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Deutsches Sagenbuch
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  1. Vom wütenden Heer
  2. Die Haßfurtjungfrau mit der Glücksblume
  3. Vom Frickenhäuser See
  4. Nix Schlitzöhrchen
  5. Die Alpnonne
  6. Vom Grimmental
  7. Der grünende Pfahl
  8. Das Gebet der Mutter
  9. Stein auf dem Herzen
  10. Die Wasunger Streiche

730. Vom wütenden Heer

Alte Leute wissen noch etwas vom wütenden Heer und vom wilden Jäger zu erzählen, wie sie über Neubrunn und seine Berge und Täler gezogen sind, am meisten aber im Herbst, wenn recht finstere und schaurige Nächte waren; aber die jungen Leute wollen nicht daran glauben, sie belachen das, was die Alten gesehen und gehört haben. Wenn das wütende Heer nun einmal vorüberzieht und die Alten sprechen: Jetzt zieht das wütende Heer!, so sprechen die Jungen: Der Wind heult und pfeift, oder es kann sein, daß Schneegänse oder Kraniche schreien. – Es zieht aber doch. Sonst, sprechen die alten Leute, zog es immer in Neubrunn durch drei Häuser; das kam daher, weil in den Häusern drei Türen gerade hintereinander waren, nämlich vorne die Haustüre, in der Mitte die Küchentüre und hintenhinaus noch eine Türe, die alle in gerader Richtung gingen, und wo sich die drei Türen bei einem Hause in gerader Richtung finden, da zieht, es mag sein, wo es nur will, das wütende Heer durch. Die Alten sagen aber auch, wenn man auf der Straße oder im Hof wäre und das wütende Heer zöge, so müßte man seinen Kopf zwischen die Speichen eines Wagenrades hineinstecken, dann könnte es einem nichts tun, und es müßte vorbeiziehen, sonst drehte es einem den Hals herum. So hört man auch in Maßfeld noch von alten Leuten, das wütende Heer sei den Zinkenstill (ein Teil des Waldes Still) herab über die Kreuzstraße bei der Reumeserbrücke, wo es überhaupt nicht geheuer sein soll, dann über die Berge nach Dreißigacker gezogen. Viele wollen es gesehen und gehört haben und bekräftigen es mit allen Eidschwüren.

Auch in Roßdorf im Rosagrunde zwischen Meiningen und Salzungen wird das nämliche erzählt; wer es höre, müsse sich schweigend zu Boden werfen, sonst werde er mit hinweggeführt über Wald und Wipfel. Und vernimmt man in diesen Gegenden stets aus der Landleute Mund nur den Ausdruck wüteninges (wütendes) Heer, nie, wie in andern deutschen Gauen, die Benennung wilder Jäger.

