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Ludwig Bechstein: Märchen
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Der Schäfer und die Schlange

ES WAR einmal ein armer Schäferknabe in einem friedlichen, anmutig gelegenen Dörfchen; bei dem Dörfchen war ein Tal und ein gar trautes Ortlein, an welches der Schäferknabe immer seine Herde hintrieb, und es schien, als habe der Schäfer diesen stillen Ort sich zum Lieblingsplätzchen erwählt. Er aß nicht eher sein Mittagsbrot und suchte nicht eher die kühle Ruhe, bis er an das traute Plätzchen kam. Dorthin zog ihn immer eine unerklärliche Sehnsucht.

Das Plätzchen selbst war ganz einfach: ein roher Stein lag nur da, unter welchem eine Quelle murmelte, und ein wilder Birnbaum stand dabei, der den Stein überschattete mit seinen dichtbelaubten Zweigen. Doch der Knabe fühlte sich immer so froh, wenn er an diesem Stein aß, aus der Quelle trank, und wenn der Stein sein Ruhekissen war, und es war ihm dann, als höre er ein geheimnisvolles Singen und Seufzen unter dem Stein; dann lauschte er, entschlummerte dann und träumte. Immer war ihm, als umschwebe seine Seele ein geheimes, überirdisches Glück. War er fortgetrieben mit der Herde, und war er abends heimgetrieben, so bemächtigte sich seiner wieder diese unerklärliche Sehnsucht; er mochte unter der Schar der muntern Dorfburschen und Mädchen nicht lustig singend und schäkernd mit umherziehen, wenn es Feierabend war, vielmehr ging er still und allein und wurde sogar traurig. Doch brach der neue schöne Morgen wieder an und zog er mit seiner Lämmerherde wieder hinaus auf Flur und Raine, so wurde sein Sinn heiter und immer heiterer, bis er den lieben Stein, den Schatten des trauten Birnbaums erreicht hatte. Oft auch, wenn er dort rastete und auf seiner Flöte blies, begab es sich, daß eine silberweiße Schlange unter dem Stein hervorkam, die sich erst vertraulich an seine Füße schmiegte, sich dann emporwand und den Schäfer anblickte, bis zwei große Tränen aus ihren Augen quollen, und die dann leise wieder unter den Stein schlüpfte. Da wurde dem Schäfer allemal so eigentümlich, so wunderbar zumute. Sein Herz war froh und doch unaussprechlich wehmütig.

Zuletzt ging der Schäfer gar nicht mehr unter die muntere Zahl der Burschen und Mädchen, das helle lustige Getöse war ihm ganz zuwider, dagegen tat ihm die einsame Stille so wohl und wurde ihm immer lieber.

An einem schönen Frühlingssonntag, dem Sonntage Trinitatis, den die Landleute den "goldenen Sonntag" nennen und besonders hochhalten und festlich feiern, wo unter der Dorflinde ein lustiger Tanz gehalten werden sollte, lenkte der stille Schäferknabe, von jener unaussprechlichen Sehnsucht getrieben, in der Mittagsstunde seine Schritte dem einsamen Tal zu, wo der Stein und der Birnbaum waren. Er grüßte heiter das traute Plätzchen, setzte sich stilldenkend nieder und lauschte dem Flüstern der Baumblätter und dem geheimnisvollen Geplauder unter dem Steine. Da wurde es mit einemmal so licht vor seinen Blicken, ein Bangen durchzitterte sein Herz, er blickte auf und sah eine holde Gestalt in weißem Kleide, gleich einem Engel, vor sich stehen, mit sanftem Blick und gefalteten Händen; und trunkenen Sinnes hörte der Schäfer eine süße Stimme ihm zuflüstern: "O Jüngling, sei nicht bange, O höre das Flehen eines unglücklichen Mädchens, stoße mich nicht von dir und entfliehe nicht vor meinem Jammer. Ich bin eine edle Prinzessin, bin unermeßlich reich an Perlen- und Goldschätzen; aber ich schmachte schon viele Jahrhunderte verzaubert und verbannt hier unter diesem Stein und muß in einem Schlangenleib umherschleichen. So erschaute ich dich hier oft und gewann die Hoffnung, du könntest mich erlösen, du seiest noch rein im Herzen wie ein Kind. Und diese jetzige Stunde, am goldnen Sonntag um die Mittagsstunde, diese allein im ganzen Jahr ist mir vergönnt, in meiner wahren Gestalt auf der Erde zu wandeln; und fände ich da einen Jüngling reinen Herzens, so dürfe ich ihn um meine Erlösung ansprechen. Befreie mich, du Teurer, befreie mich, um alles Heiles willen flehe ich dich an." Da sank das Mädchen nieder vor die Füße des Schäfers, und umfaßte sie fest und blickte in Tränen zu ihm empor.

