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Deutsches Sagenbuch
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  1. Der böse Wunsch
  2. Nidda
  3. Der Graf von Ziegenhain
  4. Das Fräulein von Boineburg
  5. Das graue Männchen
  6. Der letzte Trauerritter
  7. Des Frankenlandes Apostel
  8. Die Moorjungfrauen
  9. Sankt Gangolf und die Milseburg
  10. Teufelsbauten im Rhöngebirge

760. Der böse Wunsch

Einstmals reiste Landgraf Philipp, wie er gern tat, ohne sonderliches Gefolge durch sein Land, trug dabei auch schlechte Kleider und offenbarte seinen Stand keinem, der ihn nicht kannte. Da begegnete er einer Bauersfrau, die trug ein Gebund Garn, und er fragte sie, wohin sie denn wolle. Da fing das Weib an, jämmerlich zu klagen und zu lamenten; sie wolle und müsse das Garn verkaufen, obschon sie es selber an zehn Enden entraten müsse, um nur die hohe Schatzung und Steuer zu entrichten, die der Landgraf habe ausschreiben lassen, und es sei eine schlimme Zeit und ein schmählicher Druck. Darauf fragte Philippus das Weib, wie hoch denn die Steuer sich belaufe, die sie zu entrichten habe, und sie antwortete: Einen Ortsgulden. – Da griff der Landgraf in seinen Säckel und gab ihr einen ganzen Ortstaler; darüber ward das arme Weiblein vor Freude rot wie ein Brand, sie sah aber nicht, daß auf dem Taler Philippi Bildnis geprägt stand im vollen Stahlharnisch und auf der Rückseite sein Helm mit der Zier und der schöne Spruch: Was Gott beschert, bleibt ungewehrt – und rief: Lohn's Gott! lohn's Gott, edler Junker! Daß doch dieses Euer Geld dem Landgrafen, in dessen Schatz ich's liefern muß, auf der Seele brenne wie das höllische Feuer. –

Da wandte sich der Landgraf lachend um und sprach zu seinen Begleitern: Hörtet ihr's wohl? Das ist ein wunderlicher Handel, wann einer wie alleweile ich für sein eigenes Geld sich solchen bösen Wunsch einkauft! – Nun – was Gott beschert, bleibt ungewehrt!

761. Nidda

Zu des Kaiser Friedrich des Rotbart Gezeiten war im Hessenlande ein Raubgraf, der tat in der Gegend vielen Schaden; er hieß Berthold und saß auf einer Bergfeste, die hieß die Altenburg. Da er nun beim Kaiser verklagt ward, so wurde er in seiner Feste belagert und hart bedrängt. Endlich erbot sich die Gräfin, des Räubers Gemahl, zur Übergabe, begehrte aber freien Abzug mit so viel von ihren besten Sachen, als ihr Esel und sie selbst würden tragen können; das ward ihr zugesagt unter dem Beding, daß nicht etwa der Graf auf dem Esel reite, als welcher zu den Besten nicht gehöre. Die Gräfin sagte das zu, daß ihr Gemahl Berthold nicht auf dem Esel sitzen sollte, setzte aber ihre drei Söhnlein auf des Esels Rücken und nahm ihren Gemahl auf ihren eignen, und so zogen sie ab, hatten wohl auch noch einiges vom besten in ihren Taschen. Weit kamen sie nicht von der Altenburg, die nun von des Kaisers Söldnern zerstört wurde, und es gelobte die Gräfin, nachdem sie ihren Gemahl absitzen lassen, sich da anzubauen, allwo der Esel stehenbleibe. Und da blieb der Esel bald darauf nicht nur stehen, sondern sogar stecken, und die Gräfin regte ihn zum Fortgehen an und rief: Nit da, nit da! – aber der Esel stand so steif wie jene Eselin Bileams, wel che redete, und sie mußten allda bleiben und bei einem Feuer die Nacht zubringen. Darauf haben sie sich dort angebaut und ein Schloß begründet, welches den Namen Nidda empfing, oder gar drei Schlösser, für jedes der Söhnlein eines. In den Kellern der zerstörten Altenburg ruhen noch große Schätze, und es sind dort viele Hufeisen gefunden worden, welche Graf Berthold, wenn er auf Raub ausritt, den Pferden verkehrt aufschlagen ließ.

