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Deutsches Sagenbuch
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Vorbehalten    Inhalt     

  1. Der Teufelsweg auf Falkenstein
  2. Die Eppsteiner
  3. Blutlinde
  4. Not Gottes
  5. Räderberg
  6. Die Wisperstimme
  7. Die glühenden Kohlen
  8. Taube zeigt den Tod an
  9. Der Affe zu Dhaun
  10. Das Pfaffenkäppchen

70. Der Teufelsweg auf Falkenstein

Auf der Höhe, vier Stunden von Frankfurt am Mainz, erhebt sich auf fast unzugänglichem Fels die Burgtrümmer Falkenstein, die Wiege eines im Taunus und der Wetterau gar mächtigen Geschlechts, von dessen Sprossen einige sogar Erzbischöfe von Trier wurden.

Ein Ritter von Sayn minnte die Tochter eines Falkensteiners, aber der Vater war ihm abhold und wies des Ritters Werbung mit den höhnenden Worten ab: Meine Tochter will ich Euch gern zum Ehegespons geben, ich verlange nur einen geringen Gegendienst. Schafft diese Felsenzacken in einer Nacht zum gang-und reitbaren Wege um – das ist mein Beding und mein Bescheid! – Unmögliches war begehrt, und hätten tausend und aber tausend Hände sich zugleich zerarbeitet an dem harten Felsgestein, es wäre nicht möglich gewesen, in solch kurzer Frist das Werk zu vollenden. Traurig zog der Ritter von Sayn, Kuno geheißen, von dannen, zog nach dem Heiligen Lande, focht tapfer in vielen Sarazenenschlachten, suchte den Tod, fand ihn nicht, blieb stets eingedenk seiner Minne und kehrte endlich in die Heimat zurück. Mit schmerzlichen Gedanken umirrte er den felsumtürmten Falkenstein, hätte gerne Kunde gehabt von seiner Geliebten – und starrte trübe die Felsen an, die mit ihrer Härte sein Geschick versinnbildeten. Hier hilft keine menschliche Macht, nur Zauber könnte diese Felsen zum Wege bahnen! seufzte der Ritter. Horch – da war es ihm, als höre er seinen Namen rufen – und wie er umschaut, hebt sich ein Erdmännchen in brauner Kutte, eisgrau und mit verschrumpfeltem Gesicht, aus einer Felskluft herauf und redet ihn mit sondrer Stimme an: Kuno von Sayn, was lässest du nach Silber wühlen drunten auf deinem Gebiet und störst unsre Ruhe? Willst du diese Felsen zum Wege gebahnt sehn? Willst du die Erbtochter vom Falkenstein, die droben noch einsam um dich trauert, nach dir sich sehnt, dein nennen? Dann gelobe nur eins und schwöre, es zu halten. –

Dem Ritter war es seltsam zumute bei dieser Erscheinung und Rede, und dachte, es möcht' etwa eine Versuchung des bösen Feindes, und was er geloben solle, möchte etwa seine Seele sein. Er fragte daher nicht ohne Zagen: Was ist dein Begehr? – Da sprach das Erdmännchen: Versprich mir auf dein ritterlich Wort, daß du morgendes Tages alle deine Gruben, Schachte und Stollen willst zuschütten lassen, die wir ohnedies, so wir wollten, ersäufen könnten, so wollen wir in heutiger Nacht noch die Felsen ebenen, daß du, wenn du getan, was ich heische, am lichten Tag hinaufreiten und den Falkensteiner an seine Zusage mahnen kannst. – Des war der Ritter hocherfreut, er sagte gern zu, was der kleine Erdzwerg verlangte, und begab sich zur Ruhe. Als es Nacht geworden, regte sich's wunderbarlich um die Burg, es krachte, es polterte, es hackte, es schaufelte – tausend kleine Berggeister allzumal, obschon sie zwerghaft gestaltet waren, mit Riesenkraft begabt, förderten das verheißne Werk, und als der Hahn den Morgen ankrähte, war's vollbracht, und als die Sonne hinterm fernen Spessart heraufstieg, da ritt schon Kuno von Sayn den neuen Weg und ließ sein Horn erschallen, daß sich der Wächter auf dem Turme des Falkenstein nicht wenig verwunderte, und noch mehr der Falkensteiner, doch freute er sich auch ob des so lang ersehnten Weges und hat sein Wort gehalten und die Liebenden vereinigt. Der Ritter Kuno von Sayn hielt gleichermaßen auch sein Wort, das er dem Zwerg gegeben, und ließ die Schachte, darin er nach Silber gegraben, zuwerfen und eingehen. Der Felsenpfad, den die Erdgeister bahnten, heißt heute noch der Teufelsweg; er zieht unten an der westlichen Seite des Altking, wo die Berggeister hausen, durch die Schärdter Höhle vorüber zur Bergeshöhe.

