Seitenübersicht
Ludwig Bechstein: Märchen
Teil › 2   Gruppe    Suche  Previous Next

Vorbehalten    Inhalt     

Der schwarze Graf

EINST zog ein Ritter durch den Wald, sein Knappe folgte ihm; es wurde Nacht, doch der Ritter kannte keine Furcht. Verrufen war die Gegend, gemieden der Weg durch den wilden Wald, den der Ritter mit seinem Knappen ritt. Der Weg führte beide vorüber am Schlosse eines befreundeten Ritters, dessen Tochter gerade Hochzeit hielt, und er sprach als Gast dort eine kurze Zeit zu. Die Freunde wollten ihn länger halten, er sollte mit seinem Knappen im Hochzeitshause übernachten, aber den Ritter trieb Eile, er lehnte alle freundlichen Einladungen zum Bleiben ab. Man warnte ihn, im Walde hause der "schwarze Graf", ein gespenstischer Ritter, der allen, auf welche er stieße, namenlose Schrecknisse bereite. Selbst die Braut verschwendete ihre Bitten an den Freund ihres Vaters; sie führte ihm das Sprichwort zu Gemüte: "Die Nacht ist keines Menschen Freund." Unaufschiebbares Geschäft schützte der Gast vor und entritt. Weg und Wald waren sehr finster. Der Ritter und der Knappe ritten schon drei Stunden lang, noch war ihnen nichts begegnet, der Ritter ritt im Panzer seines Mutes und guten Gewissens gegen den Angriff feindlicher unterirdischer Mächte, gegen Feindesangriff irdischer Art schirmten ihn die eiserne Rüstung, die starke Faust, das blanke Schwert.

Jetzt drängte plötzlich der Knappe sein Roß vor, neben das seines Herrn und flüsterte ängstlich: "Herr! Es reitet einer hinter uns - hohl klingt der Hufschlag seines Rosses - und schaut Euch um, Herr - seht, wie Feuerschaum dem Rosse vom Gebisse träuft, seht, wie seine Nüstern Funken sprühen."

Schnell war der schwarze Reiter, der ihnen folgte, an den beiden. "Hollah! Gesellschaft! Wackere Kumpane!" rief eine tiefe, hohle Stimme.

"Gott zum Gruß!" antwortete der Ritter, und der Rappe des Fremden stieg bäumend in die Höhe und schnaubte Ströme Feuers aus den Nüstern - von dessen Schein des schwarzen Ritters Eisenrüstung rot erglühete.

"Für solchen Gruß dank Euch der Teufel, nicht ich!" versetzte wild der riesige Nachtgesell und hieb wild auf den bäumenden Rappen. "Doch wißt, Ihr seid verirrt! Kommt mit mir auf mein Schloß, ganz nahe liegt's, dort seht Ihr schon die Fenster schimmern."

"Ich danke, hab nicht Zeit zur Einkehr!" antwortete der Ritter.

Doch jener rief gebietend: "Zeit wird sich finden!" und lachte, daß es weit im Walde gellte. Eine lange schwarze Mauer zog quer über den Weg, in der Mauer war ein halbverfallenes Tor - der Weg führte gerade hinein, und im Ring der Mauer lag das Schloß, ein gewaltiger, vielgetürmter Bau. Droben im Gewirre der Türme und Türmchen kreischten Eulen. Am Tore des Hauses ringelten sich steinerne dickleibige Drachen mit weit vorgestreckten dünnen Hälsen um die Säulen. Nur wenige Fenster waren erhellt - schwarz ragte der ganze übrige Bau empor zum dunklen Himmel.

Der schwarze Graf schwang sich vom Roß - und dieses Roß sank hinter ihm in die Erde.

"Folget mir hinein!" rief der schwarze Graf seinen gezwungenen Gästen zu.

"Nicht hinein! Um des Himmels willen nicht hinein!" flüsterte der treue Knappe seinem Herm ins Ohr.

"Schweige Knecht!" schrie der schwarze Graf diesem gebieterisch zu. "Hier herrscht nicht des Himmels Wille, sondern mein Wille! Bleibe in Blendung!"