In dieser Sage erscheint am frühesten die liebevolle Rettung des Mannes durch das listreiche, aber auch starke und treue deutsche Weib, die sich dann später einfach bei der Rettung des Ritters von Staupitz und vielfach bei den Weibern von Weinsberg wiederholte.

762. Der Graf von Ziegenhain

Die hessische Stadt Ziegenhain hatte vorzeiten eigne Grafen, welche jedoch ausgestorben sind. Sie stammten von Ludwig dem Eisernen, Landgrafen zu Thüringen, ab. Der letzte dieser Grafen hieß Johann, zubenamt der Starke. Und in Wahrheit war er ein starker Hans, und der edle Jochem von Schapelow, der vier Eimer Weines auf einmal aus des Brandenburger Kurfürsten Keller trug, wäre vielleicht gegen diesen Ziegenhainer nicht aufgekommen. Eines schönen Tages geruhte Graf Hans von Ziegenhain zu Frankenberg, auch einem oberhessischen Städtlein, mit seiner Frau Mutter spazierenzugehen, und kamen durch eine etwas enge Gasse, mitten in selbiger stand ein Fuder Wein auf einem Wagen, das versperrte die Gasse so auf beiden Seiten, daß man ohne sich an Wand oder Wagen zu beschmutzen nicht wohl vorbei konnte, und zogen die Frau Gräfin darüber schon ein schiefes Maul. Da griff Graf Hans herzhaft an und hob und schob mit einem Ruck vorn und einem Ruck hinten das ganze Fuder samt dem Wagen zur Seite, daß die Wände der Häuser krachten und die Leute darin dachten, es wäre ein Erdbeben. Das war der gnädigen Frau Mutter wieder nicht recht, und hub an zu schelten: Ist das nun not und nötig, seine Leibeskraft so übermäßig anzustrengen und selbige also liederlich zu vergeuden? – Darauf sagte Graf Hans von Ziegenhain bescheidentlich: Die Frau Mutter ereifere sich doch ja nicht und sei nicht ungnädig! Ich habe es gut gemeint, indem derselben habe Platz machen wollen zum Vorbeigehen. Da ich es nun damit nicht getroffen, so will ich meinen Fehler gleich wiedergutmachen! – sprach's und rückete alsbald, ohne erst Antwort abzuwarten, mit zwei Rucken das Fuder samt dem Wagen wieder so, wie es zuvor gestanden, und mußte nun die gestrenge Frau Landgräfin umwenden und sich eine andere Gasse zum Durchspazieren suchen.

763. Die Fräulein von Boineburg

Viele Sagen gehen um im Volkesmunde von der Boineburg in Hessen und ihren Bewohnerinnen. Es waren der Schwestern drei, und da träumte der jüngsten, daß es in Gottes Rath beschlossen sei, eine von ihnen werde vom Wetter erschlagen werden. Als sie nun Morgens ihren Schwestern diesen Traum erzählt hatte, und Mittags ein schweres Gewitter aufstieg, so sprach die alteste: mir ist sicher der Tod bestimmt, ließ sich einen Stuhl hinaustragen und saß harrend im Wetter – aber sie blieb unversehrt. Am zweiten Tage, da wieder ein Gewitter drohend aufzog, that die zweite Schweater das gleiche, allein ihr wiederfuhr, wie der ältesten, Nun sprach die dritte: ich bin es, die Gott rufen wird! – und machte sich in gleicher Weise bereit, beichtete und stiftete zu ihrem Gedächtniß eine Spende, setzte sich auf den Stuhl, und alsbald fuhr ein Blitz herab und tödtete sie.

Andere erzählen ganz anders. Eine tausendjährige Eiche stand im Hofe der Boineburg. Unter ihr lag an einem heißen Sommertage die einzige Tochter des Ritters und war eingschlummert. Ein rasches Wetter zog heran, und vom Donner und strömenden Regen erwacht das Fräulein, fährt auf und eilt nach dem Hause. Indem so fährt ein Wetterstrahl in die Eiche, und wirft auch das Fräulein leblos zu Boden. Aber es gelingt, die blos Ohnmächtige wieder in das Leben zurückzurufen, und der erfreute Vater stiftet dankbar eine Armenspende. An jedem Gründonnerstage mußte der Kaplan vor dem zerspaltenen Baume eine Gedächtnißrede halten und Korn und Fleisch ward an die Armen von vierundzwanzig Dörfern ausgetheilt. Das Fräulein nahm den Nonnenschleier. Die Spende besteht noch immer, obschon die Burg längst in Trümmern liegt; die Rede hält der Pfarrer zu Datterode.