Dem Jüngling aber bebte das Herz vor Entzücken, und er hub das Engelmägdlein auf und stammelte: "O sage nur, was soll ich tun, wie soll ich dich befreien, du schöne Liebe?"

Sie sprach: "Komm morgen um dieselbe Stunde wieder hierher, und wenn ich da in meinem Schlangenleib dir erscheine und dich umwinde und dich dreimal küsse, so erschrick nur nicht, O so erschrick nur nicht, sonst muß ich abermal auf hunden Jahre hier verzaubert schmachten." Sie verschwand in diesem Augenblick; und es tönte wieder ein leises Singen und Seufzen unter dem Stein hervor.

Am folgenden Tage um die Mirtagsstunde harrte der Schäfer, nicht ohne Bangen, an jenem Ort, er flehte zum Himmel um Stärke und Standhaftigkeit in dem grauenvollen Augenblick des Schlangenkusses. Und schon wand sich die Schlange sllberweiß unter dem Stein hervor, schlich dem Jüngling zu, ringelte sich um seinen Leib und hob das Schlangenhaupt mit den hellen Augen empor zum Kusse; aber der Jüngling blieb stark und duldete die drei Küsse. Da geschah ein mächtiger Schlag, da rollten furchtbare Donner um den ohnmächtig hingesunkenen Jüngling, und wie er wieder erwachte, lag er auf weichen, seidenen Kissen in einem wundervoll geschmückten Zimmer, und das holde Mädchen kniete vor seinem Lager und hielt seine Hand an ihr Herz. "O sei gedankt, Himmel!" rief sie, als er die Augen aufschlug, "O habe Dank, Herzensjüngling, für meine Rettung, und nimm zum Lohn mein schönes Land und dieses schöne Schloß mit allen kostbaren Schätzen, und nimm mich als deine treue Frau an. Du sollst nun glücklich sein und sollst Freuden die Fülle haben."

Und dieser Schäfer wurde glücklich und froh; jene Sehnsucht seines Herzens, die ihn so oft hin nach dem Stein, zur stillen Einsamkeit, getrieben - ward herrlich befriedigt. Er lebte, der Welt entrückt, im Schoße des Glücks, mit seiner schönen Gemahlin; und er sehnte sich nicht auf die Erde, nicht zu seinen Lämmern zurück. Aber in jenem Dorfe war ein großes Leid um den so plötzlich verschwundenen Schäfer, die Leute suchten ihn im Tal, bei dem Stein unterm Birnbaum, wo er zuletzt hingegangen war, doch weder der Schäfer, noch der Stein, noch die Quelle, noch der Birnbaum waren mehr zu finden, und kein Auge sah von diesen allen je das mindeste wieder.

Der Schmied von Jüterbogk

IM STÄDTLEIN Jüterbogk hat einmal ein Schmied gelebt, von dem erzählen sich Kinder und Alte ein wundersames Märlein. Es war dieser Schmied erst ein junger Bursche, der einen sehr strengen Vater hatte, aber treulich Gottes Gebote hielt. Er tat große Reisen und erlebte viele Abenteuer, dabei war er in seiner Kunst über alle Maßen geschickt und tüchtig. Er hatte eine Stahltinktur, die jeden Harnisch und Panzer undurchdringlich machte, welcher damit bestrichen wurde, und gesellte sich dem Heere Kaiser Friedrichs II. zu, wo er kaiserlicher Rüstmeister wurde und den Kriegszug nach Mailand und Apulien mitmachte. Dort eroberte er den Heer- und Bannerwagen der Stadt und kehrte endlich, nachdem der Kaiser gestorben war, mit vielem Reichtum in seine Heimat zurück. Er sah gute Tage, dann wieder böse und wurde über hundert Jahre alt. Einst saß er in seinem Garten unter einem alten Birnbaum, da kam ein graues Männlein auf einem Esel geritten, das sich schon mehrmals als des Schmiedes Schutzgeist bewiesen hatte. Dieses Männchen herbergte bei dem Schmied und ließ den Esel beschlagen, was jener gern tat, ohne Lohn zu heischen. Darauf sagte das Männlein zu Peter, er solle drei Wünsche tun, aber dabei das Beste nicht vergessen. Da wünschte der Schmied, weil die Diebe ihm oft die Birnen gestohlen, es solle keiner, der auf den Bimbaum gestiegen, ohne seinen Willen wieder herunter können - und weil er auch in der Stube öfters bestohlen worden war, so wünschte er, es solle niemand ohne seine Erlaubnis in die Stube kommen können, es wäre denn durch das Schlüsselloch. Und dann tat der Schmied den dritten Wunsch, sagend: "Das Beste ist ein guter Schnaps, so wünsche ich, daß diese Bulle niemals leer werde!"