71. Die Eppsteiner

Es hauste vordessen in den wirren Felsenschluchten und dunkeln Gebirgstälern um das heutige Eppstein ein wilder Riese, der lauerte den Jungfrauen auf, und wenn er eine fing, geschah ihr mehr nach seinem Willen als nach dem ihren. Einstmals gelang es ihm, ein Fräulein von Falkenstein, welches ein edler Ritter minnte, hinwegzuführen. Der Ritter, welcher Eppo hieß, folgte eilend dem Riesen nach, mit ihm zu kämpfen oder ihn durch List zu besiegen, und hatte ein eisernes Netz, das er an einem gewissen Ort aufstellte. Damit der Riese, wenn er ihn wahrnehme, ihn nicht sogleich erkenne, mußte der Knappe Eppos Gewand und Rüstung anlegen, und Eppo trug die des Knappen. Der Riese achtete sich keinen Deut um den Ritter, der ihm nachfolgen wollte, er war mit all seinen Gedanken nur bei seiner Gefangenen und trachtete danach, ihr zu tun wie den andern, aber ein Schutzgeist war mit und bei ihr, gegen den weder des Riesen Stärke noch seine Zaubermacht, denn er war auch ein Zauberer, etwas vermochte. Voll Grimm darüber wandte sich nun der Riese Eppo entgegen, und da er diesen daherkommen sah, so gebrauchte er sich seiner Zauberkunst und Macht und verwandelte Eppos Dienstmann in einen Felsen, meinte so, seinen Feind für genugsam lange Zeit an eine Stelle gebannt zu haben, und eilte vorwärts, um auch alles Gefolge des Ritters unschädlich zu machen. Darüber aber stürzte der Riese in das eiserne Netz, zappelte darin gar gewaltig, konnt' es aber nicht zerreißen, und nun kam der Ritter in Knappentracht, der sich verborgen gehalten, hervor, schleppte den Riesen auf einen hohen Felsen und stürzte ihn von da herunter, worauf er die Gefangene des Riesen aus ihrem Bann befreite und sie zum Ehgenoß gewann. Den verzauberten Dienstmann konnte Eppo leider nicht lösen, der steht heute noch starr und steif wie ein Felsen und ist ein Felsen und heißt der Mannstein. Darauf erbaute Ritter Eppo eine neue Burg auf den Fels, von welchem herab er den Riesen gestürzt, und das wurde der Eppstein, und zu den Gewölbrippen im Tor wurden statt der gebogenen Steine die Rippen des Riesen eingemauert und angeschmiedet. Dem Ritter aber und seiner Gemahlin entsproßte ein gewaltig Geschlecht mannlicher Helden und großer Kirchenfürsten; die Ritter empfingen aus des Kaisers Hand das Waldbotenamt am obern Taunus zu Lehen, und fünf Eppsteiner behaupteten nach und nach den erzbischöflichen Stuhl zu Mainz, drei davon hießen Siegfried, einer Werner und einer Gerhard. Dieser Gerhard, der zweite des Namens in der Mainzer Bischofreihe, war gar ein fester trutziglicher Herr, und wenn ein deutscher Kaiser anders wollte wie er, so schlug er an seine Tasche und rief: Potz Velten! Wenn ein Kaiser nicht will, wie ich will, so hab' ich schon einen andern Kaiser in der Tasche. – Einstmals, als auch ein Kaiser ihm nicht zu Willen war, ergriff er zornig sein Jagdhorn und schrie: Daß den Kaiser Gottes Marter schände! So mir's beliebt, so blase ich aus diesem Horne einen andern Kaiser heraus! – Er sprach auch solche Worte keineswegs in den Wind, er war es, der dem Grafen Adolf zur Kaiserkrone verhalf und ihm auch wieder davon half, doch hat es ihm später nicht geglückt, und fand Ursache genug, seine Keckheit zu bereuen.