Einst lag am Gründonnerstag noch hoher Schnee, und der vierspännige Wagen mit den Liebesgaben konnte den steilen Burgweg nicht hinan; der Wa/genführer wollte daher umlenken. Da erschien aber plötzlich auf dem Wagen eine weiße Jungfrau mit schönem, aber ernstem und drohendem Antlitz und bedeutete dem Fuhrmann, hinauf zu fahren. Der wendete erschrocken sich wieder zum Weg, und siehe, mit Leichtigkeit zogen die Rosse jetzt den schweren Wagen, und droben verschwand die Jungfrau lächelnden Blickes. Alles Volk, das den Wagen umwimmelte, hatte sie gesehen.

Als das Hessenland in ein Königreich Westphalen umgewandelt war, wollte die französische Behörde nichts von dieser altherkömmlichen Spende wissen, sondern sie mit andern Einkünften unter dem üblichen lügenhaften Vorwand der Ersparniß selbst schlucken – ein nicht blos bei Franzosen geübter schlechter Finanzkniff – und wirklich unterblieb im Jahre 1808 Spende und Rede. Aber da ist dem Könige von Westphalen ein schreckliches Gesicht erschienen und seine Finanzer haben die Spende wieder herausrücken und das Vermächtniß auf Schloß Boineburg erfüllen müssen.

Noch ruhen im Bergesschooße der Boineburg viele Schätze, und die Jungfrau hüthet dieselben; auch sie breitet ein weißes Tuch mit Knotten aus, und macht einzelne glücklich. Es soll im dreißigjährigen Kriege aus Eschwege, Sandra und andern Nachbarstädten viel Geld und Gut hinauf auf die Burg geflüchtet worden sein.

Die Jungfrau der Boineburg erscheint auch als weiße Reiterin. Sie reitet auf des Berges Hochebene hin bis zu einer Stelle, wo eine weiße Lilie mit purpurnem Kelche blüht, die sie dann bricht, und eilend zurückreitet. Begegnet ihr einer, der reinen Herzens und Wandels ist, und ruft sie an: gieb mir die Blume! – der kann großes Glück erlangen, noch aber soll das Keinem wiederfahren sein, weil die Menschen nicht mehr reinen Herzens und Wandels sind.

764. Das graue Männchen

In der Mitte des vorherigen Jahrhunderts sind einmal unterschiedliche boineburgische Jäger an einem nassen Herbsttage auf dem Burgberge zusammen gekommen, und haben Schutz vor dem Regen in der Trümmer des alten Schlosses gesucht. Da fanden sie ein altes kleines graues Männlein mit schneeweißem Haar sinnend auf dem Moos und Steinen sitzen. Sie redeten es an, fragten es dies und das, allein das Männlein gab ihnen keine Antwort. Darüber wurden die Jäger böse und gaben dem Männlein einige Schläge, aber es verzog darob keine Miene, weder zum Lächeln, noch zum Schmerz, es blieb sein Antlitz still und kalt und sein Mund geschlossen. Da banden sie das Männlein mit Hundeleinen und führten es also gefesselt herab zu ihrem Herrn nach Reichensachsen, da sollte es, meinten sie, schon Rede und Antwort geben, allein es that dies eben so wenig als droben. Es nickte nicht und schüttelte nicht, es öffnete nicht den Mund, es deutete auch keinen Wunsch an, rührte auch nicht an Trank und Speise, achtete keinerlei Freundlichkeit und keines Zürnens. Nun dachten die Herren, die Zeit werde es schon mürbe machen, sperrten es in ein wohlverwahrtes Gemach, ließen dieses zum Ueberfluß von außen bewachen, aber am anderen Morgen, – andere sagen: nach drei Tagen – da war das Männlein verschwunden, hatte aber zum Andenken ein Vergißmeinnicht auf den Tisch gesetzt, das jenem Veilchen täuschend ähnlich sah, welches ein gewisser Hofnarr zu Meißen unter den Hut des Hofmeisters legte, der über das erste gefundene Veilchen gedeckt war; als welche sonderbare Historie im Treppenhause des Meißner Schlosses in Stein gehauen zu erblicken ist.

