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Deutsches Sagenbuch
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  1. Der Löll
  2. Die Galgendenkler
  3. Heiligblut und Sankt Salvator
  4. Vom Hesselberg und Oselberg
  5. Der Schlegel
  6. Die arme Seele
  7. Freudengäßle
  8. Heilsbrunn
  9. Des Teufels Nase
  10. Kinderwallfahrt

870. Der Löll

Zu Großlellenfeld, auch Unterlellenfeld, im eichstättischen Gebiete, sonst zum Kastenamt Arberg gehörig, hat vordessen an der Kirchmauer ein Steinbild gestanden, das hießen sie den Löll, und war gestaltet wie die Figur des Götzen Loll oder Lollus bei Schweinfurt. Es hielt mit dem Daumen und Zeigefinger die Zunge, und der Ortsname sollte von ihm herkommen, wie nicht minder für solche, die gern Kinder necken und zerren, gar ein spöttlich Schimpfwort, das nicht wohl zu schreiben ist, und ein Spitzname. Man nennt in dieser Gegend jemand, der sich nicht gut zu verreden weiß und gleichsam die Zunge sperrt, noch heutiges Tages einen Löll oder auch einen Lolli und, ist die Person weiblichen Geschlechts – eine Lull'n. Die Lellenfelder hören diese Sage vom Löll nicht gern, weil der Zerr ... von Lellenfeld dort in aller Munde so unsterblich lebt wie der Hans .... von Rippach in seiner Gegend, und um nicht fort und fort daran zu erinnern, wird gesagt, daß sie das Löllenbild vor etwa funfzig Jahren von der Kirchmauer weggenommen und auf das Langhaus der Kirche gebracht hätten.

871. Die Galgendenkler

Fünf Stunden von Eichstätt, im alten Kastenamte Kipfenberg, liegt der Marktflecken Enkering, dessen Bewohner müssen auch einen Spitznamen tragen. Sie hatten nämlich draußen vor Enkering einen niedrigen hölzernen Galgen, und da daselbst, wenn die Bauern auf dem Felde, kein Bürger daheim war, so geschah es häufig, daß sie zur Erntezeit, wann gemäht wurde, ihre Sensen auf das Galgenholz auflegten und sie dengelten, was man in dieser Gegend denkeln nennt. Davon haben die Umwohner den Enkeringern den Spitznamen Galgendenkler gegeben, darüber hat es schon oft Schlägereien und blutige Köpfe gesetzt. Der Volkswitz ist überhaupt in diesem Lande stets rasch bei der Hand mit neckischen Redensarten. So steht auf dem Berge über dem eichstättischen Dorfe Bettenhofen die Kirche nebst dem Pfarrhaus und der Schule, und ist erstere weit sichtbar, darum lebt in der Gegend das Sprüchwort, wenn einer Unglaubhaftes erzählt: Du – mache mir nichts weiß, ich kenne schon Bettenhofen, liegt die Kirch' auf dem Berg.

So auch die Seglau, das ist der Name einer ganz kleinen Wiese im untern Hochstifte Eichstätt bei Burggriesbach, von der aber wird die ganze große Ebene zwischen Jettenhofen, Burggriesbach, Obermäßing und Forchheim die Seglau genannt, und weil auf dieser fetten Wiesenflur viele Butterblumen wachsen, so sagen die Umwohner, wenn rechter Sturmwind weht: Die Hexen fahren auf die Seglau ins Schmalz.

872. Heiligblut und Sankt Salvator

Eine Stunde nördlich von Pleinfeld und ebenso weit südlich von Spalt liegt einsam im tiefen Walde das Franziskanerkloster Heiligblut, wohin viele Wallfahrten geschahen und noch geschehen. Es wird in der Kirche unter einem der Altäre der Stock eines abgehauenen Fichtenstammes gezeigt und dieses erzählt: Als im Jahre 1444 eine große Hungersnot das Land heimsuchte, beredete ein Jude einen armen Tagelöhner zu Unterbreitenlohe, aus der Kapelle zu Stirn eine geweihte Hostie zu stehlen, diese auf jenen Fichtenstock zu legen und dreimal aus allen Kräften mit der Axt auf die Hostie zu hauen. Andere sagen, der Jude habe selbst mit dem Messer in dieselbe hineingestochen. So oder so – floß aus der Hostie Blut, der Tagelöhner wurde hierauf von entsetzlicher Reue ergriffen, zeigte seine und des Juden Freveltat an, und das heilige Blut ward aufgehoben, über dem Fichtenstamm zunächst ein Altar errichtet, über diesen dann eine Kirche erbaut und das Kloster begründet, dem der Ruf von jenem Wunder zahllose Waller zuführte, so daß es insgemein nur die Wallfahrt genannt wird.