731. Die Haßfurtjungfrau mit der Glücksblume

Bei Meiningen ist ein Bergwald gelegen, darinnen liegt eine alte wüste Burgstätte mit einem gar tiefen Felsenbrunnen. Das soll ein Raubschloß gewesen sein; dicht unter ihm zog die alte Frankenstraße hin, und das stand in Verbin/dung mit der alten Burg Landswehr, die nah dabei liegt. Im Schooße beider Burgen sollen noch große Schätze liegen. Dort läßt sich nun alle hundert Jahre die sogenannte Haßfurtjungfer sehen, in weißer Kleidung mit einem Schlüsselbund; ein schwarzer Hund folgt ihr bisweilen. Wenn die Zeit da ist, wo sie erscheinen darf, ist ihr vergönnt, ein ganzes Jahr lang zu wandeln, dann wird sie häufig erblickt auf der alten Burgstätte, wie in der Waldung und unten im Thale, und bemüht sich, Menschen zu finden, welche den Schatz heben, denn an die Hebung des Schatzes ist ihre Erlösung geknüpft. Vor mehr als hundert Jahren hatten einige Prinzen ein Jagen angestellt, und der Hofjäger war mit mehrern Burschen voraus, das Nöthige anzuordnen. Als das geschehen, harrten die Jäger der Herrschaft an einer geeigneten Stelle, und zwar unter dem Berg, darauf damals noch die Trümmer der Haßburg standen, da wurden die Waidgesellen geworfen, erst mit Erde, dann mit Mörtel und kleinen Steinen. Sie glaubten, es seien Kameraden von ihnen da oben versteckt und neckten sie; aber das Werfen hörte nicht auf, und es kamen immer größere Steine geflogen. Da schalt der Hofjäger und eilte den Berg hinauf, mitten durch den Steinregen. Oben aber war Niemand, und es warf nicht mehr, und war alles todtenstill. Und wie er sich umwandte, siehe, so stand schleierweiß die Haßfurtjungfrau vor ihm, nur einen Augenblick, und von ihrem Schlüsselbund fiel ein Schlüssel; schnell verschwand sie. Der Jäger sah zur Erde, da lag der Schlüssel wirklich und zwei schöne gold/gelbe Blumen standen da. Er hob den Schlüssel auf, achtete aber der Blumen nicht. Unterdeß war die Herrschaft unten im Thale angekommen, und er eilte zurück und zeigte seinen Fund. Stand weiter nichts dabei? – fragte gleich Einer aus dem Zuge. – Ja, zwei gelbe Blumen, – antwortete der Finder. – Hättet Ihr diese gepflückt, wäret Ihr glücklich gewesen! – Flugs eilte der Hofjäger wieder den Berg hinauf, die Blumen zu pflücken, sie standen aber nicht mehr da. Oft soll die Haßfurtjungfrau erschienen sein; der Schatz ist noch ungehoben, vergebens sucht man den Zugang zum Burgkeller. – Einen fremden Schlossergesellen, der nie in diese Gegend gekommen war, träumte einst, daß unter den Ruinen der Haßburg ein großes Gewölbe sei voll Rüstzeug, Waffen und Gold; er solle hingehen und den Schatz heben. Zum Wahrzeichen werde er ein Messer mit hirschhornenem Griff finden. Er ging in den Wald, fand die Burg und das Messer, aber es lag auf einem Felsen, und er wußte weiter nichts damit anzufangen.

Ganz ähnlich wird dieselbe Sage vom Landsberg erzählt. Dort stand dem beglückten Hofjäger schon der Berg offen, er wollte eben hinein, da hörte er unten im Thale die Jagdhörner, die Herrschaft war da, und er glaubte vom Landesherrn seinen Namen laut rufen zu hören, steckte den Schlüssel ein, die Blume auf den Hut und eilte zurück. Als die Jagd vorbei und der Kammerherr des Dienstes ledig war, ritt er eilig wieder auf den Landsberg und suchte die Thüre, die hinter ihm zugefallen war. Aber er fand sie nicht wieder, und fand, daß er auch die Blume verloren habe. Keine zweite Glücksblume wuchs für ihn, und er/ zog traurig heim. Der alte Schlüssel, sagen einige, soll noch vorhanden sein und in einem Archiv liegen.

