Seitenübersicht
Deutsches Sagenbuch
Teil › 5   Gruppe    Suche  Previous Next

Vorbehalten    Inhalt     

  1. Kindersegen
  2. Der alte Zoller
  3. Der Jäger des Zollern
  4. Der ewige Jäger in Schwaben
  5. Vom Buchjäger
  6. Die Schimmelreiter
  7. Der Ranzenpuffer
  8. Der Weltsjäger
  9. Wodesheer in Schwaben
  10. Die Farrensamenholer

910. Kindersegen

Wie fast in jedem deutschen Lande, vom Norden zum Süden und bis in den letzten Winkel hinterm Watzmann, wo Deutschland ein Ende hat und in Österreich aufgeht – früher war es all eins, da war bessere Zeit –, so hat auch Schwaben seine Sagen vom Kindersegen in etwas übergroßer und den Gesegneten unlieber Zahl. Bei Mühlhausen im Oberamt Spaichingen quillt noch heute ein Kindlestalbrunnen, in welchem eine Magd sechs von ihrer Herrin auf einmal nebst einem siebenten geborenen Knäblein ersäufen sollte, nachdem letztere eine Zeit vorher von einer Bettlerin zu solcher Siebengeburt ob harter und höhnischer Behandlung verwünscht worden war. Da nun der Ritter wie jedesmal bei dieser so hundertfach wiederholenden Sage dazukam, die Tat hinderte und die Mutter zürnend fragte: Was soll man einer Mutter tun, die ihre Kindlein will versaufen lassen? und sie antwortete: Die ist wert, daß man sie lebendig in Öl versiede! – so ließ er solch selbstgesprochenes Urteil auch an ihr ohne Verzug vollziehen.

Geradeso erging es einer Ritterfrau auf Burg Wildeck zwischen Schömberg und Rottweil, allwo die alten Trümmer der Burg noch stehen, nur nicht alsbald, sondern erst nachdem die Knäblein erwachsen waren. Bei diesen beiden Frauen, die in Öl versotten wurden, waren der Knäblein sieben, bei einer Gräfin von Altdorf im Schussentale aber waren ihrer zwölf, wie bei der Frau Irmentritt im Pinzgau, beider Männer hießen auch Isenbart, und da trug sich denn auch wieder alles genau so zu wie immer, und die Besitzer einer Mühle an der Scherzach, Mann und Frau, zogen die vom Wassertod, dem gewöhnlichen Tod junger Hündlein, geretteten Knäblein auf. Ob nun schon auch hier die Gräfin sich zur Strafe des In-Öl-Versiedens selbst verurteilte, so soll sie doch Gnade erlangt haben durch ihre bittre Reue. Am Altdorfer Rathause ist noch ein Bild zu ersehen, das die Knaben und ihre Erzieher darstellt.

911. Der alte Zoller

Der alte Zoller – so heißt im Volke die weitberühmte Stammburg des Geschlechtes der Hohenzollern, deren Stamm zu Preußens Königseiche erwuchs im Lauf der Jahrhunderte – eine feste Burg auf gewaltigem Felsengrunde aufgetürmt. Das mannliche Geschlecht, das diesen hohen Ahnensitz gründete, ragt weit hinauf in der Zeiten Frühe, und je weiter es hinaufragte, um so höher hinauf führten es die Sagen und der früheren Geschichtschreiber schmeichelnde Phantasei. Vom König Pharamund, vom welschen Hause Colonna und dessen Schloß Zagarolo, vom Grafen Isenbart von Altdorf, an den und dessen Gemahlin die so häufig wiederholende Welfensage sich ebenfalls knüpft, und von noch andern ward des hohen Stammes Ursprung abgeleitet, unter denen auch der berühmte Bayerherzog Thassilo genannt wird. Der erste erweisliche Graf von Zolre hieß Burchard und starb 1061. Dessen Urenkel war Friedrich I., Burggraf von Nürnberg im Jahre 1192, und dieser ist der unumstößliche Ahnherr aller Burggrafen von Nürnberg, Markgrafen und Kurfürsten von Brandenburg, Kurfürsten und Könige von Preußen. Friedrichs I. Bruder, auch Burchard geheißen, ward der Fürsten von Hohenzollern Ahnherr. Einer seiner Nachkommen, Friedrich VII., zubenamt der Öttinger, war Rat eines Grafen Eberhards von Württemberg, da dieser aber starb, vertrug er sich nicht mit dessen Witwe und tat ihr einige Gröbungen an. Da sie nun heftig widerschalt, warf er die Frage hin: Kann mich wohl ein giftig Weib verschlingen? – Da schrie die Gräfin voller Zorn: Hab acht, ob ich nicht all dein Gut, dein Schloß und dein Leben verschlinge! – und sann von dem Augenblick an auf nichts, als den Zoller zu schädigen und zu verderben. Da er mit den Reichsstädten in Fehde kam und hart belagert war, kam die Gräfin von Württemberg seinen Feinden zu Hülfe mit zweitausend Streitern, die umlagerten ihn fest und fester, und schnitten ihm alle Zufuhr ab, und verzehrten ihm all sein Gut, und die von Ulm brachen sein Schloß, und die Württemberger nahmen ihn gefangen, und die Gräfin ließ ihn in einen finstern Turm werfen, und so hatte sie sein Leben täglich und stündlich in ihrer Hand. Sie nahm es ihm nicht, wohl aber nahm ihr der Tod das ihrige, und der Graf ward frei und tat eine Bußfahrt ins gelobte Land und jubelte, daß sie sein Leben doch nicht verschlungen habe, aber wie er den Strand von Joppe küßte, da ward ihm weh in der Brust und im Herzen, und die Kerkerschauer, die er so lange ertragen, erwachten mit aller Macht und schlugen ihn mit dunkeln Fittichen – und da erseufzete der alte Zoller: So hat sie doch auch mich verschlungen – und sank in seiner Knappen Arm und verstarb.

