790. Knabenraub im SpessartwaldeWie es nicht selten geschieht, daß die Sage eines strenggeschichtlichen Ereignisses sich wiederholend bemächtigt, wenn dasselbe nur romantische Färbung hat, so ist es auch in der Nähe von Aschaffenburg im Spessartwald geschehen. Da klingt die Geschichte des sächsischen Prinzenraubes in eigenthümlich treu wiederholter Weise wieder. Zwischen Ebersbach und Soden lag eine Burg, Altenburg genannt, auf dem zwischen beiden liegenden Berge. Nur noch aus den Erzählungen der Anwohner weiß man etwas von ihrem Vorhandengewesensein. Einer der Ritter, die daselbst hausten, hatte zwei hoffnungsvolle Knaben. Zwei Räuber im Bann glaubten sich durch den Raub der beiden Kinder Begnadigung zu verschaffen, und beschlossen sie zu entführen. Sie bestachen den Pförtner, der sie auch in Abwesenheit des Ritters in das Schloß ließ, so daß sie sich leicht der Kleinen bemächtigen konnten. Bevor sie sich nun auf die Flucht begaben, beschlossen sie, ein jeder solle nach einer andern Gegend hin fliehen und versprachen sie gegenseitig, wenn ja einer von ihnen ergriffen würde, so solle der zuerst Ergriffene nur dann den Aufenthalt des andern angeben, wenn ihm vorher neben der eigenen auch dessen Begnadigung zugesagt wäre. Der eine, der vom Fluchtwege ziemlich/ ermattet war, band nach einem langen Ritte durch den finstern Wald sein Pferd an einen Baum und legte sich zur Ruhe nieder, nachdem er dem geraubten Knaben aufs strengste verboten hatte, sich zu entfernen. Aber der Kleine benützte die günstige Gelegenheit zur Flucht und entlief, und lief so lange es ihm mäglich war. Endlich kam er zu einem Köhler, der im Walde arbeitete, und in dem Knaben sogleich ein Kind hoher Leute vermuthete. Er fragte ihn aus und der Knabe erzählte ihm den ganzen Hergang der Sache. Alsbald kehrte der Köhler mit dem Knaben an den Ort zurück, wo der Räuber noch im Schlafe lag. Der Köhler versetzte diesem mit seiner Hacke einen Schlag, der ihn betäubte, und eilte auf dem Pferde des Ritters mit dem Kinde nach dem naheliegenden Ebersbach, von woher er die Glocken, mit denen man ob des Knabenraubes Sturm läutete, hörte, und wo alles in der größten Bestürzung war. Leute von da bemächtigten sich des Räubers und brachten ihn nebst dem Knaben nach der Altenburg. Auf das Versprechen, er werde begnadigt, wenn er seinen Kameraden angeben würde, verrieth er denselben treulos. Dieser wurde mit dem zweiten Knaben eingeholt und hingerichtet. Ersterem ward Wort gehalten, er blieb ungestraft, hatte aber keine frohe Stunde mehr. Der Geist seines verrathenden Bündners verfolgte ihn Tag und Nacht, bis er sich selbst den Tod des Stranges gab. 791. Allerlei KreuzeIm Spessartwalde stehen gar viele Bildstöcke und Kreuze nach allen Richtungen hin. So in dem östlich von Oberbessenbach gelegenen Walde ein großes hölzernes Kreuz, das Posthalterskreuz genannt. Hier zog die alte Straße vorüber, die früher nach Aschaffenburg führte. An dieser Stelle wurden einst die Pferde, die den Postwagen zogen, auf einmal unruhig und begannen plötzlich zu rennen, ohne daß der Knecht sie zu zügeln vermochte, über Stock und Stein ging es hinweg. Da gelobte der Posthalter hier ein Kreuz, wenn der Wagen glücklich nach Aschaffenburg käme. Und da dies geschah, ließ er es errichten. Sodann steht zwischen Hessenthal und Weibersbrunn das rote Kreuz; auch bei Stockstadt zwischen Aschaffenburg und Seligenthal steht ein rotes Kreuz, das ein Priester setzen ließ, der einen Wolf mit seinem Brevier erschlug; zu diesem Kreuze beten noch immer gern