"Deine Wünsche sind gewährt", sprach das Männchen, strich noch über einige Stangen Eisen, die in der Schmiede lagen, mit der Hand, setzte sich auf seinen Esel und ritt von dannen. Das Eisen war in blankes Silber verwandelt.

Der vorher arm gewordene Schmied war wieder reich und lebte fort und fort bei gutem Wohlsein, denn die nie versiegenden Magentropfen in der Bulle waren, ohne daß er es wußte, ein Lebenselixier. Endlich klopfte der Tod an, der ihn so lange vergessen zu haben schien; der Schmied war scheinbar auch gern bereitwillig, mit ihm zu gehen, und bat nur, ihm ein kleines Labsal zu vergönnen und ein paar Birnen von dem Baum zu holen, den er nicht selbst mehr besteigen könne aus großer Altersschwäche. Der Tod stieg auf den Baum, und der Schmied sprach: "Bleib droben!" denn er hatte Lust, noch länger zu leben. Der Tod fraß alle Birnen vom Baum, dann gingen seine Fasten an, und vor Hunger verzehrte er sich selbst mit Haut und Haar, daher er jetzt nur noch so ein scheulich dürres Gerippe ist. Auf Erden aber starb niemand mehr, weder Mensch noch Tier, darüber entstand viel Unheil, und endlich ging der Schmied hin zu dem klappernden Tod und akkordierte mit ihm, daß er ihn fürder in Ruhe lasse, dann ließ er ihn los. Wütend floh der Tod von dannen und begann nun auf Erden aufzuräumen.

Da er sich an dem Schmied nicht rächen konnte, so hetzte er ihm den Teufel auf den Hals, daß dieser ihn hole. Dieser machte sich flugs auf den Weg, aber der pfiffige Schmied roch den Schwefel voraus, schloß seine Türe zu, hielt mit den Gesellen einen ledernen Sack an das Schlüsselloch, und wie Herr Urian hindurch fuhr, da er nicht anders in die Schmiede konnte, wurde der Sack zugebunden, zum Amboß getragen, und nun wurde ganz unbarrnherziglich mit den schwersten Hämmern auf den Teufel losgepocht, daß ihm Hören und Sehen verging, er ganz mürbe wurde und das Wiederkommen auf immer verschwur.

Nun lebte der Schmied noch gar lange Zeit in Ruhe, bis er, wie alle Freunde und Bekannte ihm gestorben waren, des Erdenlebens satt und müde wurde. Machte sich deshalb auf den Weg und ging nach dem Himmel, wo er bescheidentlich am Tore anklopfte. Da schaute der heilige Petws herfür, und Peter der Schmied erkannte in ihm seinen Schutzpatron und Schutzgeist, der ihn oft aus Not und Gefahr sichtbarlich errettet und ihm zuletzt die drei Wünsche gewährt hatte. Jetzt aber sprach Petrus: "liebe dich weg, der Himmel bleibt dir verschlossen; du hast das Beste zu erbitten vergessen: die Seligkeit!"

Auf diesen Bescheid wandte sich Peter und gedachte, sein Heil in der Hölle zu versuchen, und wanderte wieder abwärts, fand auch bald den rechten, breiten und vielbegangenen Weg. Wie aber der Teufel erführ, daß der Schmied von Jüterbogk im Anzuge sei, schlug er das Höllentor ihm vor der Nase zu und setzte die Hölle gegen ihn in Verteidigungsstand. Da nun der Schmied von Jüterbogk weder im Himmel noch in der Hölle seine Zuflucht fand, und auf Erden es ihm nimmer gefallen wollte, so ist er hinab in den Kyffiläuser gegangen zu Kaiser Friedrichen, dem er einst gedient. Der alte Kaiser, sein Herr, freute sich, als er seinen Rüstmeister Peter kommen sah und fragte ihn gleich, ob die Raben noch um den Iurm der Burgruine Kyffhausen flögen? Und als Peter das bejahte, so seufzte der Rotbart. Der Schmied aber blieb im Berge, wo er des Kaisers Handpferd und die Pferde der Prinzessin und die der reitenden Fräulein beschlägt, bis des Kaisers Erlösungsstunde auch ihm schlagen wird.

Und das wird geschehen nach dem Munde der Sage, wenn dereinst die Raben nicht mehr um den Berg fliegen, und auf dem Ratsfeld nahe dem Kyffhäuser ein alter dürrer abgestorbener Birnbaum wieder ausschlägt, grünt und blüht. Dann tritt der Kaiser hervor mit all seinen Wappnern, schlägt die große Schlacht der Befreiung und hängt seinen Schild an den wieder grünen Baum. Hierauf geht er ein mit seinem Gesinde zu der ewigen Ruhe.

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Ludwig Bechstein Märchen, Literatur  

Bechstein, Ludwig. Sämtliche Märchen. Düsseldorf: Patmos/Albatross Verlag, 1999.

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