912. Der Jäger des Zollern

Einer von den alten Hohenzollerngrafen, Friedrich, zubenamt der Schwarze, hatte einen Jäger, das war kein Guter, sann vielmehr auf böse Künste und Teufelsstücklein und hatte Lust, viel lieber dem Volant zu dienen als seinem frommen Herrn, gerade wie jener Jäger des Herrn von Wangenheim, der sich zum Elbel wünschte, oder jener frevelhafte Freischütz im Dithmarschenlande. Da ließ der Jäger des Grafen von Hohenzollern sich auch von einem fremden grünen Weidmann, der ihm mitten im Walde auf einem Kreuzweg aufstieß, betören, einen gottlosen Schuß zu tun, um mit selbigem dann in den Besitz aller möglichen höllischen Weidmannskünste zu gelangen. Da stand bei der alten Heiligkreuzkapelle ohnfern Hechingen ein Bildstock mit einem Kruzifix, und danach zielte der Jäger mit seiner Armbrust und wollte drei Bolze hineinschießen; wenn ihm das gelang, so gesegnete ihm der böse Feind und Nachtjäger seinen Pfeil allezeit, daß jeder Schuß traf. Und da zielte er gut und traf das Herrgottsbild am Kreuz recht in die Seite, wohin des Kriegshauptmanns Speer auch getroffen. Und da drangen Blutstropfen neben der Spitze des Bolzen heraus, die im Bilde stak. Darauf tat der Jäger den zweiten Schuß und traf abermals, und zwar auf des Bildes Herzblatt, und es sprang ein Blutstrahl aus dem Bilde. Und da legte er zum dritten kecklich den Bolz auf und zielte nach dem Haupt voll Blut und Wunden. Indem so sank der Frevler bis zum halben Leib in den Boden ein, wie die Tänzer zu Kolbeck, und die Erde hielt den gottlosen Jäger eisern fest. So ward er gefunden und ihm alsobald kurzer Prozeß gemacht, so daß man ihn nicht, wie er ging und stand, sondern eben nur, wie er stand, um die Länge seines Hauptes kürzer machte. Solches hat sich im Jahre 1390 begeben, und man hat hernachmals die Geschichte in der Kapelle zum Heiligkreuz bildlich dargestellt und auch das durch die Pfeile verletzte Christusbild aufbewahrt.