Da schwand vor des Knappen Augen das Schloß, er stand auf öder einsamer Heide, neben einem alten Gemäuer, drei Türme ragten daraus empor - das war nicht mehr des schwarzen Grafen Schloß, das war ein anderes Haus.

Der Ritter folgte seinem Führer voll Mut die Stufen einer Wendeltreppe hinan. Von Zeit zu Zeit streckte sich eine Greifenklaue aus der Wand, die hielt eine brennende Kerze, die Kerzen waren schwarz und weiß. Die Wände waren kohlschwarz. Des schwarzen Grafen Rüstung war auch ganz schwarz und ganz nach uralter Art, ein Kettenpanzer umkleidete ihn völlig, nur auf dem Haupte trug er einen Helm seltsamer Form; der Kamm dieses Helmes war nicht gegossen oder geschmiedet, er war lebendig und ward gebildet von einem kleinen salamandergleichen Drachen, der seine Klauen fest an den Helm geklemmt hielt, den Kopf bisweilen drehte und dessen schwarze Funkelaugen wie Demantspitzen blitzten. Lang hing des Drachen Schwanz vom Helme abwärts bis in den Nacken und schlenkerte bald hinüber, bald herüber. Droben stand am Ende der Treppe der schwarze Graf und wandte sich seinem Gaste zu. Bleich war sein Antlitz, bleich und abgezehrt, seine Augen lagen tief in ihren Höhlen und blickten Mord, sie waren ohne Wimpern, und über ihnen wölbten sich keine Brauen. Der schwarze Graf keuchte schwer, und sein Atem glühte wie der Hauch der afrikanischen Wüste, feuerheiß.

"Nun folge mir und schaue, was ich tat und wie ich leide!" sprach zu dem Ritter der schwarze Graf. "Einem jeden, der mitternachts meinen Weg reitet, muß ich zeigen meine Missetat. Brauchst nicht für mich zu beten, Mann! Meine Tat sühnt nicht Reue, nicht Fürbitte, nicht Gebet."

Die Türe eines Saales, mit phantastischem Bildwerke verziert, sprang donnernd auf - kalter Eishauch, wie von einem Gletscher, wehete aus dem Saale entgegen. Der große weite Saal war auch ganz schwarz und war ganz leer - nur in der Mitte - da stand etwas, beleuchtet von einer matten trüben Ampel, die darüber von der Decke niederhing. Und was dort stand, das war ein Sarg, und in dem Sarge lag eine Leiche, die Leiche einer alten kleinen Frau, ganz weiß gekleidet, die Hände aneinander gelegt, wie zum Gebete - über den Händen aber, aus der Brust, ragte der schwarze Griff eines Dolches.

"Hier meine Mutter!" rief der schwarze Graf. "Hier ihr Mörder!" rief er noch einmal, daß es schaurig im Saale hallte, und brach am Sarge in die Knie. Da hob sich plötzlich die Leiche im Sarge empor und wuchs und wuchs, so riesengroß - so ungeheuer, ein grauser Spuk, und deckte sich über den schwarzen Grafen und füllte mehr und mehr den Raum, und der Ritter wich zurück, bis die Wand ihn hemmte - immer grausiger wurde die entsetzliche Gestalt, immer höher - ihr weißes Antlitz war schon so groß wie der Vollmond im Aufgehen, und ihr Gewand wallete wie Nebel - ihre Hände aber gruben in der Brust des schwarzen Grafen und gruben ihm das Herz aus der Brust.

Dem Ritter flirrte es vor den Sinnen, wie Nachtflöre einer Ohnmacht! Er zog sein Schwert und schrie: "Unholde! Weicht im Namen des Gekreuzigten!" Da gellte ein entsetzlicher Schrei, da krachte das Gebälk, wankte das Haus, sank Sarg und Wand, sank Graf und Gräfin, sank der Boden samt dem Ritter tief, tief hinab in undurchdringliche Nacht. Aus einer Betäubung erwachte der Ritter. Sein treues Schwert hielt er noch in der Hand. Schwarze Nacht war rings um ihn her, sein Fuß trat auf Moorgrund, seine Hand ertappte Mauerwerk und feuchtes Gras, Nachtluft umwehte ihn kühl und schauernd.