72. Blutlinde

In der Nähe Wiesbadens steht bei der Burgtrümmer Frauenstein eine riesige Linde, von der die Sage geht, daß einst an ihrer Stelle sich gar Trauriges ereignet habe. Ein Fräulein aus dem Geschlechte der Frauensteiner liebte einen ihr nicht ebenbürtigen Jüngling und sah ihn oft, indem sie abends noch außerhalb der Burgfeste lustwandelte, an einem traulich schattigen Plätzchen nahe der Burgmauer, wohin ein sonst stets verschlossenes Pförtchen führte, zu welchem sie allein den Schlüssel bei sich trug. Endlich nahm ihr harter und stolzer Vater diese Zusammenkünfte wahr, zürnte heftig, überraschte die Liebenden und erschlug den Geliebten mit eigener Hand. Da brach die Tochter jammernd einen jungen Lindenschoß, steckte ihn durch das rinnende Blut ihres Geliebten in den Boden, sprach zu ihrem Vater nie wieder ein Wort und ging in das nächste Kloster. Täglich weinte sie um ihren erschlagenen Geliebten, der Lindenschoß aber schlug Wurzeln und trieb und ward ein Baum, und solange die trauernde Liebende lebte und weinte, so lange floß Blut aus des Lindenbaumes Gezweig, so jemand ein Blatt oder einen Ast abriß. Das tat aber bald niemand mehr, denn die Menschen scheuten sich, und so erwuchs die Blutlinde zu mächtiger Höhe und Dicke, und können den Baum jetzt kaum vier Mann umklaftern.

Nahebei liegt ein uralt Gehöft, der Graroder Hof, von dem eine verwandte Sage geht. Ein junger Grafensohn des Lahngaues liebte ein seinem Geschlecht nicht ebenbürtiges Mädchen, deshalb stieß ihn sein Vater im Zorne von sich, daß er nie wieder vor sein Angesicht kommen solle. Das tat denn auch der junge Ritter, er ging und folgte dem Zuge seines Herzens und seiner Neigung. Aber um den alten Grafen her begann ein Sterben – sein Weib starb, seine Töchter starben, dann die vielen blühenden Söhne allzumal, einer nach dem andern; zuletzt hatte er nur noch einen – und auch dieser eine starb. Völlig vereinsamt, völlig kinderlos war der Greis, da gedachte er mit Schmerz seines verstoßenen Sohnes, wenn doch der noch lebte und bei ihm wäre, er wolle ihn gern nicht mehr um seiner Liebe willen verstoßen. Und ob er wohl noch lebte? – Da machte der alte Graf sich auf, den Sohn zu suchen, und suchte ihn ab und zu am Rheinstrom und in den Flußtälern, die in diesen münden, und in den Seitentälern und auf den Bergen. Da kam er einst ermüdet an ein kleines Winzergehöft, und da traf er ein Winzerpaar, Mann und Frau und wohl auch Kinder, und sahe, wie diese Leute ringsum den Felsboden gerodet hatten und hatten Reben gepflanzt und gewannen ihr Brot, das sie mit ihm teilten, denn er war hungrig, und das junge Weib bot ihm Trauben aus irdener Schüssel, und der Mann trat dazu, auf der Schulter den blinkenden Karst, blinkend von stetem, fleißigem Gebrauche. Da erkannte der alte Graf mit einem Male seinen Sohn in dem Häcker und fiel ihm um den Hals und weinte und segnete. Darauf hat der Ritter über sein Weinberggehöft sich eine Burg gebaut und sie mit den Seinen bezogen, denn er wollte nicht mehr hinweg von dem Stück Erde, das er mit seinem Weibe gerodet und bebaut hatte. Das nannte man hernach den Grafenroder oder kurzweg Graroder Hof, weil ein Graf es gerodet hatte. Der alte Graf lebte noch lange Jahre glücklich bei seinen Kindern und Enkeln, und der junge Graf nahm zum Helmkleinod einen bärtigen Mann im schwarzen kurzen Rock, auf der Schulter eine silberne Rodhaue tragend, zum Andenken, daß er selbst mit seiner Geliebten den Boden gerodet habe. In der alten Kirche zu Schierstein am Rhein sind noch Grabmäler des Geschlechts zu sehen.

