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Deutsches Sagenbuch
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Vorbehalten    Inhalt     

  1. Geist Mützchen
  2. Gottes Gericht
  3. Des Mönchs Sprüchwort
  4. Die Perlenschoten
  5. Berggaben
  6. Meister Hämmerling
  7. Das wütende Heer auf dem Erzgebirge
  8. Kreuz und Kelch
  9. Des Fahnenjunkers Sprung
  10. Hans Jagenteufel

620. Geist Mützchen

Bei Freiberg ist ein Gehölz, das heißt der heimische Busch, und in demselben hauste vordessen ein Kobold, den die Leute Mützchen nannten und damit an den bekannten Kobold Hütchen erinnerten. Geist Mützchen gehörte zu jenen gespenstigen Hockelmännchen, die sich den Reisenden und solchen Leuten, die im Walde Geschäfte hatten, aufhockten und sich weite Strecken tragen ließen, bis die Leute ganz abgemattet waren und fast odemlos umsanken. Wenn sie ihn nun fast nicht mehr tragen konnten, hüpfte er von ihrem Rücken plötzlich weg, schnellte auf einen Baum und schlug ein schmetterndes Gelächter auf. Dies arge Possenspiel trieb Geist Mützchen absonderlich im Jahre 1573, und sind viele Personen durch sein Aufhockeln krank geworden. Mützchen glich in allem dem Geist Osschaert im Wanslande und machte gar wunderliche Grimassen, wenn es ihm beliebte, sich erblicken zu lassen. Eine Butterhökerin fand einen prächtigen Käse im heimischen Busch. Des Fundes froh und überrechnend, was sie dafür lösen werde, legte sie ihn in ihren Tragkorb, da wurde der Korb so schwer, so schwer, daß sie endlich von der Last niedergezogen ward und in die Kniee sank und den Korb abwarf, da rollte ein Mühlstein aus dem Korbe und in die Büsche, und aus den Büschen schaute Mützchen mit gellendem Gelächter, daher man auch von einem hell und grell Lachenden zu sagen pflegt: Der lacht wie ein Kobold. Den Namen aber hatte Mützchen von seiner Nebelkappe, die ihn unsichtbar machte, und wenn er sie abtat, so sah man ihn, und dann setzte er sie oft plötzlich wieder auf und war im Nu verschwunden, davon ist das Sprüchwort entstanden, wenn jemand etwas sucht und es an einem Orte gesehen zu haben überzeugt ist und es nun doch nicht finden kann, daß man sagt: Ja, da sitzt es und hat Mützchen auf – nämlich der Zwerglein unsichtbar machendes Nebelkäppchen.

621. Gottes Gericht

Sankt Benno, der Slaven Apostel, der im Heiligental bei Meißen die Frösche stumm machte, war ein Mann Gottes und Bischof zu Meißen vierzig Jahre hindurch und tat mächtige Wunder. Da regierte Markgraf Otto zu Meißen, der machte die Güter der Kirche sich zu eigen, denn er meinte, der Kirche gehöre kein irdisches Gut, sie solle sich am himmlischen genügen lassen. Sankt Benno stellte dem Markgrafen freundlich vor, daß er mit solchem Tun sich versündige, und er solle der Kirche zurückgeben, was er ihr genommen, oder den gerechten Richter fürchten, der alles Unrecht sehe und räche. Diese Rede mißfiel dem Markgrafen Otto über die Maßen, er hob die Hand und schlug hin und gab dem Bischof einen derben Backenstreich. Da rief Sankt Benno: Diesen Schlag wird Gott heute übers Jahr an dir, Markgraf, rächen! – Der Markgraf aber lachte und spottete: Du bist wohl des Herrgotts geheimer Rat und Himmelreichskanzler, Bischof? – Der Bischof schwieg und kränkte sich, und begann von dem Tage an zu kränkeln, und starb bald darauf mit frommem Gebet, und ward als ein Heiliger verehrt und betrauert. – Als das Jahr 1106 herum war und der Tag wiederkam, war der Markgraf frisch und gesund, und war ihm nichts Übles widerfahren, und gedachte, da der Tag fast herum war, des Bischofs und dessen drohender Prophezeiung, und sagte: Wo bleibt nun Bennos Weissagung? Sie ist in den Topf gefallen. Kaum hatte der Markgraf das Wort gesprochen, so durchschlug ihm des jähen Todes Hand Mark und Bein, daß er plötzlich zu Boden stürzte und nur noch schrie: Helft! Helft! Da war aber kein Helfer da und keine Hülfe mehr, es riß ihn die allgewaltige Hand des Todes vor das Gericht Gottes.