viele Gläubige; und eine Stunde von Rohrbrunn gegen Echterspfahl, allwo die Herren von Schönborn ob Jagdzwistes einen Echter aufknüpften, steht das Schweinfurter Kreuz; ein Fuhrmann ist allda verunglückt. Am berühmtesten aber ist in dieser Gegend das Goldbacher Kreuz, denn es sind viele Wunder bei ihm und durch dasselbe geschehen. Es liegt ganz nahe der Hochstraße, die von Lohr durch den Spessart nach Aschaffenburg führt, nur eine halbe Stunde von dieser Stadt, ist alt und steinern und von ehrwürdigen Linden umgeben. Nahe dort erhebt sich der Kugelberg, der auch der Schloßberg heißt, weil eine Burg oben draufstand. Der Ritter auf dieser Burg hatte eine einzige Tochter, die war verlobte Braut eines andern Ritters, wurde aber auf einem Ritt nach dem nahen Aschaffenburg von Räubern angefallen und hinweggeführt. Der Vater wie der Bräutigam boten alles auf, ihren Aufenthalt zu erkunden, was endlich auch dem Bräutigam gelang. Eilend gab dieser dem Vater Kunde, und der Ritter ritt ihr, der unterdes Befreiten, entgegen. Allein ehe er sie wiedersah, stürzte er samt seinem Roß nahe bei Goldbach und verschied. Die Tochter war darüber so entsetzt, daß sie den Schleier nahm. Dem Vater zum Gedächtnis wollte sie ein Kloster an die Unglücksstelle bauen, allein das Bauholz blieb nicht alldort, es ging damit wie mit der Johanniskirche, die nicht im Tale stehen wollte, am andern Morgen war allemal wieder alles fort und lag nahe einer Mühle; da baute denn die trauernde Tochter an jene Stelle ihr Kloster, und das war Schmerlenbach, das lange bestanden hat; auch stehen noch seine Gebäude. 792. RiesenpflugscharIm Schloßhofe zu Aschaffenburg hängt eine ungeheuer große Pflugschar offen da und auch eine großmächtige Rippe, welche für die Rippe eines Riesen gilt. Eine dunkle Sage, welche durch moderne Dichtungen nicht hell gemacht ist, läßt einen Riesen mit dieser Schar dem Main, der früher vom Nilkheimer Hof hinter dem schönen Busch vorbei gerade nach dem Dorfe Main-Aschaff floß, ein neues Bette in großer Krümmung pflügen, damit er an Aschaffenburg vorüberfließe, allwo Kaiser Karl der Große eine Burg gehabt haben soll. Aber dadurch, daß die Stadt die Zier eines vorüberfließenden mäßigen Stromes gewann, hatte ein Dorf in der Stadtnähe durch Überflutung gar oft zu leiden, und die Bewohner sprachen: Leider ist der Main zu uns geleitet und davon hat es den Namen Leider überkommen, den es bis diese Stunde führt. Aschaffenburg hieß in alten Zeiten Asciburgum, und war daselbst, wie auch im nahen Stockstadt, eine Römerkolonie. Zahlreiche Reste römischen Altertums wurden dort, vornehmlich in Stockstadt, ausgegraben. Der Riese, der im nahen Walde hauste, soll nicht im Kampfe gefallen, sondern von wilden Tieren zerrissen worden sein, und ward nichts weiter von ihm aufgefunden als eine Rippe von ihm und seine Pflugschar. Beim Nilkheimer Hofe soll Bonifazius dem Volke des Bachgaues, so war jene Gegend benannt, die Christuslehre gepredigt und dort ein Kirchlein begründet haben, das die Mutterkirche aller andern des Gaues ward. Nicht weit vom Nilkheimer Hof liegt das Pfarrkirchdorf Groß-Ostheim. Mitten im Großostheimer Walde zeigt man den Hexenkirchhof, den Ort, allwo die Hexen der ganzen Umgegend, deren es nicht wenige gab, verbrannt wurden; es herrscht in derselben auch noch der Glaube an nächtliche Bockreiter, nicht minder der an Butter und Fleisch zuführende Drachen, an Feuermänner, Heerwische, und am Gernspringbach, der durch Stockstadt fließend in den Main fällt, zeigen sich gespenstige Reiter