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Ludwig Bechstein: Märchen
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Der Teufel ist los oder Das Märlein, wie der Teufel den Branntwein erfand

ES HATTEN einmal zwei Landesherren einen Grenzstreit; da waren auf jeder Seite Zeugen, die das Recht behaupteten, und darunter waren zwei, die hatten vom Teufel die Schwarzkunst erlernt und ihm dafur ihre Seelen verschrieben.

Diese beiden haben einmal ein jeder in der Nacht wollen falsche Grenzsteine setzen, so, wie jeder von ihnen die Grenze behauptete, und haben die Steine mit schwarzer Kunst wollen machen, daß sie aussähen, als ob sie schon viele, viele Jahre da gestanden hätten. Da sind sie alle zwei als feurige Männer hinauf auf die Höhe gegangen. Und wie der eine hinauf kommt, da ist der andere schon da. Aber keiner hat etwas von dem andern gewußt, daß dieser denselben Gedanken hatte.

Da fragte der eine den andern: "Was machst du da?"

"Was hast du danach zu fragen? Sage mir zuvor, was du da machen willst?"

"Grenzsteine will ich setzen und will den Grenzzug machen, wie dieser eigentlich sein muß."

"Das habe ich selbst schon getan, und da stehen die Steine, und so geht der Grenzzug."

"Das ist nicht richtig, und so geht der Grenzzug. Mein Herr hat gesagt, ich hätte recht, und ich solle nicht nachgeben."

"Wer ist denn dein Herr? Das wird auch ein schöner Musjö sein!"

"Der Teufel ist mein Herr! Hast du nun Respekt?"

"Das ist nicht wahr, das ist mein Herr, und mein Herr hat mir gesagt, ich habe recht und solle nicht nachgeben. Packe dich den Augenblick, oder es geht dir schlecht!"

Und so kamen die zwei hintereinander, und zuletzt da gab der eine feurige Mann dem andern eine Maulschelle, daß ihm der Kopf herabflog und kullerte den ganzen Berg hinab. Und der feurige Mann ohne Kopf rannte hinter seinem feurigen Kopfe her und wollte ihn haschen und ihn sich wieder aufsetzen. Aber er konnte ihn nicht einholen bis ganz drunten im Graben.

Wie nun der eine dem andern die Maulschelle gegeben hatte, und jener hinter seinem Kopfe herlief, da kam auf einmal ein dritter feuriger Mann dazu und fragte den, der oben blieb: "Was hast du da gemacht?"

"Was geht es dich an, und was hast du mir zu befehlen? Den Augenblick packe dich deiner Wege, oder ich mache es dir gerade so wie jenem."

"Halunke! Hast du nicht mehr Respekt vor mir? Weißt du nicht, daß ich dein Herr, der Teufel, bin?"

"Und wenn du zehnmal der Teufel selbst bist, so liegt mir daran gar nichts; du kannst mich meinetwegen recht schön rein machen!"

"Diesen Gefallen will ich dir tun, du sollst aber dein Lebtag daran gedenken!"

Und da fing der Teufel an und machte ihn rein, daß die Feuerputzen auf dem ganzen Bergrücken herumflogen.

Aber wie er ihn so rein machte, da ersah mein feuriger Mann den günstigen Augenblick und griff hin und erwischte den Teufel im Nacken, hielt ihn fest und sagte ihm:

"Nun bist du in meiner Gewalt; nun sollst du sehen, daß du in der Menschen Hände bist! Du hast dein Leben lang genug armen Leuten den Hals herumgedreht, nun sollst du auch selbst einmal erfahren, wie es tut, wenn einem der Hals umgedreht wird!"

Und fing an und wollte dem Teufel den Hals umdrehen. Wie der Teufel sah, daß der feurige Mann Ernst mit ihm machte, legte er sich aufs Bitten und gab ihm die himmelbesten Worte, er solle ihn doch gehen lassen und solle ihm den Hals nicht herumdrehen; er wolle ihm auch alles tun, was er nur von ihm verlangte. Da sagte ihm der: "Weil du also erbärmlich tust, so will ich dich nur gehen lassen; aber zuvor mußt du mir meine Verschreibung wiedergeben, in welcher ich dir meine Seele verschrieben habe, und mußt mir auch versprechen, ja, du mußt mir das bei deiner Großmutter beschwören, daß du kein Teil mehr an mir haben willst, auch all dein Lebetage von keinem Menschen dir wieder die Seele verschreiben lassen."