622. Des Mönchs Sprüchwort

Im Stift St. Afra zu Meißen war ein Mönch, der hatte einen besondern Haß gegen das weibliche Geschlecht und sich, wie jener Graf von Schwarzburg, ein häßliches Sprüchwort angewöhnt; sooft ihm vorkam, ein Mägdlein taufen zu müssen, oder daß ihm ein Taufzug begegnete, der ein Mägdlein zur Taufe in das Gotteshaus brachte, so sagte er: Erst getäuft, dann ersäuft. Solchen ungerechten Haß und solches Sprüchwort behielt er bei bis zu ziemlich hohen Jahren. Eines Tages ging er über die Meißner Elbbrücke, die zu ihrer Zeit als die künstlichste in ganz Deutschland gepriesen ward, obschon sie nur von Holz, da begegnete ihm wiederum ein Taufzug mit vielen Begleitern und nebenher sich drängenden Neugierigen, und der Mönch stellte sich ausweichend zur Seite, lehnte sich an das Brückengeländer und murmelte: Wieder eine! Ha – erst getäuft, dann ersäuft, das wäre das beste! – Indem so brach das Geländer, der Mönch stürzte kopflings hinab in den Strom und mußte elendiglich ersaufen. Solches ist im Jahr 1505 geschehen, und hat nachher der Mönch, gleichwie der zu Dresden, lange auf der Elbbrücke spuken müssen.

623. Die Perlenschoten

Zu Neustadt-Wiesenthal im Obererzgebirge war eine Zeit ein großes Sterben, da wohnte in dem Bergstädtlein Michel Rohdörfer, ein Exul aus Lutitz in Böhmen, der war mit seiner Frau und sieben Kinderlein der Religion halber herüber in das Sachsenland geflüchtet, als der Dreißigjährige Krieg sich angehoben hatte. Dieser Mann hatte ein Mägdlein von sieben Jahren, das hatte im Schutthaufen eines alten ausgegrabenen Kellers etliche Kapsamenstrünklein (Kappus, Kohl) aufgelesen und in den Garten ihres Vaters in die Erde gepflanzt, wo sie gut angingen, blühten und reiften. Da nun die Schötchen reif waren, nahm das Kind sie ab und klopfte sie aus, da hullerten kleine silberglänzende Körnlein heraus, und das Kind sammelte sie und trug sie zum Vater und sagte: Schau Vater, was ich funden habe! Patterlein! Schöne Patterlein! (Paternosterküglein). Der Vater sah mit Staunen, daß es echte Perlen waren, suchte selbst mit nach und fand in jedem Schötchen einige Perlen, sammelte davon mit dem Kinde ein ganzes Käsnäpfchen voll. Alle Welt, wem nur der Rohdörfer die Perlen zeigte, bewunderte sie und erkannte sie für echt an, namentlich mehrere Edelleute, die sich auch als böhmische Exulanten in Wiesenthal aufhielten. Von Annaberg kam eine Gräfin von Hauenstein eigens herübergefahren, stieg an Rohdörfers Hause ab und ließ sich etliche Samenschötchen von dem Mägdlein aufmachen, befand auch, daß es echte Perlen waren. Als sie aber selbst einige Schoten aufmachte, ging es ihr gleich andern, die dieses auch bereits versucht, die Perlen zerrannen ihr in den Fingern wie Tropfen Taues. Ei, sprach darauf die Gräfin, dies ist eine wunderbare Begabung und Begnadigung dieses glückseligen Kindes, das wir auf- und annehmen wollen, wenn der Vater es zufrieden ist! Ein anderer böhmischer Edelmann ließ den Vater mit allen seinen sieben Kindern zu sich kommen, betrachtete auch das Wunder und ließ die Kinder neu kleiden. In ihrem vierundsiebzigsten Jahre noch hat die Perlenfinderin dies selbst erzählt.