und halten ein Schlagen in den Lüften, während ein schwarzer Reiter ohne Kopf die Grenze umreitet. Zu Stockstadt hat man im Jahre 1842 gar ein wildes Getöse in den Lüften gehört, wie ein glaubhafter Mann versicherte, es war im Monat April, und kam vom Rodenstein herüber, der nur sechs Stunden von dort entfernt liegt. Das Sausen und Brausen des nächtlichen Heerzuges in den Lüften zog sich über den nahen Odenwald und verlor sich in den waldigen Höhen des Spessart. In Stockstadt hat auch lange Zeit ein Mautner gespukt, genannt Starhart der böse Zöllner oder auch der schwarze Mann im Zollhaus. Als 1812 ein Brunnen aufgegraben ward, hörte er auf zu rumoren. 793. Heunsäulen und HeunaltarIn der Grafschaft Erbach liegt eine Heun- oder Riesensäule, und zwar auf dem Felsberge ohnweit Reichenbach; sie ist von graugrünlichem Granit und über einunddreißig Schuh lang. Früher war sie noch um elf Fuß länger, aber ein Stück sprang ab und liegt im Dorfe Bedenkirche. Viel Spuren alter Römerbauten werden in dieser Gegend angetroffen, so das Kestrich (Castrum) bei Stockstadt, die gepflasterte Heerstraße bei Mudau von Oberscheidenthal nach Schloßau, wo auch ein Castrum, dann liegen nahe beim Dorfe Bullau auf dem Heunberge ohnweit Miltenberg a.M. sieben Heunsäulen beieinander und weiterhin tief versteckt noch zwei. Daran sind noch die Handgriffe, wie die Riesen sie herumgedreht bei der Bearbeitung, und wollten sie brauchen, eine Brücke über den Main zu bauen. Die Säulen bestehen aus rotem Sandstein, sind hier gebrochen, ordentlich behauen und mit Handhaben zum Wegschaffen versehen. Die größte der Säulen hat siebenundzwanzig Fuß Länge und mißt am Fuße dreieinhalb, am oberen Ende zwei Fuß im Durchmesser. Die andern sind fünfundzwanzig, vierundzwanzig und zwanzig Fuß lang. Vier davon sind mit Schriftcharakteren bezeichnet, welche indes weder mit nordischen oder deutschen noch sonst bekannten Runen auch nur die geringste Ähnlichkeit haben. Die größte hat eine ziemlich regelmäßige Reihe derselben; bei den andern ist weniger Ordnung sichtbar. Die Gelehrten können diese Schriften so wenig lesen wie die Heilsberger Steinschrift, die Riesen haben aber auch nicht für die Zwerge geschrieben. Wandelt einer von dem Dorfe Großheubach am Main, zur Linken des Engelberges, eine halbe Stunde den Rücken des Baulandes hinauf und nach der Seite zu, welche bei der Krümmung des Mains über diesen hinweg einzelne Dörfer und auch Miltenberg erblicken läßt, so gelangt er zu einem Meer von Felsstücken und von dort zu einem freien Platz, auf welchem hie und da große Felsmassen zerstreut liegen. Unter diesen zeichnen sich besonders zwei übereinanderliegende große Stücke aus, die bei einem Umfang von ungefähr dreißig Fuß sicher vierzehn Fuß Höhe messen und den Namen des Heunenaltars führen. Ob die Heunen gebetet haben, können wir freilich so eigentlich nicht wissen, doch formte und türmte ihre übermenschliche Kraft wohl nicht vergebens Säulen und Altäre. 794. AmorbachIn einer Gegend, wo die Römerzeit so viele Spuren hinterließ, würde es kaum befremden, wenn der Name eines Gottes der antiken Mythe in deutscher Sage begegnete, und niemand würde schneller bereit gewesen sein, dem Herzenbewältiger Amor hier ein frühes Heiligtum zuzuweisen, als jene überklugen Diftler, die den Remus in die Altmark auswandern und dort begraben, der Isis im märkischen Sande Tempel gründen lassen und darüber, ob dergleichen nur möglich, in ihrem archäologischen Gemüte völlig beruhigt sind. Sie würden aber hier mit dem Amor geradeso fehl