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Deutsches Sagenbuch
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Vorbehalten    Inhalt     

  1. Schlangen als Kindergäste
  2. Der Schlangenkönig
  3. Die Schlangenamme
  4. Vom Hutzenbacher und andern Seen
  5. Das vierblättrige Kleeblatt
  6. Arbeit im Mondschein
  7. Die Erdbeeren
  8. Spottnamen in Schwaben
  9. Gansloser Streiche
  10. Trillpetritsch, Drallepatsch und Elbertrötsch

940. Schlangen als Kindergäste

Von Schlangen gibt es unzählige Sagen. Nach einer Richtung hin schlingen sich dieselben in die Lindwurmsagen ein, nach der andern haben sie elbische Färbung und gehen in das Reich der Hausgeister über, und wie die Schlangen dort furchtbar erscheinen, so erscheinen sie in letzterer Beziehung traulich. Auf Waldgebirgen zumal ist es eine bekannte Sage, daß man den Unk (die Ringelnatter) nicht töten dürfe, weil er Glück bringe, wo er in einem Hause wohne. Zu Schwamdorf bei Nagold erzählte ein Kind seiner Mutter, es komme immer ein Vögelein und esse mit von seiner Milch. Das verwunderte die Mutter, und sie lauschte. Siehe, da kam eine große Schlange – ein schöner Vogel das! – und aß Milch mit dem Kinde und war gut mit ihm, und wenn das Kind einen Löffel voll aus dem Häfele genommen, so steckte die Schlange ihren Kopf hinein und tat einen Schluck. Da wurde die Milch schneller alle als die Brot- oder Semmelbrocken, und das Kind gab der Schlange mit seinem Löffelchen einen leichten Klaps auf den Kopf und sagte zu ihr: Iß et no Ilch, iß au Ickle (iß nicht nur Milch, iß auch Brickle), und die Schlange ließ sich's gefallen und spielte hernach mit dem Kinde. – Dasselbe geschah mit eines Weingärtners Kind zu Rothenburg und nicht minder im Dorfe Thieringen, wo das Kind sprach: Iß et no Schlappe, iß au Mocke. – Und in Thüringen, auf dem Walde hauptsächlich, begegnet häufig dieselbe Sage; da spricht das Kind: Eß net no Nü, eß a Nocke (iß nicht nur Brüh, iß auch Brocken).

941. Der Schlangenkönig

Man hat Beispiele, daß selbst der Schlangenkönig, der ein prächtiges Goldkrönlein auf seinem Haupte trägt, sich bei Kindern eingefunden und mit von ihrer Milch gespeist hat, so bei einem Seiler in Stuttgart, welcher aber sehr ungastfreundlich den Schlangenkönig erschlug und durch die Krone unermeßlich reich wurde und das Haus an der neuen Brücke erbaute, welches jetzt das Gutbrodsche heißt. Solcher Häuser, deren Erbauer auf gleiche Art reich geworden, soll es dort zu Stuttgart noch mehrere geben. Wenn der Schlangenkönig in einen Bach geht, um zu baden, legt er jedesmal erst am Ufer sein Krönlein ab. Wer dieses findet und nimmt, der muß die Beine auf die Achsel nehmen und laufen, was er kann, denn sobald der Schlangenkönig den Verlust seiner Krone bemerkt, so will er sie wiederhaben, was ihm niemand verdenken kann, und schießt wie ein Pfeil hinter dem Räuber her. Holt er diesen ein, so ist der Räuber verloren, holt er ihn nicht ein, so macht die Krone den Kronenräuber unermeßlich reich. Einem Bauer aus Derendingen ist's also geglückt. Kann der Schlangenkönig seine Krone nicht wiedererlangen, so kommt er zu der Stelle zurück, wo sie ihm geraubt ward, und grämt sich und stirbt, denn er kann den Verlust der Krone nicht ertragen, er ist kein Philosoph, obgleich die Schrift den Schlangen Klugheit zuschreibt – aber wenn einem die Krone genommen wird, da hört alles auf.