73. Not Gottes

Zu Rüdesheim am Rhein bewohnte das mannliche Geschlecht der Brömser von Rüdesheim ihre uralte graue Feste, deren Aufbau in die Römerzeit fällt, und weiter stromabwärts an der Waldberger Höhe ist das Kloster gelegen, welches den wunderbarlichen Namen Not Gottes trägt. Ein Brömser von Rüdesheim zog nach Palästina, tat allda viele mannliche Taten, bezwang viele Sarazenen und kämpfte mit einem Drachen, den er auch erlegte, aber bei dieser Gelegenheit oder bald darauf fiel er in die Hände der Ungläubigen, die ihm schwere Ketten zu tragen auferlegten. Da gelobte er in seinem Kerker, seine Tochter, die er als ein junges Kind verlassen, dem Himmel zu weihen, wenn sie am Leben bleibe und er in die Heimat rückkehre. Und siehe, des Ritters Ketten fielen von ihm ab, der Himmel nahm das dargebotene Opfer an, der Ritter entkam und eilte der Heimat zu. Freudvoll empfing ihn seine schön erblühte Tochter, und er offenbarte ihr sein Gelübde. Da wurde die Tochter bleich wie der Tod – sie war in Minne einem jungen Ritter zugetan, dessen Hand zugesprochen zu erhalten sie von ihrem Vater zuversichtlich gehofft. Aber es halfen nicht Flehen, nicht Tränen, der Vater glaubte dem Himmel vor allem schuldig zu sein, sein ritterliches Wort zu halten. Da enteilte die Tochter laut wehklagend der Brömserburg, erklimmte den nächsten Felsen und stürzte sich in den Strom hinab. –

Groß war des Vaters Schmerz, und da er nun sein Gelübde nicht halten konnte, und um des teuern Kindes Schatten zu söhnen, tat er ein abermaliges Gelübde, er wollte ein Kloster erbauen. Es ging aber ein Mond nach dem andern hin, und mochte wohl so kommen, daß der alte Brömser durch alten Rüdesheimer seinen Schmerz hinwegbannte und darob sein Gedächtnis etwas schwach ward – da hatte er einmal ein nächtliches Gesicht: der Drache, den er in Palästina erlegt, war wieder bei ihm, und lebendig, und fauchte ihn mit weitaufgesperrtem Rachen an und drohte ihn zu verschlingen mit Haut und Haar – da sah er die Gestalt seiner Tochter, die winkte den Drachen hinweg und blickte gar wehmutvoll auf den Brömser und verschwand.

Am Morgen aber kam des Brömsers Ackerknecht und sagte an, wie er in aller Frühe mit dem Pflug und den Stieren zu Acker gezogen sei, habe er eine klagende Stimme vernommen, die immerfort gerufen: Not Gottes! Not Gottes! Und die Stiere hätten nicht anziehen wollen, sondern immer am Boden gescharrt. Sogleich begab sich Ritter Brömser selbst hinaus auf das Ackerfeld, und da vernahm er dieselbe wehklagende Stimme: Not Gottes! Not Gottes!, die ganz in der Nähe von der Stelle drang, wo die Ochsen standen und scharrten, und zwar kam die Stimme aus einem hohlen Baume. Der Ritter rief und suchte, aber er entdeckte nichts, da ließ er den Baum spalten, und da entdeckte sich innen am Boden des hohlen Stammes eine Monstranz mit dem heiligen Leib und ein hölzernes Bild des Schmerzensmannes. Als diese Kleinode dem Baum entnommen waren, schwieg die Stimme, und die Stiere waren ruhig. Ein Jude hatte beide heiligen Stücke aus einer nahen Kirche entwendet und allda verborgen. Das erinnerte nun den Brömser stark an die Erfüllung seines Gelübdes; er gründete ein Kloster, ließ an des hohlen Baumes Stelle den Altar aufrichten und stellte das Christusbild darauf, und geschahen zu dem Kloster, das Zur Not Gottes genannt ward, und zu dem Bilde viele Wallfahrten rheinab und -auf, daß öfters an einem Tage sechzehntausend andächtige Waller da waren, und das Bild tat vordem große Wunder.

