eigenschaft, er ward nicht alle, so viel auch der gute Schäfer davon trank. Aber die Burg fand er niemals wieder, sooft er sie auch suchte, denn er wußte den Zauber nicht, der sie ihm zeigen konnte, er dachte nicht wieder daran, auf dem Berggipfel die Melodie jenes Liedes zu blasen. Nach einiger Zeit war der Schäfer zu einem guten Freund gekommen, dem hat er sein Abenteuer mit dem Singerbergschloß erzählt und zu ihm gesprochen: Da koste nur einmal den Wein, wie aber der andere hat trinken wollen, hat er gesagt: Du Narr! Es ist ja nichts drin. – Und da ist es gerade gegangen wie mit den Bierkrügen der Knaben in Schwarza und wie mit dem Perchtenbier: als die Knaben ihr Geheimnis verplaudert, die Kürbisflasche war und blieb leer.

516. Paulinas Zelle

Vom Singerberg herunter und vom Dorfe Singen an seinem östlichen Fuße führt ein stiller Weg in ein noch stilleres Tal. Darinnen birgt sich die schönste und erhabenste aller Klosterruinen Thüringens: Paulinzelle, von welcher manche Sagen umgehen. Paulina, eine Tochter des Grafen Moricho, Truchseß Kaiser Heinrich IV., lebte, nachdem ihre Eltern tot waren, einige Zeit zu Merseburg bei ihrem mütterlichen Oheim, dem Bischof Werner, und wollte einst den Grafen in der Längwitz, Sizzo geheißen, der sich auch einen Grafen von Käfernburg und Schwarzburg nannte, besuchen. Sie ritt nur mit einer Zofe und einem Diener und verirrte sich in den damals ungeheuern und ausgedehnten Forsten. Der Diener wurde zur Kundschaft ausgesandt und kam nicht wieder, so war denn Paulina mit der Zofe allein in dem wilden Walde. Sie trieben ihre Saumtiere so lange vorwärts, bis diese vor Ermattung nicht weiterkonnten. Schon glühte das Sonnenlicht nur noch an den höchsten Wipfeln, als sie auf einer Wiese, welche zwei Bäche (Bären- und Rotenbach) umflossen, eine unbewohnte Köhlerhütte trafen und darin etwas von Kohlenstaub geschwärztes Brot und ein dürftiges Strohlager fanden. In der Nacht träumte Paulina, sie bete hier an einem Altare. Sie erwachte, errichtete von einigen daliegenden Holzstücken einen Altar, stellte ihr kleines Kruzifix, das sie am Halse trug, darauf und betete inbrünstig. Indes trat ihre Begleiterin aus der Hütte und erzählte ihren Traum, der wunderbarlich mit dem Paulinas zusammentraf. Das hielt Pauline für einen Wink von oben und beschloß, hier eine Zelle zu bauen. Am Morgen reisten sie weiter und kamen an ein ärmliches Fischerdörflein, wo sie kaum etwas Brot und Fisch erhielten. Dieses Dorf, Fischerau, wurde später von den reichlich belohnten Bewohnern zu Ehren der Gräfin Gräfinau genannt. Paulina erwarb bald darauf vom Grafen Sizzo Ländereien in dieser Gegend und führte ihren Entschluß aus, dort eine Zelle zu erbauen, darin sie mit den in diese Waldeinsamkeit ihr gefolgten Frauen frommen Betrachtungen sich hingab. Später mehrte sich das Frauenkloster, der Bau der großen Kirche wurde begonnen, auch später ein Mönchskloster hier errichtet. Die Kirche ward gar prachtvoll erbaut und mit mancherlei steinernem Bildwerk geziert, so unter andern auch mit einem Lindwurm, denn als Paulina einst den Rinnegrund hinaufreiste, wurde sie von einem greulichen Lindwurm, welcher – für die ganze Umgegend ein Schrecken – unterhalb Leutnitz in einer Höhle hauste, angefallen. Sie aber schlug ein Kreuz und rief ihren Schutzheiligen an, wodurch das Untier besiegt wurde. Zum Andenken an dies Abenteuer ließ sie den Lindwurm in Stein hauen, dessen Bild noch jetzt an einem erhaltenen Säulenkapitäl am Haupteingang der Klosterkirche zu sehen ist.

517. Paulina lohnt die Arbeiter wundersam

Während des Klosterbaues wohnte Paulina auf dem in der Nähe und nördlich von Paulinzelle gelegenen Kienberge in einem Hause, von dem sich noch jetzt Spuren finden. Von hier aus beaufsichtigte sie den Bau des Klosters, weil sie hier das ganze Tal und die Straße, auf der die Bausteine herbeigeschafft wurden, überblicken konnte. An jedem Abend kam sie mit einer Schürze voll Geld hernieder zu den Bauleuten, ermahnte sie zum Gebet und ließ jeden so viel Geld nehmen, als seine Hand faßte. Einst dachte ein Arbeitsmann durch einen tiefern Griff mehr als die andern zu ergreifen; aber beim Nachzählen fand er, daß er keinen Pfennig mehr oder weniger habe, als er verdiente. Diese Wundertat verschaffte Paulinen große Verehrung im Volke.