schießen wie mit der Isis in Gardelegen und dem Sol in Soliswelte, heute Salzwedel, allwo, zu Salzwedel, auch Doktor Faust geboren worden sein soll denn das gemeine Sprüchwort sagt: Trifft's nicht, so fehlt's doch. Es war ein Abt, der hieß Amor als welches für einen Abt gar ein hübscher Name und zwar der erste der Abtei, welcher er seinen Namen verlieh; das ist aber schon lange her, denn die Sage geht, daß schon im Jahre des Herrn 734 sotaner Amor gelebt, und daß Karl Martell und Pipin unter Zurateziehung eines Jüngers des heiligen Maurus namens Pirmin diese Abtei begründet, zu der ein Graf Richard von Berg den Grund und Boden gab. Nahebei liegt auch ein Gehöft, heißt Amorsbrunn; allda soll sich Amor bisweilen sehen lassen. 795. Die gleichen FrauenEin Graf von Wertheim verlor seine treugeliebte Hausfrau durch den Tod. Das ging ihm mächtiglich zu Herzen, und er schwur, nie wieder zu freien. So hat in seinem gerechten Schmerz wohl schon mancher Mann geschworen, hat es aber nicht halten können, und übereilter Eid tut Gott so gut leid wie der gezwungene. Da ward aber mannigfach in ihn gedrungen, sich wieder zu vermählen, damit sein Stamm nicht aussterbe und die schöne mit Wald und Wein und Weide gesegnete Grafschaft nicht an die Herren Vettern und Nachbarn falle, und so sprach der Graf: Ich will es tun, so ich eine finde, die meiner verstorbenen Frau in allem gleicht, absonderlich im Gesicht. Und ist ausgeritten auf die Brautschau und hat lange gesucht, bis das Glück ihm ein holdes und tugendsames Frauenbild finden ließ, das seiner verlorenen Herzallerliebsten glich. Das hat er zum zweiten Gemahl erkoren und lange mit ihm unvergleichlich glücklich gelebt, und hat angeordnet, auf seinem Grabstein zwischen seinen beiden sich so gleichen Frauen abgebildet zu werden, gleich jenem thüringischen zweibeweibten Grafen von Gleichen zu Erfurt, auf welchem Steine des Steinmetzen Kunst die Frauen einander nach Gesicht und Tracht auch so ziemlich ähnlich geschaffen. So steht der Graf von Wertheim in der schönen gotischen Pfarrkirche der Stadt Wertheim an der Mauer zur linken Hand, und ward der Grabstein schon oft bewundert. 796. Doktor Luther in WertheimDa Doktor Luther auf der Reise nach Worms begriffen war, soll er seinen Weg mainabwärts und im Städtlein Miltenberg Nachtquartier genommen haben. Nun wäre geht die Sage der damalige Graf von Wertheim ein abgesagter Feind des Reformators und der neuen Lehre gewesen und habe Arges gegen ersteren gesonnen, habe daher, sowie ihm Kunde gekommen, satteln lassen und sei sogleich nach Miltenberg geritten, allwo er aber erst ziemlich spät abends ankam und seinen Plan dem nächsten Morgen aufsparte. Am selbigen Morgen nun stieß der Graf die Fensterladen seiner Herberge auf und schaute in die frische Morgenluft hinaus, und drüben, im Hause gegenüber, schaute auch schon ein Mann heraus in geistlicher Tracht, der bot dem Nachbar gegenüber freundlich guten Morgen und begann zu sprechen vom Wetter und Weg, vom Main und vom Wein, und gab immer ein Wort herüber und hinüber das andere Wort, und beredeten sich die Herren, mitsammen das Frühmahl einzunehmen, und kamen zueinander. Da wurde fortgesprochen von der neuen Lehre, und wie der Graf ihr heftig zürnte, da milderte der andere seinen Zorn und sagte ihm, der Luther wolle ja nicht den Glauben umstoßen, sondern ihn nur geläutert haben, und klärte den Grafen auf über so manches, und sprach ihm die Zweifel aus dem Kopf und den Zorn aus dem Sinne. Und wie der geistliche Herr nun scheiden wollte, da bat