74. Räderberg

Auf dem Räderberge ohnweit Nassau soll vorzeiten ein Kloster gestanden haben, davon man noch einige Trümmer sieht, aber niemand wisse, wes Ordens. Einst ging ein Metzger aus Nassau gegen Abend aus, Vieh einzukaufen, und wandelte auf der Landstraße dahin, da fuhr vor ihm her eine Kutsche, und er folgte ihr immer nach und hatte des Weges weiter nicht acht. Auf einmal da hält die Kutsche vor einem großen schönen Landhaus, das dicht an der Straße steht, das aber der Metzger sich nicht entsinnen kann je gesehen zu haben, sooft er auch des Weges schon gekommen. Das Haus war hell erleuchtet, und aus der Kutsche sah der Metzger drei Mönche steigen, welche in das Haus hineingingen, und da er vermeinte, es sei das Haus ein Gasthaus, so folgte er ihnen ebenfalls nach, um des Hauses Gelegenheit zu erkunden und vielleicht da Herberge zu suchen. Er sah die Mönche in ein Zimmer gehen, wo ein Sterbender zu liegen schien, der ihrer harrte, um die Sterbesakramente zu empfangen, und dann trat er in einen großen Speisesaal, wo, so schien es ihm, viele Gäste beisammensaßen, aßen und ziemlich lärmend zechten. Als der Metzger eintrat, verstummten alle – aber der obenan Sitzende erhob sich und brachte dem Metzger einen Becher dar mit den Worten: Noch einen Tag! – Dem Metzger überlief es kalt bei der Stimme, die er hörte, und aller Durst verging ihm – da erhob sich ein Zweiter, trat an ihn heran, gleich wie jener, bot ihm einen Becher zum Trinken und sagte auch: Noch ein Tag! – aber der Metzger dankte. Da erhob ein Dritter sich, kam und sagte: Und noch ein Tag! Jetzt trank der Metzger und tat Bescheid, um nicht unhöflich zu erscheinen – als ein Vierter auf ihn zukam und ihm in gleicher Weise anbieten zu wollen schien. Da wurde es dem Metzger ganz unheimlich, und schlug ein Kreuz vor sich hin – und plötzlich war alles hinweg, er stand in tiefer Nacht ganz mutterseelenallein und wußte nicht, wo er war, um ihn war Waldgestrüpp und Ruinengemäuer. Zitternd und bebend erharrte der Metzger an der wüsten Stätte den Morgen, und als dieser anbrach, nahm jener wahr, daß er auf dem Räderberg sei, von der Landstraße weit, weit abgekommen, mitten in den Trümmern des verfallenen Klosters. Auf unbegangenem steinigen Wege fand der Metzger sich zurück, unterließ seinen Geschäftsgang, ging vielmehr zum Pfarrer und entdeckte ihm, was ihm geschehen war. Genau nach drei Tagen war der Metzger tot.

75. Die Wisperstimme

Ohnweit Lorch am Rhein liegt eine Mühle im Wisperthale und am Wisperbach, darinnen lebten der Müller, seine Frau und einige Kinder ganz gut und glücklich. Das Haus lag dicht am Berg, auf dem die alten Schlösser Kammerberg, und Rheinberg stehen. Einer Zeit geschah es, daß die Müllerin eine Stimme hörte, als wispere ihr Jemand in das Ohr, und sahe doch Niemand – und dann wisperte es von Neuem: gehe hinauf auf Kammerberg, hebe den Schatz im Thurm – er ist dir bestimmt – der Schlüssel steckt am schwarzen Kasten. – Die Frau dadurch beunruhigt, erzählte ihrem Manne, was sie immer um sich flüstern und wispern hörte, der aber sagte: Possen! Träumerei! Hirngespinnste – kehre dich nicht an solche Dinge – unser Schatz ist der weiße Mehlkasten! – Aber die Frau hörte die Wisperstimme fort und fort und hatte keine Ruhe mehr und hatte auch Lust zum Schatz, wenn der ihr doch einmal bescheert sei – und eines Morgens, da der Müller weit oben im Thale am Wehr in der Wisper zu bauen hatte, und nicht so bald nach Hause zu kommen gedachte, ging die Frau mit ihrem jüngsten Kinde, einem Säugling, in aller Stille hinauf auf den Kammerberg. Der Müller aber vollendete sein Geschäft früher, und kam nach Hause, es war gerade Mittag und Essenszeit, aber die Müllerin fehlte. Wie er nun nach der Mutter fragte, so sagte ihm sein ältester Knabe, daß seine Mutter mit dem jüngsten auf dem Arm schon vor ein paar Stunden den Berg hinauf gegangen sei. Eilend rannte der Müller hinauf und als er in die Trümmer eintrat, hörte er die Stimme seines wimmernden Kindes – die aus der Oeffnung eines halb verfallenen Thurmgewölbes drang, stieg hinab, und fand darin sein Weib leblos am Boden liegen. Eilend zieht er Frau und Kind aus dem Gemäuer, und trägt und schleppt beide hinab in sein Haus. Dann ist nach langer Ohnmacht die Müllerin zu sich gekommen und hat erzählt, die Wisperstimme habe ihr Tag und Nacht keine Ruhe gelassen, sie habe hinauf gemußt, und die Stimme habe ihr auf dem Wege noch zugewispert, sie solle ganz ohne Furcht und bangen sein, es werde ihr nichts geschehen, nur reden solle sie um keinen Preis. Sie stieg in das/ Thurmgewölbe hinab – da stand der Kasten, da stak der Schlüssel, sie öffnete – da lag das blanke Gold – sie durfte nur nehmen – da hört sie plötzlich ihren älteren Knaben hinter sich rufen: Mutter! Mutter! und antwortet unwillig: was giebts!? und da thut es einen entsetzlichen Krach, als berste der Thurm und stürze das Gemäuer auf sie und ihr Kind nieder, und eine Stimme ruft aus: Weh! weh! warum redest du? Nun bin ich wieder unerlöst auf aber hundert Jahre! und da ist es der Müllerin schwarz vor den Augen geworden. – Und als sie das alles ihrem Mann erzählt gehabt, ist sie in eine tiefe, schwere Krankheit verfallen, und nach drei Tagen ist sie eine Leiche gewesen. So hat es der Wispermüller selbst erzählt im Jahr des Herrn Achtzehnhundert und vierzehn.