942. Die Schlangen-Amme

Eine Frau aus einem Dorfe in Schwaben hatte ein säugendes Kind, und ging hinaus zur Heuet, legte das Kind in den Schatten und wartete ihres Tagewerkes. Da nun die Mittagszeit da war, ging sie zu ihrem Kinde, nahm es an ihre Brust, ließ es trinken, und entschlummerte. Als das Kind getrunken hatte, ließ es von seiner Labequelle und entschlief auch, und die Mutterbrust blieb offen. Da kam ein kleines Schlänglein geschlichen, das ringelte leise heran, und begann sanft zu saugen, und saugte sich ganz fest, und als die Frau erwachte, erfaßte sie ein tödtlicher Schreck, zu sehen, daß sie nicht nur nach dem Sprüchwort eine Schlange im Busen, sondern sogar am Busen nährte. Abreißen ließ sich die Schlange nicht, jeder gewaltsame Versuch, sie wegzubringen, konnte die Schlange zum Biß reizen, und den Tod herbeiführen. Gast und Last mußte daher von der Frau getragen werden. Der Schlange gedieh die Menschenmuttermilch wunderbarlich; sie schwoll mehr und mehr an, und war sie erst fingersdick gewesen, so wurde sie bald armsdick, und noch dicker, und es waren schon zehn Monate vergangen, seit das arme Weib die Schlange säugte, und begann nun zu verfallen und von Kräften zu kommen. Da kam ein Fremder von ohngefähr in das Dorf, der hörte von dem schweren Mißgeschick der Frau, und ging zu ihr, und sagte ihr, er wolle ihr von ihrer Bürde helfen, sie solle ihm nur in den/ Wald folgen. Dort zog der Mann magische Kreise, und nun zog er ein Pfeifchen hervor und begann darauf zu pfeifen. Darauf hat es im Walde geraschelt und gerauscht, und sind alle Schlangen gekrochen gekommen, und in die Kreise, und haben drin getanzt, und da ist die große und schwere Schlange, die so lang an der Frauenbrust gehangen, auch von ihr abgefallen, und hat in den Kreis gemußt und hat mit tanzen müssen. Wer war froher wie die Frau! – Hernachmals hat es sich begeben, daß dieselbe Frau, die sich wieder gut erholt hatte und wieder zu Kräften gekommen war, vor ihrer Thüre saß, und ihr Kind in den nahen Wald in die Beeren gegangen war. Da hört sie plötzlich die Leute schreien: ein Bär, ein Bär im Walde! eine Schlange! hu! eine Schlange! – Und denkt entsetzt ihres Kindes, und stürzt hin, da erblickt sie den Bären, und nahezu liegt ihr Kind und sie weiß nicht ob es tod oder lebendig, und der Bär stürzt brüllend zusammen, und der schlummernde Knabe erwacht. Eine großmächtige Schlange hat den Bären erdrosselt, als er das Kind packen wollte, und das ist dieselbige Schlange gewesen, welche die Frau mit ihrer Milch so stark und groß geschwellt, sonst hätte sie den Bären nimmer erdrücken können.

943. Vom Hutzenbacher und andern Seen

Wie der kleine und große Mummelsee ist auch der Hutzenbacher See weit berufen wegen der sich in ihm aufhaltenden Seemännlein und Seeweiblein, deren Töchter auch zum Kirchweihtanz nach Hutzenbach gekommen und vom allgemeinen Wasserjungfernlos erreicht worden sind. Das Seemännle in diesem See hatte die hülfreiche Natur der Erdmännle und diente insonderheit einem Bauer, welcher der Frieders-Bauer hieß. Der wollt' es auch gut meinen und ließ ihm ein neues Häs, das ist eine ganze Kleidung, aus Kittel, Weste und Hose bestehend, fertigen, weil des Seemännleins Kleidung gar zu zerfetzt und grasig war und den Moorgeruch an sich hatte. Und da nahm das Männle das Häs, tauchte in den See und soll noch heute wiederkommen. Ebenso ist es auch einem Müller aus Schwarzenberg mit einem Seemännle ergangen.