732. Vom Frickenhäuser See

Unter der alten Stammburg Henneberg führt die Land- und Heerstraße von Meiningen aus in das gesegnete Frankenland. Da kommt man bald in den Grund der Streu, die von Ostheim herrinnt und der fränkischen Saale ihr stillfließendes Gewässer zuführt. Dort liegt, nicht gar weit von Mellrichstadt, das Dorf Frickenhausen und sein weitberufener See, ein stilles und tiefes Wasser, fast rundum von hohen Bäumen umschattet und von unergründlicher Tiefe, von steilen Bergen umgeben, der Frickenhäuser See. Sein Wasser ist hell, hat einen natürlichen Geschmack und wird ungeachtet des geringen Abflusses doch nicht faul. Wunderbar sind die Sagen und Mären, welche die Bewohner jener Gegenden über diesen See zu erzählen wissen oder doch wußten. So behaupteten einige, der See trage auf seiner Oberfläche durchaus keinen Körper, sondern verschlinge ihn urplötzlich, wie dort in Westfalen das Heilige Meer. Neue Versuche haben freilich gerade das Gegenteil dargetan. Andere wollen riesenartige Fische in ihm gesehen und von den Ahnen gehört haben, der See werde dereinst mit Gewalt ausbrechen und ganz Franken überschwemmen; denn er sei eine Ader des Meeres. Deshalb beten auch viele Bewohner der Gegend zu Gott, daß er sie diesen Ausbruch des Sees nicht möge erleben lassen, und in der Domkirche zu Würzburg würde, so sagen sie, alljährlich eine Messe gelesen, daß Gott die Überschwemmung Frankens durch den Frickenhäuser See verhüte. Darum getraue man sich auch nicht, mit einem Kahn das rätselhafte und verrufene Wasser zu befahren. Fische sollen darin sich aufhalten, aber nur selten zu Gesicht zu bekommen sein. Im Jahre 1793 erblickte ein Jäger aus der Nachbarschaft einen Fisch, der an Größe einem ausgewachsenen Schweine nicht viel nachgab. Die Kunde von diesem Fisch verbreitete sich weit umher und rief Leute in Menge herbei, um diesen großen Wunderfisch zu sehen und anzustaunen. Allein niemand sah ihn mehr. Ein anderer Jäger schlief einst an dem Ufer ein und hatte die mit einer Kugel geladene Büchse neben sich liegen. Ein heftiges Geräusch im See erweckte ihn, und hinblickend gewahrte er zwei riesige Fischungeheuer, die sich oben an der Seefläche zeigten. Sogleich ergriff er sein Gewehr, zielte und schoß nach einem der Riesenfische, worauf beide sogleich untertauchten. Aber einige Schuppen schwammen von dem getroffenen auf dem Wasser, die der Jäger auffischte und den Leuten zeigte; sie waren so groß wie ein zinnerner Teller. – Oft trübt sich das Wasser dieses Sees, wenn auch in der ganzen Gegend kein Regen ist, und bei der anhaltendsten Dürre nimmt er nicht ab, obwohl man glaubt, daß die bei Sturmwetter sich trübende starke Quelle, die im Streugrunde bei Mittelstreu mit starkem Brausen hervorbricht und gleich bei ihrem Ursprunge einige Mühlen treibt, dem unterirdischen Ausfluß des Sees ihr Wasser danke.

733. Nix Schlitzöhrchen

So klein und schmal das Wiesenflüßchen, die Streu, auch ist, so wohnt doch in ihm ein neckischer Nix und treibt sein Wesen im Streugrunde unter und über Mellrichstadt von Stockheim bis Heustreu, wo das Flüßchen in die Saale fällt. Dieser Nix heißt Schlitzöhrchen, weil er geschlitzte Ohren hat; er hat seine Lust daran, Leute, die über die Streu gehen, in das Wasser zu ziehen und sie tüchtig unterzutauchen. Es kommt ihm auch nicht darauf an, sie ganz zu ersäufen. Das ist nach der alten Leute Aussage schon gar manchem widerfahren. Woher nur die Kobolde und Nixen ihre neckischen Namen haben, deren Zahl legionenmal verschieden ist? Dort im alten Preußenlande, zu Prassen bei Lauenburg, hießen ein paar Fingerlinge Rotöhrchen und Gelböhrchen. Es ist, als ob der Name Öhrchen auf etwas Geheimnisvolles hindeute, auf das Horchende. Am Kraute Mausöhrchen (alter Name Auricula muris, neuer:Hieracium murorum, nebst vielen andern Arten, darunter auch eine Hieracium auricula und eine geschlitzte Abart, Hieracium sylvaticum, das Schlitzöhrchen der Pflanzenwelt) finden sich, sonderlich an denen, so nach Johannis blühen, unten am dicksten Teile der Wurzel zwischen den Fäserchen der alten Blätter rote Tropfen gleichsam eingewickelt. Etliche nennen das Johannisblut und halten dafür, wenn jemand am Johannistage oder um diese Zeit mittags zwölf Uhr ein solches Kraut aushebt und den roten Tropfen auf seine Hand fallen läßt, so könne er daraus ein Prognostikon seines Lebens nehmen, je nach der Dauer der Farbe; läßt sie sich gleich auswaschen, so stirbt er noch im selben Jahre. Aber auch die Tierwelt hat ihr Schlitzöhrchen, das ist die Ohrlitze, der Ohrwurm, Forsicula auricularia L., und den Namen Schlitzöhrchen führt er im Werragrunde bis zum Streugrunde hinüber. Der inniggeistige Zusammenhang der Sagenwelt mit dem Naturleben ist ein zwar nicht mehr unentdecktes, aber doch noch fast ganz unerschlossenes Land, ein Kalifornien voll des Zaubergoldes der Poesie.