765. Der letzte Trauerritter

Vor alters und bis in die jüngere Zeit war es Brauch im Hessenlande und auch anderswo, daß, wenn ein Fürst und Landesherr gestorben war, ein vom Kopf zum Fuß Geharnischter in schwarzer Rüstung auf schwarzgepanzertem Roß dem Sarg zu allernächst beim Leichenzuge folgen mußte; solchen Ritter nannte man den Trauerritter, und es ging die Sage, daß der, den solches Nachreiten träfe, noch selben Jahres dem Fürsten nachfolge in das Schattenreich, wie er ihm lebend nachgefolgt hinab in die dunkle Gruft. Da nun Kurfürst Wilhelm I. zu Hessen 1821 verstorben war, wurde ein junger Herr von Eschwege dazu bestimmt, als Trauerritter den Sarg zu geleiten.

Herr Ludwig von Eschwege, ein vollkräftiger, stattlicher, blühend schöner Mann, der in den Jahren 1811 bis 1813 in Dreißigacker Forstwissenschaft studiert hatte und seinen Hieber wacker führte, eignete sich vollkommen zu dieser Rolle – aber die Seinen drückte die Sage, sie warnten, sie rieten ab – doch der ritterliche junge Mann konnte und wollte sich nicht dem letzten Ehrendienst entziehen, den er seinem Fürsten und Herrn erweisen sollte. Er folgte im vollen Harnisch zu Roß dem Leichenwagen, er folgte dem Sarge nach in die kühle Gruft. Aber auch an ihm bewährte die Sage ihr Recht – nach wenigen Tagen war Herr Ludwig von Eschwege eine Leiche. Da stellte der Nachfolger des verstorbenen Kurfürsten den alten Hofbrauch ab, und seitdem folgt kein Ritter im schwarzen Harnisch mehr dem Sarge des Landesherrn.

766. Des Frankenlandes Apostel

Als der berühmte Bischof Remigius nach einem Siege des großen Westfrankenherrschers Chlodio dessen Schwester Albofledis und mit ihr dreitausend Franken dem Christentume gewonnen und getauft hatte und zu ihnen die Worte gesprochen: Betet an, was ihr zuvor verbrannt habt, und verbrennt, was ihr zuvor angebetet habt – da drangen auch nach dem Ostfrankenreiche die Strahlen des neuen Glaubens.