Was war das? Und wo bin ich? fragte sich der Ritter, und unruhevoll klopfte ihm sein sonst so mutiges Herz. Er rief laut den Namen seines Knappen. Horch! Ein Antwortruf, aber aus weiter Entfernung. Der Ritter rief wieder - der Knappe kam näher - er führte noch die beiden Rosse an den Zügeln.

"Herr, wo seid Ihr?" rief von weitem der sich nähernde Knappe.

"Hier! Hier im Moor und unter Trümmern", rief der Ritter.

Mit Mühe half durch Zusammenknüpfen von Riemen und Strängen der Knappe seinem Herrn aus dem Sumpfe, darüber begann der Morgen zu dämmern - und nun sahen Herr und Diener allmählich, wo sie waren. Auf sumpfiger Heide, neben einem ganz verfallenen Bau am Ende eines Waldes - und eine Strecke davon im Nebeldämmer jenes Gebäude, an dem der Knappe gerastet - ein Galgenrundbau; was drei Türme geschienen, waren drei hohe Steinpfeiler, die verbindenden Balken waren längst verfault und herabgefallen.

Kühl wehte es vom Osten her - feucht schlug der Nebel sich nieder. Still ritten der Ritter und sein Knappe ihres Weges weiter. Nie vergaß der Ritter sein gespenstisches Abenteuer und das Schloß des schwarzen Grafen.

Der starke Gottlieb

ES WAR einmal ein reicher Rittergutsbesitzer, dem dienten viele Knechte, und einer von diesen wollte sich verheiraten. Wie nun derselbe seinen Herrn um die Heiratserlaubnis bat, so sagte dieser: "Heirate nur zu in Gottes Namen! Ich wünsche dir einen recht starken Sohn, und wenn du einen solchen hast, so will ich ihn dir zuliebe gern auch in meinen Dienst nehmen."

Also heiratete der Knecht und wurde Vater eines kräftigen Sohnes, dem er den Namen Gottlieb gab. Dem Vater blieb das Versprechen seines Herrn unvergessen, und er war darauf bedacht, Sorge zu tragen, den Jungen recht stark werden zu lassen. Zu diesem Zwecke dünkte dem Vater notwendig, daß sein Kleiner recht lange Muttermilch trinke. Erst stillte ihn daher seine Mutter in ihren Armen, dann ließ sie ihn auf ihrem Schoße sitzen, dann lernte der kleine Gottlieb laufen und trug sich, wenn er trinken wollte, ein Hützschchen bei, auf das er trat, weil er der Mutter auf dem Schoße schon zu schwer wurde, und trank sehr flott und trank sieben Jahre lang Muttermilch und wurde groß und stark. Nach Verlauf der sieben Jahre nahm der Knecht seinen Gottlieb mit zum Gutsherrn und sagte: "Schaut Herr, den kapitalen Jungen! Er kann schon etwas tun für sein Alter."

Da stand im Garten, wo Vater und Sohn den Gutsbesitzer angetroffen hatten, ein junger Baum, und da sprach der Herr: "Reiße dies Bäumchen heraus, Gottlieb!"

Der Knabe versuchte seine Kraft an dem Bäumchen, aber er vermochte nicht, dasselbe auszureißen, und der Herr sprach: "Der Kleine ist noch zu jung und zu schwach. Es wäre auch zu viel von ihm verlangt, jetzt schon schwere Arbeit zu tun."

Da ging der Knecht mit seinem Gottlieb hinweg und ließ ihn noch sieben Jahre Muttermilch trinken, und als die sieben Jahre um waren, führte der Vater seinen Sohn wieder zum Rittergutsbesitzer, dem Gottlieb nun groß und stark genug schien, um ihn in seine Dienste zu nehmen; er sollte daher einen Tag zur Probe dienen. Der Gottlieb war aber von Natur und durch die Muttermilch schreckbar stark geworden und riß gleich als Probestück einen ziemlich dicken Baum mit dem kleinen Finger heraus, so daß alles erschrak, absonderlich die Gutsherrin, und ihm gleich abgeneigt wurde. Nun ging es an die Arbeit, die Gottlieb nur ein Spiel war; dann kam die Essenszeit; die Magd trug eine Schüssel voll Kartoffeln nebst Buttermilch auf und ging, die übrigen Knechte zu rufen; Gottlieb, der zuerst mit seiner Arbeit fertig geworden, war schon da und begann einstweilen allein zu speisen. Er zeigte, daß er nicht nur von Muttermilch, sondern auch von Buttermilch sich trefflich zu nähren verstehe und mit den Kartoffeln den Magen zuspitzen könne. Als die übrigen Knechte kamen und essen wollten und murrten, daß das Essen noch nicht aufgetragen sei, trat Gottlieb hinter dem Ofen hervor, allwo er sich ausgeruht, kraute sich hinter den Ohren und sagte: "Es war etwas da, aber nicht viel, ich hab gemeint, es sei für mich, und hab's derweil gegessen." Da kam die andere ein Grauen an vor Gottliebs Appetit, und sie verwünschten einen Mitgenossen, der nicht mit ihnen, sondern der alles allein genoß.