734. Die Alpnonne

Nicht weit vom Streugrunde lag ein Nonnenkloster, Wechterswinkel geheißen; im selben Kloster diente ein junger, bildhübscher Knecht, den drückte oft das Alp, und wußte sich gar keinen Rat, dem Übel abzuhelfen. So klagte er einem weisen Manne seine Not, und der sagte ihm, es sei nichts leichter, als das Alp zu bannen, der Knecht solle nur, wenn es wieder drücke, herzhaft dahin greifen, wo er es fühle, und das festhalten, was er fasse, und einsperren. Diesem Rat folgte der Knecht, und als das Alp ihm wieder heftig drückend auf der Brust lag, so griff er zu und faßte – eine Flaumfeder. Obschon er nun nicht glauben konnte, daß diese leichte Feder ihn gedrückt, so war es ihm plötzlich federleicht zumute, aller Druck war hinweg, er sprang aus dem Bette und schloß die Feder in ein kleines Kästchen. Am andern Morgen ging ein Geschrei durch das ganze Kloster, es sei eine Nonne in ihrem Bett erstickt und also tot gefunden worden. Zufällig begegnete der Knecht dem weisen Mann und erzählte ihm das mit der Flaumfeder und auch als etwas Neues, daß eine Nonne erstickt sei. Da sprach jener Mann: Um Gottes willen schließe deinen Kasten auf und lasse die Feder fliegen! Der Knecht tat’s, und da flog die Feder gerade in die Zelle der gestorbenen Nonne, wo das Fenster offenstand, und zur Stunde wurde jene wieder lebendig. Der Knecht hatte nie wieder Alpdrücken. Die Nonne war das Alp gewesen, gleich jenem Frauenbild in der Ruhl, nur daß der Ruhlaer mehr mit seinem Alp erlebte.