624. Berggaben

Bei Annaberg im Erzgebirge liegt der Schreckenberg, von dessen reicher Silberausbeute die schönen Münzen zuerst alldort geprägt worden, die man Schreckenberger nennt, deren Wert dreieinhalben guten Groschen betrug oder den sechsten Teil eines Meißner Güldens. Auf ihnen ist ein Engel zu sehen, der das sächsische Wappen hält, daher heißen sie auch Engelgroschen. Der Berg aber ist bekannt wegen seiner in ihm wohnenden Berggeister und seine Waldungen durchspukende Schreckgespenste. Nahe bei Annaberg liegt der Scheibenberg und der Ort gleichen Namens; auf diesem Berge ist es auch nicht geheuer, und hat sich darauf schon viel Wunderbarliches zugetragen. Im Jahre 1605 lebte zu Scheibenberg M. Laurentius Schwabe als Pfarrer, dessen Frau besuchten eine Anzahl Freundinnen aus Annaberg, und sie führte die willkommenen Gäste über und um den Scheibenberg, um ihnen dessen Gelegenheit und Aussicht zu zeigen. Da gewahrten sie am Wege eine Vertiefung wie von einer Wasserquelle, und es führten drei Stufen hinab, unten lag ein Klumpen, der glänzte, glühte und funkelte hell wie Gold. Die Frauen verwunderten sich und erschraken zum Teil, und keine hatte den Mut, etwas daraufzuwerfen. Sie eilten zum Magister Schwabe und erzählten dem, was sie gesehen, und geleiteten ihn nun selbst in den Wald, wo sie die Grube gesehen, allein wie sie auch suchten, sie konnten sie nicht wiederfinden.

Ein junges Liebespaar zu Scheibenberg war zu einer Hochzeit geladen, aber dabei so arm, daß es den Brautleuten keine Gabe schenken konnte, wie doch üblich, und wollte daher von der Hochzeit wegbleiben. Es ging an den Scheibenberg und sah da von ohngefähr ein Schachtloch mit einer eichenen Türe, zu der hinab einige Stufen führten. Sie hatten diesen Bergeseingang noch nie gesehen, gingen die Stufen hinab und sahen hinein. Da lag auf der untersten Stufe ein Fuchs, über den sie erst erschraken, doch da er sich nicht rührte, so gab ihm der Bursch einen Fußtritt, und da fand sich, daß der Fuchs tot war, aber noch nicht lange. Ei, sagte der Bursch, stirbt der Fuchs, so gilt der Balg! – trug ihn nach Hause, streifte den Balg ab, verkaufte ihn und konnte nun mit seiner Liebsten auf die Hochzeit gehen und sich allda lustig machen. Nach der Zeit suchte der Bursche jenen Eingang wieder aufzufinden, vermocht' es aber nicht, wie fleißig er auch immer suchte.

625. Meister Hämmerling

In vielen Bergen läßt sich der Berggeist erblicken, bald als Mönch, bald als Bergmann, meist riesenhaft, mit Augen wie Teller so groß und feurig. Häufig ist er hülfreich tätig, liebt und schützt fromme Bergleute, plagt und straft die bösen. Fluchen ist ihm verhaßt, das straft er am härtesten. Die Bergleute nennen ihn Meister Hämmerling oder auch den Bergmönch da, wo er in Mönchsgestalt sich zeigt. Er erscheint stets allein, ist in keiner Weise zu verwechseln mit den Bergmännchen, Erdkobolden, die zum Zwergenvolke gehören, die häufig in Scharen erscheinen, während die Sage den Riesen eignet, meist allein zu sein, höchstens zu zweien. In der Sankt Georgengrube zu Schneeberg erschien der Geist in Gestalt eines schwarzen Mönchs und ergriff einen Bergknappen, der sich in der Teufe ungebührlich aufgeführt, hob ihn auf und setzte ihn auf einer ehedem silberreichen Grube nieder, und so hart nieder, daß ihm das Hinterleder platzte und alle Rippen krachten.