Ein anderer berühmter Wallfahrtort im Eichstättischen, und noch dazu der älteste, ist Sankt Salvator, und auch zu dessen Gründung gab eine heilige Hostie den ersten Anlaß, die ein Edelfräulein von Neuses bei Oberbach in der Karwoche zu Rauenzell empfing und im Munde behielt, aber im Walde vor einem Kruzifix fallen ließ. Die Hostie konnte nicht wieder aufgehoben werden, und es ging mit derselben wie mit dem Gott im Kasten. Erst als der Weihbischof mit dem ganzen Klerus zu Herrieden und alle Pfarrer von Burgoberbach, Großenried, Neunstetten mit allen ihren Pfarrkindern in zahlreicher Prozession naheten, ließ die heilige Hostie sich erheben und in ein gläsernes Gefäß legen und in der Rauenzeller Pfarrkirche in einem Reliquienschrein aufbewahren.

873. Vom Hesselberg und Oselberg

Das Ansbacher Land hat keine Gebirge, nur wo die Sulzbach in die Wörnitz fällt, an der schwäbischen Grenze, erhebt sich der Hesselberg, der in der Gegend weit berufen ist. Er teilt sich in den großen und kleinen Hesselberg, der letztere heißt auch Schlößleins Buik, weil eine Burg darauf gestanden, die der Familie von Lentersheim Stammhaus war. Der große Hesselberg besteht aus drei Höhen, welche wieder ihre besonderen Namen haben: Röcklinger-, Ehinger- und Geralfingerberg. Auf dem Röcklingerberge liegt die Ostwiese, auf dieser sollen die Druiden, als noch keltische Bevölkerung im Lande seßhaft gewesen, zur Osterzeit jedesmal ein Kind geopfert haben. Fast in des Berges Mitte gegen Norden ist ein Loch von geringer Tiefe, das soll vordessen eine große Höhle gewesen sein, und hieß die Gottmannshöhle, ist jetzt das Gottmannsloch genannt. Ein Schloß soll auch dort gestanden haben, aber versunken sein, sonst hörte man droben noch bisweilen den Hahn krähen, jetzt kräht kein Hahn mehr danach; ein Schatz soll in der Tiefe ruhen. Einst waren mehrere Hirtenknaben droben und beschlossen, einen aus ihrer Mitte an Stricken hinabzulassen. In Gottes Namen steig' ich nieder! rief der Erwählte, kam tief unten in die Höhle auf Schätze und brachte seine Taschen voll Gold herauf, wie jener Hirtenknabe auf dem Schloßberge über Tilsit. Ei du Teufelskerl! schrie neidisch ein Gefährte mit feuerfuchsrotem Haar, da will ich ins Teufels Namen gleich auch hinunter! – Die Knaben ließen ihn hinab, da rauschte es in einem nahen Busch, und vorüber sprang ein dreibeiniger Hase. Erschrocken sprangen die Knaben auf, der Strick entglitt ihrer Hand, das Ende schnurrte in die Tiefe, der Hase verschwand, und der Fuchs kam nimmermehr wieder herauf. Jetzt ist das Gottmannsloch kaum noch drei Schuh tief und mit Rasen überwachsen.

Noch liegt auf dem Hesselberg ein Stein, der hat dem Schwedenkönig Gustav Adolf im Dreißigjährigen Kriege zum Tisch gedient, als er droben die Gegend überschaut. Man kann bei heiterm Himmel von des Hesselberges Höhe über dreihundert Ortschaften sehen. "Die Druidengläubigen, welche die Ortsnamen Wassertrüdingen und Altentrüdingen am Fuß des Hesselberges von den Druiden ableiten, leiten auch des Burges Namen vom gallischen Kriegsgott Hesus ab. Hesus, Hessus, Hessel – höchst einleuchtend! Wahrscheinlich hat auch der Oselberg bei Dinkelsbühl von demselben Gott seinen Namen: Hesus, Hosus, Osus, Osel – auf welchem auch ein Schloß gestanden, darin eine Jungfrau einsam lebte und mit dem alten Gemäurig verfiel, um das sie noch als Geist mit ihrem Schlüsselbunde schwebt und wandelt, absonderlich in den vier Quatembernächten, keineswegs aber als Tut-Osel, welche eigentlich auf dem Oselberge hausen sollte, sondern still und lautlos. Die alten Bauern sagen, selbige Jungfrau sei eines Heiden Tochter gewesen und sei in eine Schlange verwünscht worden, mit Beibehaltung von Frauenhaupt und Brust und Armen zum zärtlichen Umfangen, gleich der Schlangenjungfrau im Heidenloch bei Augst, und da hat es die Tut-Osel doch noch besser, die darf doch umherfliegen und sich ihren Schatz suchen.