76. Die glühenden Kohlen

Im Städtchen Lorch am Rhein, da wo die Wisper in den Strom fällt, steht an der Stadtmauer auch eine Mühle, deren Räder die raschen Wellen der Wisper treiben. Einer Nacht erwachte die Magd in dieser Mühle sehr früh, es war ganz hell, und sie meinte schon, sich verschlafen zu haben, und eilte, das Feuer in der Küche zu schüren. Da gewahrte sie, wie sie durch das Küchenfenster in den Hof hinab sah, einen Haufen glühender Kohlen, und ging eilend hinab, um davon um so schneller für ihr Herdfeuer Brand zu gewinnen. Drunten lagen um das Kohlenfeuer einige ihr unbekannte fremde Männer, sie aber fuhr, ohne sich an diese Münner zu kehren, mit ihrer Schaufel in die Kohlen hinein und kehrte mit der Schaufel voll in das Haus zurück. Aber als sie die Kohlen auf den Herd schüttete, so glühten sie nicht mehr, sondern waren erloschen. Sofort lief die Magd noch einmal hinaus, und holte wieder eine Schaufel voll – es ging aber gerade wie beim ersten, die Kohlen waren todt. Und nochmals rannte die geschäftige Magd hinaus, da sprach einer der Männer mit tiefer Stimme: du höre! dieses ist das letzte Mal. – Die Magd erschrak und befiel sie ein Bangen, doch sprach sie kein Wort, und eilte nur, daß sie wieder an ihren Herd kam. Aber die Kohlen waren abermals erloschen. – und jetzt hob die Thurmuhr auf der Stadtkirche aus und schlug – und die Magd horchte, und wollte gern wissen, wie früh es wäre und zählte drei – vier – sechs – sieben – so spät konnt’ es doch noch nicht sein – acht – neun – was ist das? und die Uhrglocke schlug immer zu, und schlug zwölf – und im Hof verschwand das Kohlenfeuer, verschwanden die Männer. Der Magd gruselte fürchterlich – sie eilte in ihre Bettkammer, kroch tief unter die Decke und betete so viele Seufzerlein und Reimgebetlein, als sie konnte und wußte. Am Morgen verschlief sie sich in aller Form, und statt ihrer trat der Müller zuerst in die Küche, der traute seinen Augen kaum, als er auf dem Herd statt glühender Kohlen einen Haufen glitzender Goldstücke liegen sah, nahm den Schatz und erbaute sich davon ein neues Haus zu Lorch, gab auch der Magd ihren guten Antheil vom durch sie gewonnenen Reichthum.