Drei Stunden von Wildbad liegt der wilde See, nach Baden hinwärts, aus dem kamen die Fräulein ins Wildbad und spannen und sangen. Das ist vorbei mitsamt der guten Zeit, und die Zeit ist hin, wo Bertha spann. Da einmal der Karl Herzog versuchen ließ, den wilden See messen zu lassen, wie tief er sei, wie beim großen Mummelsee auch geschehen, so fand das Senkblei keinen Grund, wie tief es immer fiel, und da geschah dem Herzog Ähnliches wie jenen Vermessenen, die des Arendsees Tiefe ergründen wollten, denn es zuckte von unten an der Schnur, und wie sie das Senkblei aufzogen, hing ein Zettel daran, auf welchem geschrieben stand: Wer misset die Wasser mit der Faust und fasset den Himmel mit der Spanne? – So du mich wirst ergründen, wirst meinen Grund du selber finden. – Da erschrak der Karl Herzog und ließ ab vom Messen und ließ den Kahn zum Strande fahren.

Ohnfern von Schönmünzach liegt noch ein sogenannter wilder See, welcher der Nonnensee genannt wird, man scheut sich ihn zu befahren; in der Mitte soll ein stiller Wirbel sein, der alle Fahrzeuge zur Tiefe zieht. Auch er kann, gleich andern, nicht vertragen, daß man Steine in ihn hineinwirft. Es stand dort ein Nonnenkloster, und erging damit wie mit dem bei Neuenkirchen im Odenwalde und dem Mönchskloster, an dessen Stelle das Heilige Meer zwischen Freren und Ibbenbüren trat. Noch immer hört man in der Tiefe die Klosterglocken läuten, ja man hört Gesang und Töne. Ein Bauer zu Schönmünzach soll noch den großen Schlüssel zur versunkenen Klosterkirche haben. Das gleiche erzählt man sich vom bodenlosen See zwischen Empfingen und Nordstetten. Da zeigt sich vor Gewittern ein schwimmend Seefräulein mit halbem Leibe. Aber andere sagen, dort habe nicht ein Kloster, sondern ein Wirtshaus gestanden, da sei es hergegangen wie dort beim Tanzteich zu Sachswerfen, es wird auch noch der Tanzplatz gezeigt, wo unter einer alten Linde die Sonntagstänzer unter der Kirche tanzten.

944. Das vierblättrige Kleeblatt

Zu Rottweil war einmal ein Gaukler und starker Hans, der machte dem Volk auf dem Markt die größten Possen vor nach solcher Possenreißer Art und verstand sich so trefflich auf Zauberverblendung wie jener sein Kunstgenoß zu Magdeburg. Zum letzten machte er das größte Stück, so noch niemals zu Rottweil gesehen worden. Er nahm einen langen und schweren Wies- oder Hebebaum, stellte den erst auf die Stirne, hernach auf die Zähne, zuletzt auf die Nase und hielt ihn immer im Schwebegleichgewicht, daß alles klatschte und Bravo rief. Da kam von ohngefähr eine Maid mit einem Tragkorb voll Klee, den sie vom Acker geholt für ihre Kühlein, und vorn am Mieder stak ihr ein vierblättrig Kleeblatt, das hatte sie gefunden und vorgesteckt und dabei gedacht: Willst's vorstecken, vielleicht bringt's Glück, daß du was findest oder was geschenkt kriegst – und wie sie so durch die Leute ging, sah sie den Gaukler und hörte das bewundernde Staunen, so was habe man noch nicht gesehen allhier zu Rottweil, so was lebe nicht, so was sei die größte Kunst, die es geben tue. Nu, was verwundert denn die Lüt so sehr? fragte das Mädchen mit dem vierblättrigen Kleeblatt. Doch nicht, daß der Narr dort läscht 'n Strohhalm uf seiner Nas tanze? – Kaum hatte sie das gesprochen, so schwand die Verblendung, und alle Welt sah jetzt, daß das, was sie für einen langen und schweren Wiesbaum angesehen, nichts war als ein langer glatter Strohhalm. Da der Künstler merkte, daß das Mädchen ihn verraten, so machte er ein anderes Hokuspokus, warf einen Faden Zwirn der Dirne entgegen und rief: Schau, Mädle, das Wässerle! Schwoabeliesel, heb dei Fießel! – Und im selben Augenblick war dem Mädchen, als wate es durch ein Wasser, und hob seine Röcke, und das Wasser wuchs zusehends, und sie hob immer höher, und wurde dunkelrot wie ihre Kleeblume vor Scham, denn alles Volk lachte überlaut, und sie war froh, als sie aus dem Bereich des gauklerischen Hexenmeisters kam. Die hatte ihr Teil und wollte nimmer zuschauen und andern ihre Küenscht verraten.