Zu Annaberg war eine Grube, genannt der Rosenkranz, darinnen arbeiteten zwölf Knappen, die schwätzten untereinander possenhaft, wollten sich gegenseitig mit dem Berggeist fürchten machen und leugneten ihn als einen lächerlichen Popanz. Da mit einem Male sahen sie eine Roßgestalt mit langem Halse und mit feurigen Augen an der Stirn und erschraken zum Tode. Dann ward aus der Roßgestalt die wahre Gestalt des Bergmönchs, die trat ihnen schweigend nahe und hauchte jeden nur an. Sein Odem aber war wie ein böses Wetter, sie sanken tot nieder von des Geistes Anhauch, und nur einer kam wieder zu sich, gewann mit Mühe den Ausgang und sagte, was sich zugetragen, dann starb auch er. Darauf ist die silberreiche Grube, der Rosenkranz, zum Erliegen gekommen und nicht mehr angebaut worden.

626. Das wütende Heer auf dem Erzgebirge

Auf dem Schreckenberge, dem Scheibenberge und nach dem Kamm des Erzgebirges hinauf hat die wilde Jagd auch ihr Wesen und hetzt mit Hallo, Hörnerblasen und Hundegebell durch Luft und Kluft. Von Wiesenthal wollte eines Abends ein alter Priester frühzeitig nach Annaberg fahren; der Weg führte ihn lange hart an der sächsischen und böhmischen Grenze hin durch lauter Wald bis zum Städtlein Weipert, und der geistliche Herr fuhr zu sehr früher Zeit. Da erhob sich im tiefen Walde ein mächtig Jagdgetön, es schallte und knallte, es sauste und brauste – und waren doch weder Holzleute noch Jäger zu erblicken. Da nun der Priester ängstlich wurde ob des noch nie vernommenen Lärmens und den Fuhrmann fragte, was dieses Getöse sei und zu bedeuten habe, so antwortete dieser: Sorget Euch nicht, hochwürdiger Vater; es ist das wütende Heer, das tut uns nichts, wenn wir in Gottes Namen fahren! Und fuhr redlich hin.

Ein edler Junker des Namens Rudolf von Schmertzing, Erbsaß auf dem Hammergut Dörßel, hatte am Abend zu Annaberg manchen guten Trunk getan, wie Ritter Hermann von Hellerstein bei Treffurt in Creuzburg, und ritt in gleicher Verfassung ganz allein seines Weges nach Hause. Er ließ Buchholz links liegen, Dörßel rechts, ritt durch Schlettau und wollte durch die Unter-Scheibner Räume den Weg nach den Scheibner Mühlen zu nehmen, da hörte er auf den zum Fichtelberge hinansteigenden Höhen Jagdlärm von Hörnern und Hunden und ritt diesem lange nach, bis er endlich verirrt war und sein Pferd in einem Sumpfe stak. Mit Mühe gelang es ihm, sich selbst herauszuarbeiten und ein Vorwerk zu erreichen, wo er Leute gewann, die mit Seilen und Stangen das Pferd aus dem Moraste zogen.

Zu einem Manne, der am Wielenauer Berge mit einem Pferde arbeitete, ist ein angeschirrtes fremdes weißes Pferd ganz plötzlich gelaufen gekommen und hat sich selbst zu dem einen Pferde gespannt, da ging die Arbeit gar merklich rasch vonstatten, aber den Ackermann befiel eine bange Ahnung, und er wußte nicht, was er tun sollte; da es nun Mittagszeit war, so wollte er ausspannen, aber das andere fremde Pferd ging durch und riß das seinige mit sich fort, und rannen auf den nahen Tümpfel zu. Der erschrockene Ackermann rannte mit, hing sich an sein Pferd, fluchte und betete, da riß endlich jenes Pferd sich los und sprang mitten in den Tümpfel hinein, und jener behielt sein Pferd – in großer Bestürzung.