77. Taube zeigt den Tod an

Zu Armsheim auf dem Kirchhof steht ein Grabstein, darauf ist ein Pflug, auf dem eine Taube sitzt, eingehauen. Vor vielen Jahren hat dort ein junges Ehepaar gelebt, und die Frau hatte eine zahme Taube, die war ihr Liebling und nahm ihr aus dem Munde, was sie der Taube darbot. Die junge Frau war in guter Hoffnung, und eines Frühlingsmorgens befiel sie ein Bangen, als eben ihr Mann hinaus an den Acker gehen wollte zur Saat, denn es war Säezeit und der Morgen windstill und heiter. Aber die Frau bat gar herzlich ihren Mann: Bleibe bei mir! – Doch er entschuldigte sich mit seiner Arbeit Dringlichkeit und verhieß sich zu eilen und baldige Heimkehr. – Er hatte aber den Samen noch nicht zur Hälfte ausgestreut, da kam die Lieblingstaube seiner Frau geflogen, und flatterte umher, und setzte sich auf den Pflug, der auf dem Acker stand, und sah den Sämann an, und schlug mit den Flügeln. Und da er nicht abließ von seiner Arbeit, so flog ihm die Taube gegen die Brust und pickte ihn in das Kinn, und da gedachte er an seine Frau und eilte heim. Da fand er seine junge schöne Frau tot im Bette, denn sie hatte ohne Hülfe geboren, und zwei lebende gesunde Kinder lagen in ihren Armen. Es war niemand da gewesen, den sie nach Hülfe senden konnte, und er hatte ihre zarte Bitte nicht verstanden. Und war die treue Taube nicht, so wären auch die Kindlein Todes verblichen. Der Mann trauerte, solange er lebte, freite nie wieder und zog die Zwillinge mit Liebe auf. Auf der Gattin Grab ließ er das Bild der Taube meißeln und betete oft um Mitternacht auf dem Grabe seiner Entschlafenen.

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78. Der Affe zu Dhaun

Hoch über dem Städtlein Simmern liegt der alte rheingräfliche Burgsitz Dhaun, das war ein gar stattliches und schönes Grafenschloß mit herrlichem säulengezierten Palas – und über dem Eingang zum Palas wird ein Wahrzeichen in Stein erblickt, ein Affe, der einem Kinde einen Apfel darbeut, von welchem Bilde diese Sage geht. Es hatte ein Burggraf ein junges Kind gehabt, das hatte eine Wärterin, die wiegte das Kindlein im schattigen Burghof, und da der Tag ein Sommertag und schwül war, so nickte sie ein, und als sie aufwachte, war das Kindlein aus der Wiege und fort. Da ward ihr angst und bange, denn wie sie es auch ringsum suchte und in alle Winkel lugte – es war und blieb verschwunden. Da schlug ihr der Schreck in alle Glieder, zitternd vor dem Zorn der Gräfin und des Grafen dachte sie nichts Besseres tun zu können, als ihr Leben zu retten, und stürzte in den Wald, um auch da vielleicht noch eine Spur zu finden. Da kam sie in ein dunkles Dickicht, und siehe, da saß der Affe, den der Graf hielt, und hatte den jungen Grafensohn auf seinen haarigen Armen und küßte ihn gar zärtlich und schaukelte ihn, legte ihn dann sanft auf ein Lager von Moos, bot ihm einen Apfel dar, und als es den nicht annahm, sondern einschlief, wehrte der Affe eine Zeit lang die Fliegen von ihm ab, und dann entschlief er selbst. Des war die Amme froh, schlich leise hinzu und nahm das Kind und trug es fröhlich wieder zur Feste Dhaun hinauf, wo schon alles unruhig war und nach ihr rief und suchte. Da verkündete sie laut die Tat des Affen, und die erst entsetzten, nun hocherfreuten Eltern beschlossen, dieselbe in Stein ausgehauen und überm Torbogen ihres herrlichen Palas verewigen zu lassen.