735. Vom Grimmenthal

Wo sich vom Dorf Einhausen das von der Hasel durchflossene Thal über Ellingshausen nach Schwarza hin zieht, nannte man es ehedem das grüne Thal, wegen seiner Grüne. Dort hat am Ausgang des grünen Thales in das Thal der Werra ein alter Bet- und Opferstock mit dem Bilde der Jungfrau Maria gestanden, unter einer mächtig großen Linde, vom Gestripp umwachsen und fast ganz vergessen. Nun trug sich's zu, daß ein Rittersmann, Heinz Teufel, der in Obermaßfeld wohnte, auf einem Jagdritt von schwerer Leibesschwachheit überfallen wurde, sich zu dem Bilde schleppte/ und dort um Hülfe flehte. Und da sein Geprest alsbald ein Ende nahm, schrieb er es dem Bilde zu, verkündete dessen Wunderkraft, machte eine fromme Stiftung und baute eine Kapelle über das Holzbild. Darauf erhob sich eine große Wallfahrt, und der Ruf des wunderthätigen Marienbildes breitete sich nach allen Seiten aus, so daß die Menschen aus allen Landen schaarenweise gezogen kamen, Lahme, Blinde, Taube, Preßhafte aller Art, davon es vielen im Traum vorgekommen war, sie würden im Grimmenthal, wie man die Wunderstätte im grünen Thal hernach nannte, Hülfe und Genesung finden. Und Vielen half der feste Glaube. Darum baute hernach der Fürstgraf Wilhelm von Henneberg an den Ort eine prächtige Wallfahrtkirche. Viele Wunder that die Mutter Gottes im Grimmenthal, davon nur eins: In Meiningen saßen drei Gefangene in harter Verstrickung im großen Burgthurm, die riefen die Maria vom Grimmenthal an, und siehe, sie erschien ihnen und erledigte sie ihres Gefängnisses, daß sie ohne menschliche Hilfe frei und ledig gingen, diese nahmen alsbald ihren Weg nach Grimmenthal, prießen und dankten. Es sind in Grimmenthal in einem Jahr 44,000 Waller gewesen, und es klingt wunderbar, wenn man ließt, daß 1503 zur Pfingstzeit auch gegen 300 mohrische Ritter, welche durch Schlesien hergezogen kamen, dort ihre Andacht verrichteten. Doctor Luther eiferte sehr gegen diese Wallfahrt, sprach und schrieb/ von ihr: daher ist kommen der große Betrug des Teufels mit dem Wallfahrten in das Grimmenthal, da die Leute verblendet, als wären sie toll und thöricht, Knechte und Mägde, Hirten, Weiber, ihren Beruf ließen anstehen und liefen dahin. Ist recht Grimmenthal, vallis furoris. – Und bald nach der Reformation nahm die Wallfahrt ein Ende. Jetzt steht an der alten Wallfahrtstätte ein schönes Hospital, und die Grimmenthalslinde, darunter das Muttergottesbild stand, grünt und blüht noch in jedem Sommer. Sie mißt 36 Fuß im Umfang.

736. Der grünende Pfahl

Nahe beim Dorfe Untermaßfeld erhebt sich der Hexenberg, so genannt, weil auf ihm die Hexen nicht etwa tanzten, sondern verbrannt wurden, und zwar sehr viele. So war auch ein armer Junge aus Leutersdorf, Namens Hans Schau, der Hexerei angeklagt, wurde im Amt zu Maßfeld torquirt (gefoltert, sk) und mußte, wie sehr er auch seine Unschuld betheuerte, bekennen, daß er ein schädlicher Hex sei, und da kam es von Jena, daß er verbrannt werden sollte. Der Jüngling wurde zum Dorfe hinausgeführt, über die Werrabrücke, die Hexentreppe, davon noch Rudera (Überreste, sk) sichtbar, und den Berg hinauf; viel Volk lief mit. Als der arme Sünderzug den Berg etwa halb hinauf war, kam man an eine Stelle, wo ein Bauer Pfähle einschlug, um junge Bäume daran zu binden. Da wandte sich bei einem dieser Pfähle der Jüngling weinend nach dem Volk, hob seine gefesselten Hände gen Himmel und rief: so wahr ich unschuldig zum Tode geführt werde, so wahr wird Gott ein Zeichen thun und geben, daß dieser dürre Pfahl ausschlagen und zum starken Baume werden wird! Die Richter und das Volk aber lachten sein, und oben ward er verbrannt. Wie Alles wieder herunter kam, blieben einige bei dem Pfahl stehen, und siehe, da sproßten grüne Blättlein heraus und braune Zweiglein, aus denen Knospen brachen, und lebendiges Grün sprang aus dem todten Holz. Deß wunderte sich Jedermann und ging nachdenklich nach Hause. Und seitdem ist keine Hexe und kein Hexenmeister mehr im Henneberger Land verbrannt worden. Der Pfahl wurde eine starke Buche, die einzige am Hexenberg, der mit Nadelholz bewachsen ist, und steht noch im ehemaligen Köhlers Berggarten, wo jeder sie sehen kann.

