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Ludwig Bechstein: Märchen
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Vogel Holgott und Vogel Mosam

IN EINEN See strömten lustige Bäche, und er war voll Fische und war gelegen in einsamer Gegend, dahin weder Menschen kamen noch Fischreiher und andere fischefressende Vögel vom Meere her. Diesen See entdeckte ein bejahrter Vogel, der hieß Holgott und war vom Geschlecht der Fischadler, und es gefiel ihm die angenehme Lage, die friedsame Stille rings um den See und die Reichlichkeit der Nahrung. Da gedachte er bei sich selbst: hierher willst du ziehen mit deinem Weib und allen den Deinen, denn hier finden wir genug an allem, was wir bedürfen, hier ist niemand mir widerwärtig und entgegen, und meine Kinder mögen dies Gebiet, wenn wir tot sind, als ein schönes Erbe innehaben. Nun hatte Vogel Holgott ein Weib, die saß daheim im Nest auf ihren Eiern, die nahe daran waren ausgebrütet zu sein, und dieses Weibchen hatte einen lieben Freund, auch einen Vogel, der hieß Mosam. Dieser Freund war ihr so lieb, daß ihr nicht Trank und nicht Speise schmeckte, wenn er nicht um sie war, und ohne ihn hatte sie kein Vergnügen oder Kurzweile.

Als nun ihr Mann seinen Ratschlag und Beschluß entdeckte, in jene schöne Gegend zu ziehen, aber ihr hart verbot, dem Freund Mosam davon zu sagen, so war das ihr außerordentlich leid, und sie sann auf Fünde und Ränke, wie sie diesem ihres Mannes Vorhaben heimlich stecken könne, ohne daß dieser es merke. Und da sagte sie zu ihrem Mann: "Siehe, mein teurer Holgott, nun werden unsere Jungen bald ausschlüpfen, und da ist mir eine Arznei verraten worden, sie für die Jungen zu brauchen, wenn sie auskriechen, daß ihnen ihr Gefieder stark und fest wächst: auch behütet diese Arznei sie lebenslänglich vor bösen Zufällen, diese Arznei nun möchte ich gern holen, so du mir das gestattest und es dir gefällig wäre!"

"Was ist das für ein Arcanum?" fragte Vogel Holgott, und die Frau erwiderte: "Das ist ein Fisch in einem See, der um eine Insel fließt, den niemand weiß als ich und der, welcher es mir verraten. Darum rate und bitte ich dich, setze dich an meiner Statt auf die Eier und brüte, so will ich indes den Fisch holen oder zwei, und wir wollen sie dann mitnehmen in den neuen Aufenthalt, den du uns erwählt hast."

Darauf entgegnete der Mann: "Nicht ziemt es den Vernünftigen, alles zu versuchen, was der erste beste Arzt ihm rät; denn manche raten Dinge uns an, die zu erlangen unmöglich sind. Was frommt das Unschlitt des Löwen wohl dem Kranken oder der Nattern Gift? Soll einer darum den Löwen bestehen und die Nattern in ihrer Höhle besuchen und in die Gefahr selbsteigenen Todes sich wagen, auf eines Arztes Rat? Laß ab, o Frau, von deinem törichten Vorhaben und laß uns an jenen Ort ziehen, während unsere Jungen hierbleiben; dort findet du Fische mancherlei Art, vielleicht auch jene heilsamen, und die weiß niemand dann, außer uns. Wer an besorglicher gefahrvoller Stätte sein Heilkraut sucht, dem möchte es ergehen, wie es dem alten Affen erging." - "Wie erging es diesem?" fragte das Vogelweibchen, und Vogel Holgott erzählte:

Vom Büblein, das sich nicht waschen wollte

ES IST einmal ein Büblein gewesen, das wollte sich schon als ganz kleines Kind immer nicht waschen lassen, und als es größer wurde, so hat sich's vor dem Wasser über alle Maßen gegruselt und hat sich vor dem Naßwerden ärger gefürchtet als vor dem Feuer. Und da hat der unsaubere Geist, der Teufel, Macht genommen über das Büblein und hat zu ihm gesagt, er wolle es an einen Ort führen, wo es sich sein Lebtag nicht zu waschen brauche, und wenn es ihm sieben Jahre diene, dann solle es ein gutes Leben haben.

Das war dem Büblein recht, und es ging mit dem Teufel, und der führte es fort, daß keine Seele mehr von ihm weder hörte noch sah, und es wurde ganz und gar vergessen.

Nach sieben Jahren aber erschien in des Bübleins Heimat ein Geselle, der sah aus wie des Teufels rußiger Bruder. Seine Haut war schwarz, sein Haar wirr und ungekämmt, sein Wesen war schweigsam. Aber wenn er Kinder sah, so warnte er sie vor Unreinlichkeit und ermahnte sie, daß sie sich ja recht fleißig sollten waschen lassen. Nachher geschah es wohl auch, daß er erzählte, wie er am Höllentore im Dienste des unsaubern Geistes habe Wache halten müssen, weil er selbst so unsauber gewesen, und wer alles durch das Tor gekommen aus dem Dorfe und der ganzen Umgegend. Wie aber die Leute von den Kindern vernahmen, was des Teufels gewesener Torwart erzählte, schalten sie ihn einen schwarzen Unhold und liefen haufenweise zu ihm und gaben ihm vieles Geld, daß er schweige und nicht sage, wessen Vater, Großvater, Mutter, Schwester, Muhme und ganze werte Verwandtschaft er in die Hölle habe einziehen sehen. Da nahm er das Geld, wenn ihn aber einer wieder zu schelten anhub, so sagte er: "Ich wasche meine Hände in Unschuld, ich kann nicht dafür, daß Eure Sippschaft in die Hölle spaziert ist, statt in den Himmel." Und fing an und wusch sich fleißig, des Tages mehr als einmal, und verdiente vieles Geld mit Schweigen, während andere es mit Schwätzen verdienen müssen.

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Ludwig Bechstein Märchen, Literatur  

Bechstein, Ludwig. Sämtliche Märchen. Düsseldorf: Patmos/Albatross Verlag, 1999.

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