Wollte der Teufel wohl oder übel, einmal stak er in der Klemme, und wenn er loskommen wollte und wollte nicht den Hals herumgedreht haben, so mußte er in einen sauren Apfel beißen, und gab ihm seine Verschreibung wieder und versprach's ihm und verschwur sich bei seiner Großmutter, daß er keinen Teil mehr an ihm haben wolle und wolle auch alle sein Lebetag von keinem Menschen sich wieder lassen die Seele verschreiben. Wie er das alles getan hatte, ließ jener den Teufel los.

Wie aber der Teufel wieder ledig war, da tat er einen Sprung zurück, daß ihn jener nicht etwa unversehens noch einmal erwische, und stellte sich hin und sagte: "So, nun bin ich wieder ledig; wenn ich dir, du Schalksnarr, nun auch deine Verschreibung wiedergegeben habe und habe dir versprochen und beschworen, daß ich kein Teil mehr an dir haben wolle, so habe ich dir doch nicht versprochen, daß ich den Hals dir nicht auch umdrehen wolle, so ich wieder ledig wäre. Und auf dem Hecke da sollst du alleweil sterben, dafür, daß du mich gegurgelt hast und hast mir wollen den Hals umdrehen!"

Und damit fuhr der Teufel auf ihn hinein und wollte ihm den Garaus machen, der aber riß aus und lief zum Wald hinein. Und der Teufel immer hinter ihm her. Endlich ersah es jener und kam an eine alte Buche, die war hohl und hatte unten ein Loch. Da kroch er geschwind hinein und wollte sich verstecken vor dem Teufel. Aber er war nicht weit genug hinein gekrochen, und die Fußzehe guckte ihm noch heraus. Und weil er über und über feurig war, da leuchtete die Zehe durch die Nacht, und der Teufel wurde es gewahr, wo jener sich hin versteckt hatte, und kam und wollte ihn an der Fußzehe erwischen.

Aber der in seinem Baume hörte es, wie der Teufel getappt kam, wie er nach ihm greifen und ihn erwischen wollte; da zog er sich vollends hinein und machte sich weiter im Baume hinauf. Da kroch der Teufel auch hinein, und jener machte immer weiter im Baume hinauf und der Teufel immer hinter ihm her. Endlich da hatte der Baum oben in der Höhe ein weites Astloch, da kam jener dran und kroch heraus. Und wie er draußen war, da nahm er etwas und verkeilte das Astloch, wo er herausgekrochen war, und stieg geschwind herab und verkeilte auch das untere Loch und machte es mit schwarzer Kunst so fest, daß es der Teufel selbst und seine Großmutter und die ganze Hölle nicht wieder aufbringen konnten. Danach ging er seiner Wege.

Und da steckte nun der Teufel in der alten Buche und konnte nicht herauskommen, und es half ihm alles nichts, er mußte drin steckenbleiben. Und da hat er lange Zeit darin gesteckt, und vielmal zu jener Zeit, wenn die Leute des Wegs über jenen Berg gegangen sind, da haben sie ihn darin hören blöken und grunzen in seiner Buche. Endlich aber, wie der Holzschlag dort hinauf gekommen ist, da ist die Buche abgehauen worden. Da ist er endlich wieder herausgekommen und ist wieder frei geworden, der Teufel. Wie er nun wieder los war, da machte er sich auf und ging heim in die Hölle und wollte sehen, wie es aussähe. Aber da war alles leer darin, wie es in der Kirche in der Woche ist, und war keine Seele mehr zu hören noch zu sehen. Seit der Teufel damals fortgegangen und nicht wieder gekommen war, und auch kein Mensch nicht gewußt hatte, wo er hingekommen war, da war nicht eine einzige Seele wieder in die Hölle gekommen. Und da war seine Großmutter aus Herzeleid gestorben, und wie die tot war, da packten alle die armen Seelen, die dazumal in der Hölle waren, auf und machten sich auf und davon und gingen alle miteinander in den Himmel. Und da stand er, Maus-Mutter-Stern-allein in der Hölle, und wußte seines Leides keinen Rat, wie er's wohl anfinge, daß er wieder arme Seelen bekäme, weil er es nicht mehr tun durfte, und hatte es damals bei seiner Großmutter verschwören müssen, daß er von keinem Menschen sich wieder wollte die Seele verschreiben lassen, und auf andere Weise bekam er damals keine Menschen in die Hölle. Und da stand er und wußte seines Herzeleids kein Ende und wollte sich die Hörner aus dem Kopfe raufen vor lauter Herzeleid und Jammer. Da fiel ihm auf einmal etwas ein.