945. Arbeit im Mondschein

Es ist im Schwabenlande eine gemeine Sage, daß niemand arbeiten soll im Mondschein, denn solche Arbeit frommt nicht und gehört nicht Gott wie die Tages- und Lichtarbeit, sondern dem Teufel. Hätte der liebe Gott haben wollen, daß man im Mondschein arbeiten solle, so hätte er dem Mond mehr Lichtstärke verliehen. Die Rede geht, wer doch im Mondschein arbeite, zu dem komme insgemein ein Unbekannter und biete ihm Arbeit an, die dann immer etwas Geheimes auf sich habe. Einer Frau, die im Mondschein spann, bot der Fremde, der ihr erschien, einen ganzen Arm voll Spindeln, die sollte sie in derselben Nacht noch alle vollspinnen, wo nicht, so drehe er ihr bei der Wiederkehr den Hals um. Die Frau aber besann sich nicht lange, sie bespann alle Spindeln, auf jeder einmal herum, daß das Holz bedeckt war, sozusagen nicht mehr rein, wie man zu sagen pflegt: Kind, du hast dich vollgemacht, wenn eins sein Gewand verunreinigte. Und da konnte ihr der Schwarze, da er wiederkam, nichts anhaben, nur daß er ihr auch etwas vollmachte, nämlich die ganze Stube so voll Gestank, daß man sechs Monate lang daran zu schmecken hatte.

Der Mann im Mond, das ist kein anderer als ein Weingärtner aus Schwaben, der im Mondschein noch Rebebüschele machte, dafür muß er nun jahraus jahrein schweben und im Mond sein größtes Rebebüschele am Stöckle auf dem Rücken tragen. Man heißt ihn auch das Besenmännle, den Mann im Mond, weil er am Sonntag Besenreis geschnitten und dafür zur Strafe vom lieben Gott selbst hinauf in den Maun verwünscht worden ist.

946. Die Erdbeeren

Ein Kind im Schwabenlande ging einst, im Walde Erdbeeren zu suchen, und hatte schon ein hübsches Körbchen fast voll. Da ist ihm die Mutter Gottes begegnet und hat es gefragt: Was hast du in deinem Körbchen? – Das Kind fürchtete sich und mochte denken, die Mutter Gottes wolle von den Beeren haben, gab daher zagend zur Antwort: Nient (nichts). – Ei, sprach da die Mutter Gottes, ist es nient, so soll es dir auch nient beschießen (gedeihen)! – Und von da an wird kein Kind und kein Großes von Erdbeeren satt, es mag deren noch so viel essen.

In dieser Sage tritt wieder die Verwünschung durch den Mund der heiligen Gottesmutter als Strafe des Geizes im Bunde mit der Lüge durch Ungedeihen auf, wie in der arabischen Sage von der Erbsensaat auf dem Acker bei Bethlehem.

947. Spottnamen in Schwaben

Daß Schwaben sein gut Teil mitträgt an der Spott-und Neckebürde, welche im Norden und Süden wie inmitten des lieben deutschen Vaterlandes heimisch ist, das ist schon vielen bekannt. Es wäre fürwahr großes Unrecht, nachdem der Spottnamen und Schildbürger im Norden, der Herren von Schilda, der vogtländischen Siebenstädte und Weltmitte, des schlesischen Ehrentitels, der Ummerstädter, Wasunger, Dittisser und Karlstadter Streiche, auch der Löllenfelder und Galgendenkler gedacht worden, der Schwabenstreiche und Spottnamen nicht auch mit Züchten zu gedenken.