913. Der ewige Jäger in Schwaben

Fast mehr als in Flandern, in Dithmarschen-, im Harz-, Thüringer- und im Vogtlande sind Sagen vom ewigen und wilden Jäger im Schwabenlande heimisch und umgehend, und erscheint dieser Nachtspuk unter allerlei Gestaltung und Namen an überaus vielen Orten. Häufig wird er erblickt mit einem Hammer, damit er die Bäume zeichnet, wie zum Abposten oder Durchforsten; der Schlag seines Hammers gibt hellen seltsamen Schall. An vielen Orten wird das gleiche erzählt, was die Sagen von in die Sonne schießenden Jägern melden, daß nämlich der ewige Jäger auch in des Teufels Namen in die Sonne geschossen, aber nicht am Sonnenwendetag, sondern in der Christnacht und am Karfreitag, Freikugeln damit zu erlangen, und so einer soll nahe bei Freudenstadt gelebt haben, der nun für seinen Frevel zu ewiger Nachtjagd verdammt ist. Ebenso im Buchwald bei Neuenburg, im wilden Gaistale, nach Herrenalb zu, und im Enztale auf dem Berge Heiminhart und zwischen Wildbad und Dobel, da hört man ihn hetzen und die Hunde, die ihm bellend vorauslaufen, anrufen. Auf dem genannten Dobel wohnte einer, der hieß Neck, wie sonst die Wassermänner heißen, der erschoß viele Wilddiebe und hatte daran seine große Freude; einmal erschoß er fünf auf einen Strich, und noch dazu an einem Sonntag, wo jene sich ein apartes Vergnügen im Walde machten. Da wünschten ihm die Sterbenden das ewige Leben, und einer, der auch Freikugeln hatte, schoß ihn mitten durch das Herz. Seitdem reitet er auf einem Hirschen durch die Forste, und bellende weiße Hündlein begleiten ihn. Auch bei Pfalzgrafenweiler zeigt er sich zuzeiten und schreit die Hunde an: Hu dock dock dock! Hu dock dock dock! – Sie nennen den ewigen Jäger in der Nähe von Wurmlingen auch Riesenjäger, nicht weil er die Riesen jagt, sondern weil er eine Riesengestalt ist; bei Sigmaringen heißt er Ruprecht, wie jener Pfarrer, der die Tänzer von Kolbeck bannte, und bei Kolbingen nennen sie ihn Hans, vermutlich darum, weil so mancher Hans – denkt, er wäre auch ein Jäger. Viele meinen, der ewige Jäger und der ewige Jude wäre einerlei, weil nach mancher Meinung auch der ewige Jäger, gleich jenem, um die ganze Welt laufen muß. Als einer einem alten Jüdchen das vorhielt und fragte, was es von der Sage halte, lächelte selbiges ironisch und antwortete: Nu, worum nit? Mer jagen aach.

914. Vom Buchjäger

Wenn im Norden und auch im mittlern Deutschland vom wilden Jäger die Rede ist, wird immer nur einer verstanden, in Schwaben aber da ist diese Sorte haufenweise zu Hause, welche Abwandlungen der Sage aber eben deshalb wichtig sind. Im Buchwald bei Dornhan jagt ein ewiger oder wilder Jäger unter dem Namen des Buchjägers über Anger und Wiesen, und da er gerade einmal über den Schindanger ritt und seine fünf Hündlein, die ihn stetig begleiten, anschriee: Hu deck deck deck! Hu deck deck deck! – war eine Frau zu Dornhan vorwitzig und schrie zum Fenster laut und nachäffend heraus: Hu Dreck, Dreck, Dreck! Hu Dreck Dreck, Dreck! – Plautsch! hatte sie einen Wurf auf die Nase, einen frischen Pferdeschinken, nur etwa vierzehn Tage alt, der ihr die letzten Zähne einschlug. Fast so ging es einem Manne aus Maulburg im Wiesentale, der schrie, als er das Huhu! des Buch- oder wilden Jägers über sich vernahm, auch huhu! huhu! mit aller Kraft, da flog ein Luderknochen herunter, und der Jäger schrie:

Hascht mer helfe jage,

Muescht au helfe nage!

Da hatte nun der Mann freilich nicht so viel Jagdanteil wie die genannte Frau oder jener gute Bauer aus Arnsgereuth, der auch seinen Jagdjauchzer tat, aber etwas hatte er doch davon, nämlich den Tod. Er tat nie wieder sein Maul auf, der arme Maulburger, und starb an der Zehrung.