874. Der Schlegel

Im Landgericht Feuchtwangen liegen zwei Dörfer, Mosbach an der Görnitz und Kühnhard, nahe beisammen. Mitten im Weiler steht eine sehr hohe Tanne oder Hahnenbaum; an diesem hängt ein ziemlich großer aus einem Stück geschnitzter Schlegel, an welchem fünf Mann zu heben haben. Hat nun ein Weib mit ihrem Manne Uneinigkeit, rauft oder schlägt sie denselben, so wird augenblicklich der Schlegel herabgenommen und dem Manne an die Haustüre gehängt. Die Wegnahme geschieht erst nach der durch den Mann beim Bauermeister geschehenen Nachsuchung mit Zuziehung der ganzen Gemeinde, der er sogleich im Wirtshause einen Gulden und funfzehn Kreuzer zum Vertrinken erlegen muß. Weigert sich der Mann mitzugehen, so wird er noch ärger gestraft. Dieser Schlegel wird auch im Winter nach starkem Schneefall gebraucht, der Gemeinde Kühnhard den Weg in die Kirche nach Mosbach zu bahnen. Sie nimmt ihn alsdann herab und schleift mit demselben durch zwei oder vier Ochsen die Bahn nach Mosbach. Dieser Schlegel ist berühmt, daß man des einen Dorfes Lage geradezu bezeichnet Kühnhard am Schlegel.

875. Die arme Seele

Der Teufel war lange Zeit ledig gewesen und ein gar alter Junggeselle trotz der vielen Buhlschaften, wollte endlich auch freien, und als er sich auf der ganzen Welt umgesehen, gefiel ihm auf der Welt keine Maid so wohl als eine zu Rothenburg an der Tauber, eines ehrsamen Bürgers Kind. Der Teufel warb in Züchten um das Mägdelein, verblendete des Vaters Augen durch Glanz und Pracht, und ward die Hochzeit gar herrlich gehalten. Der Teufel tanzte wie ein Gott und machte Bockssprünge wie ein Faun und hatte zwei Spielleute mitgebracht, die machten eine höllische tolle Musik, und alles wirbelte vor Lust. Dem Brautvater wurde das Ding aber endlich gar zu toll und kam ihm schier unheimlich vor, ließ daher heimlich seinen Beichtiger holen, und der geistliche Herr roch auf der Stelle durch die vielen Hochzeitbraten den Teufelsbraten heraus und rückte ihm, mit geistlichem Rüstzeug wohl versehen, ganz ernst zu Leibe, peinigte ihn mit Fragen und Bibelsprüchen, bis der Teufel vor Ärger zwar nicht aus der Haut, aber doch aus dem Hause fuhr und einen höllischen Gestank hinterließ; ihm folgten auch sogleich die Spielleute, und an der Stelle dieses höllischen Kleeblattes lagen die Leichen von drei vor wenigen Wochen Gehenkten im Tanzsaal und stanken wie tausend Teufel.

Der Teufel aber hatte nun einen großen Zorn auf Rothenburg, verdarb der guten Stadt ihren Tauberwein und lauerte stetig darauf, ihr Possen zu spielen oder seine Macht zu zeigen. Im Jahre 1522 zettelte er die Judenteufelei dort an, und 1525 schürte er die Aufruhrflammen des Bauernkriegs. Da kam eines Heiligentages ein Bäuerlein durch den Torweg unter der Hauptkirche, fluchte und wetterte zum Teufelholen und vermaß sich bei seiner armen Seele, daß jetzt allen Fürsten der Garaus gemacht werde, ein halbes Hundert seien schon tot, und die andern müßten Reißaus nehmen, und es sei einmal Zeit, daß die Bauerschaft auch endlich an das Ruder der Gewalt käme, und es müsse das Pfaffen- und Schreiberregiment durchaus aufhören, und werde auch, und wenn das nicht wahr und wahrhaftig sei, so solle ihn der Teufel gleich auf der Stelle holen. Und siehe, da fuhr der Teufel aus der kleinen Türe im Torwege hervor, krallte nach dem Bäuerlein, dem kaum der Torweg breit genug war, so focht und stürmte es mit seinen Armen, und warf es hoch an die Mauer. Mausetot und wie ein Nußsack fiel der Leichnam wieder herab, an der Wand aber blieb die arme Seele des Bäuerleins, die selbiges verschworen, hängen, und hängt noch immer dort, man kann sie mit Augen sehen. Sie ist von Farbe braun und mit schwarzen Flecken besprenkelt, wie eine Steinforelle. Es ist die einzige Menschenseele, welche sichtbar ist.