Nach dem Essen ging es an das Dreschen. Als neuem Ankömmling schenkte der Gutsherr dem Gottlieb einen neuen Dreschflegel, der war in Gottliebs Hand wie eine Feder, er warf ihn in die Luft und fing ihn wieder, wie Knaben mit leichten Stöckchen tun, und dann warf er ihn gar weg, riß sich einen Baum aus und drosch darauf los, daß die Körner gleich zu Mehl wurden und das Stroh klein wie Häckerling, und schlug alles in Grund und Boden hinein. Das war dem Gutsherrn doch zu bunt - er erschrak vor dem gefährlichen Knechte und sann darauf, denselben mit einer guten Manier wieder loszuwerden. Er fragte daher den Gottlieb, welchen Lohn er begehre, wenn er wirklich in den Dienst trete. Gottlieb trat nahe zu dem Herrn heran und sagte ihm etwas ins Ohr. Darauf wurde der Herr rot und sagte: "Es ist gut, aber stille davon" - und nahm Gottlieb zum Knechte an - darob sich die andern Knechte nicht im allerentferntesten freuten.

Als der Gutsherr mit seiner Frau allein war, verlangte diese zu wissen, welchen Lohn Gottlieb sich ausbedungen habe; der Herr wurde wieder rot und wollte es erst nicht sagen, wodurch seine Frau um so mehr in ihn drang, mit der Sprache herauszurücken. Der Rittergutsbesitzer war sehr geizig, gab gar zu gern so wenig Lohn als nur möglich, und das hatte Gottlieb erwogen, dem gar nichts daran gelegen war, daß er hatte so stark werden müssen, um für andere sich zu plagen und zu arbeiten So sagte jetzt der Gutsherr etwas verlegen zu seiner Frau:

"Siehe, mein Schatz, es hat damit seine eigene Bewandtnis. So billig bekomme ich nie einen so kräftigen Arbeiter. Der Gottlieb verlangt gar keinen Lohn."

"Gar keinen Lohn? Das ist nicht menschenmöglich!" rief ganz erstaunt die Gutsherrin. "Dahinter steckt etwas! Mann, du belügst mich!"

"Nun beruhige dich nur, liebe Frau", besänftigte der Gutsherr, "etwas verlangt er schon, und ich hab's ihm zugestanden, in Betracht, daß es uns nichts kostet - doch bleibt das geheim, unter uns - "

"Unter uns!" erwiderte die Frau. "Das heißt, ich muß darum wissen!"

"Der Gottfried will mir etwas geben, wenn das Jahr herum ist", stammelte der Gutsherr.

"Dir? Das wäre! Was kann der Sohn deines Knechts dir geben?" fragte die Frau.

"Eine Feige", antwortete der Mann, "will er mir geben."

"Eine Feige? Mann, du lügst, oder es rappelt bei dir!" schrie die Frau und wurde zornig. "Wo sollen denn auf unserem Gute Feigen herkommen?"

"Oh", versetzte der Gutsherr, "die gibt's, es regnet bisweilen derselben - der Gottlieb meint eine Ohrfeige."