ihn der Graf um seinen Segen und fragte ihn bescheidentlich, wie er sich nenne, und jener sprach: Wie soll ich mich anders nennen als Doktor Martinus Luther? Ich hab' gemeint, Ihr hättet mich gekannt! Da hatte der Graf eine große Freude und geleitete Luther weiter mainabwärts nach seinem Wertheim, und ließ ihm im Adler Herberge anweisen, und führte ihn dann auf die Vockenrother Stege, die Stadt und Kreuzwertheim und die Gegend ihm zu zeigen. Da sprach Luther das prophetische Wort, als er die Stadt, von Main und Tauber umflossen, unter sich liegen sah: Vom Feuer hat Wertheim nichts zu befahn, Doch hat es mit sotaner Prophezeiung keine Eile. Den Wertheimern hat sie aber gleichwohl einen Schrecken gemacht, und war ihnen nicht lieb, und deshalb haben sie dem Doktor Luther nachgesagt, er sei im Adler immer noch die Bratwürste schuldig, die er alldort verzehrt. Ein Stück unter Kreuzwertheim liegt das Pfarrdorf Hasloch und das Dörfchen Haselberg am rechten Mainufer, die wollen insofern ein wenig an den Hörselberg und das Hörselloch in Thüringen erinnern, als dort am Main nach allgemeiner Sage sich eine lichte Frauengestalt zeigt, deren Name im Volke Hulla lautet. Sie ist gütig und hülfreich, trägt müden Landleuten die schweren Hockelkötzen und ruht auf einem Felsen unter Hasloch aus, in dem sich ein förmlicher Sitz eingetieft zeigt. Wer sie beleidigt und zum Zorn reizt, dem begegnen dämonische Erscheinungen, die ihn vom Wege ableiten und in die Irre führen oder sonst ihn schrecken und sinnverwirrt machen. Hier ist Frau Hulda als liebreizende Huldgöttin von der Sage aufgefaßt, und nur mit leisem Zuge ist auf das wilde Heer hingedeutet und auf die Nachtseite der deutschmythischen Feine. 797. Die WettenburgGanz nahe bei Kreuzwertheim erhebt sich ein steiler Berg, die Wettenburg genannt, der ist auf drei Seiten vom Main umflossen. Den Namen des Berges leitet die örtliche Sage von einer Burg ab, die ehemals dessen Scheitel krönte. Eine reiche Gräfin, die als Herrin auf der Burg saß, wollte den Berg auch noch auf der vierten Seite vom Main umgeben wissen, auf daß der Strom zum natürlichen Wallgraben eines Inselschlosses würde, und entbot dazu das Volk zur harten Frone. Ihre Untertanen erlagen fast unter der Last der Arbeiten, die das ungeheuere Unternehmen erforderte, und Hindernisse aller Art türmten sich entgegen, doch der Trotz der Gräfin ging so weit, jedem ihrer Freunde und Vasallen eine Wette anzubieten, der etwa das Zustandekommen der Ausführung ihres Planes bezweifeln wollte. Bei einem stattlichen Gastmahle, wo sie die Wette anbot, warf die Gräfin einen blitzenden Demantring in die Flut des Mains und sprach: So gewiß dieser Ring nimmer wieder in meine Hände kommt, so gewiß muß der Berg durchgraben werden; wo nicht, so verschlinge der Main mich und meine Burg! Ein furchtbarer Donnerschlag aus heiterem Himmel antwortete der Stimme ihres Frevels. Am zweiten Abend saß die Dame in großer Gesellschaft bis Mitternacht beim Mahle, wo unter andern auch ein großer Fisch aufgetragen wurde, und o Wunder! in des Fisches Eingeweiden hatte sich der in die Fluten geschleuderte Ring gefunden, den der Koch, indem er den Fisch auftrug, glückwünschend der Herrin darreichte. Alles entsetzte sich, und mit dem letzten Schlage der Geisterstunde sank unter Donner und Blitz die Burg mit ihren Bewohnern in den Strom, und nur Steinhaufen bezeichneten ihre Stätte. Diese Stätte der versunkenen Wettenburg, die nun von der Wette erst dann den Namen bekam, als sie nicht mehr war, bezeichnete sonst