876. Freudengäßle

Zu Rothenburg an der Tauber wächst auch Wein, man will ihn aber nicht allewege loben. Einst war der Tilly dort, den wollte der Rat hoch ehren, gab ihm ein stattlich Mahl auf dem Rathaus und setzte ihm von seinem besten Weine vor. Aber der alten Kriegsgurgel des Tilly mundete selbiger Wein mitnichten, schmeckte wie thüringscher, und zog der Feldherr ein schiefes Maul und die Stirne in Falten und schrie: Ihr Rothenburger sollt alle die Kränke kriegen mit euerm Sauerracher! Gleich leert einer von euch selbigen Humpen auf einen Zug aus, oder ich lasse euch Herren allesamt und sonders die Köpfe durch den Meister Scharfrichter abschlagen! – Der Scharfrichter wurde alsbald geholt, und die armen Ratsherren erzitterten und wurden bleich und rot, denn der Tod saß ihnen schon auf der Zunge. Wie wäre es möglich gewesen, ihr Gewächs so rasch und so viel auf einmal hinunterzubringen? War es nicht auch ein Scharfrichter, dessen Schärfe den Magen bedrohte, wie das Schwert des wirklichen den Hals? Aber – dulce et decorum est pro patria mori – es fand sich ein Heldenherz in der Brust eines jungen Ratsmannes, er hatte in Würzburg studiert und konnte sich etwas zutrauen. Er nahm den vollen Humpen, hob ihn und trank ihn leer bis zur Nagelprobe. Nicht ohne Schauder sahen es die Ratsherren, und der Tilly strich sich den Schnurrbart und lächelte – was bei ihm nicht häufig vorgekommen sein soll. Der Rat von Rothenburg war gerettet. Tilly erhielt andern Wein, der Scharfrichter wurde von den Spielleuten in sein Haus zurückgeleitet, und weil das das erste Freudenzeichen war, so erhielt das Gäßchen, darin er wohnte, den Namen Freudengäßle bis auf diesen Tag. Der junge Martyrer für seine Vaterstadt blieb am Leben und hat nachher vom dankbaren Rat eine stattliche Verehrung an Tauberwein zur Vergnügung empfangen, doch nie wieder ein so großes Maß voll auf einmal zu sich genommen.

877. Heilsbrunn

Es war ein Ritter aus dem Geschlecht derer von Heideck, den peinigte ein jahrelanges Siechtum. Einst ritt er in einem Walde umher, und die Macht der Krankheit befiel, brennender Fieberdurst quälte ihn aufs neue. Da kam er auf eine Waldblöße, auf der ein frischer Brunnquell zutage kam, wo die Vögel lieblich sangen und die Bäume kühl schatteten. Da warf sich der lechzende Ritter vom Roß, kniete hin an die frische Quelle, rief die Mutter des Heilandes an und trank in vollen Zügen. Und da ging es ihm wie dem Ritter Heinz Teufel, die Königin der Engel erhörte ihn, und der Brunnen half und heilte ihm sein Gebrest, und da nannte er die Quelle seinen Heilsbrunnen und erbaute an ihr eine Kapelle. Bald kamen die Pilger in Scharen gezogen, tranken und genasen, und bald faßte das Kirchlein nicht die Zahl der Beter. Da gründeten dann die Brüder Rapoto und Konrad, Grafen zu Abenberg, mit dreien ihrer Schwestern eine große Kirche und ein Kloster in Gemeinschaft mit Bischof Otto zu Bamberg, der ein Graf von Andechs und der Pommern Apostel war, im Jahre des Herrn 1132, und weihten es in die Ehre der Gottesmutter und St. Jakobs Zebedeus, und das Kloster wurde mit Zisterziensermönchen besetzt und eine Enkelin Morimonts genannt. Kaiser Ludwig der Bayer setzte die Burggrafen von Nürnberg zu Schutzherren des Klosters ein, und diese erkoren es zu ihrem Erbbegräbnisse, daher die Fülle herrlicher Denkmäler der Zollern in der noch wohlerhaltenen Klosterkirche. Diese Kirche hatte nicht weniger als achtundzwanzig Altäre, davon der Hochaltar, ein überreiches Schnitzwerk von eines Heilsbrunner Mönches Hand, den ganzen Chor einnahm. Dieser mönchische Künstler fertigte infolge eines Gelübdes den Altar und vermaß sich, nichts zu vergessen, allein da das Werk vollendet war, so fand sich, daß die eine Hand der Figur der heiligen Jungfrau nur vier Finger hatte. Dafür hat des Mönches Leib keine Rast im Grabe finden können und ist sein Gebein unbegraben aufbewahrt worden. Dieser Bildschnitzer war aber wohl ohne Zweifel ein Schalk; er brachte nicht nur irgendwo in der Kirche eine Schweinsmutter an, welche Juden an ihren Zitzen saugen ließ, sondern auf der Stolspange der Statue des heiligen Bischofs Otto ein üppiges Tänzerpaar und einen Sackpfeifer, der diesem aufspielte, vor welchen prostituierlichen Figuren viele Tausende niedergekniet sind und gebetet haben.