Schon das schöne Volksbüchlein von den sieben Schwaben wird zur Quelle, aus der sich ein heiterer und frischer Zug tun läßt. Fast jeder der sieben Helden hatte seinen bezüglichen Beinamen; da war Jockele der Seehas, vom Bodensee bürtig, allwo der berühmte Seewein wächst, und wie selber Wein gar grimmig ist und den Leuten die Därme durchbeißt, also sollen auch die Seehasen gar groß und grimmig sein und die Leute vom See mächtig tapfere Helden. Der Marle, Nestelschwab genannt, trug seinen Namen von der Eigenheit vieler Schwaben, statt der Knöpfe seine Hosen mit Nesteln versehen zu haben, daher er viel an selben zu halten hatte. Spiegelschwaben wird es wohl alleweil auch noch geben und Knöpfelsschwaben desgleichen. Was nun den Veitle, Gelbfießler genannt, betrifft, so ist das eine nur allzusehr bekannte Sache, daß er aus Bopfingen war und den Bopfingern nachgesagt wird, sie hätten einmal bei einer Eierlieferung als Abgabe aus eitel Gutmeinen recht viel liefern wollen und hätten die Eier mit den Füßen tüchtig festgestampft, da seien ihnen die Füße gelb worden. Können sich aber trösten, denn derselbe Schwank wird auch den Derendinger Bauern nacherzählt, und gibt deren Dinger noch mehr. Die Jaxtheimer hätten auch zu derselben Ehre kommen können als die Heiße-Eierleger, weil einmal eine Frau alldort eine Hexe war, welche weißes Zauberbrot aß und nun Eier in Menge legte. Ein Knecht naschte von selbem Weißbrot, und nun ging bei dem das Gegacker auch los, und legte und legte einen ganzen Spreukorb voll, bis der Herr dazukam, dem verriet der Knecht das Geheimnis; da aß der Herr auch und wurde auch zum Gückelhuhn und legte Eier, was das Zeug hielt. Als diese Hexenkunst herumkam, wollte kein Mensch mehr Jaxtheimer Eier haben und kaufen, meinten alle, die die Eier legten, könnten sie auch selber essen. Eine verwandte Sage von solcher Eierlegung, aber durch eine Kröte, gibt es von einer Hexenbuhle auf einem Dorfe bei Köln am Rhein. – Die Jesinger führen den Unnamen Räpplesfresser, weil sie einmal sich haben einen gefallenen Rappen schmecken lassen, doch war es nur ein ganz kleiner. – Die Hornberger stellten einst ein großes Lustschießen an und sorgten für alles, Glückshafen, Scheiben, Essen, Trinken, Musik und Böller, doch fehlte, als es angehen sollte, nur eins – das Pulver, daher sagt man von einem Ding, das mit großer Wirtschaft angefangen wird, wo alles hofft und spannt und die Mäuler recht voll genommen werden und aus der ganzen Geschichte hernach doch nur Dreck wird: es geht aus wie 's Hornberger Schießen. – Den Ulmern begegnete die Geschichte mit dem Spatzen und dem Strohhalm, die andern Ortseinwohnern auch aufgemutzt wird, sie aber, die Ulmer, müssen den Namen Spatzen geduldig tragen. – Schlimmer sind die Rottweilerer dran, deren Bürgermeister einen Kürbis, den sie fanden und für das Ei eines seltnen Vogels hielten, ausbrüten mußte. Aber selbes Ei faulte, und man warf es über die Mauer, da platzte es, und vom Schall erschreckt, fuhr ein Has aus einem Busch, und sie dachten, es wäre ein junges Eselsfüllen, von wegen der langen Ohren. Seitdem werden sie Esel geheißen, als welches gar wildgarstig. – Und tragen die Neuffener denselben Namen noch mit dem Zusatz Fresser, müssen sich mit den Schlesiern trösten. – Die Seebronner über Rothenburg a.N. heißen Sensenschmecker, weil einmal einer von ihnen heimlich einem andern den Hanf abgemäht. Diese Untat zu entdecken, ließ der Schultheiß – neumodisch heißt's Bürgermeister, ob auch in Schwaben, steht dahin, ist ein Schwabenstreich extra muros, wenn sich die Bauern Bürger nennen, als wäre Bauer ein Schimpf- und nicht ein Ehrenname – alle Sensen aufs Gemeindehaus kommen, um durch den Geruch zu schmecken, wessen Sense den Hanf abgeschlagen. Klingt lächerlich, war aber doch nicht ohne, und der Schulz war nicht dumm, denn der Hanf hat einen von jedem andern Kraut unterschiedenen Geruch. – Die Hirschauer in der Nähe von Tübingen heißen Kröpfle. Fragt einer, warum, so folgt die Antwort: weil sie die Waden unterm Kinn und, nach dem Spottwort, alle ihre Glieder beisammen haben – sie sind schier alle kropfet. Einst ging ein Fremder durch Hirschau, den spotteten die Kinder aus, weil er des Kropfs ermangelte, ging ihm wie dem Fremden in Gellerts Fabel vom Lande der Hinkenden und Stammelnden. Doch fand sich eine kluge Mutter, die zog ihren kröpfigen Jungen herein, gab ihm eine Dachtel und sagte: Unnützer Bub! Was mußt du den armen Herrn ausspotten, weil er keinen Kropf hat? Danke du Gott, daß du alle deine Glieder beisammen hast! – Die Kiebinger und Munderkinger heißen Mondfanger und Stangenstrecker; haben den Mond fangen wollen im Neckar, wie er gerade drinlag, und im Schweinstall, wie er hineinschien, und mit einer Stange vom Himmel langen wie einen Apfel vom Baume. – Die Aalener aber, das sind erst Kluge, die wissen, wo Barthel Most holt, und wo der Has im Pfeffer liegt. Einstmals hatten sie Streit mit einem Kaiser, der zog gegen sie heran mit Heeresmacht; da ward ihnen bange, mochten gern erkunden, wie stark das Heer sei, das heranrückte, und ob sie's wohl mit ihm aufnehmen könnten. Sie wählten ihren Allerklügsten, wie ja bei Wahlen allemal geschieht und gar nicht anders sein kann, deshalb hat's auch so mächtig viel Doktor G'scheitle gegeben dazumal – nicht zu Aalen. Nun schritt der Kundschafter herzhaft auf das Lager zu, sah das große Heer, konnt's aber nicht zählen, ging gerad auf die Generalität los und sprach treuherzig: Grüesch Gott, ihr Herre! – Was suchst du hier? wurde gefragt. Mit Verlaub, sprach er, suchen tun i gar nix, brauchens sie nit ze fierchte, ich bin halt nur der Kundschafter von Aalen und will mi mit Verlaub e bissel umschaun im Lager drin. – Da lachte alles, selbst der Kaiser, und machte Frieden mit Aalen. Darauf wurde der Kundschafter an der Uhr angebracht, nämlich sein Bildnuß, und das mußte Gesichter schneiden, sah aus, wie das caput zu Jena. Hernachmals haben gar viele über den Aalen-Lalenstreich gelacht, selbst Napoleon mit seiner Garde, als er durch den Ort kam und auf dem Markt eine Parade abnahm; dann aber haben die Aaleren das Kundschafterbild, das so lange paradiert, doch in aller Stille abgenommen.