neben wenigen Trümmern nur eine tiefgehende schachtähnliche Kluft. In diese Kluft ließ sich einmal ein Hirte an einem Seil hinab und hatte seinen oben gebliebenen Gefährten angewiesen, ihn auf ein gegebenes Zeichen sogleich herauszuziehen. Er kam in einen Saal, worin ein schwarzer Hund lag und etliche Männer und Frauen in alter Tracht regungslos, wie Leichensteine, beisammensaßen. Da faßte ihn ein Grausen, und schnell ließ er sich hinaufziehen. Einen Schäfer, welcher ein andermal hinuntergestiegen war, führte eine Frau, die Herrlichkeit des Schlosses ihm zeigend, durch viele Gemächer, zuletzt in eines, worin lauter Totenköpfe sich befanden. Als er aus dem Berg kam, erfuhr er, daß seit seinem Hinuntersteigen nicht, wie er geglaubt hatte, einige Stunden, sondern sieben ganze Jahre verflossen waren. Heutiges Tages ist auch der Schacht nicht mehr zu sehen; wohl aber hört man noch Glockengeläute aus der Tiefe des Berges, und goldene Sonntagskinder können alle sieben Jahre am Tage des Untergangs der Burg dieselbe auf dem Grunde des Mains erblicken, ebenso auf dem Berge, da wo das Schloß gestanden, eine Höhle und daneben einen Felsen, worin ein großer Ring abgedruckt ist. Auf diesen Ring legte einst ein Küfer sein Bandmesser und schlief nachher ganz in der Nähe ein. Beim Erwachen sah er weder Felsen noch Messer mehr; aber nach sieben Jahren fand er beide wieder, als er an dem gleichen Tage dahinkam. Ein Schäfer, welcher sich vor dem Regen in die Höhle geflüchtet hatte, verfiel darin in Schlaf; als er erwachte, waren unterdessen siebenmal sieben Jahre verflossen, und er traf zu Hause alles ganz verändert. 798. Der Pauker von NiklashausenNicht weit von Wertheim liegt Niklashausen, ein Dorf an der Tauber, darin hat sich im Jahre 1476 ein Hirte und Paukenschläger erhoben und einen Aufruhr angezettelt, den der Teufel nicht schöner hätte einfädeln können, und waren gegen ihn viele Rumpelmeier und Rumorpauker, die in späterer Zeit, auch gleich ihm, auf den Wiesen predigten, nur Schwachmatiker. Das Treiben dieses losen Gesellen und Kommunismuspredigers und seines dreckigen Anhanges kann nur am besten mit Worten seiner Zeitgenossen geschildert werden, sonst könnte mancher denken, man führe gar zu unsäuberlich mit dem unsaubern zottelhaarigen Knaben Absalom. Der Hirte so berichtet einfältiglich ein geschrieben Schwäbisch-Haller Chronikbuch predigte gegen die Obrigkeit, gegen die Klerisei und, ein zweiter Capistranus, gegen die spitzen Schuhe, ausgeschnittene Goller und lange Haare. Wasser, Wild und Weide solle und müsse alles gemein sein, keine Steuer, kein Zoll, kein Geleitgeld! Die Mutter Gottes hätt' ihm das in einer Samstagnacht offenbart! Ach ja! Also denn diese Lehre schmeckte ward gen Niklashausen ein großer Zulauf und ganz Deutschland bewegig; da liefen die Roßhirten von ihren Pferden, die Zäume in Händen tragend, die Schnitter mit ihren Sicheln vom Felde, die Heuerinnen mit ihren Rechen von den Wiesen, die Weiber von ihren Ehemannen und die Mannen von den Weiben. Der Wein war im Jahr davor wohlgeraten, gut und wohlfeil, da wurden zwei Meilen ringsumher um Niklashausen Tabernen aufgerichtet auf Feld und Rasen, da man Wein schank und den Wallern zu essen gab. Die Waller wurden vom Franken- und Tauberwein bezecht, übernachteten durcheinander in Scheuern und im Feld ging nit all' Sach' gleich zu. So groß ward des Volkes Zulauf, daß der Paukenschläger aus einem Bauernhaus den Kopf zum Dach herausstieß, daß ihn alle hörten, und hinter ihm im Dachboden stand ein Barfüßermönch, der