Wenig hätte gefehlt, so hätte der Gutsherr schon jetzt eine solche Frucht zu schmecken bekommen, aber starrer Schreck lähmte einige Minuten lang der Edelfrau Hand und Mund - bis sie endlich kreischte: "O du Tropf! Das ist wieder ein Stückchen deines Geizes! Du willst dich lieber entehren lassen, als einem Knechte Lohn zu zahlen. Totschlagen wird dich der Gottlieb, denn so viel habe ich gemerkt, wo der hinschlägt, da wächst kein Gras! Nein, einen solchen Vertrag einzugehen, ist himmelschreiend. Doch, laß mich nur machen, ich wende das Unglück von dir - er muß fort - ich duld ihn nicht!"

"Wenn du ihn fortbringen kannst, liebe Frau", versetzte kleinmütig der Gutsherr, "so habe ich nichts dagegen."

Die Gutsfrau machte sich gleich ein Plänchen - Auf dem Gute befand sich eine Mühle, in der es furchtbar spukte. Vielen war in derselben von dem Spukgeiste der Hals umgedreht worden. I - dachte sie, der kann dem Gottlieb den Hals auch umdrehen, das ist ein Aufwaschen, und da sind wir ihn los.

"Gottlieb! Heute trägst du ein halbes Malter Korn in die Mühle und mahlst es!"

"Zu Befehl, gnädige Frau!" antwortete Gottlieb, holte einen großen Maltersack, faßte ein oder zwei Malter Korn hinein und warf sich ihn über die Schulter, ging und pfiff das Lied:

"Da droben auf jenem Berge, Da steht ein Mühlenrad."

Als er an die Mühle kam, war deren Türe verschlossen. Gottlieb klopfte höflich an, einmal, zweimal, dreimal. Da noch immer niemand auftat, so tat er einen sanften Tritt an die Türe, daß sie aufsprang und nebenbei entzwei krachte. Mitten im Wege zum Werke lagen eine Menge Mühlsteine; Gottlieb schob sie sanft mit den Füßen nach rechts und links und gelangte nun an das Werk. Bevor er aufschüttete und das Werk anließ, schürte er sich ein Feuerlein und kochte sich eine Morgensuppe, in die er einen kleinen Schinken steckte, daß sie besser geschmerzt sei. Da kam eine große Katze mit feurigen Augen, die riß ihr Maul auf, starrte den starken Gottlieb an und schrie: "Miau!"

"Hui Katz!" schrie Gottlieb und gab ihr einen Tritt, daß sie eilend kehrtmachte. Jetzt schüttete er auf, setzte das Mühlwerk in Gang und verzehrte sein Frühstück.

Gleich war die Katze wieder da, fauchte und schrie abermals: "Miau!"

"Hui Katz!" schrie Gottlieb und warf ihr den Schinkenknochen auf den Kopf, daß sie um und um zwirbelte und verschwand.

Plötzlich stand ein schrecklicher Riese vor dem starken Gottlieb und brüllte: "Mehlwurm! Wer heißt dich hier mahlen?" Gottlieb, nicht faul, nahm einen Mühlstein, warf ihn dem Riesen an die Stirne und schrie: "Mühlwurm, wer heißt dich hier prahlen?" Da stürzte der Riese hinterrücks nieder und tat einen Brüller, daß das ganze Werk wackelte. Gottlieb aber sackte das Mehl ein und in einen mitgebrachten zweiten Sack die Kleie, nahm die Säcke auf beide Schultern und ging nach Hause.

"Hilf Himmel!" barmte die Gutsherrin. "Der Lümmel lebt und kommt wieder!" Und bald darauf sann sie auf neue Tücke.

"Der Ziehbrunnen muß gefegt werden!" ordnete die Frau am anderen Tage an . "Das Wasser schmeckt ganz schlecht und schlammig. Gottlieb kann hinuntersteigen." Und zu den andern Knechten sagte sie heimlich. "Wenn er drunten ist, nehmt euch ja in acht, daß dem Fresser, der euch alles wegfrißt, kein Stein vom Brunnenrande von ohngefähr auf den Kopf fällt!"