Zu jenen Zeiten wurde mehr und mehr in Schottland, Irland und England ein rühmlicher Eifer rege, die Heiden zum Christentum zu bekehren, und es wurden aus der Geistlichkeit der dortigen Klöster fromme und gottbegeisterte Männer gewählt, die unter dem NamenRegionarii als Missionare den Christenglauben zu den Heiden aller Lande zu tragen bemüht waren. So fuhr denn auch ein als Regionar geweihter Bischof namens Killena (Kilian) mit noch eilf andern Gefährten im Jahr 685 auf das Festland herüber, um den deutschen Heiden das Evangelium zu predigen, zu welchem Amte sie in Rom Auftrag und Bestätigung einholten. Nachdem die Bekehrer sich in verschiedene Regionen verteilt, blieben bei Kilian der Priester Kolonat und der Diakon Totnan und pilgerten in das Frankenland, wo Kilians frommer Wandel nicht minder wie seine feurige Beredsamkeit ihm bald Jünger und Anhänger zuführte. Damals herrschte über Franken im Namen des fernen Frankenkönigs Herzog Gozbert, ein Sohn Hetans, welcher beschloß, den Apostel an seinen Hof zu berufen und dessen Lehre zu vernehmen. Herzog Gozbert hatte seine Residenz auf dem Berge über Würzburg, wo der Sage nach ein römischer Dianentempel stand. Kilian und seine Gefährten aber hatten ihren Wohnsitz in dem rauhen Rhöngebirge aufgeschlagen und dort auf dem höchsten Berge das Zeichen der neuen Lehre und des neuen Bundes, das heilige Kreuz, errichtet. Davon zeugen noch im Frankenlande die vielen, allerwärts vorkommenden Kiliansberge und Kilianskuppen, sowie vornehmlich der Hochgipfel der Rhön, der heilige Kreuzberg. Doch vergingen Jahrhunderte, bevor dieser Berg seinen jetzigen Namen empfing. Aschberg nannte ihn das Volk, und nicht unmöglich wäre es, daß er als Asenberg in der Heidenzeit der germanischen Frühe schon den Umwohnern zu ihrem einfachen Naturtempeldienst, gleich andern Hochwarten deutscher Gebirge, heilig gewesen. Als das Jahr, in welchem St. Kilian mit seinen Genossen in diesen Gegenden erschien, wird 668 angegeben. Sie fanden am Fuße des Berges friedliche Ansiedler, welche die Fremden, die kamen, um das zu bekehrende Land zu überschauen und kennenzulernen, gastlich aufnahmen und mit offenen Gemütern den Verkündigungen lauschten, welche die heiligen Männer ihnen brachten. Bald strömten Hörer ihrer Lehre aus den Nachbargauen herbei, und das Christentum begann Wurzel zu schlagen. Und als die Gottesmänner in Würzburg den Märtyrertod erlitten hatten, als das Heidentum den jungen Baum der Christuslehre dort wieder mächtig überwucherte, soll in den Wäldern und Hainen um den Kreuzberg sich die neue Christengemeine heimlich zusammengefunden und dem Heiland unter einem Kreuze da gedient haben, wo jetzt die Wallfahrtkirche steht. Noch wird der Kilianshof am Fuße des Kreuzberges als die Stätte genannt, die dem Heiligen ein schirmendes Obdach verlieh; noch zeigt man den Kilianskopf, darauf er gepredigt, und den Heilbronn, daraus er die Heiden getauft haben soll.

Nahe am Kreuzberge liegt, von drei Seiten von hohen Bergen umschlossen, das uralte Städtchen Bischofsheim. Als der heilige Kilian mit seinen Gefährten das Christentum in diese rauhen Gefilde brachte, fand er der Sage nach zuerst hier sichern Aufenthalt und friedliches Obdach. Darum wurde das Haus jener Ansiedler, die den hohen Fremdling beherbergten, das Bischofshaus genannt, und als die Zahl der Häuser zu einem Orte anwuchs, empfing dieser den Namen Bischofsheim. Auch in späterer Zeit genoß Bischofsheim rühmlicher Auszeichnung dadurch, daß Lioba, die fromme Schwester des heiligen Bonifazius, sich von ihrem Aufenthaltsort Kissingen dorthin begab und eine Zeitlang dort wohnte. Vom Altertum des Städtchens, das schon im Jahre 1270 ummauert war, zeugt noch ein Turm im byzantinischen Baustil am königlichen Rentamt, der wohl früher als Kirchturm und Warte zugleich diente.

767. Die Moorjungfrauen

Auf dem Rücken der hohen Rhön, da wo jetzt das rote und das schwarze Moor ihre weiten und grundlosen Sumpfstrecken breiten, standen vor alten Zeiten zwei Dörfer; das auf dem roten Moor hieß Poppenrode und versank infolge lasterhaften Lebens seiner Bewohner oder eines über diese ausgesprochenen Fluches. Das auf dem schwarzen Moor hieß Moor, ging auf ähnliche Weise unter, und nichts ist mehr davon übrig als eine Art basaltischen Pflasters, das die Rhönbewohner unter dem Namen der steinernen Brücke kennen, und die altermorsche Moorlinde, die man als die Dorflinde des versunkenen Dorfes betrachtet. Früher häufiger als jetzt zeigten sich auf beiden Mooren die Moorjungfrauen des Nachts in Gestalt glänzender Lichterscheinungen; sie schweben und flattern über die Stätte ihres ehemaligen Wohnplatzes. Oft kamen auch ihrer zwei oder drei nach Wüstensachsen und mischten sich unter die Kirchweihtänze, sangen auch wohl gar lieblich, blieben aber nie über die zwölfte Stunde, sondern wenn die Zeit ihres Bleibens herum war, so kam jedesmal eine weiße Taube geflogen, der sie folgten; sie wandelten singend zum nächsten Berg hinein und entschwanden so den Augen der Nachblickenden oder neugierig Nachfolgenden. Auch ist das rote Moor der Gegend ein Wetterprophet. Wenn in der Frühe ein kleiner Dunst darüberschwebt, so gibt es keinen schönen Tag; ist der Dunst stärker, so wird schlechtes Wetter, raucht gar das Moor, so kommen Regen, Schloßen und Gewitter; tobt es aber und werfen die schlammigen Moorwässer Wellen, dann sind Stürme, Orkane und sogar Erdbeben zu fürchten.