915. Die Schimmelreiter

Ein guter Teil des Schwabenlandes ist voll von Sagen von den sogenannten Schimmelreitern, das sind eitel Kumpane des wilden Jägers, wie er denn selbst häufigst beliebt, einen Schimmel zu reiten. Die gespenstigen Schimmelreiter haben die Eigenheit, niemals, wie manchesmal andere Männer tun, ihren Kopf aufzusetzen, sondern sie reiten stetig chapeau-bas, den Hut unterm Arm, und im Hut steckt zugleich ihr Kopf, wie beim heiligen Dionysius. Auch die Schimmelreiter sind mit allerlei Namen begabt, und von jedem einzelnen wird dies und das erzählt. So war einer im Obernwald bei Wurmlingen, den nannten die Leute der Gegend nur den Junker Jäckele. Der hatte bei seinen Lebzeiten ein Schloß gehabt zu Poltringen, und nachher ist er ein spukender Polterjahn geworden, und hat zum Fenster h'rausgeschaut mit einem Tabakspfeifenkopf, so groß wie ein Blumentopf, und hat eitel Feuer herausgeplätzt. Er hat sechs Hunde, die sind je zwei zu zwei mit einer blanken Kette zusammengekoppelt, und ist immer ein Paar größer als das andere, denen schreit er oft zu: Hup hup, hup hup! – wie die Jäger im Walde rufen.

Ein anderer solcher Gesell, der im Bebenhäuser Tale spukt, heißt der Bachreiter, weil er seinen Weg im Goldersbach hin nimmt und im Wasser patscht und tratscht. Sein Schimmel ist schneeweiß und hat blutrote Flecken. Bisweilen läßt sich der Bachreiter auch zu Fuße erblicken, dann hat der Schimmel Vakanz und geht auf eignen Huf spazieren und spuken. Wer Lust hat, kann es probieren und aufsitzen. – Wieder ein Schimmelreiter läßt sich zuzeiten in Betzingen bei Reutlingen sehen, der heißt der Unhalde-Geischt, wieder ein anderer bei Wankheim im Elsenwäldle ohnweit Tübingen; andre wurden gehört und gesehen bei der Nehrener Kelter, bei Eningen unter der Achalm, bei Pfullingen, unter der alten Burg bei Reutlingen, bei Jettenburg, bei Sulz, bei Hohenstaufen, bei Balingen, bei Nordstetten, kurz, wenn einmal das Oberhaupt dieser Gesellschaft recht ins Schallhorn stößt, so kann er eine ganze Schwadron Schimmelreiter zusammenblasen, die alle im Leben nicht viel nutz gewesen und alle ihre Köpfe unterm Arm tragen.

916. Der Ranzenpuffer

Ein Sippgeselle des ewigen und wilden Jägers, wie der gespenstige Schimmelreiter, ist der Ranzenpuffer, welcher sich an unterschiedlichen Orten sehen und hören läßt; auch er reitet einen Schimmel, wird oft schlechtweg Reiter genannt, hat auch sonst noch allerlei Namen, unter andern Brüller, weil er sich bisweilen in einen Ochsen verwandelt. Sein Hauptrevier ist auf dem Einsiedel bei Tübingen und dessen Umgebung und im Bärloch, wo er als Bär brüllt. Viele Tierverwandlungsgeschichten werden von ihm erzählt und Neckestreiche gegen Jäger und Holzleute, fast immer mit bösartigem Ausgang, doch übernahm er bisweilen für andere das Geschäft des Viehhütens. Ursprünglich und noch im Leben war der Ranzenpuffer ein Weidgesell auf dem Einsiedel, so eine Art Freischützkaspar mit Kartenspiel und Würfellust und was sonst zum ewigen Jägerleben hilft, wie der Bauernsohn bei Wynendael, und manchmal war er auch ein Schwein, wie das zuzeiten so kommen mag. – Zu einer Zeit hat sich solcher Spukbrüller als Ochs und Schwein fast allenden gezeigt, sonderlich im angrenzenden Lande Baden, denn die guten Schwaben müssen nicht alles allein haben wollen; und da zeigte er sich sehr gefährlich, insonderheit wenn er sich auf sein hohes Pferd setzte. Bald darauf aber ist der Brüller in die Schweiz ausgewandert, und die Lande haben Ruhe vor ihm bekommen.

917. Der Weltsjäger

In einigen Gegenden Schwabens wird der ewige Jäger das Weltschjägerle genannt, weil er um die ganze Welt herumjagen und -laufen muß. Seine Gestalt ist zumeist die eines kleinen verhutzelten Männleins in grüner Tracht, wie auch bisweilen der Teufel gedacht wird, der gar oft als grüner Jäger auf die Menschenseelenjagd ausgeht. Dies wird er auch nicht lange mehr tun, denn wenn er einmal in die Schweiz zu einem gewissen hochgelahrten Professor kommt und seine Seele holen will, da wird ihm der Professor aus der Naturgeschichte beweisen, daß er gar keine Seele hat, gerade wie der Kaschper im Puppenspiel vom Doktor Faust, und daß es keine Seelen gibt; da wird der Teufel einen schönen Zorn kriegen.