Die verstanden den bösen Wink und lasen ihn aus dem höhnischen Lächeln der Gutsfrau. Und wie Gottlieb drunten im Brunnen war, schoben sie, indem sie sich über den Rand bogen, die oberen Steine hinunter. Gottliebs Vater war nicht dabei, der war vor kurzem gestorben. Die Steine polterten und plumpsten in den tiefen Brunnen und fielen auf den starken Gottlieb, der aber schrie herauf: "Dummheit da droben! Wer schüttet denn Streusand in das Tintenfaß? Wartet, wenn ich hinauf komme, will ich euch ledern!" Da liefen die Knechte erschrocken vom Brunnenrande hinweg und versteckten sich, und Gottlieb stieg heraus, wie ein Schornsteinfeger aus dem Schlot, nur weniger trocken, aber mit ebenso vielem Durst.

Kaum wußte nun die Edelfrau, was sie anfangen sollte mit dem starken Gottlieb, oder vielmehr, wie sie es anfangen sollte, ihn vom Hofe zu bringen. Da fiel ihr ein, daß ja in der Nähe sich ein. verwünschtes Schloß befinde, das auf dem Berge, an dessen Fuße das neue Schloß des Rittergutsbesitzers stand, in Trümmern lag. In diesem verwünschten Schlosse war es, wie schon diese Bezeichnung ausdrückt, gar nicht geheuer; es ging darin um, und es spukte in ihm der Geist eines alten Riesen, der vor urgrauen Zeiten darin gehaust und schlimme Taten genug verübt hatte, weshalb er denn auch da hinauf verwünscht und gebannt war. Eine der schlechten und schlimmen Taten des alten Riesen war die gewesen, daß er die Vorfahren des jetzigen Rittergutsbesitzers, denen er das Gut verkaufte, um eine große Summe Geldes betrogen hatte, und war das zugleich auch wieder mit ein Grund, weshalb der Riese im alten Schlosse so greulich spuken mußte.

Die Edelfrau ließ Gottlieb zu sich rufen, verstellte sich und verbarg ihre Abneigung gegen den Knecht und sprach zu ihm: "Höre mein guter Gottlieb! Unser Herr wird dir nächstens eine ganz besondere Belohnung dafür geben, daß du so fleißig bist und so viel schaffst, dabei vertraut er dir auch ganz allein. Droben auf dem alten Schlosse, weißt du, da wohnt der alte Rittergutsbesitzer, dem mein Mann das Gut abgekauft hat; das ist ein geiziger Hund und ist uns noch vieles schuldig, zahlt es aber im guten nicht aus - so gehe du einmal hinauf, Gottlieb, und sprich im unguten mit dem alten Spuk, denn du bist stark und herzhaft - alle andern sind Hasenfüße und Hasenherzen und fürchten sich. Wenn du uns das Geld bringst, so sollst du auch ein gutes Teil davon haben und dir etwas Rechts dafür zugute tun."

"Die Sache wird sich machen, gnädige Frau!" antwortete Gottlieb. "Ich will gleich gehen, und wenn Geld da droben zu holen ist, so bringe ich's, darauf verlaßt Euch."

Bald war Gottlieb droben auf dem Berggipfel und wunderte sich. "Hm, hm!" machte er. "Immer haben sie drunten gesagt, da oben stände ein altes, verfallenes Schloß, hab deswegen mir auch noch nie die Mühe genommen, hier herauf zu klettern, und nun sehe ich ein nagelneues, schönes Haus, viel schöner als das untere Schloß. Da gibt es ganz sicher Geld genug."

Gottlieb kam an die Eingangspforte des prächtigen Gebäudes, und da er keinen Klingelzug daran finden konnte, so klopfte er, aber die Türe blieb, gleich jener der Mühle, fest verschlossen.

"Dumm!" brummte Gottlieb, "da muß ich schon wieder der Schlosser sein und meinen Dietrich gebrauchen." Trat daher ein wenig an die Pforte, doch schütterte davon das ganze Torgewände, und die Türe sprang mit Donnerkrachen auf. Aber wie Gottlieb in den inneren Raum trat, umschwebten ihn gleich eine Legion Geister, und an ihrer Spitze stand der greuliche Riese, welchem Gottlieb in der Mühle den Mühlstein an den Kopf geworfen hatte.

"Aha! Ein alter Bekannter!" rief Gottlieb. "Bist du vielleicht der Herr von Zahlungern, der andere Leuten ihr Geld aufhebt? Dann rücke heraus! Mein Herr braucht's, und meine Frau - das heißt, meines Herrn Frau - will's haben!"