Aus dem versunkenen Dorfe Poppenrode, so geht auch noch die Sage, waren nur zwei tugendhafte Mädchen übriggeblieben, die vom Strafgerichte Gottes verschont wurden. Einst aber gingen auch sie zum Tanze und sanken in den Arm sündiger Weltlust, da kamen sie plötzlich hinweg. Eifrig suchten nach den Schönen ihre erkornen Jünglinge, aber lange vergebens, bis ihnen ein lichtgrauer Mann erschien, der sprach: Euer Suchen ist all vergebens; nehmt aber eine Rute, schlagt mit ihr auf das rote Moor und besehet sie dann. Dieses taten die Jünglinge, und siehe, von der Rute floß Blut ab, zum Wahrzeichen, daß sie die schönen Tänzerinnen nie wiedersehen würden.

768. Sankt Gangolf und die Milseburg

Die Milseburg ist ein mächtiger Klingsteinberg der Rhön, den man in weiter Ferne mit seiner eigentümlichen Form über seine Nachbarberge emporragen sieht. Diese Form gleicht einem der hochgetürmten Heuwagen, welche im Juni so zahlreich von den grasreichen Flächen des Hochgebirges in die näheren und ferneren Talorte fahren, und heißt deshalb das Heufuder. Er gleicht aber auch einem Sarge und wird darum vom Volk die Totenlade genannt. Gleich andern Hochgipfeln dient der Berg den Umwohnern als Wetterprophet, und diese sagen stets richtig Regenwetter voraus, wenn die Milseburg raucht oder, nach dem Ausdruck des gemeinen Mannes, Klöße kocht. Viele Heilkräuter und sonstige seltene Pflanzen wachsen auf diesem Berge, und viele Sagen gehen von ihm im Munde des Volkes um. Daß aber der Berg eigentlich Melusinenberg heiße, wie einige geschrieben haben, ist ein ersonnen Märlein und ein Diftlerlug; das Rhöngebirg kennt keine Melusine, und Melusine war eine Wasserfeine, keine Bergidise oder Waldividie. Da der heilige Gangolfus diesen Berg zum Lieblingsaufenthalt erwählt haben soll, so heißt er auch der Gangolfsberg, und es wurde die auf seiner Höhe stehende kleine Wallfahrtkapelle, welche im Jahre 1493 erbaut sein soll, diesem Heiligen geweiht. Vor langen Zeiten stand auf der Höhe des Berges eine Ritterburg, bewohnt von wilden Raubgesellen, die auf dem von der Natur durch fast unersteigliche Klippen geschirmten Felsenhorst lange ungestraft ihre Untaten zum Schrecken der ganzen Gegend verübten. Wer diese Burg erbaute, und wann sie zuerst erbaut wurde, weiß niemand zu sagen. Der heilige Gangolf brachte auch einen gar schönen, frischen und heilkräftigen Quellbrunnen auf die Milseburg, und es trug sich damit gerade so wunderbarlich zu wie mit dem Grafen Gangolf in Languedoc, so daß die Sage jenes Landes hier am hohen felsreichen Rhöngebirge ein treu erwiderndes Echo gefunden hat. Auf der Milseburg befindet sich auch des heiligen Gangolfs Keller, aber an welcher Stelle, weiß niemand zu sagen. Er ist voll großer Schätze, aber verwunschen und verschlossen. Keiner weiß ihn zu finden. Einst war eine alte Frau so glücklich, mittelst einer Schlüsselblume, die sie zufällig pflückte, diesen Keller zu entdecken. Sie sah ihn plötzlich offenstehen, doch ging sie nicht hinein, denn es kam ihr ein Grauen an, und sie ging von dannen, andern anzusagen, was ihr begegnet war, und was sie gesehen hatte. Alle, welche die Mär hörten, verwunderten sich, und viele folgten der Alten an den Ort, aber da war der Keller wieder verschwunden, und nimmermehr fand die Alte jene Stelle wieder.