Das Weltschjägerle muß deshalb ewiglich geisten, weil er immer am lieben Sonntag gejagt hat, und wenn das mancher Sonntagsjäger erfährt, so wird ihm angst und bange werden, andern Sonntagsjägern aber nicht, denn die können nie und niemals geisten, sie wissen nicht, wie sie das anfangen sollen. – Vorzeiten war einmal ein Graf von Württemberg, der ritt in den Wald zu jagen; schau, da rauscht's und braust's im Walde, der erst ganz still war, und auf einmal war das Weltschjägerle hart am Grafen dran, und der Graf war vom Roß gestiegen und stand auf eines Baumes Tolde und fragte: Willt du mich schädigen? – Nein, sprach der ruhelose Geist. Ich will dich nicht schädigen, bin selbst genug geschädiget. War vordem ein Herr wie du, ein Jagdfreund wie du, und verlobte mich ewiger Jagd, das gedieh mir leider zur Erfüllung, denn seit fünfhundert Jahren jage ich nun immer einen und denselben Hirsch. – Wes Geschlechtes bist oder warest du? fragte der Graf. – Solches ist noch niemand offenbaret worden! erwiderte der Geist. – Zeige mir dein Angesicht, ob ich dich nicht erkenne! sprach der Graf. Da enthüllte das Weltschjägerle sein Angesicht, und war selbiges nur faustgroß, und das kaum, verrumpflet wie eine Rübe und verschrumpflet wie ein Schwamm – und es grausete dem Grafen. Der Geist ritt still hinweg, hinter seinem Hirsche drein, und der Graf ritt auch still hinweg und ritt nie wieder jagen.

918. Wodesheer in Schwaben

Wie der Wode zieht im Lauenburger und Mecklenburger Lande, also auch im Lande Schwaben, nur daß der Leute Mundart daselbst ihn etwas anders nennt, nämlich 's Wuotas, s' Wuotes, das Wutesheer, auch 's Muotas, Mutes, Mutesheer, der Begriff und die dunkle Erinnerung, der Nachhall vom Wuotan bleiben sich da wie dort gleich; doch gibt es auch hinwiederum in Schwaben Gegenden, wo selbes Heer nur das wilde Heer heißt, so um Weinsberg und in Blaubeuren, oder das wütig Heer, um Mössingen, welches Wort den Übergang und Umlaut vom Wode, Wute zum wütigen und dann wütenden Heer bildet, wie man es in andern deutschen Gauen nennt. In Pfullingen, bei Undingen und in Immenhausen gibt es Muotes Heergassen, durch die das Heer seinen Zug beständig nimmt, anderorts zeigt man bestimmte Häuser und Höfe, durch die es ziehe, wie z.B. in Baiersbronn im Murgtale und im Dorfe Thieringen, gerade wie beim Heereszug des Rodensteiners und wie zu Neubrunn. Das Wutesheer macht Musik, die erst schön, dann garstig klingt, wie die in der Gegend von Werdingen bei Augsburg. Im Wutesheer zieht alles, was zur Teufelssippschaft gehört, hübsch mit, der Teufel selbst und seine Großmutter, Truden und Hexen. Wenn das Wetter recht stürmt, der Sturm alles zusammenfegt und die Schornsteine auf die Dächer prasseln, da sagen die Leute: Es tut wie's Wuotas. – Gleichwohl ist des Heeres häufiges Ziehen vielen eine gute Vorbedeutung, besonders wann es im Frühjahr recht zeitig zieht, da wird bald alles grün und wird ein fruchtbares Jahr. Es zieht aber auch im Advent und in den heiligen Nächten, in der Betzinger Gegend bloß im Herbst und Frühling, zur Zeit der Tag- und Nachtgleichen. Da reitet, wie beim Thüringer Heer der treue Eckart, ein Mann oder guter Geist, den sie den Ermahner nennen, voraus, der warnt die Leute und ruft: Außem Weg, außem Weg! – Alte Leute haben ausgesagt, die Jäger und Züglinge im Heer hätten Fischschwänze, und die Musik sei himmlisch, wie kein Mensch sie machen könnte – mythischer Nachklang der Sirenensagen.