"Menschenwurm!" brüllte der Riese und schnitt ein entsetzliches Gesicht. "Was wagst du zu wagen? Wer ist so frech, von dem Besitzer eines alten Schlosses Geld zu verlangen? Was geht mich Geld an? Hab acht, wie ich mit dir umspringen werde, du Knirps!"

"Holla, hoh! Da werd ich auch dabei sein!" rief Gottlieb, riß einen Türflügel ab und warf ihn dem Riesen an die Stirne, wo man noch die Schramme vom Mühlsteine sah, dann den zweiten - und da machte sich der alte Riese eilend aus dem Staube und warf mit einem Sacke voll Geld nach Gottlieb, den dieser sogleich aufraffte und sich auf die Schulter lud.

So kam er im untern Schlosse wieder an, und wenn der Edelfrau auch Gottliebs Kommen nicht recht war, so war doch dem Edelmann das Kommen des Geldes äußerst recht, und er lobte den Gottlieb und sagte: "Einen so braven Knecht findet man selten."

Heimlich aber wünschte er doch den Gottlieb zum Kuckuck, denn bei dessen Kraft graute ihn furchtbar vor der unvermeidlichen Ohrfeige. Er nahm daher Rücksprache mit seinem Schäfer und traf ein Übereinkommen mit diesem, daß er gegen ein gutes Stück Geld die bewußte Ohrfeige in Empfang nehmen wollte, dann rief er seine Knechte zusammen, ohne den Gottlieb, und sagte ihnen, er werde sie morgen in den Wald schicken, Holz zu holen, da möchten sie Sorge tragen, daß sie zeitig wieder hereinkämen, denn wer zuletzt komme, der komme vom Dienst. Und er werde es nicht ungern sehen, wenn Gottlieb der letzte sei.

Solches geschah, alles eilte nach dem Holze, und niemand weckte Gottlieb, und als er endlich noch ziemlich schlaftrunken erschien und sich die Augen rieb, schrie ihn sein Herr an: "Ei, du fauler Geselle! Alles ist schon zu Holze, und wer zuletzt nach Hause kommt, kommt vom Dienst."

"Ah!" rief Gottlieb, streckte die Anne hoch in die Höhe, dehnte sich, gähnte laut und sagte: "Das ist mir etwas ganz Neues."

"Schönen Dank, daß du mich nicht verschlungen hast, wie du dein Maul so aufrissest!" spottete der Gutsherr. "Neu. oder nicht, es bleibt dabei."

"Wohl, hin!" sagte Gottlieb, nahm sein Beil und ging nach dem Walde zu. Da waren seine Mitgesellen schon mit der Arbeit fertig, und er sah sie von weitem sich entgegen kommen. Da ging er nach einem nahen großen Teiche, über dessen Abfluß ein Steg führte, über den einzig und allein der Weg vom Walde nach dem Gute führte, riß die Schleusen auf, daß die volle Flut sich in den breiten Abflußkanal ergoß, trat mit dem Fuße den Steg in Stücken und ließ die Balken vom Wasser fortfluten.

Dann ging er seinen Mitknechten gemachsam entgegen, die ihn tüchtig auslachten und froh waren, ihn heute noch aus dem Dienste gejagt zu sehen; er aber rief: "Eilet nicht zu sehr, wartet ein wenig auf mich, ich komme bald wieder!" und ging nach dem Walde.

Jene aber eilten, was sie eilen konnten, nach dem Schlosse zu kommen, da kamen sie an die rauschend vorbeischießende Wasserflut ohne Steg und Brücke, und hätten sie den Teich umgehen wollen, hätten sie Stunden gebraucht. Sie mußten also warten, bis Gottlieb wiederkam, der sein Tagewerk leicht und schnell im Verlauf einer kleinen Stunde vollbracht hatte. Und wie er nun kam, brachte er einen Heubaum mit, den stemmte er in den Fluß wie einen Turnerspringstock und schwang sich an das andere Ufer hinüber, dann warf er den Heubaum wieder über den Fluß und schrie seinen Kameraden zu: "Macht's wie ich!"