Wie er in der alten Buche gesteckt hatte und nicht herausgekonnt, da war ihm zuletzt die Zeit lang geworden, und da hatte er über allerlei nachsimuliert und den Branntwein erdacht und erfunden. Das fiel ihm alleweil mitten in seinem Herzeleide wieder ein, und da dachte er sich, das müsse ein Mittelchen sein, wie er doch wieder arme Seelen in die Hölle bekommen könne.

Und da packte er auf der Stelle auf und ließ die Hölle Hölle sein und ging nach Nordhausen und wurde ein Schnapsbrenner und machte Branntwein drein und drauf und schenkte ihn in die Welt hinein. Und er zeigte auch den Nordhäusern allen miteinander, wie der Schnaps gemacht wird, und versprach ihnen viel Geld und Gut, wenn sie's lernten und Branntwein brennten. Und die Nordhäuser ließen sich's auch nicht zweimal sagen und wurden alle Schnapsbrenner und machten Branntwein und schenkten ihn in die Welt hinein. Seit dieser Zeit schreibt sich's her, daß bis auf den heutigen Tag so viel Branntwein in Nordhausen gebrannt wird wie an keinem andern Orte in der ganzen Welt.

Aber wie sich's der Teufel gedacht hatte, also ging es auch. Wenn die Leute erst ein wenig Branntwein im Leibe hatten, da fingen sie an zu fluchen und zu schwören, und fluchten und schwuren ihre Seele zum Teufel, daß sie der Teufel bekam, wenn sie gestorben waren, und brauchte ihnen darum nicht zu dienen, wie er sonst hatte tun müssen, wenn er eine arme Seele hatte haben wollen. Und wenn sie sich den Kopf erst richtig vollgesoffen hatten im Branntwein, da fingen sie auch an und zankten sich und prügelten sich und brachen sich selber die Hälse, daß sich der Teufel nicht erst brauchte die Mühe zu geben und brauchte sie ihnen herum zu drehen. Und wenn der Teufel sonst mit aller Mühe und Not hatte alle Wochen einmal eine arme Seele in die Hölle bekommen können, da kamen sie jetzt dutzend- und schockweise alle Tage hinein, und es dauerte kein Jahr, da war die Hölle zu klein geworden und konnte der Teufel die Seelen nicht mehr unterbringen und mußte ein ganz neues Stück lassen anbauen an die Hölle.

Und kurz und gut, seit der Teufel aus der alten Buche jenesmal wieder losgekommen ist, seit der Zeit ist der Branntwein aufgekommen, und seit der Branntwein in der Welt ist, da kann man erst recht eigentlich sagen: "Der Teufel ist los!"

Der undankbare Sohn

EINE ALTE Mutter hatte einen Sohn, der wollte heiraten und bat die Mutter, sie möge ihm doch ihr Häuschen und ihr Gütchen geben, er und ihre zukünftige Schwiegertochter wollten es auch gar gut mit ihr meinen, sie bei sich hegen und pflegen und sie sozusagen auf den Händen tragen. Die alte Mutter war vom Herzen gut und vom Hirn etwas einfältig; sie kannte das Sprichwort nicht: Ziehe dich nicht eher aus, bis du dich schlafen legst, und gab her, was sie hatte. Zum Danke wurde sie sehr übel gehalten, war über nichts mehr Herrin, und jeder Bissen Brot wurde ihr erst schmal genug vorgeschnitten, dann vorgerechnet und jeder Tropfen Trankes ihr vergällt; aber Sohn und Schwiegertochter ließen sich's ganz gütlich und wohl sein.

Einst speisten letztere beiden miteinander und mit Knecht und Magd ein gebratenes Truthuhn, ohne die Mutter dazu einzuladen; zufällig kam diese aber dennoch, mußte jedoch anklopfen, denn die Türe war zugeschlossen. "Holla, die Alte kommt, fort mit dem Huhn! Setze es derweil in die Ofenröhre und mache deren Türe zu!" gebot der Sohn dem Knechte, und dieser vollzog alsbald den erhaltenen Befehl. Jetzt wurde die Stubentüre aufgerissen von dem Sohne und die arme Alte angefahren: "Nun, was soll es denn? Hat der alte Drache etwa schon wieder Hunger? Ei, so wollt ich doch! Da, nehmt, hier ist Brot, und nun trollt Euch von hinnen!"