Aber nicht allein auf der Milseburg hat Sankt Gangolf seine geweihten Stätten, zwischen Hildenburg und Oberelsbach liegt der Gangolfsberg mit den Trümmern des Gangolfsklosters unter einer natürlichen Felsengrotte, welche auch der Gangolfsbergkeller heißt. Auch dieses Kloster wurde im Bauernkriege zerstört. Nicht weit davon ist die Teufelskirche oder das steinerne Haus, über dem Dörfchen Ginolfs bei Weißbach gelegen. Es stellt sich hier eine Basaltzertrümmerung in höchst malerisch übereinander aufgehäuften Säulen in großer Regelmäßigkeit des fünf-und sechskantigen Gesteins dar, das bis zu vierzig Fuß hoch aufgestapelt ist. Davon meldet die Sage des Volks: Einst wollte man drunten im Tale eine Kirche erbauen und fuhr fleißig Steine zu dem Bauplatz hin. Darüber erzürnte sich der Teufel mächtiglich und trug jede Nacht ebenso viele Steine vom Platz hinweg und auf diese Berghöhe, wo er sie also neben- und ineinanderschichtete, daß man keinen davon hinwegnehmen konnte, und kein Mensch vermochte die Steine wieder herunterzuschaffen. Man spricht insgemein, daß da, wo der Teufel seinen Stein hinlege, es vergeblich sei, diesen hinwegzunehmen, denn sooft das auch geschehe, ebenso oft lege der Teufel denselben Stein oder einen andern an die nämliche Stelle.

Wo aber der Teufel sich also eingenistet, daß er, wie hier, sogar eine Kirche hat, da hat er auch, wie auf dem Harz und dem Thüringerwalde, insgemein noch sonstige Besitztümer und Errungenschaften, so auch auf dem Rhöngebirge, von denen manche Sagen gehen.

769. Teufelsbauten im Rhöngebirge

Als der Teufel sah, daß man auf der Milseburg eine Kirche baute, verhieß er einem Bewohner der Gegend, auf einem Nachbarberg ein Wirtshaus zu erbauen, und dieser gelobte ihm sich und seine Seele, wenn er das Wirtshaus nur einen Tag eher vollende als die Kirche. Da aber beim Bau des Milseburgkirchleins der heilige Gangolfus selbst behülflich war und auf dessen Gebet die Steine sich schneller fügten wie auf des Teufels Flüche, so wurde das Kirchlein fertig, eben als der Teufel mit dem letzten Stein durch die Lüfte geflogen kam. Kaum sah er, daß er seine Wette und obendrein eine Seele verloren hatte, so schleuderte er den mächtigen Felsstein auf das Wirtshaus herab und zertrümmerte seinen ganzen Bau, der noch also zu sehen ist. Die Felsen liegen übereinander her wie gespaltene Eichstämme in einem Holzhaufen.

Der Teufelswand, auch Steinwand, wird ähnlicher Ursprung zugeschrieben. An ihr stehen Säulen von Basalt achtzig bis neunzig Fuß hoch senkrecht empor, und sie gleicht einer großen alten Mauer. Dort finden sich auch die Teufelskanzel und seiner Großmutter Milchkammer, Felsenbildungen eigentümlicher Form, und ungeheuere Trümmermassen, mit basaltischem Gerölle durchmischt, verkündigen die unheimliche Einöde, in deren Schoße die Tradition gern den einst so fest geglaubten Feind des Menschengeschlechts heimisch sein läßt.

Eine Stunde von Bischofsheim liegt in einer schauerlichen Gebirgsschlucht an einem Bergbach, der sich zwischen dem Holzberg und Bauernberge über eine achtzig Fuß hohe Felswand als Kaskade herabstürzt und das Schwarzbacher Wasser bildet, ein mehrere Schuh tiefes Felsenbecken, die Teufelsmühle. In demselben werden oft große Steine bei angeschwollener Flut malmend und unter wildem Strudeln und Wirbeln umgetrieben. Man will bei Gewittern oft einen schwarzen riesenhaft gebauten Mann geschäftig die Felswand auf- und abklimmen und in wilden Sprüngen um seine Mühle rennend gesehen haben.

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