gab ihm ein, was er predigte, und da hub das Volk an zu weinen es mochte ihn verstehen oder nicht wie bei Capistranus, der zumal lateinisch predigte über seine Sünden und das drückende Elend, und schnitt so viel Haare und Schuhspitzen ab, und tat sich der gestickten Kleider und Wämser ab, daß es nit auf viele Wägen gegangen wäre wenn es sich nicht unter der Hand verkrümelt hätte. Viele Männer und Frauen schienen Lust zu haben, gleich Adamstänzer zu werden vor lauter Zerknirschung und Gemeinheitstrieb, und zogen sich bis aufs Hemde aus; wenn aber das Getös und der Wein ihnen aus den Köpfen kam, hätten sie gern ihre Kleider wiedergehabt. Es fiel ein unsäglich Geld und Wachs, und die armsdicken Wachskerzen waren mit Würzburger Schillingern, Nürnberger Fünfern, Gerhardskreuzern und Ißbrücknern wie ein Igel mit Stacheln besteckt. Dieser Pauker hatte eine Zottelkappe auf, solche Zotteln riß ihm das Volk von seiner Kappe als ein Heiltum, daß es förderlich sei, wo etwan die Weiber in Kindsbanden lägen und hätten solchen Zottel bei sich, dürft's nit mißlingen. Ja sie küßten dem Pauker Hand und Stecken und was sonst noch. Bald kamen auch absonderlich schöne Liedlein zum Vorschein, die sangen die Waller anstatt der alten Kreuzlieder, zum Beispiel: Wir wollen's Gott vom Himmel klag'n, Dann nannte das wahnbetörte Volk den Pauker nicht anders als Unser Frauen Botschaft, womit sie unserer Frau den allerschlechtesten Geschmack aufhalsten. Die Herren zu Nürnberg merkten, wes Geistes Kind diese Wallfahrt war, und verboten den Untertanen ihres Gebietes bei schwerer Strafe das Rennen gen Niklashausen. Da nun endlich auch Bischof Rudolf, des Geschlechtes von Scheerenberg zu Würzburg, von dem andauernden nichtsnutzen Lärm und der Unzucht in seiner Nähe hörte, denn der Lärmspuk dauerte schon über ein Jahr, auch berichtet ward, der Pauker habe auf einen Samstag eine großmächtige Volksversammlung ausgeschrieen, sie sollten gen Niklashausen in großer Zahl kommen und ihre Wehre mitbringen, da wolle der Pauker ihnen sagen, was die Mutter Gottes ihm befehlen würde wahrscheinlich hatte er einen Handstreich auf die nahen Schlösser und Klöster im Sinne, denn wozu sonst die Wehr? da sandte der Bischof einige Reiter und ließ vor diesem Samstag den Pauker und seine Ratgeber einfangen und gen Würzburg führen. Wie nun das Volk erschien mit allerhand Wehr, auch Fahnen, Spießen, Stangen, Wandelkerzen, was jeder erwischt und zu Handen hatte, und hörte, daß Unser Frauen Botschaft zu Würzburg im Turm liege, da brauste es wie ein Wasserfall, und der helle Haufe brach gen Würzburg auf, den lieben Botschafter zu befreien. Da ritt des Bischofs reisiger Zeug entgegen, und die Führer fragten, was es geben solle mit diesem Zug und Spuk. Der Bischof solle Unser Frauen Botschaft herausgeben, wo nit, so wöllten sie ihn mit Gewalt herausnehmen! Die Reisigen sprachen: Gehet heim! Da hagelten erst die beliebten Schimpfwörter aus der Volkswehr auf die Reisigen: Ketzer! Pfaffenknechte! Hohlhipper! und dergleichen, ins neue Deutsch übersetzt: vertierte Söldlinge der Gewalt. Solches bewegte die Reisigen zur Ungeduld, wiesen ihrer viele mit blutigen Köpfen von sich, empfingen auch deren, und vermochten nicht, dem Strome zu widerstehen. Als nun die Aufruhrrotten wirklich den Frauenberg, die Feste Würzburgs und des Bischofs Residenzschloß, zu stürmen Miene machten, ließ der Bischof die Stückkugeln über ihre Köpfe hinwegspielen, da vermeinten sie, Unsere Frau beschütze sie mächtiglich, und die Kugeln könnten sie nicht