Weinend wankte mit dem trockenen Stückchen Brot die alte Mutter aus der Stube; der böse Sohn warf hinter ihr die Türe in das Schloß, daß es krachte, und eiferte: "Keinen Bissen kann man doch in Ruhe und ohne Ärger genießen! Ich möchte nur wissen, ob die Alte ewig leben will."

"Bringe das Huhn wieder her!" gebot die Sohnesfrau dem Knechte - dieser öffnete die Ofentüre und sprang mit einem lauten Schrei des Schreckens drei Schritte vom Ofen zurück und verfärbte sich.

"Nun, was hat denn der tölpelhafte Narr? Er ist wohl verrückt!" rief der Mann und gebot der Magd, das Huhn aus der Röhre zu holen. Diese ging und griff in die Rönre und kreischte alsbald vor Entsetzen auf, indem auch sie zurücksprang. "Was soll das heißen, ihr dummes Volk?" schalt der Herr. "Und wenn der lebendige Teufel drinnen saße, so würde ich nicht solchen Lärm aufschlagen! Geh du hin, Frau."

"Ich?" fragte die Frau, "nicht um die Welt, ich tu's nicht - ich danke; ich bin satt."

"Ei, so muß ich selbst nachsehen und will es, und wenn der Donner drinnen säße!" rief der Mann, stieg auf und ging an die Röhre. Hu! da schoß eine armdicke und klafterlange Schlange heraus, schnellte gegen ihn und ringelte sich um seinen Hals, eiskalt, und als er sie abzuwenden strebte, riß sie ihren Rachen greulich auf und zeigte ihre Giftzähne und ihre Gabelzunge, und weder er noch sonst jemand anders durfte sie berühren, und wenn man Miene machte, sie von weitem zu beschädigen, so zog sie sich gleich fester um den Hals, daß der Mann zu ersticken Gefahr lief und ängstlich schrie, man solle die Schlange unberührt und ungeschädigt lassen.

Und die Schlange wich nicht von ihn; sie um seinen Hals legte er sich schlafen, sie um seinen Hals stieg er wieder auf. Ehe er einen Becher Getränk zum Munde führte, trank erst die Schlange aus demselben Becher, jeden Bissen, den er aß, beleckte sie oder biß Stücken davon ab, ach, und dabei roch sie, so wie sie nur den Rachen aufriß, fürchterllch aus dem Halse, daß dem Mann eine Ohnmacht um die andere anstieß, und niemand es in seiner Nähe aushalten konnte. Wer zuerst von ihm weglief, das war seine Frau, die doch die meiste Schuld daran trug, daß er die Schlange des Undanks gegen seine betagte Mutter in seinem Herzen getragen, die schlimmer und scheußllcher ist als jener Wurm, den er jetzt am Halse tragen mußte, zur quälenden Strafe. Knecht und Magd liefen auch davon; Hund und Katze wanderten aus; der Vogel im Käfig krepierte; Motten und Mücken starben, die Spinnen machten sich hinweg, die Mäuse entflohen so schnell sie nur konnten; die Wanzen zogen in langen Zügen langsam an den Türpfosten nieder und schlüpften zwischen Türe und Angel hinaus - nicht das armseligste Läuschen bewies dem Undankbaren, von Gottes Strafgericht hart Heimgesuchten noch freudige Anhänglichkeit und Treue - alles, was lebte, floh ihn. Nur ein Wesen, welches lebte, floh ihn nicht, hielt treu bei ihm aus, und das war seine arme alte Mutter - sie pflegte sein, sie betete zu Gott um Erlösung für ihren undankbaren Sohn, und da diese nicht erfolgte, so griff sie endlich furchtlos mit ihrer zitternden Hand und doch kräftig die drohende, zischende, Zähne zeigende, Gift hauchende Schlange an, und in dem Augenblicke, wie die alte Mutter das tat, fiel die Schlange ab vom Halse des Sohnes und - verschwand.

Der Sohn aber stürzte nieder zu den Füßen seiner Mutter und küßte ihr die Füße und ihres Kleides Saum und weinte heiße Reuetränen auf die treuen Mutterhände und begann fortan ein neues Leben voll Demut gegen sie, voll Sorgfalt, voll Liebe, voll Gehorsam, voll Zuvorkommenheit, und sie lebte noch lange glücklich mit dem durch ihre starke Mutterliebe ihr und sich selbst geretteten Sohne bis in das höchste Greisenalter.

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Ludwig Bechstein Märchen, Literatur  

Bechstein, Ludwig. Sämtliche Märchen. Düsseldorf: Patmos/Albatross Verlag, 1999.

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