627. Kreuz und Kelch

Unter Annaberg liegt am Flüßchen Zschopau die kleine Stadt Wolkenstein und über ihr das gleichbenamte Schloß auf hohem Fels. In dieses Felsen schroffe Wand gewahrt der Wanderer ein großes Kreuz und einen Kelch tief eingehauen, und es geht die Sage, daß zu jener Zeit, als die Hussitenschlacht bei Aussig im Jahre 1426, welche für Sachsen so verderblich war, erfolgte, der Feind in das Sachsenland eingebrochen sei und auch das Erzgebirge verheerend überschwemmt habe. Da haben sie auch das Städtlein Wolkenstein berannt und eingenommen und sodann die Burg gestürmt, in welcher ein Priester die Besatzung zu mannhafter Verteidigung anfeuerte. Er hielt ein Kreuz in seiner Hand statt des Schwertes und kämpfte mit dem Schwert des Wortes für den alten Glauben. Als nun endlich auch Burg Wolkenstein überwältigt war und der mutige Priester in der Feinde Gewalt, da bedrängte ihn der Hussitenführer, überzugehen zu den Brüdern des Kelchs und dadurch sein Leben zu retten. Aber der Priester blieb unerschütterlich standhaft, er wollte seinem alten Glauben leben und sterben. Letzteres widerfuhr ihm schnell genug; die Feinde stürzten ihn samt seinem Kreuze die senkrechten Felsen von Wolkenstein herab, daß im jähen Sturz des Frommen Gebeine zerschmetterten, und schwangen jubelnd von der Mauer dicht darüber das Banner des Kelchs. Hernachmals, als die Hussiten die Gegend wieder verlassen, haben fromme Hände zum Andenken des Martyrers das Kreuz und den Kelch tief in den Felsen eingegraben.

628. Des Fahnenjunkers Sprung

An der Elbe linkem Ufer über Meißen liegt auf einem aussichtreichen Berge die Trümmer der Burg Scharfenberg, welche Burg schon Kaiser Heinrich I. erbaut und Kaiser Otto I. vollendet haben soll. Die Burg war nach und nach ein Lehen mehrerer namhafter Ritterfamilien, so der Vitzthume von Eckstädt, derer von Schleinitz und von Miltitz, deren einer, Haubold, bald nach dem Dreißigjährigen Kriege die Burg ganz neu baute. Aber im August 1783 ward sie durch einen Blitzstrahl entzündet und durch die Flamme zur Ruine. Im Dreißigjährigen Kriege lag eine Besatzung auf der Burg, da geschahe ein Überfall des Feindes und überwältigte die schwache Bemannung der Burg. Der Fahnenjunker, der sein Banner ergriffen hatte, zog sich kämpfend zurück, jeden Schritt verteidigend, einer nach dem andern seiner Kameraden fiel. Fest hielt er die Fahne, endlich stand er noch ganz allein, von einem wildandringenden Feind umgeben. Solange ich lebe, sollt ihr die Fahne nicht haben! rief er aus, und im höchsten Augenblick der Gefahr, wo der Kampf bis in ein Zimmer des Oberschosses sich gezogen, stieß der Sturm einen Fensterflügel des Zimmers auf, in dem der Fahnenjunker sich nur noch schwach verteidigte. Das nahm er als einen Wink von oben, stieß mit der Wucht des Fahnenspeeres noch zwei Feinde nieder, kehrte sich schnell, die Fahne voraus, nach dem Fenster und sprang, sich Gott befehlend, in den tiefen Abgrund. Und ein Wunder trug ihn samt seiner Fahne unversehrt zum Grunde. Hernach hat sich die Sage verbreitet, der Ritter an der Hauptseite des Schlosses Scharfenberg, der eine Wappenfahne hält, solle diesen mutigen Kämpfer vorstellen und sein Andenken verewigen.