79. Das Pfaffenkäppchen

Zwischen schroff und steil überm Tal der Nahe zum Himmel sich aufgipfelnden Felskolossen werden jetzt die Trümmer der einst trotzigen Burgfeste Rheingrafenstein erblickt. Auf der Kauzenburg saß ein junger Rheingraf, jagdlustig, mutig, der wünschte sich eine Burg auf diesen ungeheuren Felsen, stattlich wie die Ebernburg und der Landstuhl der Sickinger, unnahbar dem Feinde – und mit solchen Wünschen weilte er einstens sehnend und sinnend in der Nähe der Felsriesen, deren Gipfel noch kein Mensch erstiegen hatte. Da gesellte sich einer zu ihm, den man nicht gern nennt, der las in des jungen Rheingrafen Seele den Wunsch und redete ihn an und sprach: Eine Burg da droben, eine schöne stattliche, feste, ja, die wär' Euch recht! Nicht so? Fehlt nur der Baumeister – ja – und wenn einer käme, und baute sie über Nacht – dem verschriebet Ihr wohl einen stattlichen Lohn? Was gäbet Ihr solchem? Sagt es an! – Ihr redet wunderlich, erwiderte der Rheingraf. Seid Ihr der Mann, der das vermag, so fordert und bestimmt den Lohn. – Nur eine einzige Seele – die Seele dessen, der zuerst durchs Fenster der neuen Burg herab ins Tal der Nahe und über alle die Täler und Berge ausschaut – das ist wohl wenig für eine stattliche Grafenburg. – Kommt heute abend wieder her, ich will es in Überlegung ziehen! sagte der Rheingraf und verließ gedankenvoll den Ort – eine Seele seinem Wunsche zu opfern, dünkte ihm sündlicher Frevel, und doch war sein Wunsch stark und groß. Daheim ließ er seinen Burgpfaffen kommen und offenbarte dem den Handel. Der Pfaffe schlug viele Kreuze und riet ernstlich ab, warnte gar treu vor des bösen Feindes List und Tücken und rückte sein schwarzes Käppchen auf dem Scheitel wohl hin und her. Da trat des Rheingrafen junges Ehegemahl herein und hörte das Gespräch und ließ erst den Pfaffen hinausgehen, dann sagte sie: Laß jenem nur gewähren, versprich ihm, was er begehrt, das andere findet sich. – Da ritt der Ritter wieder hinaus ins Nahetal und hielt ganz allein am Fuß der Felsen, und es dämmerte schon, oben aber sprang eine schwarze Gestalt von Fels zu Felsen, einer Gemse gleich, und mit einem Male stand der Fremde auch unten im Tale. Was machtest du da droben? fragte der Ritter. Ich nahm einstweilen die Maße, antwortete jener und fragte: Nun, soll ich? Fast hätte der Rheingraf gesagt: In Gottes Namen – da wäre es gleich aus gewesen – er besann sich und sagte bloß: Ja – aber bis morgen früh fertig, und daß nichts fehle, Bergfried, Mushaus, Palas, Luginsland, Mauern, Brücken, alles, was zu einer stattlichen Burg gehört. – Am andern Morgen glänzte die Burg flammenrot ins Nahetal herab, alle Welt war erstaunt, solch Wunder- und Zauberwerk war noch nicht da gewesen. Der Rheingraf ritt nun hinauf, und der Architekt der Nacht führte ihn in dem neuen herrlichen Eigentum umher, zeigte ihm Hallen und Säle, Brücken und Gänge und öffnete im Palas ein hohes Bogenfenster, die herrliche Aussicht bewundern zu lassen. Aber der Ritter sah nicht hinaus, er sagte spöttisch: Machet zu, hier zieht's, wir sind warm vom Steigen. Morgen wollen wir die Kauzenburg verlassen und hier heraufziehen. Ihr räumt wohl den Platz und nehmt ein Zimmer im Wächterturme? Nicht? – Der Teufel zog ein schiefes Maul, er hatte sich schon unendlich darauf gefreut, dem Rheingrafen einen Stoß aus dem Fenster in die schwindelnde Tiefe zu geben und mit dessen Seele davonzufahren.

Am andern Morgen kamen der Rheingraf und die Gräfin, und der Burgkaplan, und das Hofgesinde, die Leibdiener, die Jäger, die Knappen, die Stallleute, die Wächter, die Hundejungen, die Hühnerwärter, die Schloßmägde, die Käsemutter, die Zwergin und die Pferde, die Kühe, die Esel, die Rüden, der Meeraffe, die Katzen. Es war ein Zug, schier gleich dem des Erzvaters Noah, da er in den Kasten einging, zu Roß, zu Esel, zu Wagen – alles auf das neue Schloß.

Die junge Gräfin scherzte freundlich mit dem Burgkaplan, da droben werde es sehr zugig sein, sie wolle ihm ein wärmeres Käpplein nähen, er möge ihr das alte zum Muster einmal leihen – und als sie oben angelangt war, ließ sie durch die Knappen auch ein Eselfüllen hinauf in den Palas führen, und hieß es halten, und band ihm das Pfaffenkäpplein auf den Kopf, und ließ das Fenster öffnen und das Füllen daranstellen, das schaute gar fromm und bedächtiglich zum Fenster hinaus und spitzte die Ohren und witterte die frische Morgenluft. Der Teufel hatte lange schon still lauernd seitwärts gegenüber auf der Turmzinne gesessen, jetzt sah er das Fenster sich öffnen, sah des Pfaffen ihm wohlbekanntes Käppchen zum Vorschein kommen, und fuhr im Nu hin, und krallte seiner Meinung nach den Pfaffen heraus, und schmetterte ihn ins Tal, und fing die Seele auf. Herrgott, was der Teufel für einen Zorn hatte, als er von einer Tochter Evas sich überlistet sah und statt einer Pfaffenseele eine Eselsfüllenseele in den Klauen hielt!

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