878. Des Teufels Nase

Zu Hall am Kocher im Schwabenlande ist ein uralt Salzwerk, wie schon des Ortes Name kundgibt, und soll es allezeit um den Salzbrunnen herum merkliche Poltergeister gegeben haben, daher man, sie zu vertreiben, viele Jahre lang stets am Dienstag nach Vocem jucundidatis (Sonntag Rogate) mit Heiltümern prozessionsweise um den Brunnen gegangen ist. Zu einer Nacht erschien der Teufel einem Salzsieder und streckte seine Nase, die außerordentlich groß war, durch einen Spalt in das Hallhaus und schnarchte dabei: Wie gefällt dir die Nas? Kann das auch ein' Nas sein? – da nahm flugs der Siedeknecht einen Kübel siedender Sole und schüttete den dem Teufel auf seine Nase, indem er rief: Kann das auch ein Spaß sein? – Zornig brach jetzt der Teufel durch die Bretterwand, erwischte den Sieder und warf ihn durch die Luft über den Kocher auf den Gänsberg (die Höhe bei dem mittleren Gerberspförtlein), daß ihm alle Rippen krachten, und rief: Kann das auch ein Wurf sein? –

Andere sagen, der Teufel habe den Siedeknecht auf den Steinbruch jenseit dem Kocher beim Haimbacher Törlein geworfen, allwo der Galgen stand, der nachgehends abgebrochen wurde, weil die daranbaumelnden Kadaver, wenn die Sonne gegen sie geschienen, in einige Häuser der Stadt ihre klunkernden Schatten geworfen, was nicht appetitlich, wenn sie über das Essen dahinglitten.

879. Kinderwallfahrt

Im Jahre 1448 hat es sich zugetragen, daß zu Schwäbisch-Hall am Donnerstage nach Pfingsten plötzlich eine Sucht die Knaben überkam, nach Sankt Michael in der Normandie zu wallfahren, und gingen ihrer über zweihundert an der Zahl wider den Willen ihrer Eltern auf einmal von dannen, denn sie wurden von dieser Sucht ganz schnell und plötzlich erregt und ließen sich nicht einmal von ihren eignen Müttern halten, auch erfolgte bei einigen, welche mit Gewalt zurückgehalten wurden, alsbald der Tod. War wohl, wie ein alter Chronikenschreiber sagt, eine seltsame und wunderliche Begeisterung. Da sich die Knaben nicht halten ließen, so gab ihnen der für das Wohl der Stadtkinder besorgte Rat zum Geleit einen Schulmeister und einen Esel mit, damit ihnen nichts Böses zustoße. In so guter Gesellschaft mag wohl die weite Reise und Betfahrt glücklich vonstatten gegangen sein. Nachderhand erfolgte eine große Pest, und war es vielleicht Gottes Hand, welche den Knaben winkte, dieser zu entgehen. Wunders genug war es, daß diese Knaben so weit außer Landes begehrten und zogen, da es doch im Schwaben- wie im nachbarlichen Franken- und Bayerlande der berühmtesten Wallfahrtsorte eine übergroße Menge gab.

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