treffen, drangen demnach mutig vor. Da ging denn der ernste Tanz los mit Hauen, Schießen, Stechen, Niederreiten, weil sie es gar nicht anders haben wollten, und wurden alle Türme und Gewölbe voll Gefangene gelegt. Dann wurde der Pauker samt einigen Rottgesellen zu Pulver verbrannt und ihre Asche in den Main gestreut, Aberglauben zu verhüten. In die Wallfahrtgelder, die eingegangen und sehr beträchtlich waren, teilten sich Würzburg, Mainz und Wertheim brüderlich, es ward also doch geteilt, nur nicht so, wie es der Pauker gewollt, und damit war die Niklashäuser Wallfahrt zu Ende. 799. ChristnachtwunderIm Frankenlande herrscht gar mancher Aberglaube im Volke, und es hat dort so wenig gegen ihn geholfen, daß 1477 die Asche des Paukers von Niklashausen in den Main gestreut ward, als die Aufklärung der Philosophen, Pfarrer und Schulmeister vom Ende des vorigen Jahrhunderts an bis auf den heutigen Tag im ganzen übrigen Deutschland. In der Christnacht, wann es zwölfe schlägt, so glauben die Landleute, rede das Vieh in deutscher Menschensprache, und wer da lausche, der höre und verstehe, was ein Vieh zum andern sagt, und braucht nicht erst von der weißen Schlange gegessen zu haben wie der Graf Isang. Da war ein Bauer im Dorfe Riedenheim, einige Stunden von Niklashausen, der war neugierig, mocht' gar zu gern wissen, was das Vieh in der Christnacht für einen Diskurs führen würde, und barg sich unter die Krippe und lauschte. Und wie die Glocke zwölf schlug, so tat ein Ochs sein Maul auf und sprach zum Nachbarochsen: Du! heut über acht Tage wird unser Herr sterben! Da antwortete der andere: Du! das geschieht ihm recht, dem Viehschinder! und da fing der ganze Stall an vor Freude zu brüllen, aber weil die Uhr schon ausgeschlagen hatte, so hörte und verstand er nichts weiter als: Juhu! ju! ju! juhu! Nun war aber besagter Bauer selbst der Herr und hatte genug gehört und verstanden, und nach acht Tagen lag er auf der Bahre. Ein anderes Christnachtwunder in Franken, an welches starker Glaube herrscht, ist, daß mit dem Schlage zwölf der Mitternachtstunde, solange die Glocke dröhnt, Wein anstatt Wassers aus jedem Brunnen springe. Gar wunderselten aber wagt es einer oder eine, sotanes Wunder zu erproben. Nun war einmal in demselben Dorfe Riedenheim eine vorwitzige Magd, die wagte es, in der Mitternachtsstunde der Christnacht an den Brunnen zu gehen und während des Stundenschlages ihre Butte zu füllen. Freudezitternd trug sie die Butte nach Hause, da begegnete ihr ein schwarzer Mann, der hatte eine rote Feder auf dem Hut und feurige Augen, faßte die Magd hart an und sprach zu ihr: In deiner Butte trägst du Wein, faßte sie, riß ihr die Butte vom Rücken, die man am andern Morgen leer auf der Straße liegend fand, und fuhr mit ihr durch die Lüfte von dannen. Ähnliches erzählt man sich im Dorfe Weinheim an der Bergstraße. Alldort stritten sich zwei Bürger über die Wahrheit oder Unwahrheit des Volksglaubens, daß in der zwölften Christnachtstunde Wein aus dem Brunnen fließe. Darauf wurden sie einig, der Knecht des einen solle am Brunnen stehen und die Probe machen, sie aber wollten im nahen Hause am Fenster lauschen. Die Nacht kam, der Brunnen lief, der Knecht stand und probte von Zeit zu Zeit. Wasser! rief er dann jedesmal. Wasser! Wasser! Jetzt schlug die Glocke zwölf. Ach! jetzt lauft Wein! rief der Knecht und hatte einen prächtigen Schluck getan. Und du bist mein! rief hinter ihm eine schwarze Gestalt, griff ihn und verschwand mit ihm. |
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