629. Hans Jagenteufel

Zu Dresden ging am 13. Oktober 1644 Sonntags früh eine Frau mit ihrer Tochter in die Heide und lasen Eicheln auf bis mittags elf Uhr. Da sie zur Predigt läuten hörten, ging die bereits verheiratete Tochter von der Mutter hinweg und nach der Stadt zurück. Es regnete stark, und eine Viertelstunde später befand sich die Mutter in einem Waldgründchen links der Radebergischen Straße in der Nähe der Stelle, wo man es das verlorene Wasser nennt. Da hörte sie den Schall eines stark geblasenen Jägerhorns, dann einen krachenden Fall, wie wenn ein Baum fiele, glaubte Förster nahe und barg ihr Eichelsäcklein im Gebüsch; darauf hörte sie noch einmal den Hornschall und sah gleich darauf einen Jäger ohne Kopf auf einem Grauschimmel mit aller Jagdwehr, Hirschfänger und Hifthorn, im langen grautuchenen Rock, gestiefelt und gespornt. Er ritt anfänglich etwas geschwinde, dann langsam und still vorüber, und sie konnte ihm ziemlich weit nachsehen. Hierauf setzte sie ihr Eichelsuchen fort und ging erst am Nachmittage nach Hause. Neun Tage später ging dieselbe Frau allein in die Heide, sammelte wieder Eicheln, setzte sich der Radebergischen Straße rechts am Fürstenberge ins Gebüsch und begann einen Apfel zu schälen, da scholl hinter ihr eine Stimme: Habt Ihr den Sack voll? Seid Ihr nicht gepfändet worden? Ihr habt wohl gute Förster? – Sie antwortete: Die Förster sind fromm, sie haben mir nichts getan. Ach Gott, bis mir Sünder gnädig! – Da sie nun zur Seite aufwärts sahe, erblickte sie denselben Mann, aber ohne Pferd, an ihrer Seite, der hatte den Kopf mit bräunlichem Kraushaar unterm Arm und sprach: Ihr tut wohl, daß Ihr um Vergebung der Sünden bittet, mir hat es also gut nicht werden sollen, und die Förster tun wohl, wenn sie den Armen nicht allzu scharf sind. Dadurch kam ich vor hundertundeinunddreißig Jahren in die Verdammnis. Mein Vater – o daß ich ihm nachgefolgt wäre – hieß Hans Jagenteufel, wie ich, sein einziger Sohn. Wir waren beide hier Förster. Sage den Menschen, sie sollen Buße tun! Große Strafe wird Gott über Dresden verhängen, zwei neue Heere werden kommen, eins ist schon im Anzuge. Gott droht mit einem so großen Sterben, daß an Totengräbern Mangel sein wird. Saget es, daß die Menschen abstehen sollen von ihren Lastern. Dann wird Gott das nächste Jahr segnen mit Früchten aller Art. Wollet Ihr das ansagen? Gebt mir die Hand darauf! – Das heftig erschrockene Weib stand verstummt und zitternd. Wollet Ihr es sagen? fragte noch einmal der Mann, und sie stammelte ein: Ja! – So gebt mir die Hand darauf! – Und sie tat es in Gottes Namen, und die Hand des Mannes war kalt wie Schnee, und sie zuckte zurück mit unsäglichem Grauen. Der Mann aber sprach wieder: Fürchtet Euch nicht! Euch scheint meine Hand kalt anzufühlen, mir aber brennt sie ewiglich und ohn Ende – ich quäle niemand – oh – ich bin selbst gequält! – und damit verschwand Hans Jagenteufels ruheloser Geist. – Wohl verkündete die Frau die gehabte Erscheinung, aber die Menschen haben sich wenig gebessert und sind selbst Jagenteufel geblieben nach allen Lüsten.

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