Des Heeres Eigenschaften sind wie die desselben im Vogtland, es begnadigt die Leute mit Umreißen, wirft Jagdanteile herab, die nicht bloß aus Schnepfen bestehen und nicht nach Bisam und Rosenöl riechen, und seine Hexen und Hexengenossen, die mitziehen, pflegen auch zu tanzen, so daß es Jagdzug und Hexenfahrt zugleich ist. Da geht es wüescht g'nug zu. Manchesmal hört man das Heer mit einem großen Wagen rasselnd und prasselnd fahren, welchen Schimmel ziehen – des Woden weiße Rosse. Wer es heranziehen hört, tut am besten, sich gleich aufs Gesicht niederzuwerfen. Wer es mit aller Gewalt sehen will, hat zu gewärtigen, daß ihm die Spältle und Guckfensterle, seine Augen nämlich, zugestrichen werden, das ist schon manchem widerfahren; oder es geht ihm wie dem Zöllner zu Heidenheim.

Von der wilden Jagdfrau scheint man in vielen Teilen Schwabens wenig zu wissen; ein leiser Anklang an sie begegnet in Rothenburg und in Friedingen an der Donau, wo die Leute sagen: die Muoteheer, und sich unter dieser Weiblichkeit eine verwunschene Frau denken. Das wandelt sich sogar in die Muterheer ab in der Heidenheimer und Königsbronner Gegend.

919. Die Farrensamenholer

Wie in Thüringen der Farn- oder Farrenkrautsame für magisch hülfreich, seine Gewinnung aber, wem sie nicht durch unversehenen Glücks- und Zufall wird wie dem Mann zu Berka an der Werra, für seelengefährlich gilt, so auch in Schwaben. Die Gewinnung ist immer nur durch Teufelsbeihülfe möglich, und es ist eine sehr schwere Sache damit. Nicht beten, in keine Kirche gehen, keinem Weihkessel nahen, auf Kreuzwege treten und die Erscheinungen Verstorbener festen Mutes anschauen, ihnen nicht Rede stehen, über Teufelsfratzen nicht lachen, sollten sie auch so lächerlich sein, wie die, als eine Hexe, die zum Wuodesheer zu spät kam, nackt auf den Kopf gestellt wurde und nun mit auf sie gesteckten Lichtern leuchten mußte – das sind die schweren Proben, die bei der Farrensamengewinnung bestanden werden müssen. Sind sie bestanden, so kommt der grüne Jäger, als welches kein anderer ist denn der Teufel, und bringt ein Tütchen voll Farnsamen, nicht so viel, als in eine Schachtel voll Schneeberger Schnupftabak geht, das trägt der Farrensamenholer dann stets bei sich. Nun schlägt ihm nichts fehl, jede Kugel, die der Jäger aus dem Rohre schießt, trifft; sein Gewehr schießt um eine Ecke herum. Des Handwerkers Arbeit fleckt, als hätte er zwanzig Gehülfen. Ein Holzhauer in Rothenburg am Neckar hatte die Proben bestanden, der machte jeden Tag fünfhundert Büschele Holz, das sollt' ihm einmal einer nachtun. Auch war daselbst vor vielen hundert Jahren einmal ein Leinewebergesell, der hatte auch Farnsamen gewonnen, lebte die ganze Woche in Saus und Braus, arbeitete aber am Sonntag, weil das Sabbatschänden auch zu den Bedingnissen der Teufelsbündner gehört, aber da webte er ungeheure Stücken, bis die Teufelsweberei zuletzt an Tag kam und es damit ein dreckig Ende gewann. Jeder Farnsamenholer kann selben Samen aber nur auf sein eigenes Gewerb oder Handwerk holen, darin gelingt ihm dann nach bestandenen Proben alles. Wenn aber die Bäuerlein, wie auch schon dagewesen, Jäger werden wollen und die Dorfschulmeisterlein Staatsräte und die Advokaten gar Regenten – das glückt nicht, und wenn sie noch so viel roten Farnsamen vom Teufel in Tüten erlangt hätten.

  Inhalt  


Deutsches Sagenbuch, Ludwig Bechstein, Literatur  

Deutsches Sagenbuch, Ludwig Bechstein    Teil      Gruppe   Next

Deutsches Sagenbuch, Ludwig Bechstein. Anleitungen  ᴥ  Haftungsausschluss
© 2009–2019, Layout: Tormod Kinnes [E‑Mail].  Gemeinfrei Text.