Aber von diesen hatten an dem Heubaume zwei zu heben, und sie mußten sitzen bleiben, bis der Teich alle seine Wasser vorübergeschickt hatte, welches mehr als einen Tag dauerte.

Immer lebhafter wurde der Wunsch der Gutsherrschaft, den starken Gottlieb los zu sein, und daher machte ihm der Rittergutsbesitzer den Vorschlag, ihm seinen Lohn zu gewähren; er habe einen Ersatzmann als Ohrfeigenempfänger, der solle die Zahlung erhalten, und dann soll Gottlieb gehen, wohin er Lust habe, und bleiben, wo er wolle.

Gottlieb sagte: "Es kommt auf eine Probe an; ich habe ja auch proben müssen."

Jetzt stellte sich der Schäfer als Ersatzmann, Gottlieb sah ihn mit mitleidigem und spöttischem Blicke an und sagte: "Du? Wahrlich, du dauerst mich!" - nahm ihn, hob ihn leicht, wie einen Nußknacker, in die Höhe und schlug ihm eine so derbe Ohrfeige ins Gesicht, daß der Schäfer in die Luft flog wie der Spielball eines Knaben, aber gar nicht wieder herunterkam. Der Gutsherr und seine Frau bekreuzigten und segneten sich und waren froh, daß er nicht diese Ohrfeige bekommen hatte, und sagten: "So, nun kannst du gehen."

"Nä", sagte Gottlieb. "Gehen? Nä - selbes kann ich nicht. Es war nicht der rechte; mit Euch, gnädiger Herr, hab ich gedingt. Ich liebe nicht Zichorien oder Runkelrüben statt Kaffee, ich bin kein Freund von Ersatzmannschaften. Ihr habt gesagt: ich solle gehen, wohin ich Lust habe, und bleiben, wo ich wolle. Habt Ihr nicht so gesagt?"

"Ja, allerdings, ich sagte so", antwortete verdrießlich der Gutsherr.

"Nun", versetzte Gottlieb, "so gehe ich in mein Bette und bleibe hier auf dem Gute."

Da wurde der Gutsherr sehr böse und rief: "So bleibe in des Kuckucks Namen, du Kobold! So gehe ich! Mit dir will ich nicht leben und zuletzt noch wie der arme Schäfer als Luftballon oder als Sternschnuppe am Himmel herumfahren. Nimm alles, und helfe dir der böse Feind hausen und wirtschaften!"

"Nun, wenn ihr denn nicht anders wollt, gnädiger Herr!" sprach Gottlieb sehr sanftmütig, "so bedank ich mich fein recht schön und wünsche Euch und der gnädigen Frau recht viel Liebes und Gutes! Ihr könnt auch Eure Sachen mitnehmen, und ich will Euch bis in die nächste Stadt in meiner Kutsche und mit meinen Pferden fahren lassen."

"Fahre du selbst zur Hölle!" schrien außer sich der gewesene Gutsherr und seine Ehehälfte und enteilten. Gottlieb aber nahm die Knechte und Mägde in seinen Dienst und ließ seine alte Mutter, an der er vierzehn Jahre getrunken hatte, in das Schloß ziehen, und gab ihr ein goldenes Bette und seidene Kissen und Bettdecken und alle Tage den besten Wein zu trinken und alles Gute zu essen.

Ein Jahr danach, es war just Heuerntezeit, und die Knechte und die Mägde waren auf der Wiese mit Heumachen beschäftigt, kam etwas aus der Luft heruntergefallen, das war der Schäfer, der hatte so lange oben herumgezwirbelt und war über alle Wasser und Weltteile weggeflogen; er lebte noch und blieb auch am Leben, denn er fiel auf einen großen Heuhaufen, und das war sehr gut für ihn, sonst hätte das alte Lied auf ihn gepaßt, welches anhebt: "Kuckuck hat sich zu Tod gefallen."

  Inhalt  


Ludwig Bechstein Märchen, Literatur  

Bechstein, Ludwig. Sämtliche Märchen. Düsseldorf: Patmos/Albatross Verlag, 1999.

Ludwig Bechstein Märchen    Teil      Gruppe   Next

Ludwig Bechstein Märchen. Anleitungen  ᴥ  Haftungsausschluss
© 2005–2019, Layout: Tormod Kinnes [E‑Mail]