948. Gansloser Streiche

Liegt ein Dorf in Schwaben, im Gebirg zwischen Owen und Geislingen, heißt Ganslosen und ist nah verwandt mit Dittis im Rhöngebirg; eins von denen, welchem vornehmlich alle Schwabenstreiche aufgebürdet werden. Auch die Gansloser haben, wie die Dittisser, Geschichten von ihrem Kirchenbau. Als die Kirche vollendet war, brachte man eine Sonnenuhr am Turme an, die mußte derselbige Maler malen, der den Rottweilerern die Flucht aus Ägypten auf ihre Fahne gemalt, und alles mit Wasserfarben, bis auf den Esel, den hatte er mit Ölfarben gemalt; da nun die Fahne in Regen kam, floß alles ab, und nur der Grauschimmel blieb zu Spott und Hohn als der Rottweilerer Schimpfwahrzeichen. Da sich nun die Gansloser beim Gemäld ihrer Sonnenuhr ähnlicher Tückerei vom Maler versahen, wurden sie eins, ein Dachel über selbige machen zu lassen, so konnte der Regen die Farben hübsch nicht abflüten, und die Sonne konnte sie auch nicht ausziehen oder bleichen. Die Geschicht mit dem Brunnenausmessen, wo einer am andern sich anhängt und zuletzt der Schultes, an dem sie alle hängen, losläßt, um nur einmal in die Hände zu spucken, um sich dann fester halten zu können, ist den Ganslosern auch aufgehalst worden. Wie die Wasunger ihre aparte Arie haben, so haben auch die Gansloser eine, und zwar auf einen Storch, der sich, wie in Ägyptenland, alldort göttlicher Verehrung erfreute, jedoch später durch vier Mann, die einen fünften trugen, damit er die Saat nicht vertrete, aus der Saat gejagt wurde. Sie feiern ihm vergnüglich ein eignes Storchenfest – wird der Gründonnerstag sein, der in Thüringen und Franken häufig geradezu der Storch heißt – und singen folgendermaßen ihre Aria:

Heut feiern wir

Das hohe Tier,

Das uns auf unsern Wiesen ga-

Ht – 's hat ein schwarzweißes Wammes an

Und einen Schnabel wie a Gan-

S Halleluja!

Da nun aber die Gansloser doch von ihren Landsleuten gar zu arg aufgezogen, gehänselt und gedränselt wurden mit ihren Streichen und mancherlei Unnamen, so ward ihnen der Name ihres Dorfes leidig und wollten ihn samt der Erinnerung ganz los sein, nannten daher und kamen darum ein, dies fürder tun zu dürfen, ihren Ort Audorf. Wenn nun die Nachbarn kommen, so fragen sie spöttisch: Ist Ganslosen au e Dorf (auch ein Dorf oder euer Dorf)? – und jene haben damit nichts gewonnen als den Ruhm eines neuen Schwabenstreiches.

949. Trillpetritsch, Drallepatsch und Elbertrötsch

Von selbigen drei schönen Namen, wie sie hier oben stehen, weiß man so eigentlich nicht, wer sie geführt hat; es sind schwäbische Scherznamen, denn in Schwaben gibt es viel Scherzlust und echte Gemütlichkeit, und mehr als in manchem andern deutschen Lande, wo viele Leute sich gar nimmer auskennen, wie gar klug und weise sie sind, und wie viele Toisen über die Meeresfläche ihre Nasen erhaben sind.

Daß der Elbertrötsch von irgendeinem Elben der Mythe seinen Namen trage, dürfte sehr zu bezweifeln sein; der Name wird wohl im Worte albern sein einfaches Würzelchen haben; Drallepatsch wird sein, was anderorts Tallepatsch, Tolpatsch ist, und Trillpetritsch ließe sich in drillen und Peter auflösen, ein gedrillter, ungedrehter, genarrter Peter, das ganze Kleeblatt ein dreifaches Stichblatt für die spiel- und scherzweise Verhöhnung. Die Redensart geht, einen dieser dreie jagen, welche Jagd gewöhnlich ein recht dummer Talk und Löll vornehmen muß, den die losen Spielgenossen mit einem offenen Sack irgendwohin stellen, den einen der dreie zu fangen; dann schleichen sie sich hinweg und lassen ihn stehen, solange er dumm genug ist, stehenzubleiben, hernach lachen sie ihn tüchtig aus und geben ihm den schönen Spottnamen dessen, den er jagen und fangen sollte, selbst.

Einstmals fing einer aus oder bei Friedingen her, der den Trillpetritsch fangen sollte und bei einer Fuchsgrube stand, unversehens einen Hasen, der ihm in den Sack gehüpft war; da war der Jubel des Dummen groß; im Triumph ward das gefangene Ungeheuer in die Lichtkarzstube getragen, und war große Furcht, was es wohl für ein Ungeheuer sei, und wappneten sich alle mit weidlichen Mordgewehren, und ging schier wie bei den sieben Schwaben im Märlein, wie sie auf ihr Ebenteuer gegen das Ungeheuer, den Seehasen, auszogen, bis der Has aus dem Sack herausfuhr und alles durcheinanderrief, wie damals der Allgäuer:

Potz Veitle! luag, luag, was ischt das?

Es Ohngeheuer ischt noh e Has. –

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