737. Das Gebet der Mutter

Ohnweit des Schlosses Landsberg und dem Haßfurtwalde erhebt sich der hohe Gebaberg, an diesem auf der Seite nach Meiningen zu, nicht weit vom Dörflein Träbes, liegt ein tiefer Erdfall, insgemein das Träbeser Loch genannt, und unten am Fuß der Geba liegt das Dorf Seba und nahe dabei ein kleiner See. Vor alten Zeiten war das Träbeser Loch bis an den Rand voll Wasser, und an der Stelle des Sees erblickte man die schönste und fruchtbarste Wiese im ganzen Thal. Diese war Eigenthum einer reichen, hochbetagten Wittwe. Die Wittwe ward krank, und ihre beiden Söhne traten an ihr Lager, als sie in großer Schwachheit lag, glaubten, sie schlummere, und begannen sich untereinander über ihr Erbe zu besprechen, und wie sie miteinander theilen wollten, wurden auch/ fertig miteinander, bis auf die Wiese, die wollte jeder ganz und ungetheilt besitzen, und von den leisen Worten kam es zu lauten, so daß sich die Brüder am Sterbebette der Mutter zankten, und daß einer drohte, den andern todt zu schlagen, worauf sie voll Zorn die Stube verließen. Die kranke Frau hatte alles gehört, ward schmerzlich bewegt in ihrem Herzen und richtete ein flehendliches Gebet zu Gott, daß er verhüten möge den Bruderzwist, vielleicht den Brudermord, um einer Wiese willen, und daß er doch möge die Hoffnung beider auf dieses Erbstück zu Wasser werden lassen. Und Gott erhörte das Gebet der Mutter, den als der nächste Morgen anbrach, so war von der Wiese keine Spur mehr zu sehen, sondern an ihrer Stelle war ein großer Wasserspiegel ausgebreitet. Niemand wußte sich zu erklären, woher auf einmal die Wassermenge, bis Bauern aus Träbes vom Berg herunter kamen und berichteten, daß in der vergangenen Nacht ihr See verschwunden und an dessen Stelle ein furchtbar tiefer, trichterförmiger Kessel sichtbar sei. Da entsetzten sich die Brüder und versöhnten sich am Lager der Mutter, welche Gott und sie segnete, und starb.

738. Stein auf dem Herzen

Im Rosagrunde liegen zwei Dörfer, Eckards und Frittelshausen, nicht gar weit voneinander, da soll vorzeiten in jedem ein Graf gewohnt haben, und das sollen Brüder gewesen sein. Beide sollen um der Jagd willen uneins geworden sein, und der Eckardser Graf soll den Frittelshäuser entleibt haben. Diese schwere Sünde zu büßen, sei der Eckardser zu Fuße nach Rom gepilgert, und da habe der Pabst ihm auferlegt, an der Stelle des Mordes ein Kloster zu begründen, von Eckards bis zu jener Stelle den ersten Stein zum Kloster auf seinem Herzen zu tragen und dann in dasselbe als Mönch einzutreten, damit er seiner Sünde los werde. Dieses habe er auch also alles vollbracht und das Kloster Sünderhaus genannt. Das war das später Sinnershausen genannte Wilhelmiterkloster, längst zerstört und jetzt eine herrschaftliche Besitzung. Noch steht alldort in einer Mauerblende, obschon arg verstümmelt, das hohe Steinbild eines Mannes von edler Gestalt, ritterlich, nicht mönchisch, mit gelocktem abwallenden Haupthaar, in der einfachen Gewandung des dreizehnten Jahrhunderts, auf der Brust, mehr nach der linken Seite zu, einen großen eckigen Stein, und geht die Rede von Kind zu Kind, das sei des Klosters Gründer. Nie aber hat das Kloster Sündershaus geheißen, dies ist spätere Namensverstümmelung; das Kloster hieß nach ältester urkundlicher Schreibart Syndeloshusen, darum, daß der büßende und bereuende Brudermörder seiner Sünde los geworden und mit dem Himmel versöhnt war.