518. Die Kirchensäulen und der Teufel

Der Steinmetz, welcher den Plan zur Paulinzeller Kirche angab, faßte den Gedanken, die Kirche von beiden Seiten auf Säulen aus einem einzigen Steine zu stützen. Alle, die das hörten, wunderten sich über das kühne Unternehmen, und um es ausführen zu sehen, boten sich viele Maurermeister zu Gehülfen an. Paulina betete auf Bitten des Baumeisters allemal, wann eine Säule im Steinbruch gehoben wurde, für das Gelingen, und so waren alle Säulen bis auf zwei glücklich aufgerichtet. Als aber die zwei letzten gehoben werden sollten, wurde Paulina durch ein Gespenst im Gebete unterbrochen, und augenblicklich entstand eine Erderschütterung, welche die zwei Säulen zusammenneigte, so daß von jeder ein Stück abgeschlagen wurde. Aber der Steinmetz fügte die Stücke wieder so geschickt und so fest zusammen, daß sich männiglich über dessen Kunst und über die Macht des Gebetes der Gräfin verwunderte.

Der Baumeister hatte mit dem Teufel einen Bund geschlossen, daß ihm derselbe dabei helfe, und zum Lohne die erste Seele versprochen, welche die Kirche betrete. Da nun die Kirche fertig war und eingeweiht werden sollte, schob man zuerst ein Schwein durch die Türe, welches der Teufel aus Zorn und Scham über seine Überlistung wütend packte und mit ihm durch die Decke fuhr. Dabei hinterließ er nach seiner Art einen greulichen Gestank, der kaum den Düften des Weihrauches wich, und in der Decke blieb ein Loch, das nimmermehr wieder verschlossen werden konnte.

519. Wittekind, der schwarze Ritter

Nicht weit von Paulinzelle erhebt sich in einem felsreichen Waldtale Schloß Schwarzburg stattlich und schön, die auf der Stätte eines der ältesten thüringischen Burgbaue steht. Die Stammsage des Grafengeschlechtes von Schwarzburg kündet, daß einst ein naher Verwandter des großen Sachsenfürsten Wittekind, und den gleichen Namen mit diesem teilend, von Karl dem Großen gefangengenommen worden. Die Tapferkeit, die dieser Sachsenführer und seine Söhne bewiesen, habe Karolo wohl gefallen, und er habe jene zum Christentum bekehrt, habe sie taufen lassen und sei ihr Taufpate geworden. Da habe nun Wittekind, zubenannt der Schwarze, den Namen Ludwig empfangen, seine beiden Söhne aber, die Wittekind und Walperto geheißen, wären Karl und Ludwig genannt worden. Wittekind der Vater habe nun die Schwarzburg erbaut und sie seinem ältern Sohn zum Erbe bestimmt, Ludwig, der jüngere Sohn, sei Erbauer des Schlosses Gleichen geworden. Karl der Große erhob seinen Paten Karolus zu einem Grafen von Schwarzburg und begabte ihn mit einem Strich Landes im Thüringer Walde von zwanzig Meilen im Umkreis. Als der große Karl Ludwig den Bärtigen zu einem Grafen von Thüringen erhoben hatte, ordnete er ihm zwölf edle Vasallen zu, darunter waren auch die Grafen von Schwarzburg, die sich in sehr früher Zeit, schon im Jahre 1099, von Gottes Gnaden schrieben. Auch wurden sie später den Viergrafen des Reiches zugezählt. Das feste Haus Swartzinburg, wie die älteste Urkunde, die seiner erwähnt, schreibt, gehörte dem edlen Grafengeschlechte, ehe es noch von der Burg den Namen annahm. Der erste, der sich einen Grafen von Schwarzburg nannte, nannte sich auch zugleich einen Grafen von Thüringen und einen Grafen von Käfernburg. Sein Name war Sizzo, sein Vater hieß Gundar, aus welchem Namen später der erbliche Familienname der Fürsten von Schwarzburg, Günther, gebildet wurde, und lebte zu Ende des eilften und im Beginn des zwölften Jahrhunderts. Graf Sizzo wurde der Gründer des nahe bei Schwarzburg liegenden Dorfes Sitzendorf. Sizzos Söhne wohnten auf den Schlössern Schwarzburg und Käfernburg. Aus dem fürstlichen Hause Schwarzburg gingen in später Zeit hervor ein deutscher Kaiser, zwei Erzbischöfe, ein Großmeister des Deutschen Ordens und mancher heldenmütige Streiter.

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