739. Die Wasunger Streiche

Der deutsche Süden hat seine Wunderklugen wie der deutsche Norden; warum sollte das innere Deutschland leer ausgehen? Wer hätte nicht von Schwabenstreichen gehört oder von des Nordlands und Nordstrands witzreichen Leuten? So muß auch das Städlein Wasungen im Meininger Lande, gleich Ummerstadt und gleich Schnett in demselben Lande, sich solche Streiche nachrühmen lassen und muß sich mit den bekannten schlimmen Trost trösten: andern geht’s nicht besser, denn es hat Genossen in Schilda und Schöppenstedt, Polkwitz und Borsheim, Tettera und Wesenberg, Hirschau und Amweiler, Trifels und Weilheim, Stockach und Karlstadt, Ahlen und Beutelsbach, Bopfingen und Reutlingen, Düren und Mühlheim, Ganslosen und Kasendorf, Venlo und Mecheln, Hotstrupp und Gabel, Romöe und Büsum, Kisdorf und Bishorst und an hundert andern. Das ist auch keine neue Sache und Geschichte, daß die Welt der Wasunger und anderer Lalenburger Streiche rühmt, schon vor mehr denn hundert Jahren ward also geschrieben: "Im übrigen ist niemandem leicht im Hennebergischen unbewußt, daß allerhand possierliche Schwänke und Histörichen von denen zu Wasungen erzählt werden, welche eine ziemliche Verwandtschaft mit denen in Meißen berühmten Schildbürger Geschichten haben." Hohe Regierung machte es damals und noch früher gerade auch nicht besser, wie eben zu allen Zeiten und allenthalben ihre Lalenstreiche unter den Aktentischen hervorschlupfen – sie gestattete ausdrücklich und gnädiglich schon im Jahre 1578, daß zur Winterszeit der Wasunger Ziegenhirt mit den Ziegen den Schloßberg und die Hunnenburg betreiben möge – wahrscheinlich sollten die Ziegen Schneeblumen und Eiszapfen fressen. Die zu Wasungen litten nicht, daß ein fremder Dieb an ihren Galgen gehenkt werde, sie gaben ihm den Staupbesen und ein Stück Geld mit der Weisung, er solle hingehen und sich henken lassen, wo er wolle; machten es also sänftiglicher wie die Erfurter, die einem zuvor den Kopf abschlugen und erst dann ihn hingehen ließen, wohin er wollte. Und darüber braucht keiner zu lachen, selbiger Streich der Wasunger war klug und ist in neuer Zeit im lieben deutschen Vaterlande mit manchem Strolch, vornehmem und gemeinem, ihnen nachgetan worden. Auch Eselseier haben sie ausbrüten wollen, als welche ein Fuhrmann ihnen verkauft, es waren aber sotane Eier Quarkkäse – auch darin hatten und haben sie im lieben Deutschland viele Genossen, nur mit dem Unterschied, daß häufig die Esel selbst über dem Quark brüten und nichts Gescheites zutage fördern, daran auch nur ein vernünftiger Mensch seine Freude haben könnte; mit der Katze ging es ihnen schier wie den Gabelern, und von der tragbaren Ehrenpforte, von der Salzsaat, von der durch kluges Abschneiden eines Stiefelpaares bewirkten Verschaffung eines Paares Pantoffeln darf man nicht viel Redens machen, so wenig wie von denen letztbekannten Streichen des Jahres 1848, wo auch zu Wasungen die Werra brannte und die Milchtöpfchen überliefen, so daß aus den süßen eitel Sauertöpfe wurden.

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